Die der Linkspartei nahe stehende Rosa-Luxemburg-Stiftung verhinderte den Auftritt unseres Gastautors Jan Feddersen bei den Geraer Gesprächen. Die Begründung ist für ihn ein Dokument intellektueller Faulheit.
Vor einem dreiviertel Jahr erschien unser Buch „Kampf der Identitäten“ im Chr. Links-Verlag. Was mein Kollege und Freund Philipp Gessler und ich als unsere Generalthese formuliert hatten, gilt nach wie vor: „Für eine Rückbesinnung auf linke Ideale“. Über die seit Erscheinen erfolgte Resonanz hatten wir nicht zu meckern: viel Lob im Allgemeinen, vor allem aber prima Reaktionen durch Leser und Leserinnen. Lesungen jenseits der Berliner Bubble hatten wir auch. Immer waren die Debatten mit dem Publikum interessant, nachdenklich stimmend – und für uns anregend.
Im September stand eine weitere Lesung an, und zwar in Gera, einer Stadt in Thüringen. Auf Einladung der „Geraer Gespräche“ war ich für den September eingeladen, um über unsere Thesen zu sprechen. Besonders gefreut hatte mich die Anfrage auch deshalb, weil der Ort, eben Gera, nichtuniversitär geprägt ist – und weil ich die Thüringer Linkspartei ziemlich beeindruckend finde, nicht nur aus personenkultigen Gründen, etwa wegen Susanne Hennig-Wellsow, Bodo Ramelow oder Benjamin-Immanuell Hoff, der im Übrigen vor einigen Wochen in einem Strategiepapier zur Lage seiner Partei dafür plädierte, das hauptstädtische Gewusel um Wokeness und die politisch-sprachliche Ultrakorrektheit nicht bis in die letzte Gegend, in der die Linkspartei noch Rang hat, überzustülpen. Schließlich ist die Linkspartei in diesem Bundesland führend – und das konnte ihr nur gelingen, weil sie eine populäre, nicht nur sektensprachlich gestrickte Politik dort ins Werk zu setzen weiß.
Kurzum: Es war eine Ehre, zu den „Geraer Gesprächen“ eingeladen zu werden. Also: Große Vorfreude auf einen Abend. Mit dem Einladenden Mann aus Gera war alles abgesprochen, Vortrag per Powerpoint – mit anschließender, nötigenfalls stundenlanger Fragerunde, bis auch die letzte Frage geklärt sein würde. Ein Ausflug in eine Stadt, in der die Linkspartei eine politisch gewichtige Rolle spielt, bis zur Geburt des Rechtspopulismus der AfD sogar die stärkste: Was hätte eine sympathischere Reise sein können?
Aus der wird nun aber nix. Von Anfang an wurde mir signalisiert, dass das Programm nun verabredet sei, es werde interessant und lebendig, aber noch von der geldgebenden Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Think Tank der Partei, akzeptiert werden müsse – es fehlte also noch das Okay von den Obigen. Ende vorige Woche erreichte mich eine Mail der potentiellen Gastgeber, die mir mitteilten, für unsere Lesung seien keine Mittel freigegeben worden. Das war keine schöne Nachricht, aber sei’s drum: Gera wäre ja deshalb kein Unort geworden. Ich mailte fragend zurück, ob es eine nähere Begründung gebe, damit rechnend, dass man diese leider nicht wisse.
Doch es kam eine Begründung, und zwar von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringens selbst. In dieser Mail heißt es (alle Tippfehler hier beibehaltend):
„Der Vorstand der RLS Thüringen hat entschieden, dass er sich einen Veranstaltung zur kritischen Betrachtung der Identitätspolitik sehr gut vorstellen kann – allerdings nicht mit Ihnen. Dies haben wir dem Geraer Gespräch mitgeteilt und Alternativvorschläge gemacht. Zur Basis unser Entscheidungen haben wir persönliche Erfahrungen mit von ihnen moderierten Veranstaltungen in Thüringen, die wie etwa vor der Landtagswahl 2019 eher eine Sympathie für konservatives Gedankengut erkennen ließen, sowie zum Inhalt u.a. dieses Interview zum Buch beim WDR: Weitere Recherchen haben Vorstandsmitglieder für sich betrieben.
Wir haben uns mit der Veranstaltung intensiver als sonst beschäftigt, da in der Kritik der Identitätspolitik verschiedene Varianten vorliegen. Nicht alle davon passen zu unserem Bildungsauftrag eine „demokratisch-sozialistische Grundströmung in Deutschland, Europa und international zu stärken“ (Das politische Selbstverständnis der Stiftung und ihre Funktionen, Mai 2018). Grundsätzlich entscheidet unser ehrenamtlicher Vorstand mehrheitlich, was er fördern will. Gebunden sind wir dabei nur an die formalen Vorgaben des Landes und des Bundesinnenministeriums. Uns war aber wichtig die Kritik an Identitätspolitik im Sinne des Bildungsauftrags aufzusetzen und nicht Kulturkämpfe um vermeintliche Sprechverbote zu befördern. Nach der Auseinandersetzung mit ihren Beiträgen konnten wir weder den von uns gewünschten solidarischen Diskussionsstil noch eine emanzipatorische Kritik an Identitätspolitik erkennen, die die Auseinandersetzung nicht als Kampf um gewohnte Sprechweisen und Rituale aufführt, sondern etwa Theorie und Praxis identitätspolitischer Ansätze mit der Frage konfrontiert, was davon zur Emanzipation beiträgt und was nicht.“
Dieses Statement ist verblüffend – weil es nichts als ein Dokument intellektueller Faulheit, Antineugierde und Falschinformation ist. Die besagte Thüringer Veranstaltung 2019 war eine der taz , die Aufzeichnung in Erfurt zu den Thüringischen Landtagswahlen, die ich mit meiner Kollegin Anna Lehmann moderierte – mit unter anderen Susanne Hennig-Wellsow und dem damaligen CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohring als Gästen. Was soll daran „konservativ“ gewesen sein – ist das ein Befund auf Basis von Hörensagen, ehrabschneiderisch, weil quasi als „rechts“ stigmatisiert, um sich moralisch in Sicheren zu fühlen?
Und woher rührt der Vorwurf, wir, also Philipp Gessler und ich, befleißigten uns nicht eines „solidarischen Diskussionsstils“? In der Tat kritisieren wir in unserem Buch wesentliche Erscheinungen dessen, was Wokeness im wirklichen Leben bedeutet – Identitätspolitik in einem Sinne, der Menschen nach Hautfarben, sexuellen Identitäten, nach Frisuren und Lebensstilen essentialisiert und sortiert, mag jeder und jede betreiben, wie er oder sie will, privat. Wir meinen allerdings, dass das den universalistischen Ansprüchen linker Politik, einer, die sich vor allem Klassenfragen zuzuwenden hat, nicht gerecht wird. Im Gegenteil. Solidarischer Diskussionsstil: Verbirgt sich hinter diesem Wunsch vor allem die Sehnsucht nach linker Kuscheligkeit? Nach Gemeinschaft im Schicksal, nicht das Begehren, etwa mal zu klären, ob das identitätspolitische Verlangen vieler junger Linker nicht die Linkspartei (etwa in Thüringen, dort geht es für sie nächstes Jahr so gut wie um alles, bei den Landtagswahlen) erheblich schwächt?
Am Ende moniert der Mann, der die Mail an mich schrieb, dass wir die Debatte „als Kampf“ verstehen: Das sei offenbar nicht vereinbar mit der Erörterung der Frage, was an Emanzipationen in identitätspolitischen Aspekten steckt: Wir hätten unser Buch offenbar mehr als streichelzooartige Revue anlegen sollen, so ist das wohl zu verstehen.
Mit anderen Worten: Das ist kein Akt von Cancel Culture, die beiden Worte sind nur eine Chiffre für eine Kampfformel, die zu nutzen niemandem nützt. Aber ein Akt verweigerten Diskurses – aus Bequemlichkeiten. Und das, nur das, ist den Rosa-Luxemburg-Stiftungsleuten in Thüringen anzulasten: Dass sie nicht verstehen, wie sehr ihre Partei sich den rauen Winden der Wirklichkeit jenseits der eigenen (Noch-)Bedeutung zu verweigern sucht. Ist das nicht echt schade?
Jan Feddersen, Redakteur der taz in Berlin seit 1996, dort als Autor tätig sowie für das taz lab und die taz Talks zuständig, ist persönlich-identitär dies & das, vor allem aber seit jeher demokratisch links.
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Zwei neugierige Kartoffeln
Die Linke ist in einem erbärmlichen Zustand und diese Linke hat einen reflektierten klugen Referenten, wie es Jan Feddersen ist, gar nicht verdient. Danke für diesen Blick hinter die Kulissen.
Birgit aus Bielefeld (die die taz noch im Abo hat, alletdings auch nur wegen solchen selten guten Autoren wie Jan!)
Na und? Die Linke ist, wie die AfD, nur ein Büttel Moskaus. Nur eine schmierige Soße aus Sozikitsch verdeckt das unappetitliche Gewese darunter.