Presseschau: Das Kleingedruckte aus Karlsruhe

Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichts - Foto: bundesverfassungsgericht.de

Am Mittwoch im Bundestag: Beginn der großen Haushaltsdebatte. Der Euro wird das zentrale Thema sein. Insofern verständlich, dass die Kanzlerin zunächst einmal das Urteil aus Karlsruhe abwarten wollte, bevor sie ans Rednerpult ging. Gegen zehn Uhr war es dann so weit: das Bundesverfassungsgericht hatte die Einwände der Kläger zurückgewiesen, die deutsche Beteiligung am ESFS, dem Euro-Rettungsschirm, genehmigt und zudem auch noch die Rechte des Bundestags gestärkt. Wie schön, Erleichterung allerorten. Ein positives Echo in allen Parteien, in der Presse, sogar in der Wirtschaftspresse. „Karlsruhe verhindert das Chaos“, so beispielhaft die FTD. Peter Ehrlich heißt der Autor dieses Artikels, der gestern Mittag um halb eins gepostet wurde. Erst danach dürfte Ehrlich das Kleingedruckte gelesen haben.
Heute kommt er in der Printausgabe der Zeitung auf Seite 1 mit dem Aufmacher: „Karlsruhe killt Eurobonds“. Im Text die Erkenntnis: „Nach dem Karlsruher Urteil wäre ihre Einführung wohl nur nach einer Grundgesetzänderung möglich. Für diese gäbe es aber wegen der zahlreichen Gegner in den Fraktionen von FDP und Union momentan keine Mehrheit.“ Die FTD lässt keinen Zweifel an ihrer Pro-Euro-Haltung und an der Überzeugung, dass eine Währungsunion auf Dauer ohne gemeinschaftlich aufgelegte Anleihen, hier also Eurobonds, nicht funktionieren können wird.

Die FTD beispielhaft für das Presseecho auf das Karlsruher Urteil. In der taz kommentiert Malte Kreutzfeldt: „Bundestag und BVerfG gehen Schritte in die richtige Richtung: Gute Nachrichten für Europäer“. „Dieser Mittwoch war ein guter Tag für Europa“ schreibt Kreutzfeldt; dennoch „sollte die Politik bald mit einer Verfassungsänderung die Voraussetzung dafür schaffen, die Einigung Europas fortzusetzen.“ Denn auch bei der taz weiß man freilich, wie Christian Rath anmerkt, dass die Verfassungsrichter „eine `Vergemeinschaftung von Staatsschulden´ als Verstoß gegen die Verträge (werteten).“ Auch Raths Beitrag läuft unter „Kommentar“, vermutlich wegen des folgenden Satzes: „Beobachter sehen darin die Ablehnung sogenannter `Eurobonds´, gemeinsamer EU-Anleihen.“ Klasse.
Nun zu Heribert Prantl, dem Unumstrittenen, von Beruf Volljurist. Er kommentiert in der Süddeutschen Zeitung das „Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Euro-Hilfen“(Oberüberschrift) mit der Hauptüberschrift: „Kraftspritze für das Parlament“. „Parlament“, das ist der Bundestag, das bedeutet Demokratie, da kann eine „Kraftspritze“ genau genommen nur eine gute Sache sein. Gewiss, die Karlsruher Kraftspritze erhält zuständigkeitshalber nur der Deutsche Bundestag und nicht die anderen sechszehn nationalen Parlamente der Eurozone. Wenn sich die alle genauso kraftgespritzt um das Management der Gemeinschaftswährung kümmern sollten wie ihre deutschen Kollegen, …
Doch darum geht es freilich nicht, und außerdem: die Sätze des Verfassungsgerichts zur Europäischen Zentralbank (EZB) und zur Bail-out-Klausel, also dem Verbot der Haftungsübernahme, reichen auch schon so. Sie gehören, so Prantl, „zu den wohl heikelsten des Urteils. Nur die strikte Beachtung der EU-Verträge gewährleiste, so sagen die Richter, dass die Handlungen der Organe der EU `in für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation´ verfügen. Das ist ein großes Wort.“

So groß, dass damit alles Mögliche zu machen ist, nur eben kein Staat, und auf Dauer nicht einmal eine Gemeinschaftswährung. „All diese Verbote werden damit in einen besonders hohen verfassungsrechtlichen Rang erhoben“ (Prantl). Und das bedeutet, wie Prantl heute in einem Kommentar schreibt, dass das Karlsruher Krisen-Urteil keine Basis für die weitere europäische Einigung ist. „Die Kraft des Grundgesetzes geht jetzt in dem Maß zur Neige, wie aus dem Staatenverbund Europa ein Bundesstaat wird … Die europäischen Möglichkeiten des alten Grundgesetzes sind ausgeschöpft. Wenn mehr Europa notwendig ist, wenn eine europäische Regierung geschaffen wird – ob man sie nun `Wirtschaftsregierung´ nennt oder anders -, dann reicht es nicht mehr, das Parlament noch mehr zu beteiligen, dann braucht es dafür eine neue Verfassungsgrundlage.“
Insofern trifft die Männer und Frauen in den roten Roben kein Vorwurf. Sie haben über die Einhaltung des Grundgesetzes zu wachen. Prantl hat zu seiner Kompatibilität mit der europäischen Integration alles gesagt. Und klar: das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlaments – ohne Haushaltskompetenz keine Demokratie. Nur ist eben ein Parlament nicht wie ein König eine Einzelperson, sondern eine hundertzählige Menschengruppe, die via Geschäftsordnungstricks und Fraktionszwängen interagiert. Mit derer siebzehn lässt sich an einem Wochenende eine Attacke der internationalen Finanzmarktspekulation nur schwer abwehren.

Deshalb trifft die Schlagzeile des Handelsblatts, das sich diesmal – in der Gestaltung – deutlich vom Rest der Presselandschaft unterscheidet, den Nagel auf den Kopf: „Verfassungsgericht bremst europäische Einigung aus“. Die anderen wissen es auch, sie schreiben es auch – nur eben im Kleingedruckten. Wie die Damen und Herren am Karlsruher Gericht: vordergründig ein Ja zum Euro, im Kleingedruckten dann sein Todesurteil. Immerhin: zunächst einmal ist Zeit gewonnen. „Karlsruhe verhindert das Chaos“. Das ist für den Moment eine ganze Menge. Und wer mittel- und langfristig denkt, muss wissen, dass auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht in Stein gemeißelt sind. Sie unterliegen dem Wandel der Zeiten wie alles andere auch. Und manches Mal – das zeigt die Justizgeschichte dieses höchsten Gerichts – lagen nur wenige Jahre zwischen zwei Urteilen, die unterschiedlicher kaum hätten sein können. Fazit: im Grunde hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch ein Todesurteil für den Euro verkündet. Man sollte dies zur Kenntnis nehmen, auch ernst nehmen, aber auch nicht allzu ernst nehmen. Die Gefahr, dass die Gemeinschaftswährung zerfällt, ist noch nicht gebannt. Dass der Euro am deutschen Verfassungsgericht scheitern könnte, ist letztlich auch nicht ganz auszuschließen, aber doch eher unwahrscheinlich. In jedem Fall wird der Kampf um die Köpfe der Menschen den Ausschlag geben. Am Stammtisch liegen die Eurogegner zur Zeit noch sehr weit vorn. Dieser Umstand ist mindestens so problematisch wie das jüngste Urteil aus Karlsruhe.

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Martin K
Martin K
13 Jahre zuvor

Wenn der ESM und die Bonds nicht durchkommen, wird der Euro nicht auseinanderbrechen. Nur GR und entsprechende Kandidaten werden wohl rausfliegen. Dies wird dem Euro jedoch nicht schaden, im Gegenteil. Dies alles hätte man damals mit einer Insolvenz GRs mitsamt Austritt aus dem Euro schneller und hunderte Milliarden billiger haben können. Ohne die Krise jetzt.

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