Leipzig, 12:55 Uhr. Es klingt nach einem Rassismusskandal: Ein indischer Student beschwert sich öffentlich, für ein Laborpraktikum an der Universität Leipzig ausgeschlossen worden zu sein, weil es in Indien ein Vergewaltigungsproblem gibt. Uni und Professorin bestätigen die Echtheit der Mail, diese sei aber aus dem Zusammenhang gerissen. Von unserem Gastautoren Matthias Deggeller.
Die E-Mail der Leipziger Biochemie-Professorin (Name liegt vor) klingt eindeutig. Sie akzeptiere bei Laborpraktika „leider“ keine männlichen Studenten aus Indien. Man höre viel über das Vergewaltigungsproblem in Indien, was man nicht unterstützen dürfe. Und da sie viele Studentinnen in ihren Kursen habe, sei dies eine verständliche Einstellung.
Teile eines E-Mail-Austausches vom Wochenende tauchten Montag Vormittag in einem amerikanischen Wissenschaftsforum auf und schlugen hohe Wellen. Der anonyme Student veröffentlichte den Screenshot der Antwort, ein weiterer unbekannter Autor eine Nachfrage an die Professorin, die auf das Problem der vorgenommenen Verallgemeinerung eingeht und betont, dass dies natürlich nicht für den Einzelfall gilt. Wobei sie nachlegt und von vielen Professorinnen in Europa spricht, die aufgrund der Probleme der indischen Gesellschaft von „Konsequenzen“ spricht, die man treffen müsse. Die Reaktionen unter dem Foreneintrag sind eindeutig. Das Verhalten sei sexistisch und rassistisch, manche fordern Proteste gegenüber der Universität und der deutschen Regierung. Auch mehrere indische Medien berichten über den Fall und fordern Konsequenzen. Auch der deutsche Botschafter in Neu Delhi veröffentlichte seinen Protest bei Twitter.
Auf telefonische Nachfrage bestätigt die Professorin den Briefwechsel. Allerdings sei dieser aus dem Zusammenhang gerissen. Der eigentliche Grund seien schlichtweg mangelnde Kapazitäten. „Ich bekomme jeden Tag viele Anfragen, ich kann nicht jedem zusagen.“ Außerdem habe sie derzeit zwei indische Studenten in ihren Labors, das sei ein Zeichen, dass die Vorwürfe nicht stimmen können. Und der Grund für die wütende Reaktion des Studenten? „Ich glaube, er war einfach sauer und wollte sich rächen. Aber sowas ist Rufmord“, so die Professorin. Den ganzen Briefwechsel, der möglicherweise Klarheit bringen könnte, möchte sie nicht veröffentlichen. Dort seien viele private Dinge enthalten.
Bei der Universität ist man sich im Klaren, was diese Vorwürfe auslösen können. Denn egal, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht, nichts ist schlimmer, als ein Rassismusskandal, der den Ruf der Universität gefährdet. „Wir sind uns der Ernsthaftigkeit des Vorgangs bewusst“, so Susann Huster von der Pressestelle. Man habe bereits mit der Professorin gesprochen. Auch im Gespräch mit der Universität habe sie von „aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen“ gesprochen. Angesprochen auf die veröffentlichte, ganz konkrete Antwort, die sehr deutlich die Nationalität des Studenten als Grund aufführt, ist man dort selbst überrascht und lässt sich den Link der E-Mail schicken. Nun werde geprüft.
+++++ Update | Aktualisiert um 15:15 Uhr +++++
Professorin Annette Beck-Sickinger, deren Name die Universität veröffentlichte, hat sich mittags erneut zu den Vorwürfen geäußert. Wie die Universität mittags bekannt gab, entschuldigte sie sich für die beschriebenen Äußerungen und sprach von einem „Fehler“. Beck-Sickinger betonte, „alles andere als rassistisch und fremdenfeindlich zu sein“. Erneut bekräftigte die Professorin, ihre Äußerungen seien „aus dem Zusammenhang gerissen“.
Nach ihrer Absage aus Kapazitätsgründen habe sich eine Diskussion entwickelt, in der es um „das Problem der Vergewaltigung von Frauen in Indien“ ging. Auch Rektorin Prof. Beate Schücking hat sich in den Fall eingeschaltet. Sie begrüßte die Entschuldigung, mit der die Beck-Sickinger „den richtigen, Missverständnisse ausschließenden Weg eingeschlagen“ habe. Weiterhin betonte sie, dass die Universität weltoffen sei und „für rassistische Gedanken und Äußerungen kein Platz“ sei.
Im Modul „Bioorganische Chemie“ des internationalen Masterstudienganges seien nach Universitätsangaben vier von insgesamt 30 Studenten aus Indien. Im Rahmen eines Laborpraktikums seien aktuell zwei männliche indische Studenten direkt bei der Professorin zu Gast. Insgesamt sind an der Universität Leipzig derzeit 44 Studenten aus Indien eingeschrieben, davon sind 15 weiblich.
Matthias Deggeller ist ausgebildeter Redakteur und Historiker. Er studierte bis Dezember 2014 an der Universität Leipzig Journalismus und schloss mit Master of Arts ab.
m.deggeller@gmail.com
Gibt’s einen Grund dafür, dass hier jeglicher Link fehlt? Ich finde das sehr unglücklich, zumal der eine Screenshot, den ich gesehen habe, dieser Aussage: „Nach ihrer Absage aus Kapazitätsgründen habe sich eine Diskussion entwickelt, in der es um „das Problem der Vergewaltigung von Frauen in Indien“ ging.“ eindeutig widerspricht.
Klar, man soll nicht voreilig verurteilen. Aber mir einen Zusammenhang, in dem der Ausschnitt nicht rassistisch ist, zu konstruieren – dazu fehlt mir Vorstellungskraft.
Den zugrunde liegenden Mailverkehr findet man hier.
Ruf der Uni? Die Uni Leipzig hatte ich eher mit der „Herr Professorin“ – Anrede in Verbindung gebracht.
http://www.sueddeutsche.de/bildung/sprachreform-an-der-uni-leipzig-wir-waren-nuechtern-1.1689465
Aus dem wissenschaftlichen Bereich habe ich bisher nichts gehört.
@Julius Hagen: Danke für den Link! Nun wird auch klar, warum sie den ganzen Mailwechsel nicht veröffentlichen wollte – sie bekräftigt ihren unglaublichen Pauschalvorwurf und diese Absagen-Lüge auch noch.
Treffend ist der Brief des deutschen Botschafters in Neu Dehli. Der haut bei einem deutschen Professoren-Karrierebewusstsein so richtig rein;-)
Das ist OT, aber da es angesprochen wurde:
@#4 keineEigenverantwortung 9. März 2015 um 18:22
„Ruf der Uni? Die Uni Leipzig hatte ich eher mit der “Herr Professorin” – Anrede in Verbindung gebracht.
http://www.sueddeutsche.de/bildung/sprachreform-an-der-uni-leipzig-wir-waren-nuechtern-1.1689465“
Nur dass die Behauptung, dass an der Uni Leipzig Männer als „Herr Professorin“ angeredet würden oder werden sollten, schlichtweg eine, i.d.R. wider besseres Wissen verbreitete, antifeministische Lüge ist. Es wird lediglich in einem Text (der Grundordnung der Uni) für unbestimmte Personen das generische Femininum verwendet – um die Anrede konkreter Personen geht es überhaupt nicht.
Das geht so auch ganz eindeutig aus dem von ihnen selbst verlinkten Artikel hervor – also auch bei Ihnen wider besseres Wissen.
@6
Ich habe beschrieben, womit ich die Uni gedanklich verbinde, d.h. den Ruf.
Seit gestern gibt es 2 Aktionen ,die ich mit der Uni in Verbindung bringe.
Hier ist noch ein Artikel zu den Mails.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article138233262/Vergebe-an-indischen-Studenten-kein-Praktikum.html
Leipzig a.d. Ruhr?
Bei allem Befremden über derartig blöde Äußerungen müssen wir genau bleiben: Mit Rasse wurde, soweit ich dem Artikel entnehmen kann, an keiner Stelle argumentiert. Deshalb handelt es sich nicht um rassistisches Verhalten, sondern um nationalistisches und ausländerfeindliches.
Das genau zu unterscheiden ist nicht kleinkariert, sondern wichtig. Denn mit den gebetsmühlenartig vorgetragenen falschen Vorwürfen des Rassismus entwertet man den Begriff. Und wenn er tatsächlich benötigt wird, hört dann keiner mehr hin.
Die Erklärungsversuche der Professorin Annette Beck-Sickinger sind nicht im Ansatz dazu geeignet, Ihre Äußerungen als nicht-rassistisch und beleidigend anzusehen (auch und gerade dann, wenn man zu ihrem Gunsten davon ausgeht, dass sie nicht lügt und die Ablehnung tatsächlich aus Kapazitätsgründen erfolgte).
Dass die Frau Rektorin Prof. Beate Schücking die untauglichen Erklärungsversuche „begrüßt“ und in nicht nachvollziehbarer Weise von „Missverständnissen“ spricht, macht die Sache nur noch schlimmer.
@9: Die Beschränkung des Rassismus auf die urtümliche „biologische“ Bedeutung ist in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Die meisten Definitionen von Rassismus haben sich da doch ein wenig weiter entwickelt und beziehen auf kulturelle und körperliche Merkmale.