Was mir meine Freundin Ulli Langenbrinck so erzählte und schrieb. Hier ihre Texte. Wer mehr wissen will: Ulli findet man bei FB.
SPANIEN
16.01.2013
In Alzira, einem Dorf bei Valencia, stehen rund 50 (!) Häuser leer, die größtenteils den Banken gehören (weil die Menschen die Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, und neue Käufer finden sich nicht). Jetzt will die Bürgermeisterin von Alzira die Häuser beschlagnahmen und enteignen, um diese den von den Banken aus ihren Häusern vertriebenen Familien und arbeitslosen Jugendlichen zur Verfügung zu stellen.
21.02.2013
In Madrid kann man ein Feuerwehrauto bestaunen, auf dem geschrieben steht: „Wir retten Menschen, keine Banker.“ Die Feuerwehrmänner aus Madrid, Katalonien, Galizien und Andalusien haben erklärt, dass sie nicht bereit sind, sich in welcher Form auch immer an Zwangsräumungen zu beteiligen. Die spanischen Banken lassen Zehntausende aus ihren Häusern werfen, wenn sie ihre Hypotheken oder Mieten nicht mehr zahlen können. Dazu brauchen die Banken Handlanger: Polizei, Schlüsseldienste, Feuerwehr. In verschiedenen Regionen Spaniens haben selbst Schlüsseldienstfirmen schon erklärt, man wolle nicht mehr an Zwangsräumungen mitwirken. Nun weigern sich die Feuerwehrleute, „nichts weiter als ihre Pflicht zu tun“. Ob demnächst die Polizei…?
– Dorf Marinaleda
Marinaleda, das ist ein Dorf in Spanien, in dem jeder 1200 € verdient, egal, was er macht. In dem man 15 € Hypothek fürs gemeinschaftlich gebaute Haus zahlt, in dem der Kindergarten mit Vollverpflegung 12 € kostet und TV und Internet umsonst sind. Und wo niemand sein Geld auf die Bank trägt. Nix Krise!
http://www.taz.de/Ort-der-Gerechten/!111127/
PORTUGAL
21.02.2013
In dieser Woche wurde die Polizei zu einem Supermarkt in Porto gerufen. Der Wachmann und die Chefin des Supermarkts präsentierten den Beamten einen Mann, der versucht hatte, vier Joghurt, Milch und Toastbrot zu stehlen. Der Dieb erklärte unter Tränen, er habe zwei Kinder zuhause, die an dem Tag noch nichts zu essen gehabt hätten. Einer der beiden Polizisten bezahlte daraufhin die 4,20 €, die Supermarktchefin verzichtete großmütig auf eine Anzeige und der Mann konnte mit den Lebensmitteln nach Hause gehen.
25.2.13
– One way ticket
In der nächsten Woche wird der portugiesische Wirtschaftsminister Santos Pereira nach Kanada fliegen, eine Dienstreise. Bevor er in Portugal Minister wurde, hat Santos Pereira in Kanada gelebt. Jetzt ist er in Portugal dafür verantwortlich, dass die Befehle der Troika und der Weltbank in Portugal bis zum bitteren Ende ausgeführt werden. Aus Protest gegen diese Politik, „die das Land in den Abgrund führt“, werden die Angestellten der portugiesischen Airline TAP dem Herrn Minister nun öffentlich ein drei Meter langes Ticket für seine Reise nach Kanada überreichen – aber nur für den Hinflug.
http://www.tvi24.iol.pt/503/economia—economia/alvaro-santos-pereira-tap-transportes-bilhete-de-aviao-toronto-ida/1423579-6377.html
– Die Sache mit den Quittungen
Seit 1. Februar 2013 ist jeder Mensch in Portugal verpflichtet, sich für sämtliche Einkäufe eine Quittung auf seine Steuernummer ausstellen zu lassen. Die wird automatisch beim Finanzamt auf seine Steuernummer gebucht. Damit soll der Steuerhinterziehung vorgebeugt werden, natürlich nur bei den kleinen Leuten (es gibt reichlich Steuerskandale in den oberen Etagen). Weil man aber keinen Ausweis vorzeigen muss, wenn man die Steuernummer angibt, haben nun zehntausende Portugiesen damit angefangen, einfach die Steuernummern von Regierungschef Passos Coelho, Staatspräsident Cavaco Silva und diversen Ministern anzugeben, wenn sie im Restaurant oder in Geschäften eine Quittung verlangen. Die Nummern kursieren in Facebook und Twitter und auf sämtlichen Websites aller Aktionsbündnisse usw.
Übrigens wurden diverse Steuern saftig angehoben, die Umsatzsteuer z.B. auf 23%, und viele Mutige sagen z.B. in Restaurants und kleinen Läden gleich vorneweg, dass sie keine Quittung wollen. Das soll den Kleinhändlern und Restaurants etwas Spielraum geben, die extreme Steuerlast zu mindern, denn Zehntausende Restaurants und kleine Geschäfte haben im letzten Jahr aufgegeben und Konkurs angemeldet.
GRÂNDOLA
24.2.13
Eine kleine Stimmübung für nächsten Samstag, den 2. März, wenn in Lissabon Tausende Menschen auf die Straße gehen werden, um gegen das System zu protestieren, das ihnen die Lebensgrundlagen entzieht. Das Lied „Grândola, Vila Morena“ war die Hymne der Nelkenrevolution, die am 25. April 1974 die klerikalfaschistische Diktatur in Portugal stürzte. Der Sänger José „Zeca“ Afonso, der dieses Lied schrieb, wurde selbst zu einer Symbolfigur der Revolution in Portugal. Er ist am 23. Februar vor 26 Jahren gestorben. Die Sängerinnen und Sänger erinnern Samstag an ihn, aber nicht nur das – „Grândola“ ist zum Lied des Widerstands gegen die Troika-Politik in Portugal geworden, mit der korrupte Politiker und Banken das Land komplett ins Elend treiben. In der vergangenen Woche gab es mehrere Flash-mobs in Lissabon, bei denen Aktivisten im Parlament mit „Grândola“ Politiker unterbrachen, hier z.B. Staatspräsident Passos Coelhos. Noch schöner wär’s gewesen, wenn die anderen Parlaments-Besucher auch mitgesungen hätten, aber es ist immerhin ein Anfang: http://www.youtube.com/watch?v=YuGXfNtsqBc
Singende Menschen auch auf dem Platz/Grandola no Carmo:
http://www.youtube.com/watch?v=S4ZilfJLnX4
Überhaupt ist „Grândola“ mittlerweile auch zur Hymne der heute revoltierenden Bevölkerung geworden, vor allem die Zeilen „o povo é quem mais ordena“ – „das Volk bestimmt“, so dass daraus ein Verb geworden ist: „grândolar“ bedeutet, mit Flash-mobs Sand ins Getriebe zu streuen, öffentliche Aktionen zu veranstalten, auf die Straße zu gehen, die Regierung zu stürzen und der Troika die Stirn zu bieten (dieses Ziel wird sehr deutlich formuliert).
Am kommenden Wochenende, 2. März 2013, trifft die Troika in Lissabon ein, um zu kontrollieren, ob die portugiesische Regierung das Land auch brav in den Abgrund führt. Am Samstag, 2. März, wird es in allen größeren Städten Portugals große Demos und viele Aktionen geben (wie am 23.2. in Spanien). Da alle Berufsstände und bis auf die hauchdünne Oberschicht alle Portugiesen von den drakonischen Spar- und Privatisierungsmaßnahmen betroffen sind, beteiligen sich nahezu alle Organisationen daran. Wasser privatisiert, Schulen geschlossen, Krankenhäuser privatisiert und geschlossen, Wohnungsräumungen, Konkurse, extrem erhöhte Steuern: Niemand – außer den Reichen – entkommt.
Porto wird touristisch aufgemotzt. Aber man muß sich nicht weit vom Bahnhof entfernen, um Elend zu sehen.
Einigen wenigen geht es täglich besser, sehr vielen täglich schlechter.
Armut wohin das Auge blickt.
Wir haben damals eine Verfolgungsjagd von Securityleuten auf zwei vermutliche Kaufhausdiebe erlebt. Aber die konnten sich in einer Ruine verstecken.
Der Artikel ist ein gutes zeitgeschichtliches Dokument.
In einigen Ländern Europas ist die Entwicklung zu einer 2-Klassengesellschaft deutlich zu erkennen. Luis, unserem damaligen Vermieter schien das nicht aufzufallen. Er verdiente gutes Geld mit der Renovierung von, aus unsererer damaligen Sicht, eigentlich abrißreifer Wohnungen, um sie dann teuer zu vermieten. Tatsächlich scheint es aber so zu sein, dass dann diejenigen, die kein geld haben, „außen vor“ bleiben. Luis war nur ein kleiner Immobilienhändler, aber er sah eigentlich nur das lukrative Geschäft füt ihn selbst. Die Konsequenzen für andere konnte er nicht sehen, oder er wollte es nicht. Nebenbei konnte ich bei Luis auf keine Aufarbeitung der Caetano-Diktatur bemerken. Diesem Thema wich er aus. Dabei war die „Nelkenrevolution“ zu dieser Zeit schon 35 Jahre vorbei. Offenbar hat sie nur kurz die sozialen Strukturen übertüncht.