Im Dezember schließt das Rottstr5Theater in Bochum seinen zehnteiligen Nibelungenzyklus mit der Uraufführung von Volkers Lied von Werner Streletz ab. Nach der Troja-Trilogie im vergangenen Jahr das zweite Großprojekt des Theaters. „Leuchtturmprojekte“ würde sowas die Politik nennen – tut sie aber in diesem Fall nicht, weil es nicht ihre Projekte sind. Ein Rückblick auf zwei Jahre Rottstr5Theater und zwei Jahre überragenden Erfolg ohne Geld. Von Honke Rambow und Stefan Laurin.
Als Arne Nobel im Sommer 2009 das vergammelte Gewölbe unter der Eisenbahnbrücke in Bochum mietete, wußte er nicht, wo das hinführen würde. Martin Fendrich hatte hier „Drei Schwestern“ inszeniert und wurde prompt für das Berliner Theatertreffen nominiert und zum Favoritenfestival eingeladen. Ein gutes Omen, das zählt in der abergläubischen Theaterwelt schon etwas. Die Intendanz von Elmar Goerden am Schauspielhaus, wo Nobel mit „A Tribute To Johnny Cash“ einen echten Kassenschlager inszeniert hatte, der nicht nur Goerden, sondern bis heute auch seinem Nachfolger Anselm Weber die Auslastungszahlen rettet, neigte sich dem Ende zu. Wie Arne Nobel hatten und wollten viele Ensemblemitglieder erstmal kein Folgeengagement an einem Stadttheater. Zu starr der Betrieb, zu wenig Platz für die Kunst. Theater machen, das wollten sie aber weiter. Die wahnsinnige Idee von Arne Nobel, ein neues Off-Theater in der Stadt zu eröffnen, kam da zur rechten Zeit.
Zuerst einmal lief aber nichts rund. Der Raum war für Publikum nicht zugelassen. Während im Theater
gebaut wurde, startete das Team, das nun schon aus Martin Fendrich, Arne Nobel und Hans Dreher bestand, seine Arbeit und spielte in Kneipen oder einfach auf dem Hof vor dem Theater. Als im September 2009 endlich das Theater bespielt werden konnte, waren schon zwei Teile des Troja-Zyklus fertig. Schwieriges, intellektuell anspruchsvolles Theater, das es aber über den unkonventionellen Ort und die unmittelbare Nähe zum Geschehen von Anfang an schaffte, auch Menschen zu begeistern, die in den anderen Theatern der Stadt nie zu sehen waren. „Rock‘n‘Roll-Theater“ nannte es Nobel. Weitere Mitglieder aus dem Goerden-Ensemble waren dazugestoßen. Allesamt Profis. Oliver Möller und Magdalena Helmich, Christoph Pütthoff und Dagny Dewath, Andreas Bittl und Renate Becker. Birgit Hupfeld fotografierte, Honke Rambow übernahm die Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Und die Kritik hatte das Projekt längst ins Herz geschlossen. Tenor: „Hier kann großes entstehen.“
Geld verdiente hier niemand. Das war zu diesem Zeitpunkt auch klar. Niemand hatte darum gebeten, dass ein weiteres Theater in Bochum eröffnet. Warum sollten Stadt oder Land in ein Projekt, das erst einmal das Privatvergnügen von ein paar Theaterbegeisterten war, Subventionen pumpen? Aber Kulturdezernent Michael Townsend hatte das Rottstr5Theater schon auf dem Schirm. Spätestens als in den Kritikerumfragen 2010 das Rottstr5Theater der Abräumer war. „Theater Pur“, „Theater Heute“, „Welt am Sonntag“ – überall wurde die Off-Bühne von den Kritikern erwähnt. Im wichtigsten Branchenblatt „Die deutsche Bühne“ sogar als einziges Sprechtheater im Ruhrgebiet! Schauspieler, die noch bei Goerden am Schauspielhaus spielten wurden für ihre Rollen am Rottstr5Theater geehrt.
Ab Mitte 2010 war das Rottstr5Theater eine feste kulturelle Größe in der Stadt – und weit darüber hinaus. Noch immer lebte das Haus nur von der Selbstausbeutung aller Beteiligten und den Einnahmen aus den Vorstellungen. Trotzdem kam mit den „Truffaldinos“ von Tanja Grix eine eigene Kindertheatergruppe hinzu. Nicht ein Theater, das für Kinder spielt, sondern eines, in dem Kinder für Kinder spielen. „Hotzenplotz“ – das Weihnachtsstück 2010 – zeigte, was in der Theaterfrüherziehung möglich ist, wenn sie nur mit Herzblut und Professionalität betrieben wird. Gleichzeitig wurde „young‘n‘rotten“ gegründet. Die Gruppe mit jungen Laien, die mit „Lieblingsmenschen“ von Laura de Weck eine erste Produktion vorlegten, die mühelos mit den Profiproduktionen mithalten konnte.
Das Theater hatte zu diesem Zeitpunkt längst ein treues Stammpublikum, das alle Generationen umfasst. Zu den Besuchern gehört auch Bochums SPD-Chef und Landtagsabgeordnete Thomas Eiskirch, der die Räume während der Kulturhauptstadt schon einmal für das Schulfilmfestival nutzte. Eiskirch: „Das Rottstr5Theater ist der Ankerpunkt der Freien Szene in Bochum. Es ist wichtig für die Entwicklung des gesamten Quartiers und strahlt auf das gesamte Ruhrgebiet aus. Es ist einer der spannendsten Orte der Region.“
Trotz aller Begeisterung beim Publikum und in der Politik: Die Einnahmen der Eintrittsgelder konnten aber die Kosten weiterhin nicht decken. Zehn Euro bei 65 Plätzen sind selbst bei guter Auslastung einfach zu wenig. Zumal wenigstens den Schauspielern, die auf der Bühne stehen stets eine kleine Gage als Anerkennung gezahlt wurde. Für die vielen Unermütlichen im Hintergrund blieb da nur der stille Ruhm. Das Leitungsteam bestand mittlerweile aus Hans Dreher, Arne Nobel und Oliver Paolo Thomas, der mit „Fight Club“ seine vielbeachtete erste Regie in der Rottstraße ablieferte. Finanziell stand das Theater Ende 2010 am Abgrund.
Die Stadt Bochum hatte zu diesem Zeitpunkt kein Geld, aber Kulturdezernent Michael Townsend konnte seinen Einfluss geltend machen und so sprang die Sparkassen Stiftung in die finanzielle Bresche und förderte das Nibelungenprojekt in 2011. Hinzu kamen private Förderer wie der Kemnader Kreis und ein Sponsoring der Stadtwerke, die wenigstens den Status Quo des Theaters sicherten. Für Townsend ist die Rottstr. „eine großartige Kultureinrichtung, die das Kulturgeschehen in Bochum in Windeseile außerordentlich bereichert hat. Kein Wunder; denn hier haben wir es nicht mit einem Amateurtheater, sondern mit Bühnenvollprofis zu tun, die meist durch ein Engagement am legendären Bochumer Schauspielhaus in die Stadt gekommen sind.“
Ein Aus der Rottstr5 wäre für ihn eine Katastophe: „Wenn dieses Theater aus Geldmangel aufgeben müsste, wäre das nicht nur ein kultureller Verlust für die Stadt und die Region, sondern auch eine katastrophale Entmutigung für experimentelle freie Kulturprojekte insgesamt.“
Das Team des Rottstr5Theaters gab sich jedoch mit dem Status Quo nicht zufrieden, sondern stemmte nach der Troja-Trilogie nun einen zehnteiligen Nibelungenzyklus. Ein Großprojekt, das jedem Stadttheater gut zu Gesicht gestanden hätte. Und 2011 in den Kritikerumfragen wiederum honoriert wurde. Jetzt war das Rottstr5Theater längst in der deutschen Theaterlandschaft angekommen. Als bestes freies Theater in NRW und eines der fünf wichtigsten im deutschsprachigen Raum.
Was ausblieb waren Einladungen zu den großen Festivals. Warum? Weil das Team an seiner Theaterästhetik festhält, die zur derzeitigen Linie, die im freien Theater herrscht, nicht passt. Keine Performances, keine Videobeamer, keine Laien – so das Credo der Bochumer. Die Off-Festivals werden aber durchweg von den Absolventen der Hochschulen in Gießen und Hildesheim dominiert. Eine völlig überholte Avantgarde, die längst am Publikum vorbei produziert und nur noch künstlich von Festivalkuratoren und öffentlichen Fördermitteln am Leben gehalten wird. Da passt das scheinbar traditionelle Festhalten der Rottstr5Theater-Macher an guten Schauspielern, guten Geschichten und guten Texten nicht. Und dass in Bochum ein multinationales Team arbeitet, hängten die Rottstraßler nie an die große Glocke, obwohl auch das gerne gefördert wird. „Postmigrantisches Theater“ – das wird in Berlin gemacht. In Bochum ist es völlig selbstverständlich und nicht der Rede wert. Vielleicht ein Fehler. Denn Tatsache ist, dass das Rottstr5Theater zur Zeit wieder vor dem finanziellen Nichts steht wie schon Ende 2010. Wenn nicht Stadt oder Land einspringen, wird es diese Institution, die längst bewiesen hat, dass sie weit mehr als das Hobby von ein paar Theaterverrückten ist, in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Die Stadt Bochum hat kein Geld. Aber Hoffnung ist in Sicht. Gerade hat das Land anderthalb Millionen für die freie Szene zur Verfügung gestellt. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn das beste freie Theater in NRW davon nichts abbekommt. Zumal es noch nie einen Cent aus öffentlichen Töpfen gesehen hat. Vielleicht können wir dann das Rottstr5Theater bald als „Leuchtturmprojekt“ bezeichnen – oder wir lassen es einfach und freuen uns auf noch mehr großartiges Theater in Bochum.
Honke Rambow ist Mitglied der Leitung des Rottstr5Theaters.
Ich war zwar noch nie da – es hört sich aber sehr gut an.
Off Theater in einer Stadt zu haben, gehört zu den wichtigsten Bedingungen für eine lebendige Stadt.
Das scheint bei den Politikern in Deutschland noch nicht angekommen zu sein. Standortpolitik fängt an mit dem Schaffen von Theaterräumlichkeiten. Wenn sich dann Leute finden, die das auf eigene Kappe in Gang setzen. Bochum sollte sich freuen.
@Berry: Geh hin. Es ist wirklich ein wunderbarer Ort. Ehrlich.
Das mit den Festivals ist eine wirkliche Kungelsache und führt dazu das überall grosso modo das Gleiche zu sehen ist.
Und was die ach so avantgardistischen Aufführungen anbelangt: Bei manchen dieser sogenannten Avantgarde-Aufführungen beschleicht einen das Gefühl, die guten Künstler hätten einen Katalog abarbeiten müssen. Unterfüttert bzw. aufgeladen wird das Ganze dann immer mit derzeit angesagten Philosophen à la Jean-Luc Nancy, Deleuze, Foucault geht irgendwie auch immer, …. . Zumindest im Bereich Performance.
Vieles wirkt dann nur schrecklich bemüht. Bemühte Kunst uaaah! Da gruselt es mich.
PS: Und bei der Sache mit den Laien hat man nun ja auch nicht das Rad neu erfunden. 1960er Jahre, New York, Judson Dance Theatre.
oh, das hört sich wirklich toll an, leider war ich auch noch nie da -> wohne leider nicht grad um die ecke.
Ja, nein, ich war auch noch nicht da (außer zu einem Konzert von Boris Gott, und das zählt natürlich nicht). Und ich schäm‘ mich auch, gerade wenn es jetzt spitz auf knopf steht.Deswegen eine Idee völlig aus der Ferne: Bislang scheint es keinen Förderverein o. ä. zu geben. Jedes Schauspielhaus, das auf sich hält, organisiert die eigene Lobby in einer Gesellschaft der Freunde usw. Kann ein Haus derart bürgerschaftliches Engagement an sich binden, steigen seine Überlebenschancen erheblich: Mitglied in solchen Vereinen wird gerne der, der wen wo kennt. Die Politik ist gegenüber solchen Vereinigungen, gerade wenn auch sich jemand engagiert, der wo wen kennt, um einiges aufgeschlossener als gegenüber dahergelaufenen Künstlern. Ein solcher Verein kann die erforderliche Lobbyarbeit erheblich effektiver leisten, als dies Künstlern möglich ist, die – nun ja – Kunst machen wollen, anstatt Vereine zu gründen. Sofern es in Bochum einen Rechtsanwalt und einen Steuerberater geben sollte, der dieses Projekt am Leben erhalten wil: Sie mögen nun sprechen oder (auf ewig, weil wegen schlechten Gewissens?) schweigen.
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ich war mehrfach in der Rottstr. Das war meist gut und schön. Es war auch Platz für die studentische Theaterfestival Megafon oder Inszenierungen von unbekannteren (auch lokalen) Regisseurinnen und Regisseuren. Eine schönes kleines Off-Theater wie es jede größere Stadt brauchen kann. Schön, dass ihr das supportet.
Aber mal ehrlich: Wie das hier abgefeiert wird ist echt etwas drüber. Nicht nur in diesem Artikel sondern in der ganzen Kampagne. Auf der einen Seite fordert ihr Geld für die sowas wie Rottstr. auf der anderen Seite ist das, was hier hyped die kostenlose Selbstausbeutung.
Dabei wird (aus meiner Sicht berechtigt) erstmal gegen die Schauspielhäuser gewettert die das ganze Geld der städtischen Kulturtöpfe (und mit der Symphoniker sogar noch weit drüber hinaus) abschöpfen.
Aber das kann man natürlich noch weiter treiben.. Als nächstes schnell noch etwas Öl in den Konkurrenzkampf der Off-Kultur geschüttet und behauptet alle die es „geschafft“ haben gefördert zu werden haben das nur durch arschkriechendes anbiedern an pseudo-intellektuelle Avantgarden geschafft. Das die Rottstr-Produktionen nirgendwo hin eingeladen wurden liegt nur daran, dass die noch offer sind als der Rest der Off-Theater. hmh.. genau.
Noch n bisschen anti-intellektionimus dazu (die doof klugscheißer von den Unis) und schon kann man ein „wie“, die echten, bürgernahen, realen Pottis, gegen „die“ aufmachen, die man nicht mal namentlich erwähnt.. weil es nämlich keiner der Institutionen finanziell besonders gut geht.
Dieser Konkurrenzkampf der Kulturbetriebe schadet alle und führt zu nichts!
Und ja, die Rottstr ist gut und nett, aber nicht der Nabel der Welt!
@Kurt Anti-Intellektioinismus? Kenne ich nicht das Wort. Und Konkurrenz ist durchaus belebend, wenn man sich an derselben messen kann. Und Sorry, deinen Kommentar kann man nicht verstehen, aufgeblasen durch leere Wort-Hülsen!
„Postmigrantisches Theater“ – das wird in Berlin gemacht.
Das Postmigrantische Theater wird auch an anderen Orten gemacht. Und dafür reicht es auch nicht aus „multinational“ zu sein.