Prostituiertenschutzgesetz Teil 2: Blaulicht gegen Rotlicht


Wie im ersten Teil dieser Serie dargestellt, spielten Gerichtsentscheidungen zur Prostitution eine entscheidende Rolle, um gesetzliche Regelungen anzuschieben. Leider hinkte die politische Bewertung der Prostitution der gesellschaftlichen Bewertung und zunehmenden Akzeptanz bisweilen hinterher.

Anfang des Jahres 2001 wurde das Gesetz zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten durch neue Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes ersetzt. Der Bockschein mit seiner repressiven Zwangsuntersuchung wurde abgeschafft. Stattdessen setzte man nun auf freiwillige Hilfs- und Beratungsangebote für Huren. In vielen Städten entstanden zudem Initiativen, die niederschwellige Beratungsangebote machten und gut angenommen wurden. In Dortmund gibt es die Mitternachtsmission seit 1918 und die Mitarbeiterinnen dort haben das Vertrauen der Huren und somit deutlichen leichteren Zugang zum Milieu.

Das von den Gegnern der Prostitution, auch durch mediale Behandlung der AIDS-Erkrankung, an die Wand gemalte Katastrophenszenario bei Infektionen trat nie ein. Bayern allerdings scherte aus und erließ eine eigne Hygieneverordnung, die kurz nach der Abschaffung des Bockscheines den Kondomzwang für Bayern einführte. So neu ist diese Idee also nicht.

Bevor mit den Stimmen aller Bundestagsfraktionen außer der CDU/CSU das neue Prostitutionsgesetz im Jahre 2002 in Kraft treten konnte, fällte der europäische Gerichthof EUGH im September die sogenannte Jany-Entscheidung. Angestrengt hat diese Entscheidung eine niederländische Prostituierte, die ausgewiesen werden sollte. Deutsche Behörden waren der Meinung, dass die Prostitution keine gewerbsmäßig selbstständige Tätigkeit sei, die unter den Schutz der Gewerbefreizügigkeit fällt. Das verneinte der EUGH und stellte fest, dass er Prostitution als selbstständige Erwerbstätigkeit gemäß Artikel 43 EGV, 44 Europa-Abkommen EG/Polen, 45 Europa-Abkommen EG/Tschechien, anerkenne und als Teil des gemeinschaftlichen Wirtschaftslebens gemäß Artikel Art. 2 EGV ansehe. Diese Entscheidung und das neue Prostitutionsgesetz veränderten das gesamte Rotlichtgewerbe nachhaltig.

Das Gesetz von 2002 kommt insgesamt mit nur drei Paragraphen aus. In §1 wird festgestellt, dass eine sexuelle Handlung gegen Entgelt eine rechtwirksame Forderung der Hure an den Freier begründet. Die Hure betreibt somit kein sittenwidriges Geschäft mehr und kann zur Not ihre Forderung an den Freier auch einklagen. Der §2 schränkt diese Forderung nur dahingehend ein, dass diese nicht an Dritte abgetreten werden darf und persönlich geltend gemacht werden muss. Die in §3 eröffnete Möglichkeit, dass Prostituierte mit beschränktem Weisungsrecht des Arbeitgebers in einem normalen Arbeitsverhältnis abhängig beschäftigt werden im Sinne des Sozialversicherungsrechts, nahmen die Huren in Ihrer übergroßen Mehrheit nicht wahr. Dieser politische Wunschtraum scheiterte schlicht an der Realität im Milieu.

Während das neue Gesetz die Prostitution in Deutschland entkriminalisierte und als gesellschaftliche wirtschaftliche Realität anerkannte, hatte die Entscheidung des EUGH in der Rotlichtbranche einen bisher nicht mitbedachten Nebeneffekt, der alles veränderte.

Durch die EU-Osterweiterung drängten nun Huren aus Polen, Tschechien, Ungarn und den baltischen Staaten auf den deutschen Markt für sexuelle Dienstleistungen. Da in ihren Heimatländern die rechtlichen Umstände deutlich repressiver waren, entwickelte sich eine Reisetätigkeit in deutsche Clubs, Bars und Bordelle. Auch rekrutierten Bordellbetriebe verstärkt ihre Mitarbeiterinnen in diesen Ländern.

Alteingesessenen Huren in Deutschland war das gar nicht recht. Der sprunghafte Anstieg des Angebotes des käuflichen Sexes sorgte nach simplen Marktgesetzen nämlich dafür, dass die Preise für Sex deutlich sanken. Waren vorher in Euro Preise von 80 – 120 € für einmaligen Sex üblich, fiel aufgrund des großen Angebotes der Preis häufig auf den sprichwörtlichen Fuffi (50€). Clubbetreiber entwickelten ob des großen Angebotes an Huren auch das Geschäftsmodell des Flatratepuffs. Dort wird gegen einen einmaligen Betrag innerhalb eines vereinbarten Zeitrahmens Sex mit beliebig vielen Huren ermöglicht. Das setzte das Preismodell der eigenverantwortlich arbeitenden Huren zusätzlich unter Druck. Althuren schwärmen deshalb noch heute von den goldenen Zeiten vor der Legalisierung, in denen der Ertrag aus Sexarbeit für sie deutlich höher war. Zusätzlich für Zündstoff sorgte die fehlende steuerliche Erfassung der osteuropäischen Sexarbeiterinnen. Während deutsche Huren für die Steuerämter immer greifbar waren und entsprechend Steuern zahlten, konnten ihre osteuropäischen Konkurrentinnen einen Großteil ihres Lohns steuerfrei mit nach Hause nehmen. Zwar gab und gibt es mit dem Düsseldorfer Modell ein pauschales Steuermodell, allerdings ist diese anonymisierte, pauschale Zahlung pro Arbeitstag und Hure, zahlbar durch den Bordellbetreiber, für EU-Huren finanziell sehr attraktiv.

Ebenso stark wie die Legalisierung veränderte das Internet die Branche. Für Huren war es vor der Internetzeit sehr teuer, selbstständig für sich zu werben. Zwar gab es in der Bildzeitung und Zeitungen wie Heim und Welt die Möglichkeit Printanzeigen zu schalten, diese waren aber recht teuer und ohne Bilder. Die Branche hatte auch eigene Publikationen wie Rhein-Ruhr-Intim oder Happy Weekend, die in Sexshops verkauft wurden. Zwar hier mit Bildern, aber auch dies war alles andere als preisgünstig. Kurios dabei ist, dass der § 120 des Ordnungswidrigkeitengesetzes immer noch in Kraft ist, der ein Verbot der Werbung für Prostitution vorsieht. Darunter fallen auch eigentlich alle bekannten Internetangebote.

Mit Start von Internetportalen wie Ladies, Sex-relax und IntimesRevier boomte die Wohnungsprostitution. Huren konnten nun aus eigens dafür angemieteten Wohnungen auch kurzfristig auf sich aufmerksam machen. Da eine gesetzliche Regelung zu Anforderung an diese Form der Prostitution fehlte, die Wohnung musste lediglich den Sperrbezirk in vielen Städten beachten, arbeitete eine große Zahl von Sexarbeiterinnen nun eigenverantwortlich in sogenannten Modellwohnungen. Diese werden auf einschlägigen Internetseiten zur wochenweisen Vermietung angeboten. So wurde die fest an einem Ort arbeitende Hure eine Seltenheit. Selbstständige Sexarbeiterinnen reisen heute im Wochenrhythmus deutschlandweit in bekannte Modellwohnungen und bestellen über spezielle Agenturen im Vorfeld ihres Tourplans zeitgenau Werbung in den lokalen Internetportalen.

Weiter unter Druck geriet die Branche durch die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in die EU. Als ungewollter Nebeneffekt der Legalität und der Anerkennung als gewerbliche Tätigkeit in Deutschland kam es zu einer weiteren Zuzugswelle von Prostituierten aus diesen Ländern auf den deutschen Markt. Die Preise für Sex gerieten durch das immer größere Angebot weiter unter Duck und besonders in der Straßenstrichszene liegen sie heute deutlich unter 50€ und erreichen damit eigentlich ein ausbeuterisches Niveau. Goldene Zeiten für den Freier.

Häufig wird bei diesen Angeboten auch auf den Kostenfaktor Kondom verzichtet. Es gibt auch Bordelle, die offensiv mit sogenanntem AO (Alles ohne) -Sex werben, manchmal als tabulose Dienstleistung umschrieben.

Diese Situation will nun das neue Prostitutionsschutzgesetz ändern. Dazu mehr im dritten Teil.

Foto aus dem Projekt www.verrichtungsraum.com

Mehr:
Blaulicht gegen Rotlicht Teil1

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