Kennen Sie Don Quijote? Haben Sie den Roman von Cervantes vielleicht sogar schon einmal gelesen? Oder nur eine Verfilmung des Stoffes gesehen? Haben Sie mal einen Wikipedia-Eintrag dazu gelesen oder in der Schule davon gehört? Oder wurde mal auf einer Party über den Ritter von der traurigen Gestalt, Dulcinea, Rosinante und die Windmühlen geredet? Ist Ihnen also präsent, dass es in dem Roman darum geht, dass Don Quijote aufgrund übermäßiger Lektüre von Schund-Ritterromanen sich in eine Phantasiewelt versteigt und langsam daran verrückt wird, gegen Windmühlen kämpft und eine klapprige Stute für ein edles Ross hält? Wenn irgendetwas davon auf Sie zutrifft, dann müssen Sie die Theateradaption des Stoffes, die am 7.4. in Oberhausen Premiere feierte, nicht unbedingt besuchen.
Die größte Stärke der Inszenierung von Regisseur Thomas Fiedler (nicht zu verwechseln mit dem zukünftigen Intendanten Florian Fiedler) ist nämlich auch ihre größte Schwäche. Allzu brav wird hier all das erzählt, was der Roman bereit hält und als Allgemeinwissen bekannt ist, darüber hinaus aber nicht viel. Was der Adaption völlig abgeht, ist ein zwingender Zugriff, der rechtfertigt, warum der Stoff auf die Bühne gehört und das heute. Die allgemeine Weltromanaktualität reicht da nicht aus. Dabei bieten die sehr schönen Kostüme von José Luna durchaus Anknüpfungspunkte an aktuelle Szenen. Steampunk ist da genauso drin wie Mittelaltermarkt und Fantasyrollenspiel, aber alles bleibt nur – zugegebenermaßen sehr schmuckes – Dekor.
Thomas Fiedler greift durchaus tief in die theatrale Trickkiste, um die Geschichte zu erzählen. Es beginnt als Live-Hörspiel mit Musik. Das ist sehr hübsch gemacht und der wiehernde Torsten Bauer ein erster Lacher, Peter Waros und Janna Horstmann präsentieren sich als zauberhaftes Gesangsduett. Alles sehr schön anzuschauen, aber auch irgendwie nur dekorativ. Genauso wie die Schattenspiele vom „TheaterPuls“, das das Ensemble des Oberhausener Theaters bei dieser Produktion verstärkt, die auf einem großen Screen über den Darstellenden nach etwa einer halben Stunde hinzukommen. In einer exquisiten Ästhetik, die unmittelbar an den Künstler William Kentridge erinnert, bebildern sie das, was gerade vorne an der Rampe erzählt und besungen wird. Nach etwa der Hälfte der Aufführung wird dann die dritte Stufe des Abstiegs in Quijotes Welt gezündet, wenn die Rückwand fällt und den Blick auf die Drehbühne frei gibt. Dort stehen die Objekte von Don Quijotes Fantasien. Der Ritter im Zentrum der Drehbühne sieht immer nur ihre edle Vorderseite, an uns Zuschauern fährt auch stets die schäbig zusammengeklebte Rückseite vorbei. Ok, verstanden. Übrigens: Wenn Anja Schweitzer als Don Quijote die Elemente der Rückwand umstößt, den Vorhang, auf den zuvor die Schattenspiele projiziert wurden, herunterreißt und wir zum ersten Mal in das neblige Halbdunkel der Bühnentiefe blicken, ist das wirklich ein großer und schöner Theater-Moment.
Irgendwann im letzten Teil der Inszenierung fällt dann auch noch mal scharfes Licht von der Seite auf die Objekte auf der Drehbühne. Der Licht-Raum-Modulator von Bauhauskünstler László Maholy-Nagy könnte damit gemeint sein und so die Untertitelung der Inszenierung als „Mechanisches Welttheater mit Musik“ gerechtfertigt werden. Und, ja: Ganz am Ende in Don Quijotes Sterbeszene kommt auch noch Livevideo zum Einsatz, um noch ein theatrales Mittel aus dem Hut zu zaubern – vielleicht auch, um der Szene emotionalen Wumms zu verleihen, was aber nicht so recht funktioniert.
Der beherzte Griff in die Trickkiste der Regiekunst wäre völlig in Ordnung, wenn er irgendetwas leisten würde, das über das pure Erzählen der Geschichte hinaus ginge. Es wäre sogar ok, wenn das alles Charme, Witz und ein bisschen Zuschauerüberwältigung entwickeln würde. Dann wäre es zwar immer noch redundant, aber wenigstens große Showunterhaltung, doch immer wenn mal ein schöner Augenblick gelingt und die Hoffnung aufkeimt, das alles käme jetzt endlich aus dem Quark und würde großes Theater werden, bleibt es sofort wieder stecken. So wird dann dieser Don Quijote von Thomas Fiedler fast zu einem ärgerlichen Abend, weil er so vieles auf die Bühne wuchtet, was eigentlich Theater werden könnte, aber nichts damit anzufangen weiß.
Wer also nur mal wissen will, was es mit diesem Roman von Cervantes auf sich hat, der kann sich das anschauen und ist danach ein bisschen schlauer. Ein Zuschauer mit nicht all zu viel Theatererfahrung wird sich bestimmt auch für den einen oder anderen Effekt begeistern können und bei den hübschen Songs von Anton Berman (und dem Outfit der Musiker) nicht sofort an die Tiger Lillies denken. Kurz gesagt: Für typisches Musicalpublikum könnte der Abend durchaus etwas leisten. Wer eine spannende Theaterdeutung eines hinlänglich bekannten Stoffes erwartet, wird aber unbefriedigt nach hause gehen.
Termine und Tickets: www.theater-oberhausen.de