Rathaus Überfall Dortmund: Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Staatsanwalt wegen einseitiger Ermittlungen

Nazis beim Rathausüberfall,  Foto: Jürgen Steinfelder 2014
Nazis beim Rathausüberfall, Foto: Jürgen Steinfelder 2014

Der Angriff einer Horde Rechtsextremer auf das Dortmunder Rathaus machte bundesweit Schlagzeilen. Am Wahlabend vor einem Jahr waren über 30 Nazis mit Pfefferspray und Flaschen ausgerüstet, vor das Rathaus gezogen. Sie riefen volksverhetzende Parolen und verletzten insgesamt 10 Menschen. Die Demokraten stellten sich schützend vor den Eingang und verwehrten den aggressiven Nazis den Zutritt zur Wahlparty. Bei den polizeilichen Ermittlern standen sie auf einmal selbst als Beschuldigte im Fokus. Gegen 63 Wahlparty-Besucher wurden Ermittlungen eingeleitet, 17 Strafbefehle verschickt. Eine Anwältin hat jetzt wegen einseitiger Ermittlungen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Dortmunder Staatsanwalt erhoben. Die Beschwerde liegt auch der Generalstaatsanwaltschaft und dem Nordrhein-Westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty vor.

Die Dienstaufsichtsbeschwerde zählt detailliert Fakten auf, die die Einseitigkeit der Ermittlungen belegen. Auch die Bewertung der Situation durch die Ermittler wird darin scharf kritisiert. Nach Ansicht der Juristin seien diese tendenziös: „Kennzeichnend für die gesamt Akte ist, das Verhalten der Rechtsextremen zu verharmlosen und wohlwollend auszulegen.“ Von der Staatsanwaltschaft seien diese Ermittlungsergebnisse kritiklos übernommen worden.

Staatsschutz: Demokraten haben Nazimethoden angewendet

Die Anwältin fährt fort, dass die Rechtsextremisten von den Ermittlern als „lässig“, „passiv“ und „sich nicht provozierend lassend“ eingeordnet wurden. Dafür hat der Staatsschutz die Menschen, die einen Banner in der Hand haltend vor einer Rathaustür standen, der Nötigung bezichtigt. Doch es kommt schlimmer. Laut der Beschwerde wird die angebliche Nötigung durch die Rathausverteidiger durch die Ermittler so erklärt: „Dies umso mehr, da geschichtlich betrachtet dem politischen Gegner den Zutritt zu Rathäusern und Parlamenten mit nötigender Gewalt zu verwehren gerade ‚gängige Praxis‘ der Nazis gewesen sei. Hier wurde folglich eine ‚Nazimethode‘ angewendet, um gegen ‚Nazis‘ vorzugehen.“ Im Klartext: Demokraten sollen Nazimethoden angewendet haben.

Die Anwältin kritisiert weiter, dass im Fall der damaligen Grünen Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger dem körperlich deutlich überlegenen Täter Notwehr unterstellt wurde. Sie rügt, dass sich keine Aussagen von Zeugen aus dem bürgerlichen Lager in der Fallakte finden lassen. Offensichtlich wurden sie nicht geladen. Dafür sei die Aussage des stellvertretenden NRW-Landesvorsitzende der Worch-Partei „Die Rechte“, Michael Brück,  in der Fallakte protokolliert. Er bezichtigt die Landtagsabgeordnete, als „Rädelsführerin“ aufgetreten zu sein.

borchardt_wahlsonntag
SS-Siggi vor dem Rathaus, Foto: Jürgen Steinfelder 2014

Nazis als glaubwürdige Zeugen
Und auch die Zeugenaussage einer weiblichen Person, die gemeinsam mit dem Rechten Ratskandidat Siegfried Borchardt (SS-Siggi) aufgetreten war, erschien den Ermittlern wichtig genug, um sie in den Akten zu protokollieren. Die Zeugin an SS-Siggis Seite sagte: „Frau Schneckenburger habe sich völlig hysterisch verhalten, habe sofort auf die Jungs eingeprügelt, obwohl die ruhig waren“. Die Film- und Fotoaufnahmen, die die Polizei als Beweismittel akribisch ausgewertet haben will, zeigen etwas vollkommen anderes. Interessant wird daher, wie das zunächst eingstellte und nun wieder aufgenommene Verfahren gegen den sich angeblich in Notwehr handelnden Schläger Dietrich Surmann diesmal ausgehen wird.

Die Juristin greift im Weiteren die Frage auf, wie eine Situation einzuschätzen sei, wenn jemand eine volle Sektflasche oben am Hals fasst und sie umgedreht hochhält. Menschen fühlen sich durch diese Geste normalerweise bedroht. Hält ein aggressiver Rechtsextremist sie in der Hand, erst recht.

Eine Flasche verletzte den Ratsherrn Christian Gebel (Piraten) im Gesicht und hinterliess eine Platzwunde an seinem Auge. Spätestend da müsste ein Ermittler glauben, dass die Rechtsextremisten eben nicht „lässig“ oder „passiv“ waren, wie es in der Akte heißt. Gegen den Flaschenwerfer Daniel G. wird es Ende August ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung geben. Der Verletzte Gebel ist als Zeuge geladen. Der Angriff auf ihn liegt dann 15 Monate zurück.

Volksverhetzung? Reine Auslegungssache.

Volksverhetzung ist in gewisser Weise ein interpretationsfähiger Gummiparagraph. Dennoch findet die Anwältin die Interpretation des Sachbearbeiters bei der Dortmunder Polizei bemerkenswert. Er stelle fest, heisst es in der Beschwerde:

  1. Die Parole sei nur im Hintergrund gelaufen
  2. Nur einzelne Personen hätten die Parole gerufen
  3. Das Skandieren „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ sei eine Reaktion auf die Rufe und Gesten der Demokraten gewesen.
Nazis brüllen Parolen, Foto: Markus Arndt 2014
Nazis brüllen Parolen, Foto: Markus Arndt 2014

Die Anwältin stellt zum Tatbestand der Volksverhetzung fest: „Die Herabsetzung muss nicht gegenüber diesen Personen erfolgen.“ Die Interpretation des Staatsanwaltes findet die Anwältin daher umso erstaunlicher: „Seine Bewertung und Auslegung: Diese Parole sei in dieser Situation nicht als volksverhetzend auszulegen, weil nicht erkennbar sei, dass sich im unmittelbaren Umfeld eine größere Gruppe ausländischer Bürger aufgehalten habe, die diese Parole auf sich beziehen hätten können.“

Volkan Baran, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD Ratsfraktion in Dortmund sieht das ein bisschen anders: „Wenn jemand auf mich zeigt und dabei „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‘ brüllt, fühle ich mich als türkischstämmiger Deutscher angesprochen. Dafür muss ich keine ‚größere‘ Gruppe sein.“

Zeugen brutaler Nazi-Gewaltakte werden nicht geladen

Das Baran bis heute (12 Monate liegen dazwischen) nicht geladen wurde, obwohl er sich bei der Polizei als Zeuge eines brutalen Angriffs zur Verfügung stellte, ist bitter. Er hatte beobachtet, wie ein Gast der Wahlparty von zwei Rechten geschlagen, dann umgeworfen und am Boden liegend mit Füßen getreten wurde. Seine Aussage könnte zur Aufklärung des Gewaltaktes beitragen.

Die Staatsanwaltschaft muss sich fragen lassen, ob sie beim Rathausüberfall nicht mit dem blinden rechten Auge „genau hin gesehen“ hat. Die Geschichte des Nationalsozialismus wurde von den ermittlenden Beamten instrumentalisiert, um Demokraten zu verunglimpfen. Das ist schamlos. Und wirft die Frage auf, ob man nicht in diesem Fall den Staat vor dem Staatsschutz schützen muss. Zumindest aber hätte der Staatsanwalt an dieser Stelle wach werden und die Darstellung seiner Ermittler hinterfragen müssen.

Es war an der Zeit, dass Juristen für den Rechtsstaat Partei ergreifen. Man kann gespannt sein, wie Justizminister Kutschaty auf die Dienstaufsichtsbeschwerde der Anwältin reagieren wird. Seine Dortmunder Genossen und die anderen Rathausverteidigern werden seine Reaktion vermutlich genau beobachten.

Der Störungsmelder der Zeit.online hat den Film von Alexander Völkel von den Nordstadtbloggern zum Rathausüberfall online gestellt. Er zeigt Lukas Bals, wie er eine volle Sektflasche am Hals gepackt in der einen Hand hält und mit der anderen zwei Faustschläge gegen Ratsfrau Nadja Reigl ausführt (ab Minute 0:20) https://www.youtube.com/watch?v=u2B6n7nD1PA

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
9 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

Wenn die Justiz sich solcher stark verharmlosenden, Sachverhalte ins Gegenteil verkehrenden und Gründe erfindenden Mittel bedient, um von der Unfähigkeit der Polizei- und Staatsschutzorgane abzulenken, die den Rathaussturm im Vorfeld hätten verhindern können, aber dies aus simpler Unfähigkeit und Bequemlichkeit nicht taten, *dann werden von ihr* "Nazimethoden" der Justiz im dritten Reich angewendet.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

In NRW sollten die Bereiche "Inneres" und "Justiz" zur Chef-Sache werden. Es gibt zu viele Baustellen und eine zu schlechte Bilanz.

Was ist eigentlich mit der Opposition und den sonst so engagierten Parteien, die aber in Ddorf in der Regierung sind? Ich finde es erstaunlich, dass NRW-Regierung hier so wenig gefordert wird.

P.S.:
Die Loveparade-Katastrophe (2010) jährt sich bald wieder.

Stefan Laurin
Admin
9 Jahre zuvor

@keineEigenverantwortung: Chef Sache? Hannelore Kraft? LOL

Manuel
Manuel
9 Jahre zuvor

Danke für den guten Artikel. Ob sich wohl die Staatsanwaltschaft damit bei den Nazis als Strafverteidiger bewerben wollte? Positiver für die Nazis hätte man die Akte wohl kaum auslegen können. Erschreckend, das ist ja schon nicht mehr tendenziös sondern klar parteiergreifend. Und warum? Nur um die Polizei und den Staatschutz zu schützen? Oder liegt man mit den Rechten politisch doch irgendwo auf einer Linie?

UIrich
UIrich
9 Jahre zuvor

So etwas kommt nicht nur in Dortmund vor. Vor kurzem wurde in Berlin ein Mitglied des Abgeordnetenhauses freigesprochen das von Neonazis, darunter auch dem Pankower NPD-Kreisvorsitzenden Christian Schmidt beschuldigt worden war diese zusammen mit angeblichen Mittätern angegriffen zu haben.

Das Lügengebäude fiel dann in der Verhandlung in sich zusammen, es kam heraus dass sich angebliche Zeugen mit dem Ziel eine Verurteilung herbeizuführen abgesprochen hatte.

Für mich wirft das zwei Fragen auf: Wieso musste es überhaupt zum Prozess kommen, hätten Polizei und Staatsanwaltschaft die Verschwörung nicht bereits im Rahmen der durchgeführten Ermittlungen aufdecken können? Und wird die Staatsanwaltschaft genau so eifrig sein wird wenn es darum geht den "Zeugen" den Prozess zu machen? Auf falsche Verdächtigung stehen bis zu fünf Jahre Haft.

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/oliver-hoefinghoff-freispruch-fuer-ex-pirat-hoefinghoff-,10809148,30546896.html

Corinna Dietrich
Corinna Dietrich
9 Jahre zuvor

SOS aus Hamburg: gleiche Zustände haben wir in der Hamburger Staatsanwalstchaft:
als Zeuge wird man nicht vernommen. Wahrnehmung mancher Staatsanwälte ist
verschwommen bis gestört. Das merkt man, wenn man sich mit ihnen Auge in Auge
unterhält: inzwischen wurden mit diesen Wahrnehmungsstörungen 2 namhafte
Hamburger Unternehmer zu Unrecht zu Haftstrafen verurteilt, verbunden mit
Vermögenssentzug. Degradierugn, Diskreditierung, nicht vergewissern bedeutet:
Entrechtung, Entwürdigung und: Entmenschlichung: siehe aktuelle Schilderungen
der Auschwitz-Überlebenden im aktuellen Lüneburger Auschwitz-Prozess!!!
Die Opfer werden als Täter vorgeführt. Es gab schon Meldungen, dass z. B.
4 Steuerfahnder als wahnhaft eingestuft wurden und ihre Existenz verloren.
Hier wird unsere demokratische Ordnung auf den Kopf gestellt. Dafür haben wir
nach dem Grundgesetz ein Widerstandsrecht, Artikel 20 (4), kann jeder nachlesen.
Justizopfer können sich gerne bei mir melden.

SOS Gruß aus Hamburg

trackback

[…] Rathaus Überfall Dortmund: Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Staatsanwalt wegen einseitiger Ermittlungen “Der Angriff einer Horde Rechtsextremer auf das Dortmunder Rathaus machte bundesweit Schlagzeilen. Am Wahlabend vor einem Jahr waren über 30 Nazis mit Pfefferspray und Flaschen ausgerüstet, vor das Rathaus gezogen. Sie riefen volksverhetzende Parolen und verletzten insgesamt 10 Menschen. Die Demokraten stellten sich schützend vor den Eingang und verwehrten den aggressiven Nazis den Zutritt zur Wahlparty. Bei den polizeilichen Ermittlern standen sie auf einmal selbst als Beschuldigte im Fokus. Gegen 63 Wahlparty-Besucher wurden Ermittlungen eingeleitet, 17 Strafbefehle verschickt. Eine Anwältin hat jetzt wegen einseitiger Ermittlungen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Dortmunder Staatsanwalt erhoben. Die Beschwerde liegt auch der Generalstaatsanwaltschaft und dem Nordrhein-Westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty vor…” Beitrag von Ulrike Maerkel bei den Ruhrbaronen vom 29. Mai 2015 […]

trackback

[…] in die Aufklärung des Rathausüberfalls neuen Schwung bringen. Das ist bitter nötig, denn die Bilanz des Überfalls der Nazis auf Demokraten und Demokratinnen ist […]

trackback

[…] leitete eine Rechtsanwältin ein detailliert recherchiertes und fundiert ausformuliertes Disziplinarverfahren gegen die Staatsanwaltschaft Dortmund […]

Werbung