Reißt den Schrott doch einfach ab!

Der Sanaa-Kubus auf Zollverein in Essen (Foto: Honke Rambow)

Der SANAA-Kubus auf dem Gelände der Zeche Zollverein wird gerne als Architektur-Ikone bezeichnet. Tatsächlich ist er eine teure und unnütze Ruine. Nur etwas über zehn Jahre nach Fertigstellung ist der laut Wikipedia „architektonisch innovative“ Bau, stark sanierungsbedürftig. Das Landesbauministerium hat zwar noch keine Kostenschätzung, aber mehrere Millionen werden es schon werden, will man den Bau, für den bis heute niemand eine sinnvolle Nutzung gefunden hat, erhalten. Unbrauchbar und verrottet – warum also sanieren, wenn man auch abreißen kann?

Rostfahnen an der Fassade (Foto: Honke Rambow)

Die Schäden sind nicht zu übersehen: Lange Rostfahnen an der Fassade zeugen von freiliegenden Armierungseisen. Bei jedem vierzig oder fünfzig Jahre alten Betonbau ist das das endgültige Todesurteil. Das Flachdach ist ebenfalls sanierungsbedürftig, weil Niederschlag nicht ordentlich abgeleitet wird. Der reduzierten Ästhetik des Baus sei das geschuldet. Im ersten Stock bietet der Teppichboden einen armseligen Anblick. Auf einer Fläche von gut 1000 qm monochrom hellgrauen Teppich zu verlegen, ist auch schlicht Irrsinn. Man kann ihn austauschen, aber er wird unvermeidbar in kürzester Zeit wieder fleckig sein, wenn man nicht Hausschuhe am Eingang verteilt. Und dann ist da noch das überall als innovativ und zukunftsweisend bejubelte aktive Wärmedämmsystem. Hochgiftiges Grubenwasser wird durch Leitungen in den Wänden gepumpt, um die Außenschale des Gebäudes zu erwärmen. Nun ist die Heizung über die Wände schon bei den alten Römern üblich gewesen und also nicht so wahnsinnig innovativ. Vor allem aber geht das Grubenwasser demnächst zur Neige. Zukunftsweisend sieht anders aus. Und ob rund 1000 Euro Betriebskosten täglich für ein Gebäude von dieser Größe wirklich innovativ sind, sei auch dahin gestellt. Und ganz nebenbei: Die zusätzliche aktive Lüftung und Heizung sorgt im ersten Stock des Gebäudes für einen ständigen, unangenehmen Zug.

Immerhin: Der Kasten bekam 2010 einen Architekturpreis. Allerdings nur in der Kategorie „beste städtebauliche Symbolik“. Für mehr hat es dann doch nicht gereicht. Trotzdem sind natürlich chronisch die Reinheit der Form und Reduktion feiernde Architekturstudierende begeistert. Das spricht allerdings weniger für den Bau, als gegen die Qualität des Architekturstudiums. Es wäre durchaus angebracht, den angehenden Entwerfenden rechtzeitig zu vermitteln, dass Architektur eben keine freie Kunst ist, sondern immer auch benutzbar sein sollte. Das war aber offensichtlich den japanischen Architekten Ryue Nishizawa und Kazuyo Sejima von SANAA auch egal. Auf den Renderings ihrer Entwürfe sind meist nur ephemere Strukturen zu sehen, die sich in pures Licht und Dunst auflösen. Mit solchen schicken grafischen Mogeleien überzeugen Architekten gerne unbedarfte Entscheider in Wettbewerben.

Das war hier nicht anders, zumal ursprünglich noch 3500 Fenster in der Fassade vorgesehen waren, die aus Kosten- und möglicherweise auch konstruktiven Gründen auf 132 reduziert wurden. Lösten im ursprünglichen Entwurf die Fenster die Fassade noch nahezu ganz auf, wird nun gerne behauptet, die unregelmäßig verteilten Öffnungen seien gezielt gesetzt und rahmten die Ausblicke wie Bilder. Das ist die übliche Architektenlyrik und kompletter Quatsch. Ginge es um sehenswerte Ausblicke, dürfte der Kubus lediglich an der Rückseite Fenster haben. Zur Gelsenkirchener Straße hin gibt es nämlich nichts zu sehen, was man gerahmt an der Wand haben möchte.

Es bröselt an allen Ecken und Kanten. (Foto: Honke Rambow)

Und selbst wenn man der Logik der Architekturbewunderer folgt, versagt der SANAA-Kubus. Perfekt ließ sich die Reduktion der Form nämlich doch nicht durchhalten und so stören den klaren Raumeindruck, in dem eigentlich nur die zwei Erschließungskerne als tragende Elemente stehen sollten, noch zwei völlig deplatzierte runde Säulen. Dafür jubeln dann Puristen aber über die Ablaufrinnen aus Beton an den Fenstern. Dass solche dünnen Kanten aus Beton gar nicht stabil ausführbar sind, sollte jeder Architekt wissen. Hier bröselt es nun also aufs Schönste und der eine oder andere Abfluss versagt auch einfach seinen

Ästhetisch perfekt, aber leider funktionsunfähig. (Foto: Honke Rambow)

Dienst. Da ist es fast schon nebensächlich, dass  unliebsame Details, wie etwa Toiletten, die die Reinheit der Architektur nur stören würden, in den Keller verbannt wurden und dort als perfekter Angstraum wie in einem halbverfallen Parkhaus geplant wurden.

Das Schlimmste aber ist sicherlich, dass noch niemand eine sinnvolle Nutzung für das Gebäude gefunden hat, das immerhin 23 Millionen kostete und bald noch mehr Geld verschlingen soll. Die „School Of Management And Design“, für die das Ding gebaut wurde, war von der ersten Idee an genauso sinnlos wie der Bau selbst und ging denn auch gleich wieder pleite. Dann hat man den Klotz der Folkwang Universität aufs Auge gedrückt, die auch nichts Rechtes damit anzufangen wusste. Zur Zeit gehört der Kasten der landeseigenen Entwicklungsgesellschaft „NRW.urban“ und soll nach der Sanierung von der Zollverein Stiftung übernommen werden. Das Problem bleibt also in öffentlicher Hand.

Fast zehn Meter hoch ist das Herzstück des Gebäudes – der Raum im ersten Stock. Und er ist komplett sinnfrei. Etwas zu viel Platz, um ihn nur ab und zu euphorisierten Architekturstudenten vorzuführen. In Zusammenarbeit mit PACT Zollverein versuchten sich schon die Choreographen Eszter Salamon und Xavier LeRoy an dem Raum. Wirklich funktioniert hat das auch nicht. Für Ausstellungen müssen Kabinette hineingebaut werden, weil es ja kaum Wandflächen gibt. Sieht scheiße aus, läuft dem Raum zuwider und ist auch nur eine Notlösung. Allzuviele Menschen dürfen vermutlich ohnehin nicht gleichzeitig im Gebäude sein, da die Erschließung mit zwei kleinen Fahrstühlen und einem engen Treppenhaus sonst die Feuerpolizei auf den Plan ruft. Apropos Feuerwehr: Die Feuerlöscher wurden zugunsten der Reinheit der Architektur einfach mal nicht eingeplant und stehen jetzt auf mobilen Gestellen in der Gegend herum. Auf jeden Fall kann man in dem Ding also noch nicht einmal eine ordentliche Disco unterbringen.

Es bleibt dabei: Der SANAA-Kubus auf Zollverein ist überflüssig wie ein Kropf und ganz sicher keine Architektur-Ikone, sondern höchstens ein Mahnmal für das komplette Scheitern von Architekten. Eine Sanierung wäre unverantwortliche Verschwendung von Steuergeldern. Es bleibt nur der schnellstmögliche Abriss.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
10 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Max
Max
6 Jahre zuvor

Sehr guter Artikel mit der notwendigen Polemik. Danke!

ke
ke
6 Jahre zuvor

Gut, im Dämmerlicht dachte ich zuerst an einen Bericht über Hochbunker, aber dann kam es doch schlimmer.
Der Bericht klingt schlüssig und die Lösung auch.
Offen bleibt natürlich, wieso hier auf diese Weise Steuergelder vernichtet werden. Aber bzgl. Zollverein handelt es sich dann wohl doch eher um Peanuts. Offen bleibt aber, wieso in letzter Zeit so viele Bauwerke in der Alltagsverwendung scheitern.
Häuser, Brücken etc. gibt es seit Jahrtausenden. Da müsste es doch eigentlich auch Lösungen für die meisten Probleme geben.
Ich hatte auch vor ein paar Tagen noch ein Loblied auf ein Bürogebäude gelesen, dass super-ökologisch durch innovative Technologien war.
OK, sie hatten im Wesentlichen so gebaut wie unsere Vorfahren, die auch schon wussten, wie man in heißen Gegenden die Innentemperatur reduzieren kann.

Björn Wilmsmann
Björn Wilmsmann
6 Jahre zuvor

Dass der Brutalismus bzw. Modernismus in mancher Hinsicht ein Irrweg war, weiß man eigentlich schon seit längerer Zeit. Außer im Ruhrgebiet. Da baut man immer noch Bauwerke ohne Ziel und Verstand und versucht in herablassender Weise, den Menschen städtebauliche Ideologie aufzuzwingen.

Architektur, die keine vernünftige Nutzung ermöglicht, hat ihr Kernziel verfehlt. Abreißen ist da in der Tat die einzig ehrliche Lösung. Aber damit hat man's im Ruhrgebiet ja eher nicht so.

Franz Przechowski
Franz Przechowski
6 Jahre zuvor

Ich habe Ehrfurcht vor der Ästhetik des Gebäudes. Mein Sinn für Material, Formensprache und Skupturales wird voll bedient. Aber das ist subjektives Empfinden. Meine rationale Erfahrung mit einem Bürobau im selben Stil und Ausführung sagt mir etwas anderes. Alle Probleme, die geschildert worden sind kenne ich auch. Ein frustierender Rattenschwanz, der dazu den Anblick mit der Zeit ruiniert. Angesichts des schweren Fehlers der Planer und Investoren, den Grundsatz "Form follows Function" außer acht zu lassen, kann ich nur zum Abriß raten. Daraus wiederum, kann man ein smartes "Storytelling" für die Dynamik des Willen zum Wandel im Revier machen. Panta rhei. Alles fließt.
Glückauf
Franz Przechowski

Ralf Muschall
Ralf Muschall
6 Jahre zuvor

Brutalismus (man lasse sich nicht von dem abschreckenden Namen irreleiten) bedeutet eigentlich nur, dass man die Schönheit der Form in Beton selbst implementiert und keine anderen Materialien draufpappt. Wenn man einfach öde Würfel hinstellt, ist das so viel "Brutalismus" als wenn man kein Instrument spielen kann, es trotzdem tut und das dann "Free Jazz" nennt.

Björn Wilmsmann
Björn Wilmsmann
6 Jahre zuvor

#5: Das Problem am Brutalismus ist nicht seine Ästhetik, sondern die mangelnde Haltbarkeit und Nachhaltigkeit. Beton als Außenmaterial ist ein sehr wartungsintensiver und Energie verschwendender Baustoff.

Aquii
6 Jahre zuvor

… eigentlich ist es doch egal, wo die Stiftung Zollverein ihre Millionen versenkt.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

Ja, das ist eine "Meinung". Mehr auch nicht.

Bebbi
Bebbi
6 Jahre zuvor

Wenn alle Architekturstudierende vor'm Studium je eine halbes Jahr als Hausmeister*in und als Reinigungskraft arbeiten müssten, gäbe es deutlich weniger unbrauchbare Bauten, die nur für die Hubschrauberperspektive von Planungswettbewerben geeignet sind.

Christian Perzl
Christian Perzl
6 Jahre zuvor

Aber, aber… wie viel würde der Abriss dann noch zusätzlich kosten…und wäre der Baugrund überhaupt begehrt?

Zu den Würfel selber, es zeigt sich halt wieder "Architektur muss man sich leisten können".
Ich hab mir einen Spaß gemacht und mich über die anderen SANAA Bauten informiert. Meine Geschmack trifft keines, aber ich habe auch keine Bauruine, weil das Gebäude unbrauchbar wäre, gefunden. Im Gegenteil, da ist mittlerweile sogar eine Produktionshalle ein weiterer Blickfang im Areal.
Kein Wunder, den hinter allen anderen Projekten stand und stehten auch Macher die eben einen Plan und Geld haben.

Dagegen hat man im Ruhrgebiet wieder das eine noch das andere.

In München, Stuttgart oder Düsseldorf wäre es wohl heute ein kleines Wahrzeichen… wie gesagt, Architektur muss man sich leisten können.

@Bebbi

Braucht es nicht. Oder wie es in meiner Familie heißt: Architekten dürfen träumen, Bauingenieure und co. erden sie soweit bis was anständiges raus kommt.. 😉

Werbung