Die Unstatistik des Monats August ist eine Analyse der Fachzeitschrift „Lancet“ von 83 Studien mit insgesamt etwa 600.000 Menschen über die Auswirkung von Alkohol. Ein Ergebnis dieser Studie wurde in den Medien, unter anderem im Deutschlandfunk und bei stern.de, besonders hervorgehoben: Ein einziger „Drink“ pro Tag erhöht das Risiko, eines von 23 alkohol-bezogenen Gesundheitsproblemen zu bekommen, um 0,5 Prozent. Ein Drink sind 10 Gramm Alkohol, also etwa ein Viertelliter Bier oder ein Achtel Wein. In den Medien wurde davon gesprochen, dass der Satz „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“ nun endgültig widerlegt sei und man jetzt über absolute Abstinenz und höhere Besteuerung reden müsse.
Zu viel Alkohol kann der Gesundheit schwer schaden – das steht außer Zweifel. Bei geringen Mengen aber berichteten frühere Studien, dass der Konsum von einem oder zwei Drinks pro Tag das Auftreten von Herzkrankheiten verringern kann. Gemäß der neuen „Lancet“ Studie, sind jedoch selbst kleine Mengen von Alkohol gesundheitsschädlich, wenn man auf eine breite Palette von 23 alkohol-bezogenen Gesundheitsproblemen blickt.
Aber wie hoch ist das Risiko? Wie viel mehr ist 0,5 Prozent? Auf Facebook erklärte ein promovierter Chemiker, es bedeutet, dass ein Mensch von 200 krank wird. Das ist jedoch ein Irrtum, denn die Prozentzahl ist ein relativer Risikoanstieg. Wir haben in mehreren Unstatistiken gezeigt, dass relative Risiken leicht missverstanden werden und Studien daher immer die absoluten Risiken ausweisen sollten. Auch die Richtlinien des „Lancet“ schreiben genau dies vor. Doch die Autoren der Studie berichten in dem veröffentlichten Artikel nur den relativen Risikoanstieg, was die Gutachter anscheinend nicht bemerkten. Glücklicherweise hat die Presseabteilung von „Lancet“ aufgepasst und für die Pressemitteilung von den Verfassern nachträglich die absoluten Zahlen eingefordert. Ein Bravo den Journalisten von „Lancet“!
Die absoluten Zahlen zeigen folgendes: Von je 100.000 Personen, welche keinerlei Drinks konsumierten, hatten 914 im folgenden Jahr ein Gesundheitsproblem. Bei Personen mit einem Drink pro Tag stieg diese Zahl auf 918. Das heißt, der absolute Risikoanstieg war 4 Personen von 100.000 oder 0,004 Prozent. (Bei zwei Drinks pro Tag war es dann schon mehr, 63 von 100.000 oder 0,063 Prozent.)
Jetzt kann man zweierlei Dinge verstehen. Erstens, ein Drink pro Tag ist wohl ein eher kleines Gesundheitsrisiko, auch weil frühere Studien ein solches nicht immer fanden. Zweitens, die Autoren der „Lancet“-Studie haben ein Grundprinzip transparenter Risikokommunikation nicht beachtet. Und dieser Fall ist im Gesundheitsbereich leider immer noch keine Ausnahme. Mit relativen Risiken kann man eben mehr Angst erzeugen als mit absoluten Risiken.
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. In diesem Monat hat die Gastautorin Katharina Schüller, Geschäftsleiterin und Gründerin von STAT-UP, an der „Unstatistik“ mitgearbeitet. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de .
Der Anstieg von 914 auf 918 bzw. 977 ist aber definitiv auf
den einen bzw. auf die zwei Drinks mehr pro Tag zurück zu führen?
LG
Kerstin
Es ist gut, dass zurzeit in vielen Bereichen immer mehr über die Qualität und Aussagekraft von medizinischen Studien ohne Wert gesprochen wird.
In vielen Medien besteht hier wohl noch sehr viel Nachholbedarf und natürlich auch in der Medizin mit ihren hohen Output an promovierten Medizinern.
Wie sollen Mediziner Medikamente beurteilen, wenn es offensichtlich in vielen Bereichen erhebliche Defizite bzgl. der Interpretation von Statistiken und Studien gibt?