Risiko! Heute musste man wirklich verdammt aufpassen beim Zeitunglesen, auch beim Lesen der Artikel im Internet. Risiko 1. April! Es ist nicht auszuschließen, dass manche es auch schaffen, ihren Aprilscherz zum richtigen Datum zu platzieren. Risiko! Außerdem: ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Vor zwei Jahren bin ich auf einen Aprilscherz der Grünen hier in Duisburg-Rheinhausen übel reingefallen. Ein „Saunaclub“ – na, Sie wissen schon – habe das Rheinhauser Bahnhofsgebäude gekauft, ließen meine Nachbarn in der Lokalpresse vermelden. Und die Grünen hätten sich bereits gewappnet, die armen Kinder vor den Gefahren zu schützen usw.
Das ist der Stoff, aus dem meine Nervenzusammenbrüche sind. Temperatur und Druck in meinem Reaktor stiegen exponentiell an, ich griff unter Starkstrom in die Tasten, Triebdurchbruch in Gedanken an einen neuen Puff, schnell noch eine Terrorwarnung an meine grünen Freunde, und dann das! Diese Antwort: „Lieber Werner; welches Datum schreiben wir heute? Mmmh …, da war doch noch was!“ Blöd! Wenn man schon von den Grünen vergackeiert wird, wo gibt es dann überhaupt noch Sicherheit?! Und vor allem: wann? Am 1. April jedenfalls nicht; da ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Man soll ja sowieso nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Nicht am 1. April.
Und schon gar nicht der Springerpresse. Hochrisikozeitungen! Zeitunglesen ist ohnehin schon riskant genug; alte Weisheit: Bürgerblätter machen dumm. Die Bildzeitung ist hochriskant – das weiß ja jeder. Noch gefährlicher ist jedoch die Welt; denn da können sich nicht einmal Leser mit Abitur sicher sein, nicht doch einem – möglicherweise verhängnisvollen – Risiko ausgesetzt zu werden. Heute zum Beispiel, in der Welt Online: „Sexualreport: Deutsche verhüten gerne doppelt“. Okay, sicher ist sicher, es passiert ja weiß Gott genug. Trotzdem: Springerpresse? Ich werde lieber noch einmal nachsehen, ob auch andere diese Meldung drin haben. „Verhüten doppelt“, und zwar „gerne“ – die Sache erscheint mir sehr risikoreich.
Na sicher, man muss auch mal Zeitungen lesen, die der CDU nahe stehen. Sonst unterliegt man dem Risiko, sich einseitig zu informieren. Will man ja auch nicht. Doch bevor ich dem Springerkonzern blind vertraue, greife ich lieber zur Rheinischen Post. Das ist sicherer, die Zeitung ist seriös, also, wie so ziemlich alles, was sicher und seriös ist, ziemlich – na, sagen wir mal: aprilscherzfrei. Zum Beispiel hier diese Nachricht auf RP Online, die glaube ich unbesehen: „Emmerich. Mehrheit will kein Risiko“. Na, was haben wir denn da? „CDU und SPD scheinen sich einig.“ Prima, das ist mir ohnehin am liebsten. Und worin, wenn man fragen darf? „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“. Genau. Eigentlich könnte die Welt so schön sein.
Wobei man wissen muss: ein Restrisiko bleibt natürlich immer. Jetzt sogar überall, wie Thomas Wels, der WAZ-Wirtschaftsredakteur schreibt. „Rest-Risiko jetzt überall“, das ist ganz bestimmt auch nicht gut. „Sei’s drum. So ist die Lage“, beginnt Wels seinen Artikel ziemlich ernüchtert, wobei sein Frust jedoch nicht irgendeinem Restrisiko geschuldet ist, sondern der „Hysterie“ in der jetzigen „Nach-Fukushima-Zeit“. An dieser Stelle ist fairerweise darauf aufmerksam zu machen, dass die Formulierung vom Jetzt „nach Fukushima“ nicht nur von unbeirrten Atomfans wie Wels, sondern oft genug auch von namhaften Atomkraftgegnern bemüht wird. Die notwendig sichere und seriöse Berichterstattung über das japanische Inferno vernebelt im Zeitalter der Action News das Restrisiko, dass das Schlimmste mit Sicherheit erst noch bevorsteht.
Zurück zu Thomas Wels, der sich fragt: „Was heißt das für die Nach-Fukushima-Zeit?“ Und darauf folgende Antwort gibt: „Das Blankziehen, ohne Diskussion, ohne Rechtsgrundlage frei nach dem Notstandsmotto ,Huch, da ist ein Restrisiko`, werden die Republik verändern.“ Allzu viel Sicherheit – keine Frage – ist freilich auch nicht risikolos zu haben; daher kommt Wels zu diesem „Fazit: Der Trend heißt Biedermeier-Idyll, das Risiko Wohlstandsverlust.“
„Jahrzehnte der Atomkraft-Debatte haben die Sprache manipuliert. Die Sätze, die wir während des Moratoriums hören, sind Ablenkungsmanöver. Sie formulieren Thesen, die keine sind, und beleidigen die öffentliche Vernunft“, leitet FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher seine „neun Gemeinplätze des Atomfreunds“ ein. Diese neun Thesen stellen „eine Art Generalabrechnung mit den gängigen Sprechblasen der Atomkraftbefürworter“ dar (Thomas Strobl, weissgarnix.de), die ich nur jedem ans Herz legen kann, der sich beteiligen möchte, wenn die Atomdebatte – spätestens in der echten Nach-Fukushima-Zeit – wieder losgeht. Wels hat in der WAZ ja schon einmal vorgebaut. Deshalb hier noch einmal der Link zum Schirrmacher-Text.
Das Risiko, das Risiko – wer sich nicht offensiv zum Risiko bekennt, zumindest zum völlig blöden Restrisiko (denn ein Risiko von 100 % verdient ja nicht den Namen „Risiko“; alles darunter ist qua definitione ein Rest), geht das Risiko ein, als neurotischer Sicherheitsfreak abgekanzelt zu werden. „Biedermeier-Idyll“ – wer will das schon? Und tatsächlich: wir lassen uns auf Risiken ein – der Chancen wegen. Risikovermeidungsstrategien sind langweilig. Wer nicht ins Auto oder ins Flugzeug steigt, muss Bahn fahren. Risiken völlig aus dem Weg gehen zu wollen, ist richtig gefährlich. Wie banal! Und deshalb halten die Atomfans mit philosophischer Abgeklärtheit dagegen: „Risiko gehört zum Leben“. Ich zitiere Schirrmachers These 3:
“Der Satz ist eine Tautologie. Das Leben ist immer ein Risiko. Gerade weil Risiken zum Leben gehören, besteht das Leben aus Risikoabwägungen. Die Perfidie des Satzes liegt in seiner Unterstellung, die Menschen müssten daran erinnert werden, dass es Risiken gibt. In Wahrheit ist mittlerweile das ganze Leben ein einziges Managen von Risiken, das beginnt, wenn man am Morgen die Haustür öffnet, und nicht endet, wenn man am Abend die Nachrichten schaut. Die Menschen des 21. Jahrhunderts leben in permanenter Risikoabwägung, nicht weil sie Sicherheitsfanatiker sind, sondern weil Risiken normativ geworden sind.“
Wir haben keine Wahl zwischen „Risiko” und „Sicherheit”, „sondern nur die Wahl eines bestimmten Risikos unter mehreren“, so Strobl. Deshalb muss man heutzutage wirklich verdammt aufpassen. Unversehens könnte man einer Risikoaversion bezichtigt werden, allein weil man die Grundlagen der Risikoanalyse beherrscht.
Mein Problem heute ist, dass ich die ganzen poltischen Meldungen aus Deutschland für Aprilscherze halte und die Aprilscherze für ernsthafte Meldungen, ggg.
Das Leben ist halt hart …
Natürlich, lieber Werner, habe ich mich heute auch an einem Aprilscherz beteiligt.
Unsere Oberbergische Volkszeitung schrieb zu einer Bauruine in meiner Heimatstadt Waldbröl u.a.:
„WALDBRÖL – Das Ringen um das Merkurhaus hat ein Ende. Noch diesen Sommer wird der Klotz fallen, in zwei Jahren soll dort – nach dem Dortmunder Casino Hohensyburg – Deutschlands zweitgrößte Spielbank entstehen. Die Verträge werden heute, am 1. April, unterzeichnet.“ – weiter siehe Link
https://www.rundschau-online.de/html/artikel/1296684559677.shtml
Mein veröffentlichter Kommentar dazu war:
01.04.2011, 07.38 Uhr, Dieter Carstensen
„Aus im allgemeinen gut unterrichteten Insiderkreisen in Waldbröl konnte ich in Erfahrung bringen, daß es zur Eröffnung des Spielkasinos im Merkurhaus, dem zukünftigen kulturellen und touristischen Magneten des Kreises Oberberg, für die Waldbröler Bevölkerung eine Woche lang Freibier geben wird, gesponsert von einer oberbergischen Brauerei. Musikalisch werden die Eröffnungsfeierlichkeiten von Musikgrössen wie Lena, Heino, Jürgen Drews, Jopi Heesters und anderen Größen der Musikszene begleitet, wie mir ein Kenner aus dem Planungsteam „Spiele statt Brot für Waldbröl“ berichtete … “
Link:
https://ocs.zgk.de/mdsocs/mod_extcomm_comm/extcomm_id/1296684559677/c_id/c_180194/ocs_ausgabe/kr/index.html#c_180194
Ob die Waldbröler mir das je verzeihen werden? Seit der Veröffentlichung werde ich laufend auf der Strasse und per Telefon angesprochen, wann die Sause dann stattfindet.
Aprilscherze haben auch einen gewissen Risikofaktor, LOL