Ich wollte einen Verriß schreiben – doch es wurde eine Hymne. Rolf Karling, der ziemlich genau vor einem Jahr dem Duisburger Oberbürgermeister Sauerland Ketchup in die Fresse gepuncht hatte, rief gestern zur Gründung einer neuen Partei auf – Von unserem Gastautor Thomas Meiser
Ich bin nicht stolz, sagt Karling, doch es mußte sein. Er spricht das noch nicht mal in Ruhrie, trägt einen zerfetzten blauen Pulli, raucht aber viel.
Wo?
Brahmsstraße, Rheinhausen. In den Gefilden vom alten Konsum.
Nebenan bin ich einst auf Grundschule gegangen. Im Konsum mussten die Fleißkarten-Kinder immer für die Lehrerinnen Yoghurt holen, zu Willy-Wählen-Zeiten und an der Bude nebenan wurdense dafür mit Schnuckzeuch belohnt, die Bude gipps immer noch.
Und auch das Geläuf vom Konsum.
Wobei das jetzt sonne Art kosmische Werkstätte zu sein scheint.
Kommst Du rein, siehst Du Licht: Da ist ein Gebrauchtmüll-Lager mit einem Kuscheltier-Apartment, man könne zerschundene Niedlichkeitstiere für drei Ocken kaufen, spricht eine dicke Frau, die sich runterhandeln lässt.
Vier Schritte weiter eine Sitzgruppe. Und bei Dampfkaffee kommt man ins Gespräch. Sofort und ohne Flachs. Es sagt ein Seebär, um die siebzig, was von seiner Tochter. Xmal ums Erdenrund wäre er handelsmariniert, die Tochter in Australien, alter Rheinhauser, der er wäre, er schätze das jetzt hier.
Dann tritt mein alter Kumpel Rochel in die Tür. Der Rolf sieht aus wie der Amokläufer im Film Taxidriver, er hat sich army-mäßig hart gestyled, trägt auch den Sergeant-Hut in Flecktarn, seit sieben Jahren haben wir einander nicht gesehen.
Hi Rolf, wat Ambach? — Sacht der Rolf: Bin trocken nu, guter Laden das, bin praktisch täglich hier.
Und ich sitze unter Tätowierten und Preisboxern, die mir gerade noch ihre Lebensgeschichte erzählt haben. Und ich denen meine, weil – ich bin umme Ecke auf Schule gegangen. Zumindest Grundschule.
Rolf gibt mir eine sehr harte Five in die Hand, zieht sich Augengläser aus dem fleckgetarnten Armeejacket über den Kappes; full metal jacket? – gleich soll die Sause anfangen.
Da hab’ ich doch auch meine Brille geputzt, mein Blick schweift.
Circa 15 Wesen sind anwesend, an zwei grundschulklassenorientierten Sitzgruppen.
Mein Blick schweift.
Trifft die drei Kreuze. Das ungefähr elf Meter lange Stander der Stadt Amsterdam.
Karling, der Freak.
Karling sagte: Die Stadt meiner Träume und das Ende der Reise, das wäre für mich – Amsterdam.
Zu doof. Er hat mir die Worte geklaut.
Aber, er ist härter als wir alle: Man muß wissen, daß Karling damals, in den harten Zeiten vom Zeedijk hinter de Centraalstation deutschen Junkienutten auf die Spur geholfen hat, damit sich das Drama von Christiane F. auf dem Strich nicht live wiederholt.
Karling hat ein Helfersyndrom, ganz klar.
Er nährt Menschen mit seinem Laden Bürger für Bürger, arme Menschen kriegen eine Tüte Gemüse.
Und dann die Straßenambulanz, die Karling erfunden hat.
Ein RTW fährt raus wo’s hart ist im Sumpf des urbanen Lebens. Obdachlose haben Nietnägel, Furunkel am Damm, Blut und Eiter fließen in höchster Not. Ich kenn’ einen Arzt, der da mitmacht, normal voll Krankenhaus, aber der hat Kriegserfahrung. Bosnische Kriege.
Karling sitzt rum, auffem Podium, raucht nervös. 15 Leute sind gekommen, ein Baby von der NRZ, der Rodenbücher und Icke sind Media.
Dann hebt der Karling seinen Gesang an: Bürger für Bürger, wir müssen alle den Arsch hoch kriegen, Machen ist König.
Ich würd’ den Rolf schon deswegen wählen, weil der so von den guten Dingen beseelt ist.
Soweit meine Hymne.
Ich kenn den Konsum (und die Grundschule) auch noch aus der Zeit, als es in der kleinen Anlieferungstrasse immer nach saurer, verschütterter Milch roch. „Machen ist König“ ist da schon lange nicht mehr, in der alten Stahlarbeitersiedlung, die in den 70ern ein Bild dafür war, dass auch Arbeiter Anschluss an die Mittelschicht hatten. Heute ist es eine langsam verfallende Gegend, in der Rentner das Bild bestimmen. Ich bewundere das Engagement dem sozialen Niedergang etwas entgegenzusetzen, aber gleichzeitig ist die Existenz und der Bedarf für „Bürger für Bürger“ ein Beleg des Niedergangs. Was hat das mit Ketchup zu tun? Ist beides wichtig, aber beides mit wenig Aussicht auf Erfolg versehen.
Hier ist ein dokumentarisches Vid über die Konsumsause – ganz anderer Ansatz, von xn:
https://www.xtranews.de/2011/11/11/video-rolf-karling-und-konni-hendrix-gruenden-duisburger-buergerinitiative/
Was sagt die Gruppe zur Lage?
https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/west/ketchup-spritzer-gruendete-buergerinitiative-statt-partei-id6064133.html
Karling hilft sehr vielen Menschen, das muss man anerkennen. Derjenige, der ständig im Internet über ihn herzieht ( ich denke, wir wissen alle, wen ich meine ), sollte das erstmal nachmachen!