Premiere in Oberhausen: Faust 1

Faust , Theater Oberhausen, Jürgen Sarkiss, Michael Witte | Foto: Klaus Fröhlich

Goethes Faust ist Abiturstoff. Das ist durchaus eine relevante Information, die nicht nur erklärt, warum Faust derzeit in verschiedenster Form auf Spielplänen zu finden ist, sondern auch die Inszenierung am Theater Oberhausen stilistisch rechtfertigt. Im Gegensatz zu vielen Inszenierungen der vergangenen Jahre, die sich mühten, den verquasten zweiten Teil des deutschen Großdramas auf die Bühne zu hieven, beschränkt sich Regisseur Pedro Martins Beja gezielt auf den ersten Teil. Da steckt ja auch schon genug Arbeit drin, denn auch wenn der Faust Goethes wohl bühnentauglichstes Werk ist, zuviel Gedankenschwere und zu wenig Lust am originär Dramatischen haften auch ihm an, auch wenn Goethe im „Vorspiel auf dem Theater“ anderes behauptet. Das Viele, das Goethe bringt, um jeden Zuschauer zu befriedigen, bringt auch Martins Beja, obwohl er nur knappbemessene fünf Schauspieler und den Oberstufenchor des Bertha-von-Suttner Gymnasiums zur Verfügung hat. Hexenküche, Auerbachs Keller, Walpurgisnacht – alles ist da, was sonst allzu gern auch mal gestrichen wird. Los geht es mit einem kräftigen „Falsch“ Mephistos, als das Licht angeht. Das kann man gut als Anspielung auf das erwähnte „Vorspiel auf dem Theater“ lesen. Dann sind wir bereits beim „Prolog im Himmel“.

Janina Audick hat ein Holzgerüst mit Treppen, Leitern und Plateaus auf die Drehbühne gebaut. Es gibt kitschige Blumenlaternen und eine Rutsche, Plexiglasscheiben mit Pflanzen- und Flammendruck, einige Wände und einen Schuppen mit Pappmaché-Schlage am Portal. Das alles schaut aus wie ein Vergnügungspark, der seine beste Zeiten längst hinter sich hat. Trotz des vielgestaltigen Drehbühnenbildes wird erstaunlich viel direkt an der Rampe gespielt. Und wenn sich die Darstellenden im Bühnenaufbau tummeln, dann muss meist die Live-Kamera von Jan Krämer herhalten und das Geschehen auf zwei Leinwände an den Seiten des Bühnenportals übertragen. Diese Kombination der Stilmittel hinterlässt manchmal beim erfahrenen Theatergänger den Eindruck, er sähe gerade einen Schrumpf-Castorf. Im Gegensatz zu diesem verkneift sich Martins Beja allerdings allzu heftige Eingriffe in den Text.  Abiturienten und deren Lehrkörper müssen nicht fürchten, sich durch Labyrinthe von Fremdtexten zu wühlen. Der alte Herr Goethe wird artig am Text entlang inszeniert und hier und da ein bisschen auf jugendlich, frisch und respektlos getrimmt. Da wird dann in Auerbachs Keller gesächselt und gehitlergrüßt (obwohl wir ja in Leipzig und nicht in Dresden sind), Mephisto läßt sich vom Schüler ordentlich einen blasen, bis dem das Satanssperma aus dem Mund läuft, die Irrlichter tanzen in der Disco und zwischendurch darf auch mal ordentlich Hessisch gesprochen werden (leider nicht an jener berühmten Stelle „Ach neige du Schmerzenreiche“, die belegt, dass Goethe tatsächlich seine Reime im hessischen Idiom gedacht hat). Alles nett anzuschauen, manchmal ein bisschen drüber, aber eine wirklich neue Sicht auf den Stoff liefert es nicht. Dabei schlagen sich die drei Hauptpersonen sehr gut in ihren Rollen. Jürgen Sarkiss gibt einen rotzigen Rock’n’Roll-Mephisto, der mit seiner blonden dünnen Langhaarperücke und nacktem Oberkörper manchmal wie Iggy Pop aussieht. Michael Witte ist ein zum Glück von Anfang an wenig grüblerischer Faust und erinnert im letzten Drittel erstaunlich an Johnny Depp in „Fear in Loathing“. Und Lise Wolle versucht alles, um uns das Gretchen irgendwie näher zu bringen. Gegen die unerträgliche „Heinrich wie hältst du’s mit der Religion“-Betulichkeit des Textes kommt aber selbst sie so richtig erst in der Kerkerszene an. Anja Schweitzer und Moritz Peschke spielen sich durch eine Vielzahl weiterer Rollen und machen das mit Verve.

Was bleibt nach rund drei Stunden Faust in Oberhausen? Ohne merkliche Längen konnte das deutscheste aller Dramen mal wieder besichtig werden, Lehrer und Lehrerinnen können trefflich im Unterricht mit den Schüler diskutieren, was „modern“ an der Inszenierung ist, ohne sich damit allzu große Probleme aufzubürden, für alle anderen kommt nicht allzuviel neues rum – außer vielleicht die Erkenntnis, dass Goethes Dramen zumeist doch besser zum Lesen als für die Bühne geeignet sind. Neu ist die allerdings auch nicht.

Karten und Termine: www.theater-oberhausen.de 

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