Rüben, Roggen und Romantik: Die Erzählung vom bäuerlichen Familienbetrieb

Bauer beim Pflügen, wie es bis in die 1960er-Jahre üblich war Foto: Ralf Roletschek Lizenz: CC BY-SA 2.5


Seit Jahren wird im Bauerntheater das gleiche Stück aufgeführt. Die Rollen sind fest verteilt, die Texte wie immer. Seltsamerweise bemerken aber weder die Schauspieler noch das Publikum, dass sie im Theater sind. Alle halten das Bühnenstück für Realität. Von unserem Gastautor Michael Miersch.

Anlässlich der Proteste erfuhren Leser und Zuschauer in den vergangenen Wochen mehr als üblich über Ackerbau und Viehzucht. Man las und hörte, die Bauern würden von Extremisten vereinnahmt, es es ginge ihnen gar nicht so schlecht, viele seien im Grunde reiche Grundbesitzer, die Subventionskürzung der Regierung sei zu abrupt gekommen, das Landvolk fühle sich vom Städter nicht verstanden und die Landwirtschaftspolitik sei seit Jahrzehnten ein Murks. Alles richtig.

Wer sich nicht erst seit gestern für das Thema Landwirtschaft interessiert, kennt die Rituale, die Narrative und die Phrasen. Wie bei vielen gesellschaftlichen Debatten, ist das worüber nicht (oder nur selten) gesprochen und geschrieben wird, viel interessanter. Im Diskurs über Landwirtschaft gibt es drei große Erzählungen, die von allen Beteiligten geglaubt und regelrecht beschworen werden – jedoch an der Realität vorbeigehen. Sie werden von politischen Parteien verbreitet, von den Verbrauchern gern gehört, von Aldi in Reklame verpackt und vom Bauernverband mitgetragen. Es sind romantische Erzählungen, die die Vergangenheit beschönigen und die Vorteile moderner Landwirtschaft unterschlagen.

Die Erzählung vom bäuerlichen Familienbetrieb

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitete etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Heute sind es knapp zwei Prozent. 1950 ernährte ein Landwirt zehn Menschen, heute 145. Ist dieser Strukturwandel schlecht? Stirbt da eine Kultur aus, nach der sich viele zurücksehnen? Die Menschen, die das bäuerliche Leben erstrebenswert finden, sind zumeist keine Bauern und kennen nicht einmal einen. In der Realität wollen nur sehr wenige einen Job mit wenig Freizeit, kaum Urlaub und trotz vieler technischer Erleichterungen immer noch anstrengender körperlicher Arbeit. 40 Prozent der deutschen Landwirte sind über 55 Jahre alt und bei vielen wollen die Kinder den Hof nicht übernehmen. Die wachsenden und erfolgreichen Großbetriebe setzen auf Technik und Effizienz und auf Eigentumsformen wie GmbH oder Genossenschaft, die nicht mehr familiär gebunden sind.

Dies wissend singen sowohl der Bauernverband als auch alle Parteien von der AfD bis zu den Grünen (besonders laut singt die CSU) das Lied vom bäuerlichen Familienbetrieb, der unbedingt erhalten werden soll. Für wen? Warum verbrennt man seit Jahrzehnten Steuergeld, indem man eine Wirtschaftsform unterstützt, die dennoch immer weiter schrumpft und in der immer weniger Menschen arbeiten wollen?

Beim Steinkohlebergbau gab es diese Subventionskultur einst auch. Insbesondere die Gewerkschaften malten das Bild der Jahrhunderte alten Kohlekultur, die ja auch tatsächlich existierte. Doch die Realität der Arbeit untertage bestand nicht aus Bergmannsliedern und Taubenzucht. Die Energiewende bereitete der Kumpelromantik ein Ende. Wenige sagen heute noch, dass der traditionsreiche deutsche Kohleberbau um jeden Preis konserviert werden müsse. Warum soll solches Umdenken in der Landwirtschaft unmöglich sein? Die Großbetriebe Ost- und Norddeutschlands haben die süddeutschen Klein- und Mittelbauern längst abgehängt. Da der Bauernverband alle Landwirte vertritt, wird das Thema selten angesprochen. Es ist, als ob die selbständigen Handwerker zusammen mit Bayer und VW im Bundesverband der Deutschen Industrie organisiert wären. Von gemeinsamen Interessen kann kaum die Rede sein.

Die Erzählung, moderne Produktionsweisen seien schlechter für das Tierwohl und die Natur

Diese Erzählung hört man häufig von Menschen, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben. Insbesondere die Meinungsbildner in Medien und Kulturbetrieb neigen dazu die Landwirtschaft von gestern zu romantisieren. Landwirte wissen es besser.  Beispiel Tierwohl: In Museumsdörfern kann man sich ansehen, wie Tiere früher gehalten wurden. Milchkühe standen oftmals lebenslang angekettet in dunklen Ställen. Die Schweinekoben waren zuweilen kaum größer als das Schwein selbst. Die Vorstellung vom romantischen Bauernhof, der einem Streichelzoo ähnelt, stammt aus Kinderbüchern, nicht aus der Realität vergangener Tage.

Die schlechte Behandlung von Tieren begann nicht mit der Industrialisierung und Rationalisierung des Agrarsektors. Daher sollte man die Verbesserung des Tierwohls nach vorne denken und nicht rückwärts. Schon heute sind luftige Laufställe für Milchkühe deutlich tierfreundlicher als die Anbindehaltung der Vergangenheit.

Der Hauptgrund für die Errichtung qualvoller Fabrikställe seit den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts, war das Einsparen von Lohnkosten. Tierhaltung ist arbeitsintensiv. Heute kann computergesteuerte Technik für Fütterung, Stallreinigung und Melken die Handarbeit ersetzen. Es ist dadurch einfacher geworden, bessere Haltungsbedingungen zu schaffen. Dennoch hat sich das irreführende Schlagwort „Massentierhaltung“ durchgesetzt. Tiere können jedoch in geringer Zahl qualvoll gehalten werden und umgekehrt tierschutzgerecht im Großbetrieb. Die Masse sagt nichts über die Qualität der Unterbringung aus.

Im Pflanzenbau ist der technische Fortschritt dem Naturschutz förderlich. GPS-gesteuerte Düngung und Pestizideinsatz nach den Kriterien des Integrierten Landbaus verringern die Belastung der Böden und verhindern übermäßigen Gifteinsatz. Großbetriebe können es sich leisten auf ein paar Hektar Anbaufläche zu verzichten und dafür Bäume, Hecken, Tümpel und blühende Randstreifen zwischen den Feldern bestehen zu lassen. Kleinbetriebe dagegen sind manchmal darauf angewiesen, jeden Quadratmeter zu bearbeiten. Wer mit der Bahn von Bayern an die Ostsee fährt, kann sich selbst davon überzeugen, dass Landwirtschaft im großen Stil nicht automatisch mit ausgeräumten Landschaften einhergehen muss und umgekehrt.

Eine der erfolgreichsten agrarpolitischen Maßnahmen im Sinne des Naturschutzes war die Flächenstilllegung der 1990er-Jahre. Sie wurde nicht als Naturschutzmaßnahme eingeführt, sondern um die Überproduktion zu drosseln. Doch der Kollateralnutzen für die Natur war immens. Es ist nachgewiesen, dass Brachflächen vielen Tierarten das Überleben in Agrarlandschaften ermöglichen. Als ab 2008 die Stilllegung von Flächen nicht mehr gesetzlich verpflichtend war, halbierte sich der Anteil der Brachen innerhalb eines Jahres. Auch hier gilt: Für Großbetriebe ist es ökonomisch leichter verkraftbar, ein paar Hektar stillzulegen.

Ein Fortschritt im Sinne des Naturschutzes wäre auch die in Deutschland so verteufelte Pflanzengentechnik. Wenn Getreide, Mais oder Kartoffeln durch gentechnische Veränderungen robuster werden und sich selbst gegen Schadinsekten oder Pilzbefall wehren können, kann der Landwirt den Einsatz von Pflanzenschutzmittel reduzieren oder sogar ganz einsparen: Gut für die vielen harmlosen Insekten, die beim Giftspritzen mit vernichtet werden.

Die Erzählung vom Biolandbau als Zukunftsmodell

Bio ist die bessere Landwirtschaft. Das ist Konsens in Deutschland. Alle Parteien sind dafür, den Biolandbau besonders üppig zu subventionieren. Die derzeitige Bundesregierung finanziert Werbung für Bio. Doch obwohl seit Jahrzehnten Politik und Massenmedien Bio anpreisen, liegt Anteil dieser Produkte am Lebensmittelgesamtkonsum bei sieben Prozent. Etwas mehr als 14 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe produzieren nach Biorichtlinien. Sie tun dies auf gut elf Prozent der deutschen Agrarfläche. Die Meinungsführerschaft im Agrardiskurs liegt jedoch eindeutig bei Bio. Auch viele derer, die nie oder nur selten Biolebensmittel kaufen, meinen es sei etwas Besseres. Bio sei gesünder, Bio sei lieb zu Tieren und schütze die Natur, Bio sei die Zukunft. Das glauben vermutlich die meisten Deutschen und mit Sicherheit die meisten Medien- und Kulturschaffenden.

Wer etwas genauer hinschaut, sieht, dass Bio nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile besitzt. Letztere sind aber nur äußerst selten ein öffentliches Thema. Einer der Vorteile liegt in der Tierhaltung. Seit die Bio-Verbände das Thema Tierwohl in ihre Richtlinien aufgenommen haben, werden Rinder, Schweine und Hühner in der Regel auf ihren Betrieben besser gehalten als auf den meisten konventionellen Höfen (bei Schafen ist der Unterschied gering). Insbesondere die Weidehaltung von Rindern, die in der Bio-Landwirtschaft häufiger praktiziert wird, ist das Beste für die Artenvielfalt.

Die verbreitete Annahme, dass Biobauern nicht gegen Schädlinge spritzen, ist dagegen ein Irrglauben. Der Unterschied zum konventionellen Kollegen besteht lediglich darin, dass es Gifte sein müssen, die auch in der Natur vorkommen. Über die Giftigkeit der eingesetzten Substanzen sagt das nichts aus. Obendrein geschieht die Unkrautbekämpfung im Biolandbau häufig mit mechanischen Methoden. Das Bedeutet, der Landwirt muss immer wieder mit Maschinen die unerwünschten Pflanzen roden. Dadurch verschwinden am Boden brütende Feldvögel und andere Tiere.

Der größte Nachteil des Biolandbaus besteht im Flächenverbrauch. Jede Form der Landwirtschaft wandelt die Natur in eine Kulturlandschaft um. Fläche ist eine endliche Ressource. Je mehr der Mensch bearbeitet, desto weniger Natur. Der Mehrverbrauch der Biolandwirtschaft unterscheidet sich stark zwischen den verschiedenen Feldfrüchten vom Wein bis zum Weizen. Ungefähr liegt er bei 40 bis 50 Prozent mehr Fläche. Das heißt in der Konsequenz: Würden in Deutschland nur noch nach Biorichtlinien produziert, müssten viele Naturgebiete aufgegeben werden. Das kann nicht die Zukunft der Landwirtschaft sein. Klüger wäre es, die Vor- und Nachteile von Bio und moderner Produktionsweisen abzuwägen und das Beste aus beiden Welten zu nehmen. Leider wird dies durch die pauschale Heiligsprechung von Bio blockiert.

Übrigens gibt es bis heute keinen Beweis, dass Ernährung mit Bioprodukten gesünder ist oder lebensverlängernd wirkt. Obwohl oft versucht wurde, ihn zu erbringen. Seltsamerweise geriet es in Vergessenheit, dass die größte Lebensmittelkatastrophe der Bundesrepublik nicht durch industrielles Junkfood ausgelöst wurde, sondern durch Bio-Salatsprossen. 2011 starben daran 53 Menschen, Hunderte mussten intensivmedizinisch behandelt werden, viele erlitten dauerhafte Organschäden.

Und wie weiter?

Alle drei Erzählungen schaden einem vernünftigen gesellschaftlichen Diskurs um die Zukunft der Landwirtschaft. Die Romantisierung des bäuerlichen Familienbetriebs, die Ressentiments gegen moderne Agrartechnik, Pflanzenschutz und Gentechnik und die Idealisierung der Biolandwirtschaft führen zu Scheindebatten und Unverständnis für die Situation der Landwirte. Aber für wen würde es sich lohnen, sich ehrlich zu machen? Profitable Großbetriebe brauchen die Kleinbetriebe, um gemeinsam mit ihnen die schlechte wirtschaftliche Lage zu beklagen und den Fluss der Subventionen am Laufen zu halten. Die Konsumenten lieben das Märchen vom Bio-Streichelzoo und Aldi und Co. verkauft es ihnen. Ein Politiker, der den bäuerlichen Familienbetrieb nicht schützen wollte, würde als herzloser Neoliberaler dastehen. Also weiter wie gehabt. Die nächste Vorstellung im Bauerntheater kommt bestimmt.

Der Text erschien bereits auf dem Blog von Michael Miersch

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Thomas Mielke
Thomas Mielke
10 Monate zuvor

Auf jeden Fall stimme ich dem Text zu. Bei Bio war ich ein wenig gepiesackt, da ich selbst zu 100% Bio einkaufe. Es ist allerdings richtig, dass Bio

  • nicht per se das größer Tierwohl bietet (wenn auch vorgeschrieben)
  • nicht per se klimaneutraler arbeitet
  • nicht saisonal ist
  • nicht regional ist
  • nicht (nur) aus glücklichen Familienbetrieben besteht
  • und nicht per se den besseren Umweltschutz auf den bewirtschafteten Flächen betreibt.

Zudem gibt es viel esoterischen Humbug rund um Bio.
Insofern muss sich Bio, das programmatisch irgendwo in den 70ern, 80ern hängengeblieben ist, nun deutlich weiterentwickeln, vielleicht auch neu erfinden (Stichwort Gentechnik). Oder einfach: Bio muss wissenschaftlich evident werden.

vormals SvG
vormals SvG
10 Monate zuvor

In der ganzen Diskussion, in der ich die Ansichten des Autors teile, bleibt der wichtigste Teilnehmer zur stummen Teilnahme verdammt: Der Verbraucher. Habe mal den schönen Ausspruch eines Meinungsforschers gehört: Der deutsche Verbraucher ist sozial, umweltbewußt und fair; zumindest bis es zur Kasse geht (sinngemäß).
Solange es den EU-weiten Handel von Lebensmitteln gibt, können Politik, Landwirte, Umweltschutzkonzerne, Esos und die Anhänger der mittelalterlichen Landwirtschaft machen was sie wollen: Entscheidend ist das Verhalten des Kunden an der Kasse. Oder anders ausgedrückt: Der Markt entscheidet. Das können sich zwar viele in Deutschland gar nicht mehr vorstellen, bleibt aber eine der Grundwahrheiten der Wirtschaft.Und ich frage mich, wieviele Anwälte schon eine Klage gegen die Tierwohlabgabe im Auftrag eines Veganers zumindest gedanklich vorbereiten. Der Kohlepfennig läßt grüßen.

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