Gestern wurde nach dem Überfall auf das Dortmunder Rathaus am Wahlabend 2014 der erste Täter vor dem Amtsgericht Dormund verurteilt. Der Neonazi hatte einen Nachwuchsjournalisten angegriffen und gewaltsam zu Boden gedrückt, ein Fußtritt traf den Studenten im Gesicht. Mehrere Zeugenaussagen bestätigten den Gewaltakt. Nach dreistündiger Verhandlung wurde das Urteil gegen den Rathausstürmer, den Rechtsextremisten Patrick B., gefällt. Der stadtbekannte Nazi musste sich nun – eineinhalb Jahre später – vor Gericht verantworten. Er wurde wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu 80 Tagessätzen verurteilt.
Die Einstellung der Ermittlungen gegen die meisten Rathausstürmer hatte letztes Jahr für große Empörung gesorgt. B. war unter den Angreifern, die am Wahlabend versuchten, sich gewaltsam Zutritt zu der Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu verschaffen. Die Rechtsextremisten trugen uniform-ähnliche Shirts mit dem Aufdruck „Weg mit dem NWDO-Verbot“, aus der verbotene Nazi-Kameradschaft ging die Partei „Die Rechte“ hervor. Sie waren mit Pfefferspray und Flaschen bewaffnet auf das Rathaus zugelaufen. Die Gäste der Wahlparty versuchten mit einer Menschenkette den Rechten den Zutritt zum Rathaus zu verwehren. Es kam zu tumultartigen Situationen, mehrere Menschen wurden verletzt.
Anders als bei der ehemaligen Landtagsabgeordneten Daniela Schneckenburger (Die Grünen), bei der das Verfahren gegen den gewalttätigen Angreifer zunächst eingestellt worden war, kam das Gericht im Fall des attackierten Journalistik-Studenten D. zu einem eindeutigen Urteil und der Feststellung der persönlichen Schuld.
Opfer D.: Zu Boden gedrückt und ein Tritt ins Gesicht
D. war als Kameramann für ein studentisches Projekt am Wahlabend im Rathaus und wurde während seiner Berichterstattung über die Tumulte vor dem Rathauseingang von einem der Rechtsextremisten angegriffen. Der Student konnte sich noch gut an die Situation erinnern. Eindrucksvoll schilderte er dem Gericht, wie er von einem Rechtsextremisten gewaltsam zu Boden geworfen und dabei am Ellbogen verletzt wurde. Der Nazi habe ihn dann weiter auf den Boden gedrückt gehalten. „Ich habe seine Hand im Nacken gespürt“, so der Geschädigte. Während er festgehalten wurde, traf ihn ein Tritt mitten ins Gesicht. Eine Schwellung an der Stirn und den verletzten Ellbogen attestierte am nächsten Tag ein Arzt.
Die Schilderungen des Angegriffenen konnten mehrere Zeugen bestätigen, nur den Tritt mit dem Sportschuh hatte niemand ganz genau gesehen. Dafür waren die Handyaufnahmen des Dortmunder Theatermachers Horst Hanke-Lindemann ein wichtiges Beweismittel. Auf ihnen sah man deutlich, wie der Angeklagte den Kopf des Studenten auf den Boden drückt.
Die wichtigste Zeugin trat zwischen den Rechten und das Opfer
Entscheidend für das Urteil war dann die Aussage der Studentin M. Sie konnte im Gerichtsaal den Mann auf der Anklagebank eindeutig als Täter identifizieren. Die junge Frau war mutig zwischen den aggressiven Nazi und den am Boden liegenden Kameramann gegangen: „Mir kam die Situation sehr bedrohlich vor. Hätte ich nicht meinen Arm schützend vor den Studenten gehalten, wäre sicher noch mehr passiert“, sagte sie nach dem Prozess den Ruhrbaronen. Angst hatte sie nicht, so die couragierte 22 Jährige, die zwei Kopf kleiner als der bullige Angeklagte ist. Sie habe im Reflex gehandelt.
Ein 21 jähriger Zeuge, der mit dem Geschädigten den Filmbericht gemacht hatte, erzählte, wie er seinen am Boden liegenden Kollegen um Hilfe schreien hörte. Später habe er sich in Panik in das Rathauscafé gerettet, als einige der aggressiven Nazis erneut auf ihn und seine Kollegen zu gerannt seien. „Wir liefen in alle Richtungen auseinander“, berichtet er den Ruhrbaronen. „Ich hoffe, dass die Rechtsmittel heute ihre Wirkung zeigen, auch wenn die Beweislage nicht in allen Punkten ausreichen sollte“.
Tatsächlich reichten die Beweise für den Tritt ins Gesicht nicht aus. Die anderen Straftaten hingegen sahen die Staatsanwaltschaft und das Gericht als ausreichend bewiesen an. Der Richter schloss sich im Wesentlichen dem Antrag des Staatsanwaltes an, der in seinem Plädoyer noch mal auf die Bedeutung der Pressefreiheit hingewiesen hatte. Der Angeklagte hätte D. eindeutig an seiner Tätigkeit der Berichterstattung hindern wollen.
Beweise reichen für eine Verurteilung wegen des Fußtritts nicht aus
Bisher waren die Urteile gegen Rechtsextremisten in Dortmund ernüchternd, meint Zeuge Hanke-Lindemann kurz vor der Urteilsverkündung: „Ich erwarte, dass das Gericht heute objektiv und fair urteilt. Es ist fatal, wie das Dortmunder Polizeipräsidium und die Staatsanwaltschaft bisher gehandelt haben. Zeugen müssen in Zukunft bei Prozessen gegen Rechtsextremisten viel schneller befragt werden. Die Prozesse müssen zügig begonnen und Urteile rasch gefällt werden. Die Länge der Zeit macht die Erinnerung als Zeuge doch immer schwieriger, vor allem wenn wie bei manchen, die Angst vor den Nazis dazu kommt.“
Er hat Recht mit seiner Einschätzung. Fast alle Zeugen bemerkten auf gezielte Nachfragen hin, dass der Vorfall ja nunmehr über eineinhalb Jahre zurückliege und in der Erinnerung einiges nicht mehr so klar sei, wie kurz nach den Ereignissen.
Am Ende des Prozesstages erkannte das Gericht in seinem Urteil die persönliche Schuld des Angeklagten und machte deutlich, dass auch kaum Zweifel an dem Fußtritt ins Gesicht des Angeklagten bestehen würden. Die Zeugenaussagen seien aber für eine Verurteilung nicht eindeutig genug. Ein Beweis für den Tritt hätte allerdings bei dem vorbestraften Täters zu einem Urteil in „einer anderen juristischen Preisklasse“ geführt, so der Richter. Und sagte auch gleich was er damit meint: „Es wäre zu einer Gefängnisstrafe gekommen“.
800 Euro Strafe für den Angeklagten statt Gefängnis
Das Parteimitglied von Die Rechte, Lukas B., saß mit seinen rechten Kameraden hinten im Publikum. Er wird der Urteilsverkündung aufmerksam gelauscht haben. Am 14. August wird er als Angeklagter vorne im Gerichtssaal sitzen. Er hatte die Ratsfrau Nadja Reigl (Piraten) am Wahlabend mit einem Faustschlag mitten ins Gesicht getroffen, wie Filmaufnahmen zeigen. Eine volle Sektflasche hielt er in der anderen Hand am Hals gepackt – zum Schlag erhoben. In diesem Prozess könnte es also möglicherweise zu einer ersten Gefängnisstrafe kommen.
Der gewalttätigen rechtsextremen Szene in der Nazihochburg Dortmund müssen endlich Grenzen aufgezeigt werden. Rechte Gewalt darf nicht länger stillschweigend Akzeptanz finden. Der Ausgang des gestrigen Prozesstages war ein erster Schritt in diese Richtung, denn die Schuld des Angeklagten wurde eindeutig festgestellt. Von der Höhe der Strafe mit 80 Tagessätzen waren viele enttäuscht. Die Summe ist mit 800 Euro gering, weil der Verurteilte „auf Harz IV-Niveau lebt“, so der Richter in der Urteilsbegründung. Dennoch stört, dass das Urteil nicht für einen Eintrag in das Vorstrafenregister reicht.
Die anderen 64 Rathausverteidiger, die sich nach dem rechten Überfall wegen Nötigung gegen die Rechtsextremisten auf der Anklagebank wieder fanden, werden die eindeutige Schuldzuweisung in dem Urteil mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und Ratsfrau Nadja Reigl blickt optimistisch auf ihren Prozess: „Ich gehe davon aus, dass dann die Schuld von Lukas Bals ebenso eindeutig festgestellt wird.“
Die Frage bleibt also weiter, ob B. bei der Verhängung von 90 Tagessätzen und dem damit verbundenen Registereintrag ob der "gigantischen" Zahllast von zusätzlichen 100 Euronen Suizid begangen hätte – oder warum ein Dortmunder Richter wieder einmal "väterliche" Milde gegen Nazis hat walten lassen. Die schriftliche Urteilsbegründung wird ja wohl noch ein paar Tage auf sich warten lassen.
Muss man aus dem Urteil schließen, dass H4-Bezug verhindert, dass Strafen in der für den Eintrag ins Vorstrafenregister nötigen Höhe verhängt werden? Das wäre doch recht fatal, gerade weil rechte Gewalttäter ja offenbar nicht unbedingt zur werktätigen Bevölkerung zu zählen sind.
Wenn der Fußtritt nicht eindeutig bewiesen werden kann, dann kann das Gericht da auch wenig machen, sonst wird das Urteil hinterher nur einkassiert. Übrig bleibt also das auf den Boden schubsen und Kopf festhalten/runter drücken. Dafür finde ich 80 Tagessätze keine besonders milde Strafe (ich gehe mal davon aus, dass noch kein Eintrag im BZR vorhanden war). Vor einigen Jahren hätte es in Dortmund dafür noch eine Einstellung nach einer Geldzahlung gegeben. 800 Euro mag nicht viel klingen, vermutlich ist bei dem aber eh nichts zu holen. Bei der nächsten ähnlichen Aktion, wirds dann auch zu einer Gefängnisstrafe für ihn führen.
@thomas weigle #2: Hartz IV ändert nichts an der Höhe des Strafmaßes. Nur die Höhe des Tagessatzes richtet sich nach dem Einkommen. Der Staatsanwalt hatte auf 35,00 Euro plädiert der Richter ging noch einmal auf 10,00 Euro runter – wegen des geringen Einkommens.
@Manuel #3: Der Angeklagte hatte schon Vorstrafen im Bundeszentralregister BZR – daher hätte der beweisbare Fußtritt, laut Richter, dann doch ins Gesicht zu Gefängnis geführt. Für diese Tat wäre "Knast" sicher angemessen gewesen.
@Thomas Weigle
Das hat mich auch gewundert….mit 80 Tagessätzen ist er nicht vorbestraft…das wäre erst ab 90 der Fall….warum das Gericht diesen Bonus verteilt hat verstehe ich auch nicht… völlig ok das die wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt werden….aber dieses Zuckerl mehr als fragwürdig…
Es gab an dem Tag viele Zeugen und viele Kameras.
Es sind viele Monate bis zur Verhandlung vergangen.
Wann werden endlich Strukturen geschaffen, dass solche Fälle, die auf dem ersten Blick nicht besonders komplex erscheinen, schnell bearbeitet werden?
Hier sind das Innenministerium und das Justizministerium gefordert, endlich aktiv zu werden. In der aktuellen Form (siehe auch Loveparade-Verfahren etc.) erscheint der Staat sehr schwach, desinteressiert und wenig konsequent.
Vielen Dank für den Artikel! Ich finde es gut, dass und wie man hier vernünftig informiert wird. In den Zeitungen steht meist grad mal ein Absatz und man muss sich mehrere Quellen zusammensuchen, um sich ein Bild zu machen. Bitte weiter so.
Ich muss an eine Stelle auf einen Fehler hinweisen: Jede Verurteilung – auch wie hier zu 80 Tagessätzen – wird in das Bundeszentralregister eingetragen, und ist damit eine Vorstrafe!
Die vielfach genannte Grenze von den 90 Tagessätzen, wird nur in einer Konstellation relevant: Wenn die Person nur EINE Verurteilung hat, und diese ZUGLEICH 90 Tagessätze nicht übersteigt, wird diese im sog. einfachen Führungszeugnis nicht aufgeführt (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG) – die Person darf sich im Rechtsverkehr weiterhin als "nicht vorbestraft" bezeichnen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass kleine Fehltritte (dieses kann bspw. schon eine fahrlässige Körperverletzung im Rahmen eines Verkehrsunfalls sein), nicht zu einer "Vorstrafe" führen sollen.
Sobald jedoch eine weitere Verurteilung (auch unter 90 Tagessätzen) hinzukommt, werden ganz normal beide/alle Verurteilung (also auch die, bis zu 90 Tagessätzen) im einfachen Führungszeugnis genannt.
Unabhängig davon gibt es noch das sog. Führungszeugnis für Behörden – dort werden immer alle Verurteilungen aufgeführt.
@CM: Das ist soweit völlig richtig, nur denke zumindest ich bei "Vorbestraft" immer an Eintragungen, die aufgrund ihrer Strafe und/oder aufgrund der Häufigkeit der Verurteilungen faktisch lebenslang gelten. Der BZR-Eintrag für Geldstrafen unter 90 Tagessätzen kann ja schon nach 5 Jahren wieder gelöscht werden, wenn es – grob gesagt – sonst keine Strafen gab.
@Klaus Lohmann: "Faktisch lebenslang" gilt nur lebenslange Freiheitsstrafen. Alles andere wird nach spätestens 20 Jahren gelöscht, soweit nicht zwischenzeitlich eine neue Eintragung hinzugekommen ist. Und selbst sich fünf Jahre straffrei führen, dürfte für jemanden der bereits ordentlich auf der schiefen Bahn unterwegs ist, nicht mehr einfach sein.
Im Übrigen schlägt auch hier der Resozialisierungsgedanke des Strafrechts durch, dass nämlich "kleinere" Verfehlungen einem nicht bis an das Lebensende vorgehalten werden sollen. (Bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich möchte damit die Straftaten, die diesem Bericht zugrunde liegen nicht klein reden – ich möchte vielmehr auf [gesetzgeberischen] Wertungen und Grundsätze hinweisen, die die Basis unseres Strafrechts bilden.)
Jetzt haben wir es amtlich – auch die teutsche Familie ist nix für den strammen Dortmunder Nazi, zumindest nix für Daniel Grebe:
"Bewährungsgründe liegen nicht vor, so die Richter. Trotz fast abgeschlossenem Studium der Wirtschaftswissenschaften, einer festen Freundin und Kind, sehen sie keine gute Sozialprognose."
http://www1.wdr.de/studio/dortmund/nrwinfos/nachrichten/studios150998.html "Haftstrafe für Dortmunder Neonazi nach Rathaus-Krawallen"
[…] Rathaussturm: Prozessbericht zum ersten Urteil gegen Rechten Gewaltäter Beitrag von Ulrike Maerkel bei den Ruhrbaronen vom 28. Juli 2015 […]