Die Oberbürgermeister kritisieren den neuen Slogan des Initiativkreises Ruhr – und belegen mit ihren Argumenten, warum es keinen Sinn macht, mit Lokalpolitikern über das Ruhrgebiet zu reden.
Auf einem Forum der WAZ waren sie sich alle einig: Ruhrn TeamworkCapital taugt als Slogan für das Ruhrgebiet nicht: Die OBs von Duisburg (Adolf Sauerland), Bochum (Ottilie Scholz), Essen (Wolfgang Reiniger) und Mülheim (Dagmar Mühlenlfeld) unterscheiden sich da wenig vom Rest der Bevölkerung, die der Kampagne eher kritisch gegenüber steht. Aber außer der Einigkeit in der Ablehnung kam da nicht viel: Mühlenfeld will eine Kampagne erst nach der Kulturhauptstadt 2010, Sauerland nicht nur Ruhr sondern Rhein-Ruhr (Obwohl Köln erklärt hat, dass man keine Interesse an einer Kooperation mehr hat) und Scholz und Reiniger finden den Slogan an sich eher blöd. Klar, mit der fulminanten Bochumer Kampagne "Bochum macht jung" kann so schnell nichts mithalten. Eine Idee wie es besser geht? Keine Spur. Die Ankündigung einer gemeinsamen Initiative? Fehlanzeige. Man mag ja über die Kampagne des Initiativkreises denken was man will – aber es ist wenigstens eine Kampagne – und damit mehr, als die Oberbürgermeister mit ihren Kooperationsversprechen bislang geleistet haben, denn eine eigene Revierkampagne ist nicht in Sicht. Dafür aber ganz viele kleine städtische…
ja, hast Recht, Stefan – ist wirklich ein Trauerspiel (nicht das erste heute *g*)
schön, dass alle an einem Strang ziehen – blöd nur, dass sie von verschiedenen Seiten dran ziehen.
Lieber Stefan Laurin, wie viele Kampagnen sollen es denn sein? capitalofculture, metropoleruhr, ruhrhochnteamworkcapital ? ich finde das reicht erstmal. Und da bin ich ganz froh, dass die OBs nicht noch mit einer weiteren Kampagne um die Ecke kommen (mit „Metropole und so“, ihr wisst schon).
@Dirk: Eine würde mir vollkommen reichen – die dann aber richtig. Und si sollte so aufgebaut sein, das man Ereignisse wie die Kuturhauptstadt integrieren könnte. Eine wäre wirkungsvoller und preiswerter als das Nebeneinander – aber die meisten Städte schaffen es ja noch nicht einmal im Ansatz so etwas wie ein Corporate Design zu entwickeln, so das man alle Stadttöchter grafisch erkennen kann. Im Ruhrgebiet redet man gerne von der Metropole und lebt die Provinz.
Wichtig scheint mir auch, dass es mehr ist als nur eine Kampagne. Das Programm des Initiativkreises ist das einzige, das zumindest versucht, das Ruhrgebiet auf breiterer Ebene zu entwickeln – mit langfristiger Perspektive. In den Städten und der Politik demonstriert man doch immer nur dann Einigkeit, wenn man gemeinsam einen Fördertopf abgreifen kann oder fremde „Eindringlinge“ abwehren muss. „Zuhause“ bastelt dann wieder jeder selbst an seiner kleinen Modelleisenbahn im Keller und macht „Tuuut!“
Ich frage mich ja manchmal, wer sich eigentlich bei solchen Possen hinterher am meisten ins Fäustchen lacht: die Ruhr-OBs selbst, die Regierungspräsidenten, der NRW-Ministerpräsident? Vielleicht auch der Kölner und der Düsseldorfer OB? Ich weiß es nicht. Der gemeine Ruhreinwohner jedenfalls nicht. Dem ist wahrscheinlich eher zum Heulen zumute.
Dass es viele Kräfte in NRW gibt, die gegen eine Metropole Ruhr sind, verstehe ich …
Dass die Ruhr-OB bis heute nicht begreifen, dass es keine Alternative zu einer gemeinsamen Metropole Ruhr gibt,ist mir unbegreiflich…
für Ruhr hoch n: die Metropole der unbegrenzten Möglichkeiten!
Die Versuchung ist gross, ein paar bitterböse Zeilen über unerfüllte Metropolenträume und paranoide Verschwörungstheorien zu schreiben ? aber ich lass‘ es. Es wäre nicht fair.
Stattdessen schlag‘ ich vor, dass uns die erklärten Ruhrmetropolisten einfach mal aufschreiben, von welchen Eigenschaften oder „unbegrenzten Möglichkeiten“ dieser „Metropole Ruhr“ überhaupt die Rede ist; ganz an der Sache orientiert und zur Abwechslung mal ohne verbale Verzweiflung über die bösen Verhältnisse. Nur zehn Sätze, das reicht (mehr lesen die OBs, die das mit der alternativlosen „Metropole Ruhr“ ja auch begreifen sollen, eh nicht). Geht das?
@Dirk: Es geht eigentlich nur um ganz einfache Sachen – das Wort Metropole nehme ich eh nicht in den Mund: Vernünftige Außendarstellung, Koordinierung von Investitionen, gemeinsame Ansiedlungspolitik, Einsparung durch Zusammenlegung von Ämtern, bessere Leistungen für die Bürger durch z.B. einen gemeinsamen Nahverkehr, gemeinsames Auftreten um die Interessen der Region zu vertreten und überhaupt wahr genommen zu werden, einheitliche Regionalplanung. Dann ist das hier noch immer nicht Paris oder London, aber alles wenigstens auf dem Normalzustand, erreicht einen Standard, den die Bürger für ihr Geld verlangen können. Und da wohl kaum sachliche Gründe dagegen sprechen, scheinen es politische zu sein, die so etwas verhindern. Paranoia? Nein, sehe ich nicht.
So einfach wie Stefan Laurin es schreibt, ist es tatsächlich. Ich hab auch keine unerfüllten Metropolenträume und Verschwörungstheorien. Ich glaube, ich bin einfach und ganz persönlich ein wenig resigniert über das, was hier immer wieder abgeht. Ich wohne seit einiger Zeit zu 50% aus beruflichen Gründen auch in Stuttgart – und finde es, entgegen allen Erwartungen und vielen Vorurteilen, toll dort. In Stuttgart! Trotz aller Beschaulichkeit hat man ein echtes Metropolengefühl, ganz unverkrampft und selbstbewusst, etwas, das ich eigentlich gar nicht rational herleiten möchte. Und so geht es doch vielen, wenn sie das Ruhrgebiet einmal verlassen. Es hat manchmal wirklich etwas Befreiendes hier heraus zu kommen. Und man versteht beim Blick von außen, warum das Ruhrgebiet sein Image nicht los wird. Wäre es ein Mensch, ich würde es unter Persönlichkeitsstörung einstufen oder gar als multiple Persönlichkeit.
@Dirk: das mit dem „Fäustchen“ war natürlich nur bildhaft gemeint, nicht wörtlich. Es geht um die „politischen Gründe“, von denen Stefan sprach. Und da halte ich es eher mit der Systemtheorie von Niklas Luhmann („selbstreferentielle Systeme“) und weniger mit Verschwörungstheorien…
Eines ist doch klar: entweder wir entwickeln uns Richtung „Provinz“ oder Richtung „Metropole“ (und halte Dich bitte nicht an dem Begriff auf!), dazwischen gibt es nichts…
Ein aktuelles und bezeichnendes Beispiel ist das Städteranking der FAZ auf „https://ranking.faz.net/staedte/index.php“. Da taucht das „Ruhrgebiet“ unter den verschiedenen Namen der Ruhrstädte auf, keine schafft es in das Ranking, so dass sie auf eine Unterseite mit Aschaffenburg und „Springe am Deister“ (?) landen.
Provinz oder Metropole? Das ist die Frage…
Ich bin fest davon überzeugt, dass das „Ruhrgebiet“ das Zeug hat, sich als „Metropole anderen Typs“ zu profilieren…
…und „unbegrenzte Möglichkeiten“ zu schaffen…
Wenn Du wissen willst, wie so etwas, im Wirtschaftsbereich, aussehen kann, dann kannst Du mal das Zukunftsprogramm „Metropole Ruhr“ des Initiativkreises Ruhr lesen (auf meinem Blog unter ruhrdiskurs herunterladbar). Was den kulturellen Bereich anbetrifft, so ist der Perspektivplan von Konrad A. Schilling lesenswert (ebenfalls im ruhrdiskurs).
Es wäre vermessen zu sagen, dass ein einfacher Ruhreinwohner den OBs etwas begreiflich machen müsse bzw. könne. Meiner Meinung nach müssten vielmehr umgekehrt die OBs im Detail erläutern, warum sie an den bisherigen Strukturen festhalten, obwohl, ganz sachlich, vieles dagegen spricht…dann würden wir endlich die Motive und Gründe erfahren…
@ Jens: Die Luhmann-Erklärung bringt es auf den Punkt. Der große Mann aus Oerlinghausen hat auch für den Unfug im Ruhrgebiet eine rationale Erklärung. Ich würde sogar noch etwas weiter gehen und im Luhmann-Kontext bleiben: es geht Politikern um Macht – und bei einem Zusammenwachsen des Reviers würden die OBs einen Teil der ihrigen verlieren. Das können sie nicht wollen, nur so können Sie die Diskussion wahrnehmen und entsprechend verhalten sie sich: Aus ihrer Sicht vernünftig, aus Sicht der Region fatal.
@Jens und Stefan Laurin:
Daraus folgt aber, dass nur eine Direktive „von oben“ dem Spuk ein Ende bereiten könnte. Das wird nicht passieren, weil alle oben (z.B. in der Landesregierung) mit denen unten ins Bettchen gehen.
Aufgabe der Bürger und auch der Wirtschaft ist es, parallele unabhängige Strukturen aufzubauen, die das Ruhrgebiet tatsächlich widerspiegeln. Das ist jetzt kein Aufruf zur Anarchie, sondern der Aufruf dem Beispiel des Initiativkreis zu folgen, so sehr man damit auch hadern mag. Der Weg ist richtig. Wir alle sollten unabhängig den richtigen Weg gehen und die Herr- und Frauschaften einfach sitzen lassen.
@Stefan: Dass es Ihnen in erster Linie ums Klügerregiertwerden geht, habe ich schon verstanden. Und das hat in der Tat nichts mit „Metropole“ zu tun (auch jedes Bergdorf im Sauerland will eine „vernünftige Außendarstellung“, „bessere Leistungen für die Bürger“ usw.). Aber wir wissen beide, dass es beim Regieren und Regiertwerden natürlich um Interessen, Macht, Polyrationalität und die Ästhetik des Politischen geht. Insofern sind ?politische? Gründe immer auch ?sachliche? Gründe (und u.a. dank des Herrn aus Oerlinghausen ist das auch kein Geheimnis).
Ihre Liste der ?ganz einfachen Sachen? hat also nichts Ruhrgebietsspezifisches, sondern ist ein Wunschzettel, wie ihn jeder sachkundige Bürger für jede (einigermaßen mit friedlichen Mitteln regierte) Region formulieren würde. Gibt es denn keine spezifischen Eigenschaften des Ruhrgebiets, die über den von Ihnen so ersehnten Normalzustand hinausweisen könnten?
@Matthias: Es hat eine lange Tradition, das Ruhrgebiet als ungesunde Degeneration einer ?richtigen? Stadt, mithin als ?krank? zu bezeichnen. Auch Menschen, die diese ?Krankheit? heilen wollten, hat das Ruhrgebiet schon viele gesehen; sie haben es mit Rezepten versucht, die sich zumeist an traditionellen Stadt-Vorstellungen orientieren. Wemauchimmerseidank ist das Ruhrgebiet in diesem Sinne ?unheilbar?.
Es freut mich für Sie, wenn Ihnen Ihr zweites Zuhause weniger gestört vorkommt. Aber was heißt das für unser Thema? Soll Stuttgart jetzt unser Sanatorium werden?
@Jens: Diese kategorische Entgegensetzung von ?Metropole? und ?Provinz? ist altes Denken. Das unvermittelte, oft zufällige Nebeneinander von Tanzstudio mit Weltruf und schnödem Ponyhof (von metropolitanen Partikeln und belangloser Peripherie) ist das unfreiwillig Avantgardistische dieser Region. Solche Gemengelagen (wie es die Planer nennen) produktiv zu machen (und nicht ggf. als Persönlichkeitsstörung zu denunzieren), das wäre ein paar Gedanken wert. Dafür braucht das Ruhrgebiet aber entschieden mehr wildes Denken ? wie es Levi-Strauss mal genannt hat (wo wir schon beim Namedropping sind) ? und keine brav herunterladbaren Programme des Initiativkreises Ruhrgebiet.
Und: Die OBs werden Ihnen nichts erläutern, so funktioniert Politik nicht (zumindest nicht Politik, die auf Veränderung zielt). Sie müssen denen schon sagen, was Sie wollen. Das ist auch nicht vermessen, sondern Ihr gutes Recht.
Deshalb: Ich würde schon sehr gern erfahren, was Sie ganz persönlich mit der alternativlosen „Metropole Ruhr“ meinen, denn die Leidenschaft, mit der Sie das hier vortragen, finde ich in den Programmen und Plänen, von denen Sie schreiben, nicht.
@Dirk:
Ich wollte v.a. aufzeigen, warum Menschen hier wegziehen. Und das tun verdammt viele. Natürlich zieht hier keiner weg, weil er ein Problem mit der Struktur des Ruhrgebietes hat, sondern vmtl. aus persönlichen Gründen. Aber halten tut es hier deshalb auch keinen. Das ist Standortwettbewerb in der kleinsten Einheit. Ganz konkret und nicht abstrakt. Stuttgart ist als Wohn- und Lebensstandort attraktiver (und jetzt bitte mal die rosa Brille absetzen). Und wenn man den Wettbwerb ernst nimmt, dann muss man ihn aufnehmen. Im übrigen war Stuttgart als Provinz verschrien und hat sich jetzt auf Platz zwei dieser ominösen FAZ-Liste platziert. Die Einwohnerzahlen steigen wieder.
Vielleicht ist die Persönlichkeitsstörung des Ruhrgebietes seine Besonderheit – und sie war keineswegs als Denunziation gemeint, sondern als Diagnose. Man muss aber lernen, mit ihr umzugehen – so wie Stuttgart es sehr individuell getan hat, ohne seinen Charakter aufzugeben. Die Politik hier schafft das nicht.
Ich arbeite im Destinationsmanagement. Täglich höre ich in den unattraktivsten Regionen, v.a. von Politikern, wie schön es doch „bei uns“ ist (die Wähler wollen es hören). Mag ja sein, aber eben nicht im Vergleich mit anderen. Schönheit und Attraktivität ist relativ. Der deutsche Städte- und Gemeindebund hat neulich ein Papier zum Destinationsmanagement veröffentlicht, in der der Politik geraten wird, ihre Einflussnahme auf ein Minimum zu reduzieren, um fach- und marktgerechte Entscheidungen im touristischen Wettbewerb zu ermöglichen. Das gilt auch für den Standortwettbewerb insgesamt – für alle Zielgruppen. Deshalb unterstütze ich die Initiative des Initiativkreises (auch wenn ich selbst ein Problem mit dem Slogan habe).
@Dirk: Was das Ruhrgebiet von anderen Städten unterscheidet ? und ja, im Kern will ich so etwas wie eine Stadt, und alles andere sind für mich nur Zwischenschritte ? ist, dass das ?städtische? Bewusstsein hier relativ jung ist. Seine Träger wurden vor allem an den Hochschulen der Region sozialisiert, haben, im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern, die Region als Ganzes erfahren ? als Lebens-, Arbeits- und Kulturraum. Ich könnte das jetzt biografisch belegen, und wenn Sie es wollen, werde ich es nachholen. Und so ist der Konflikt auch ein Konflikt entlang einer Altersgrenze: Ruhrgebietsbewusstsein ist über 50/55 selten anzutreffen, darunter meiner Ansicht nach der Mainstream. Diese Gruppe, Kohorte oder wie immer man es nennen will, hat Mitte der 90er Jahre eine Diskussion begonnen, die mal intensiver und mal weniger intensiv geführt wurde, meistens allerdings defensiven Charakter hatte: Das Ruhrgebiet galt es als politischen Raum zu erhalten und vor seiner endgültigen Zerstörung zu bewahren, nur selten ? die Ruhrstadtdiskussion ? wurde der Diskurs offensiv geführt. Auf jeden Fall ist sie öffentlicher als in früheren Jahren ? da war sie ein extremes Minderheitenthema.
Das macht es nicht leichter, aber spannend, denn wenn wir die Langemeyers in allen Parteien stoppen können, ergibt sich erst die Möglichkeit einer Diskussion, wo wir hin wollen. Meiner Ansicht nach muss sich das Ruhrgebiet aus der subventionierten Unmündigkeit befreien. Hier fließt zu viel öffentliches Geld hinein und ist zu wenig Eigeninitiative. Das muss sich ändern. Wir brauchen viel weniger Verwaltungen und Regeln, und wenn wir jemals wieder nach vorne kommen wollen ? und das Ruhrgebiet wird sein Selbstbewusstsein nur über die erneute wirtschaftliche Stärke wieder bekommen ? brauchen wir hier zwar eine grobe regionale Planung, vor allem aber Räume der Möglichkeiten. Ich will in den alten Industriebauten nicht nur Museen, ich will da Autoschrauber, Lofts, Ingenieure mit verrückten Ideen, Maler, Undergroundkonzerte etc. Dieser Raum ist, wenn man Denkmalschutz beiseite lässt, vor allem billig ? warum geben wir ihn nicht an alle, die ihn wollen? Wir haben hier Platz genug, damit sich viele versuchen können. Mein Traum-Ruhrgebiet ist wild, selbstbewusst, experimentierfreudig und offen ? und soll Menschen anziehen, denen es in München, Stuttgart oder Frankfurt zu eng ist. Ich will das Ende der Besitzstandswahrer. Mit dieser Regellosigkeit ist das Revier groß geworden ? und es wird nur wieder mit Regellosigkeit groß. Eine Verwaltung heißt für mich auch weniger Verwaltung. Ich mag das Nachäffen anderer Regionen nicht, dieses ?so sein wollen wie?. Lassen wir doch einfach mal der Sache ihren Lauf, sagen wir doch einfach laut: Wir haben hier eine Menge Platz, hier ist es billig, und wer eine Idee hat, ist willkommen ? ob als Unternehmer oder Künstler oder Wissenschaftler. Und dann werden Teile des Reviers Probleme bekommen, andere blühen und einige beliebig sein ? aber das Mittelmaß, das hier der Maßstab für alles ist, wird dann hoffentlich zurück gehen. Ich will auch nicht Vorbild für irgendwas sein, ich will einfach, dass wir unseren eigenen Weg in die Zukunft finden und klar ist: Alles, was bis jetzt gemacht wurde, war das reine Abfedern des Untergangs und nicht der Aufbruch in etwas Neues.
als einer, der das Konzept von Grey in der Auswahlphase befürwortet und weiter energisch befürworten wird, möchte ich ein paar Sätze verlieren. Auch wenn mich die Wucht der Kritik und die Unfairness vieler (Kommunal-)Politiker erstaunt – aber nicht verunsichert – hat, eines ist doch nicht von der Hand zu weisen: Es war notwendig, das Fass Kampagne zehn Jahre nach „Der Pott kocht“ und zwanzig Jahre nach „Ein starkes Stück Deutschland“ aufzumachen. Das Schrumpfen der Bevölkerung, deren Überalterung und die fehlenden „High Potentials“ in der Region haben die Unternehmen des IR dazu veranlasst, sich für ein Place Branding Konzept zu entscheiden, das ausdrücklich nicht auf eine Wirkung nach innen zielt. Es ist viel mehr als ein Slogan und ein Logo. Es ist ein erstklassiges Dachmarkenkonzept, das vieles Bestehendes integrieren kann. Das Konzept ist mutig, weil man die Kräfte auf die relevanten Zielgruppe konzentriert und nicht auf das heimelige Wohlgefallen vor Ort.
Die Maßnahmen für die Kampagne beginnen erst im Spätsommer, aber Dank des öffentlichen Aufschreis hat „Ruhr hoch n“ vermutlich schon einen Bekantheitsgrad von dem man im Vorfeld nur träumen konnte. Es wir sicher irgendwann „Ruhr hoch Schule“ oder „Ruhr hoch Kicker“ geben. Das N ist ein Platzhalter für Zahlen, Buchstaben und lässt Raum indviduelle Kreativität.
Noch was zum Absender: Die großen Unternehmen und ihre Spitzenkräfte haben Courage bewiesen und sind mit einem streitbaren Konzept vorwegmarschiert. Also gerade die Menschen, die so häufig kritisiert werden, sie würden nix für die Region und nur etwas für ihre Shareholder tun. In diesem Fall sind unternehmerisches Interesse und regionale Entwicklung kompatibel: Die Persönlichen Mitglieder des IRs sind global orientierte Unternehmer, die wissen, wie schwierig es ist,junge Führungskräfte nach Essen oder Dortmund zu holen, wenn die Alternativen London oder Singapur heißen. Diesen „Young Professionals“ gefällt „TeamworkCapital“ übrigens. Grey hat sie in u. a. Mumbai, New York und Shanghai befragt. Mit guten Ergebnissen: Da gabs (unendlich) mehr Zustimmung als zuhause. Hier hätten es die Repräsentanten der schrumpfenden Städte gern „herzlicher“, „deutsch“ und „leichter verständlich“. Damit man sich weiter unendlich wohl fühlen kann im „Metropolkonglomerat Rhein-Ruhr-Emscher“, in dem jeder herzlich willkommen ist, solange er deutsch versteht und zur Begrüßung seiner neuen Nachbarn ein herzliches „Glückauf“ schmettert!
@Stefan:
Sie beschreiben exakt die derzeitige Situation in Berlin – derzeit noch als arm, aber sexy verschrien. Aber man muss kein Prophet sein, um festzustellen: Schon bald wird sich aus diesem Potenzial an Menschen und Persönlichkeiten – jenseits des Prekariats – eine vitale Kulturwirtschaftsmetropole entwickeln. Berlin hat eine positive Zukunftsprognose (wenn es das überhaupt noch braucht). Und wieder zeigt sich, wie dynamisch sich der Standortwettbewerb entwickelt. Ohne das Ruhrgebiet als ernsthafter Mitbewerber.
@Thomas:
Sie treffen es auf den Punkt. Und dahinter steckt noch eine viel schrecklichere Erkenntnis, die an den Grundfesten des Ruhrgebiets rüttelt. Wenn man nämlich ihren Gedanken weiterspinnt, bedeutet das, dass das Ruhrgebiet seine Fähigkeit zur Integration verloren hat. Etwas, womit überall immer geworben wird. Eine latente Lebenslüge? ?High Potentials? sind nämlich auch Menschen – nicht nur Heuschrecken. Wie gut würde es dem Ruhrgebiet tun, wenn wir mehr davon hätten, ohne all die anderen zu verlieren.
@Matthias: Genau. ?Die da oben? (in Düsseldorf) haben eben auch kein Interesse an einer wirklichen Veränderung. Ich verstehe nicht, dass dort nicht begriffen wird, dass eine starke Metropole Ruhr keine Bedrohung für Düsseldorf und Köln darstellt, sondern eine wichtige integrative Rolle (wirtschaftlich wie ?kulturell?) in Gesamt-NRW einnehmen könnte.
Grundsätzlich meine ich auch, dass Wirtschaft und Bürger eine prima Koalition für die Ruhr-Sache eingehen könnten und sollten. Die Politik dabei völlig zu ignorieren, ist in der Metropole Ruhr aber kaum möglich, dafür hängen wir immer noch viel zu sehr am Tropf, sind die Abhängigkeiten schlicht zu groß?
@Stefan: zu Deinem vorletzten Kommentar: eso es…oder besser SOS?
zu Deinem letzten Kommentar: Du sprichst mir aus der Seele!
@Dirk ?metropolitane Partikel?, ?unfreiwillig Avantgardistische?, ?wildes Denken? ? ja diese Sprache gefällt mir. Zunächst muss ich Sie aber enttäuschen: Ich muss nicht überall und jedem sagen, was ich ?will?. Zumal, wenn ich mein Gegenüber gar nicht kenne. Wenn Sie schon so vehement fordern, ich müsse mein ?gutes Recht? in Anspruch nehmen, dann sage ich ?denen? meine Ansichten lieber direkt und nicht über Umwege.
?Metropole? oder ?Provinz?? ? diese Gegenüberstellung meine ich eben nicht kategorisch. Es geht nicht darum, da ?Metropole? sein zu wollen, wo wir beim besten Willen keine sind und auch nicht darum, alles Provinzielle negieren zu wollen. Vielmehr geht es mir um allgemeine Denkweisen und Verhaltensmuster sowie ?Richtungen?: entweder Stuttgart oder Aschaffenburg. Nehmen wir den Wettbewerb mit Stuttgart auf (Matthias) oder verkriechen wir uns auf das Niveau von Aschaffenburg? (nichts gegen Aschaffenburg, ich habe dort familiäre Wurzeln!)
Ihr Tanzstudio-Ponyhof-Beispiel zeigt ja ganz anschaulich, wo eine unzweifelbare Stärke unseres Großstadtdschungels besteht: in solchen Gemengelagen, wie Sie sie nennen. Bisher stecken Tanzstudio und Ponyhof in zwei getrennten Kisten, ?kategorisch? eingeordnet und gut verschlossen. Um Ihre Gemengelagen fruchtbar zu machen, müssten diese Kisten aufgebrochen werden, damit Verbindungen zwischen den ?Dingen? hergestellt werden können, damit ?neue Bilder? entstehen können, ganz im Sinne des Straussschen ?wilden Denkens?.
Stefan hat ja wesentliche Stichworte genannt: auf der einen Seite ?subventionierte Unmündigkeit? sowie ?zu wenig Eigeninitiative?, auf der anderen Seite ?Regellosigkeit?, ?Wildheit?, ?Selbstbewusstsein?, ?Experimentierfreude? und ?Offenheit?. So eine Entwicklung von der Unmündigkeit zur ?Experimentierfreude? der Metropole hinzubekommen, wäre wahrlich ein Quantensprung?
Aber es gibt hierzu eben keine Alternative! (es sei denn wir wollten uns mit dem Status Quo begnügen). Um das zu begreifen, genügt ein Blick in die Geschichte. Das ?Ruhrgebiet? ist ja in unvorstellbar kurzen 70 Jahren im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Boden gestampft worden. Der allergrößte Teil der Menschen war zugezogen, hatte also keine Wurzeln hier. Das heißt: die Metropole Ruhr ist tatsächlich relativ geschichtslos bzw. identitätslos (im Sinne eines kollektiven ?Langzeitgedächtnisses?) und mit dem Zechensterben ist außerdem der einzige Grund ihrer Daseinsberechtigung ? die Kohle ? weggebrochen. Das ist ein ziemliches Dilemma. Aber auch eine Chance sich neu zu erfinden?
Die Industriekultur ist zweifelsohne ein sehr wichtiger Meilenstein in der Transformation der Region, wir dürfen aber nicht da stehen bleiben. Denn sie legt die Metropole auf ihre 150 Jahre lange Geschichte fest. Ich möchte nicht missverstanden werden: es gilt, das ?Bergbauerbe? als ?Urgrund? der Metropole Ruhr zu bewahren und zu pflegen, doch für einen bewusstseinsbildenden zukunftsgerichteten Wandel muss mehr passieren.
Matthias hat die Metropole Ruhr mit einem Menschen verglichen und ihr eine multiple Persönlichkeit bescheinigt. Ich finde solche Vergleiche sehr spannend. Ich würde ja sagen, das ?Ruhrgebiet? ist ein Kind, das zu schnell erwachsen werden musste, deshalb psychische Störungen davongetragen hat (z.B. Lethargie, Emotionslosigkeit), und um den Erwachsenen in einem ?Selbstfindungsprozess? zu ?therapieren? müsste man eigentlich versuchen das ?Kind? in ihm wieder zu wecken?
Das ?Ruhrgebiet? ist ja als Kind zu etwas gezwungen worden war, was es so eigentlich nicht gewollt hatte. Um sich von diesen ?Traumata? zu befreien, müsste das erwachsene ?Ruhrgebiet? wieder anfangen Bauklötzchen zu spielen.
Eigentlich träume ich keinen Metropolentraum, Dirk, sondern einen Spielplatz-Traum?deswegen finde ich ja auch ?ruhr hoch n – Teamworkcapital? so wichtig?sich zusammen mit anderen immer wieder neue Spielvarianten ausdenken?nichts anderes machen kleine Kinder?
?Ruhr? nicht mehr auf ein ?Gebiet? (also fremdbestimmt) zu reduzieren sondern als Städtedschungel zu betrachten, der entdeckt werden kann, oder als Spielplatz, auf dem experimentiert werden kann (selbstbestimmt, eigeninitiativ), das ist es, was dem schwerfälligen ?Ruhrgebiet? die kindliche Freude zurückgeben und damit neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen könnte.
Politische Forderungen (siehe oben) sowie konzeptionelle Ansätze, wie die Charakterisierung und Profilierung einer ?Metropole anderen Typs? konkret aussehen kann bzw. wie Ihre Gemengelagen produktiv gemacht werden können, möchte ich an dieser Stelle nicht vom Besten geben.
Doch noch eines: die Schaffung eines Regierungsbezirks Ruhr und eines Ruhrparlaments wäre für den oben skizzierten ?Selbstfindungsprozess? ein wichtiges Signal!
P.S.
Lieber Dirk, Sie haben ja in dieser Diskussion vor allem auf Beiträge reagiert, diese kritisch kommentiert, fordernde Fragen gestellt. Vielleicht haben Sie auch ein paar Antworten?zum Beispiel könnten Sie erläutern, wie eine Politik funktioniert, ?die auf Veränderung abzielt??
@Thomas Hüser: Ihre Anmerkungen bestätigen meine Haltung zu Logo und Claim. Ich freue mich, dass sich hier mal jemand zu Wort gemeldet hat, der das Ganze schon länger verfolgt und befürwortet hat…
@Matthias: Du hast vollkommen Recht was das Verschrecken von High Potentials betrifft. Was ich an den Kommentaren in der Westen am bedenklichsten fand war nicht, dass den Leuten der Slogan oder das Logo nicht gefallen hat – über Geschmack kann man wahrlich streiten, sondern der Hass den das Wort „Capital“ ausgelöst hat. Das in einem der reichsten Länder der Welt der Kapitalismus die Inkarnation allen Bösen ist, wird vor allem im Ausland kaum nachvollziehbar sein. Ich glaube das viele im Ruhrgebiet – aber auch im Rest Deutschlands – den Schuss noch nicht gehört haben und sich keine Vorstellung vom globalen Wettbwerb und seinen Folgen machen. Der bietet Regionen die offen, schnell und innovationsbereit sind jede Mengen Chancen – wird aber alle Regionen, die sich dieser Entwicklung verschliessen schlicht ignorieren. All die BAT-versorgten Möchtegernrevoluzzer werden schlicht gar keinen Feind mehr zu sehen bekommen, gegen den sie kämpfen können. Die härteste Waffe der Globalisierung ist Ignoranz – und wir sollten uns jede Mühe geben, nicht ignoriert zu werden. Ich glaube das Florida Recht hat, wenn er weniger klassische Kulturstätten als Standortfaktoren preist, sondern Qualifikation, Technologie und ein offenes Umfeld.(Man traut sich ja kaum das Wort Kreativität in den Mund zu nehmen, weil dann hier alle gleich an Geiger und Dramaturgen denken und nicht, wie Richard Florida, vor allem an Ingenieure, Softwareentwickler und Gründer). Ich glaube dass die vor allem in Deutschland (und NRW und dem Revier, die Ostzone lasse ich mal aussen vor – aber nur das: Adenauer hatte Recht!) beliebte antikapitalistische Pose gut zum Gewinn von Wahlen ist, aber ansonsten als bestenfalls als Naivität wahrgenommen wird.
@Stefan: Ihr Traumruhrgebiet ist unter den Diskutanten offensichtlich ohne weiteres mehrheitsfähig (mich eingeschlossen); auch die ?BAT-versorgten Möchtegernrevoluzzer?, von denen Sie schreiben, würden wohl gerne in einem wilden, selbstbewussten, experimentierfreudigen und offenen Ruhrgebiet leben (zumal ihnen eh nichts passieren kann, sie haben ihre Pensionsansprüche). Wir müssen auch nicht warten, bis sich ein elaboriertes Stadt-Bewusstsein herausgebildet hat; ein paar ?Möglichkeitsräume? in den unzähligen Grenzgebieten der Ruhrgebietstädte, reichen für den Anfang: Hier könnten wir all die Regeln, die dem wilden Denken und dem nicht nur von Ihnen ersehnten Aufbruch ins Neue entgegenstehen, außer Kraft setzen, ohne dass wir dafür bereits eine einheitliche Regionalplanung für das ganze Ruhrgebiet bräuchten. Das Schöne an diesem 53-Städte-Dickicht ist ja, dass die Region zu einem großen Teil aus Grenzen und Rändern besteht, und Ränder sind jene Zonen, in denen Neues zumeist zuerst Einzug hält (gerade, wenn die Besitzstandswahrer eher in der ?Mitte? der Städte sitzen ? dort, wo auch die Rathäuser und Konzernzentralen sind). Sehr viele Ränder befinden sich bereits jetzt im Besitz des RVR; wir müssten also auch gar nicht warten, bis die ?Langemeyers in allen Parteien? gestoppt sind, um zu diskutieren, wo wir hin wollen. Der RVR muss da auch gar nicht ?planen? (oder ?entwickeln?), sondern ganz einfach ?ermöglichen?, und zwar auf seinen eigenen Flächen. Jetzt.
Und wenn wir in 2010, dem Jahr der Kulturhauptstadt, schon ein bisschen wildes Denken (und Handeln) in ein paar Möglichkeitsräumen hätten, wäre das diese Art von Größe, die es braucht, damit die Kulturhauptstadt nicht nur ein schönes Ereignis gewesen sein wird. Ob man diese Größe dann schon vom Pleitgenschen Zeppelin aus sehen können wird ? ich weiß es nicht. Häufig liefern Mikroskope aber eh die wichtigeren und spektakuläreren Bilder.
@Matthias: Sorry, diese Geschichte mit der Persönlichkeitsstörung halte ich für Unsinn. Das Ruhrgebiet ist schlicht und einfach nach einer anderen Rationalität entstanden als bspw. Städte wie Köln, Hamburg (und von mir aus auch Stuttgart und Aschaffenburg). Und all das, was Sie möglicherweise unter ?multipel? subsumieren (Pluralität statt Einheit, Hybridität statt klarer Identitäten, Brüche statt Kontinuität usw.) sind genau so schlicht und einfach die Parameter der Zweiten Moderne. Das sagen uns jedenfalls die High Potentials aus den Kulturwissenschaften. Und die halten das für absolut ?normal?; insofern ist das Ruhrgebiet nur auf eine besonders offensichtliche Weise ?normal?.
@Jens: Die Sache mit den kindlichen Traumata und der Bauklötzchentherapie will ich dann mal lieber nicht kritisch kommentieren.
Im Ernst: Es hat mich einfach interessiert, ob Sie mit Ihrer ?Metropole der unbegrenzten Möglichkeiten? konkrete Eigenschaften verbinden, die das Ruhrgebiet entweder schon hat oder künftig haben sollte. Wenn Sie dieses Fragen (und meine Kommentare, die immer auch Antworten sind) als zu fordernd empfunden haben, tut mir das leid.
Ungeachtet dessen sehe ich ohnehin, dass wir hier und da in ähnliche Richtungen denken. Die Art von Veränderung, über die wir hier mit Blick auf z.B. Stefans Traumruhrgebiet reden, wird nicht ohne praktisches Handeln jenseits des Streitens für eine andere regionale Verfasstheit gehen: Um ?Möglichkeitsräume? zu schaffen, brauche ich z.B. nicht erst einen Regierungsbezirk Ruhr (Wir wissen ja auch gar nicht, wer ihn regieren wird). Den alten Fehler der alten Linken, als Vorbedingung für die Verbesserung der Welt immer erst die Machtfrage im Staat positiv entschieden haben zu wollen, bevor es dann ?losgehen? kann (ein bisschen davon sehe ich auch bei Ihnen, Stefan), muss man ja nicht wieder und wieder machen: Die ganze Energie, die in den letzten 50 Jahren in Ruhrstrukturdebatten verbrannt worden ist, hätte ich gerne etwas ökonomischer eingesetzt gesehen. Vielleicht halten wir es für erste einfach auch mal mit John Holloway: ?Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen.? Das ist womöglich auf den ersten Blick nicht gerade sexy und auch kein klarer und übersichtlicher Heilsplan, aber ein wunderbarer Trampelpfad durch den alten Städtedschungel ins neue Ruhrgebiet.
@Dirk: Ich bin dafür, morgen alle Strukturdebatten zu beenden. Ich habe seit Jahren keine Lust mehr auf Strukturdebatten. Ich finde sie öde. Eigentlich müssten wir über Perspektiven reden, offensiv diskutieren – aber so lange die Kirchturmspolitiker am Werk sind geht es nicht ohne Strukturdebatten. Es geht nicht ohne Verbindlichkeit. Es geht nicht nur über die freiwiklige Zusammenarbeit der Städte. Das zeigt doch exemplarisch Ruhr-2030, das Lieblingsprojekt der Kirchtürmler: Ein wenig plaudern, alle Projekte in einen Topf, ab und zu ein Wohlfühltreffen, gegenseitiges Schulterklopfen und dann zum betteln nach Düsseldorf, Berlin oder Brüssel. Ein Problem des Ruhrgebiets ist doch, dass hier zu viele Instanzen an zu vielen Stellen werkeln und planen. Der Vorteil einer gemeinsamen Struktur wäre doch die Reduzierung von Verwaltung und Planung auf das Nötigste. Ich will hier nur einfache, übersichtliche, verbindliche und arbeitsfähige Strukturen. Dafür zahle ich Steuern. Ich will endlich eine vernünftige Leistung für mein Geld.
Wozu Unverbindlichkeit führt sieht man doch an dem was aus Ruhr 2030 geworden ist. Ich fand bei Konzept-Ruhr ein nettes Projekt für die Trabrennbahn in Recklinghausen und rief beim dortigen Dezernenten an und wollte mehr über die Pläne wissen und darüber schreiben. Der gute Mann war ganz erschrocken, dass ich das Projekt überhaupt kannte und erklärte mir, man hätte da schnell etwas zusammen geschrieben, es gäbe gar keine weiteren Pläne oder Ideen und wenn Geld aus Düsseldorf käme, würde man weiter schauen. Ich hätte gerne weniger Planer wie den guten Mann in Recklinghausen und dafür ein paar Vernünftige, die sich auf wenige, gute und realistische Projekte konzentrieren. Und ich hätte gerne ein Konzentration auf das, was man im Ruhrgebiet wirklich braucht, und das ist keine Debatte über die Perspektiven der Industriekultur oder in welchen Fördertopf man gerade greifen kann (Medien? Kreativwirtschaft? Tourismus?) sondern eine Analyse über unsere Defizite: Das Bildungsniveau ist schlecht, wir können nicht mithalten. Immer mehr Leistungsträger verlassen die Region. Wir brauchen bessere Schulen, dazu unbedingt ein paar internationale Schulen, wir brauchen Geld für die Universitäten. David sagte mir mal vor ein paar Jahren, dass wir jeden Cent in die Bildung stecken sollten. Ich hielt das damals für übertrieben, sehe es aber heute genau so. Neue Konzerthäuser können wir bauen, wenn Leute aus Bayern sich bei ihrer Landesregierung beschweren, warum Schulen in Augsburg schlechter sind als in Gelsenkirchen. Bildung, (Inklusive Tagesbetreuung etc.) ist der Schlüssel zur Zukunft dieser Region. Eine gute Bildungslandschaft, exzellente Kinderbetreuung in der Breite, gute Schulen schaffen die Mitarbeiter, die Unternehmen brauchen, schaffen Menschen mit Ideen, die wir hier brauchen und sorgen dafür, dass auch die Leistungsträger in der Region bleiben, ja sogar welche hier hin ziehen und sind er einzige Weg zur Integration und zur Schaffung von Aufstiegschancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten.
@Dirk:
Das ist ja nun exzellente Haarspalterei. Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir da weit auseinander liegen – gerade, was die Persönlichkeitsstörung bzw. die „besondere Normalität“ angeht. Wir bezeichnen das Gleiche nur mit unterschiedlichem Vokabular. Sie haben recht: Für das Ruhrgebiet mag das „besonders normal“ sein. Fakt ist aber: Die Diagnose reicht eben nicht – auch nicht, wenn Sie von Kulturwissenschaftlern bestätigt wird und in unzähligen Konzepten zu Möglichkeitsräumen und sonstigem Trallala niedergelegt ist.
Es muss gehandelt werden. Es gibt hier kein Diskussions-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Derweil verliert das Ruhrgebiet verliert rasant den Anschluss. Und in einem gebe ich Ihnen vollkommen recht: Die Machtfrage stellt sich überhaupt nicht. Ich will mit niemandem mehr hier über bestehende Strukturen reden – weder links noch rechts noch sonstwo. Und es gilt, was ich oben schon geschrieben habe: Aufgabe der Bürger und auch der Wirtschaft ist es, parallele neue Initiativen aufzubauen, die das Ruhrgebiet tatsächlich widerspiegeln. Wir alle sollten unabhängig den richtigen Weg gehen und die Herren und Damen an der angeblichen Macht einfach sitzen lassen. Ich will hier einfach mein Ding machen. Und wenn es hier nicht geht, dann gehe ich woanders hin. Das ist gelebter Standortwettbewerb. Und die Unternehmen des IR werden es auch tun, wenn sie keinen Erfolg haben.
Und siehe da: Jetzt kommt der RVR und will seine Kampagnen mit denen des IR koordinieren. Wahrscheinlich nach der alten Devise: If you can’t beat them, join them. Der RVR sieht seine Besitzstände in Gefahr und versucht das Neue zu infiltrieren – mit dem Ziel das gelebte Mittelmaß zu erhalten. Möge der IR das verhüten…
@Matthias: Und das sagt alles: Die fitten Leute gehen (zumindest sehr viele), weil sie im Ruhrgebiet keine Perspektive sehen. Grandioser kann eine Region nicht scheitern. Dopheide sagte auf der Vorstellung von Ruhrn, das weltweit die Städte wachsen – nur im Ruhrgebiet nicht und anstatt alles zu tun, um die guten Leute zu halten und andere anzuziehen ist man dabei das Ruhrgebiet in ein Altenheim zu verwandeln und die Schrumpfung zu moderieren. Erbärmlich – eine Region verliebt sich in das Verlieren.
Das mit dem hier allseits so favorisierten ?wilden Ruhrgebiet? in dem in Zukunft mehr ?wild gedacht? und noch ?wilder? gehandelt werden soll, klingt zwar gut bzw. kreativ, experimentell, innovativ usw., hat aber keine reale Grundlage (mehr).
Weder eine räumliche, denn auch hier gehört (natürlich) jede(s) Fläche/Gebäude Jemandem, wobei sich dahinter jedoch gerade in Ruhr häufig ein so hochkomplexes Zuständigkeits- respektive Besitzgespinst verbirgt, das jede Spontaneität (selbst bei künstlerisch-kulturellen Projekten) in ein ätzend langes Verfahren umwandelt.
Weder eine personale, denn der Ausblutungsprozess an widerständig-kreativen Menschen mit Erfolgspotential findet in Ruhr schon seit Jahrzehnten statt und obendrein mit steigender Tendenz.
Weder eine ?klimatische?, denn es gibt schon lange kein entsprechendes und vor allem überlokales (aber auch kaum ein lokales) ?Milieu? mehr, das die soziale Brut- und vor allem Pflegestätte solcher Menschen sein bzw. das die von außen zugezogenen mit offenen Armen aufnehmen und inspirieren könnte. Und wo es das noch gibt, ist es, ohne das abzuwerten, schlicht überaltert.
Noch gibt es eine ideelle Grundlage, denn ich sehe keine wirklich einflussreiche Persönlichkeit im öffentlichen und/oder privaten Bereich, die Geist, Esprit, Entschlossenheit und vor allen Zukunft in sich vereinigt und geistig vermittelt und/oder charismatisch ausstrahlt.
Das hat alles eine Menge mit den ?herrschenden Strukturen? zu tun die ein echter Kreativer in Ruhr, also einer der auch was ändern will, im wahrsten Sinne des Wortes aushalten (lernen) muss, wenn er schon nicht die Macht hat, sie (in naher Zukunft) seinen Bedürfnissen anzupassen.
Das alles mag defätistisch klingen, ist aber keineswegs so gemeint. Ich will nur sagen: Wer die oben aufgezählten Fantasien über die Zukunft von Ruhr hat, der sollte sich zu aller erst darüber im klaren sein, dass er (mal wieder) ganz von vorne anfängt. Oder um es mit den Worten eines mehr oder weniger berühmten Dichters (dessen Name mir entfallen ist) zu sagen, der auf die Frage ? Was ist der erste Schritt um seine Träume zu realisieren?? kurz und für mich sehr überzeugend antwortete: Aufwachen!
@Stefan: An der Kritikwürdigkeit dessen, was bislang unter der freiwilligen Kooperation der Ruhrgebietsstädte entstanden ist, gibt es keine Zweifel. Aber das ist kein originäres Strukturproblem: Eine einheitliche Verwaltung kann ohne weiteres genau so schwerfällig, selbstverliebt, uninspiriert und letztlich verantwortungslos operieren (um das zu wissen, muss man gar nicht im versunkenen Karl-Marx-Stadt gewesen sein, da reicht auch Paris oder London).
Das Schöne an dieser selbstbestimmten Zusammenarbeit der Ruhrgebietsstädte: Wenn sie jetzt nichts substanziell Neues hinkriegen, haben sie es ganz einfach selbst verbockt. Es gibt kein Beschweren mehr über Gängeleien und Bevormundungen von oben (bzw. nur zum Preis vollständiger Lächerlichkeit). Auch das nennt man Emanzipation. Deshalb kritisiere ich nicht die Struktur der Zusammenarbeit, sondern ihre Ergebnisse.
Noch einen Satz zur Produktivkraft ?Wissen?: alles richtig (keine Gegner weit und breit), nur das Aufrechnen Schule gegen Konzerthaus überzeugt mich nicht. Konzerthäuser sind (wie andere außerschulische Einrichtungen) unverzichtbare Orte des Lernens ? das sagen die Pädagogen, mit denen ich in verschiedenen Projekten zusammenarbeite. Lassen Sie uns das Geld, das wir für zeitgemäße Schulen brauchen, an anderer Stelle holen, zur Abwechslung mal nicht in Düsseldorf, Berlin, Brüssel, sondern z.B. mit einer im besten Sinne zügellosen, selbst organisierten Kampagne der Ruhrgebietsbevölkerung (?Jeder Cent für die Bildung! Wir legen zusammen!? o.ä.) – so etwas generiert auch das regionale Stadtbewusstsein, dass wir uns alle so gern zusammenschreiben.
Wäre das nicht eine schöne Aufgabe für die (neuen) Ruhrbarone? Sie sind Kampagnenprofis genug ? und auch die alten, mittlerweile fast alle toten Ruhrbarone haben ja nicht nur diskutiert und enthüllt.
@Matthias: Ein weiteres Haar muss noch gespalten werden, bevor nun alle wo auch immer ihr Ding machen: Die ?Parameter der zweiten Moderne? gelten auch in Köln, Hamburg, Stuttgart und Aschaffenburg; diese Art von Normalität wird nur im Ruhrgebiet besonders sichtbar, hat aber ansonsten nichts Ruhrgebietsspezifisches.
Ihr ausgeprägtes Gut-Böse-Schema (IR gut, RVR böse) ist mit ehrlich gesagt ziemlich suspekt ? aber geschenkt, Sie wollen ja keine Haare spalten, sondern Bäume ausreissen. Und eigentlich ist es auch egal, wer da wen warum infiltiert. Das ist nur ‚was für Verschwörungstheoretiker! (Matthias, Sie kennen das vielleicht: Manchmal muss eine Pointe raus, egal wie blöd sie ist; also nichts für ungut!)
@Stefan: Der Atlas der schrumpfenden Städte ist ein etwas dickeres Buch und besteht nicht nur aus Ruhrgebiet. Und ? nein, bitte nicht auch noch diese Art von Schrumpfungsdebatte! Da bin ich raus. Lassen Sie uns lieber Geld für Bildung sammeln!
@Dirk: Gerne eine Kampagne, aber nicht zur Finanzierung von Schulen: Das ist eine Pflichtaufgabe. Dafür zahlen die Leute Steuern. Gerne aber Zusammenarbeit und Freiwilligkeit bei der Gestaltung von Parks, bei der Finanzierung von Konzerthäusern, bei der Bereitstellung von Grundstücken (von denen viele ohnehin den öffentlichen Unternehmen gehören: LEG, Emschergenossenschaft, städtischen Immobilienunternehmen etc,). Ich bin sicher, das viele Mitarbeiten, wenn man Ihnen Freiräume gewährt und ihnen nur zeigt, das man ihre Arbeit schätzt. Und bei der Frage der Bildung ist es nicht so, dass ich keine „Gegner“ sehe. In jede Stadt in die ich komme sitzen die städtischen Tochterunternehmen in äußerst attraktiven Gebäuden – und die Schulen sehen aus wie der letzte Dreck. Ich habe lieber eine schlichtere Sparkassenfiliale und etwas piefiger untergebrachte Stadtwerke oder Nahverkehrsunternehmen als heruntergekommene Schulen. Ne ne, mehr als Lippenbekenntnisse gibt es da selten.
Im übrigen bin ich ein großer Freund von musikalischer Früherziehung, von Kunst- und Musikunterricht an Schulen, von Theater AGs – aber dafür braucht das Ruhrgebiet sicher nicht noch mehr Konzerthäuser etc, sondern vor allem Geld für Musiklehrer, Instrumente für Kinder, deren Eltern sich keines leisten können aber auch Proberäume für Bands etc.
Zur Zusammenarbeit: Ich glaube nicht an den Willen der OBs zur substantiellen Zusammenarbeit. Es geht mir daher auch nicht darum, ihnen irgendwann einmal zu sagen „selbst schuld“, sondern ich will, das die Arbeit, die nötig ist, gemacht wird. Das auch eine andere Organisation versagen kann ist klar, deshalb sollte man schauen gute Leute auf möglichst vielen Positionen zu haben. Mir ist auch klar, dass das oftmals heißt, auf neue Leute zurück zu greifen, Mitarbeiter zu versetzen etc.. Man muß sich nun einmal Mühe geben auf diesem Weg und nicht jeder wird ihn mitgehen können.
@Arnold: Keine reale Grundlage? Das heißt, wir könnten es genau so gut auf den Äußeren Hebriden versuchen ? was vielleicht sogar viel erfolgversprechender wäre, denn da gibt es nicht so viele ?herrschende Strukturen? ?
Sie wissen, Ihre Illusionslosigkeit schätze ich sehr und über den Mangel an Mut, Weitsicht und Fantasie im Ruhrgebiet haben wir ja schon an anderer Stelle geschrieben. Dennoch: Interessant ist es ja schon, dass ?Stefans Traumruhrgebiet? als Vision so ohne weiteres mehrheitsfähig ist, und eben nicht nur unter Ruhrgebietsbloggern. Die Kulturhauptstadtbewerbung ist in diesem Geist entstanden, auch der ?Möglichkeitsraum Ruhr? der Ruhr2030-Städte, und da waren jede Menge Menschen dabei, die dem von Stefan hier eingeführten Chefplaner aus Recklinghausen in nichts nachstanden. Aber sie wissen nicht, wie man dahin kommt (was ja noch verständlich ist), und ? was viel wichtiger und tragischer ist ? sie haben den Mut nicht. Die Angst zu scheitern (grandios oder kläglich, egal) ist genau so verbreitet wie die Sehnsucht nach Wildheit, Selbstbewusstsein, Offenheit und Experimentierfreude.
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, mit diesem Dilemma umzugehen. Die erste hiesse ?Ab auf die Hebriden!?, also das Dilemma hinter sich lassen ? das wäre dann der ?gelebte Standortwettbewerb?, von dem Matthias gerne spricht. Und das Ruhrgebiet bliebe die Metropole der Angsthasen.
Oder aber (2. Möglichkeit): die Gefahr des Scheiterns (und damit natürlich auch das Versprechen von Wildheit, Experimentierfreude etc.) erstmal räumlich und zeitlich eingrenzen. Mit anderen Worten: Wenn es schief geht, rollen keine Köpfe (sorry, war eh nur ein kurzes, kleines experiment ?); wenn es gut läuft, dürfen alle um die Wette strahlen (BLITZLICHTGEWITTER! GROSSES ZUKUNFTSLABOR!).
Mit dem Land for Free-Projekt merken wir es ja: Auch diese zweite Möglichkeit ist schon elend schwer genug, sogar wenn man mächtige Verbündete hat (aber die haben ja auch wieder mächtige Gegner).
Und wenn auch sie ? die zweite Möglichkeit ? wegfällt, sollte man sein Ticket auf die Hebriden besser schon mal in der Tasche haben ? oder umschulen auf „Illusionskünstler“.
@Dirk: Nein, es ist nicht mehrheitsfähig, denn es würde die Aufgabe von Kontrolle bedeuten. Drescher hat es doch kurz vor seinem Ende bei der MGG mit der Aktion Chance Denkmal versucht: Ein altes Zechengebäude für einen Euro, wenn man eine gute Idee hat. Er ist sofort zurück gepfiffen worden. Warum gibt man diese Gebäude (und vergleichbare im Besitz der Städte und des Landes – es gibt etliche, die kaum noch genutzt werden) nicht einfach Leuten mit Ideen. In einer der alten Industriehallen könnte ein türkische Basar entstehen, in alten Büros Ingenieurstudenten an Projekten werkeln, andere könnten Ateliers und Lofts werden, Werkstätten, Kneipen… Dieses „Abgeben und schauen was passiert“ ist alles, nur nicht Konsensfähig. Das Ruhrgebiet ist fördermittelgeleitet: Im Augenblick prügelt sich alles um die Landesmittel zum Thema Kreativwirtschaft. Da passt ja auch die Kulturhauptstadt hinein. In ein paar Jahren wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Erinnern Sie sich noch an die 90er Jahre? Medienwirtschaft? In Dortmund müßte es noch ein komplett eingerichtetes Fernsehstudio geben, das nicht mehr genutzt wird. In Bochum auch. Selbst Marl wollte damals Medienstadt werden. Ich erinnere mich noch an das Entsetzen in den Augen der Marler Bürgermeisterin als ihr Brauser erklärte, das daraus nix wird.
@Dirk:
Sie sagen: „Die ?Parameter der zweiten Moderne? gelten auch in Köln, Hamburg, Stuttgart und Aschaffenburg; diese Art von Normalität wird nur im Ruhrgebiet besonders sichtbar, hat aber ansonsten nichts Ruhrgebietsspezifisches.“ Und warum haben alle anderen in dieser ilustren Reihe Wettbewerbsfähigkeit hergestellt? Nur das Ruhrgebiet nicht? Dies ist doch gerade der Beleg für das Versagen der so genannten „Strukturen“ hier.
Zum RVR: Na ja, den kenne ich aus eigener Erfahrung. Aber der RVR ist mir persönlich als handelnde Person vollkommen egal. Die Diskussion über Institutionen und Strukturen ist mittlerweile müßig.
Auch Förderprogramme sind aus meiner Sicht nur von untergeordneter Bedeutung.
Ist die kreative Szene in Berlin so vital, weil es dort eine bessere Förderung oder einen „Möglichkeitsraum“ gibt? Wohl kaum. Die ganze Stadt lebt von den Ideen der Menschen. Ominöse Raumdefinitionen haben diese Städte nicht nötig. Niemand, der im Ruhrgebiet etwas umsetzen will, wartet auf einen abstrakten Möglichkeitsraum. Das sind lebensferne Kopfgeburten. Nein, er sucht Gleichgesinnte! Er sucht Bestätigung, er sucht Austausch, er sucht neue Ideen bei anderen. Hier wird immer in Raumkategorien und Strukturen gedacht – eine vollkommen falsche Perspektive: Dort – und auch in anderen Städten – ist ein interaktives Netzwerk aus Persönlichkeiten und „Aktivisten“ entstanden, die Dinge und Ideen umsetzen. Niemand kommt auf die Idee, dazu ins Ruhrgebiet zu ziehen. Niemand! Wir brauchen hier Menschen.
@Matthias: Hhm, wenn ich mich recht erinnere, redeten wir über „Persönlichkeitsstörung“ resp. eine „multiple Persönlichkeit“ Ruhrgebiet, nicht über Wettbewerbsfähigkeit. Es kann natürlich sein, dass Sie den Unterschied ebenfalls für Haarspalterei halten. Ich will damit auch nicht weitermachen (ansonsten würde ich Sie jetzt fragen, warum ?interaktive Netzwerke? keine Strukturen sind ? aber darauf will ich wirklich keine Antwort).
Ansonsten:
Ominöse Raumdefinitionen? Abstrakte Möglichkeitsräume? Lebensferne Kopfgeburten? Vollkommen falsche Perspektiven? ? Willkommen im Ruhrgebiet!!!
Was ich damit sagen will? Das Ruhrgebiet ist als Destination im Standortwettbewerb der hier immer wieder bemühten Vitalkreativhochprofessionellen eigentlich nur interessant, wenn es seine partielle Dissidenz, sein Anderssein, perfektioniert. Ohne brutalstmögliches ?Think different? geht das nicht.
Sie sagen, wir brauchen hier Menschen. Warum übereignen wir nicht einfach einen Teil des Ruhrgebiets der VR China oder dem indischen Staat ? und tun das, was Johannes Fiedler schon mal mit der Region Halle vorhatte? Ihr Problem wäre gelöst. Die territoriale Integrität des Ruhrgebiets ist möglicherweise eh ein Konzept von gestern. Und wie sang schon der zu seinen Lebzeiten untote Johnny Thunders: ?You can?t put your arms around a memory.?
p.s.: Hhm, ?leben? und ?untot sein? ist doch dasselbe ? nein, ist es nicht.
an alle: tolle Diskussion und einen großen Dank an die Ruhrbarone, die sie uns als ?Gastgeber? ermöglichen?
Ich glaube, ein wirklicher Wandel des ?Ruhrgebiets? wird langfristig nur gelingen, wenn wir uns auch kritisch mit den politischen Strukturen auseinandersetzen. Nicht im Sinne von allumfassender Konzepte (da haben Sie mich missverstanden, Dirk), sondern im Alltäglichen, im Kleinen, jeder in seinem (Fach-) Bereich.
Das ?Ruhrgebiet? wird über die Maßen reguliert. Das macht vieles der zweifelsohne zum Teil guten Ansätze der vergangenen Jahrzehnte kaputt. Und anderen, mutigeren Vorschlägen lässt das keine Chance.
Das heißt für mich, wer etwas ändern will und für einen wirklichen Wandel des ?Ruhrgebiets? arbeiten will, der muss auch politisch argumentieren (Dirk: Holloway trifft vor allem doch auf Räume zu, wo politische Macht weniger Einflussmöglichkeiten hat, wie in den unwegsamen Landschaften von Chiapas, was im ?Ruhrgebiet? ganz und gar nicht der Fall ist). Aber ich sehe, unsere Diskussion ist ja durchaus politisch weitergegangen, also ohne (Politik) scheint es nicht zu gehen?
Matthias: ich sehe hier, umgekehrt, ein großes Diskussions- bzw. Kommunikationsdefizit, weniger ein Umsetzungsdefizit. ?Strukturgewandelt? wird hier viel, ständig werden Entscheidungen gefällt, Programme bzw. Projekte umgesetzt, nur werden diese Dinge meist zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert bzw. kommuniziert, andererseits fehlt oft die interessierte, kritische Öffentlichkeit, die sich einmischt?
Mich beschäftigt vor allem, wie ein wirklicher Wandel (im Kleinen) entstehen kann. Ich glaube, ein großes Problem ist es, dass wir mit unseren bisherigen Programmen und Projekten oft an der Oberfläche bleiben. Wir denken zu stark in strukturpolitischen Kisten, in ?Raumkategorien? (Matthias) und sehen weniger die ?wesentlichen? Einschränkungen oder Voraussetzungen einer wirklichen Veränderung. Das erfordert aber eine tiefere Auseinandersetzung mit den Dingen?
Der grundlegende Aspekt bei der Frage nach einem wirklichen Wandel ist für mich das fehlende Selbstwertgefühl des ?Ruhrgebiets?. Jeder Psychologe wird das bestätigen: wer sich selber nicht mag, der wird sich nicht ändern können. Das ist einer der wesentlichen Probleme des ?Ruhrgebiets?: das ambivalente (oft relativ emotionslose) Verhältnis der Ruhreinwohner zu ihrer eigenen Heimat. Ich finde, Matthias hat das mit der ?multiplen Persönlichkeit? wunderbar auf den Punkt gebracht (Dirk: tun Sie diese Projektionen nicht einfach so ab, sie können helfen, die Zusammenhänge besser zu verstehen).
Und die Ursachen dieser Problematik liegen in der von tiefgreifenden Umbrüchen bzw. äußeren Zwängen gekennzeichneten Geschichte des ?Ruhrgebiets?. Der Verweis auf die ?Zweite Moderne? greift hier meines Erachtens viel zu kurz. Hier im Ruhrgebiet war (und ist) in dieser Hinsicht rein gar nichts ?normal?: Migration, Bevölkerungsexplosion, zwei Weltkriege, Wiederaufbau, Zechensterben?
Die entscheidenden Fragen sind für mich deshalb hier: wie können wir zu einer Wertschätzung von Region und Menschen finden? Wie können wir eine (positive) Beziehung zur Region entwickeln? Wie können wir eine Identität schaffen bzw. fördern? Wie können wir ?alte Erfahrungen? mit ?neuen Bildern? verbinden?
Sprache und Kommunikation spielen dabei eine ungeheuer wichtige Rolle?
Der Künstler Alfred Schmidt hatte ja die ungeheure Leistung der Bergleute mit derjenigen von Astronauten verglichen (nachzulesen auf ruhrstruktur unter ?Raumfahrt ins Innere der Erde?)?
Das ist es, was wir auf allen Ebenen bzw. in allen Bereichen brauchen: einen offenen, kreativen, spielerischen Umgang mit den Dingen, der eine Verbindung schafft zwischen Vergangenheit und Zukunft?
@Dirk:
Und auch wenn Sie es mir nicht glauben wollen: Wir denken und wollen das Gleiche, haben nur einen anderen Zugang dazu. Persönlichkeitsstörungen führen im „richtigen Leben“ irgendwie ja auch zu (vorübergehender) mangelnder Wettbewerbsfähigkeit – aber eben auch zu mehr Kreativität. Das Ruhrgebiet ist sozusagen das Raum gewordene Pendant zu Amy Winehouse in ihrem derzeitigen Zustand 😉
Brutalstmögliches „Think different? – richtig: Ich will ja auch nicht, dass wir Stuttgart oder Berlin in allem nacheifern, sondern einen eigenen Weg finden – die eigene Identität, von der Jens spricht. Aber wo sehen Sie das im Ruhrgebiet? Wird die Kulturhauptstadt einen Teil davon offenbaren können? Und was ist die Identität des Ruhrgebiets überhaupt? Hier haben wir derzeit eine akute Störung, weil niemand diese Identität oder Identitäten fassen kann. Sie entsteht aus neuen, eigenen, unabhängigen Initiativen der Bürger, der Menschen hier, von mir aus auch aus neuen Strukturen (=Netzwerken).
Aber Jens: Ich möchte ehrlich gesagt weniger über Identitäten diskutieren (obwohl wir es ja schon oft getan haben), sondern durch Handeln neue bilden. Selbstbewusstsein kann man nicht herbeireden. Ich bin da eher für eine verhaltensorientierte Therapie.
Und ich wünsche Amy Winehouse alles Gute. Die ist ja noch jung.
@Dirk Haas. Auch wenn ich ihnen in einigen Punkten zustimme, so muss ich ihnen in einem wesentlichen widersprechen. Allen ihren Argumenten fehlt eine zentrale Dimension: die Ökonomie. Natürlich ist es besser wenn 32 Verkehrsbetriebe zusammen eine perfektes Nahverkehrsnetz entwickeln anstatt das ein einziges soviel Mist baut, so das es diesem nicht gelingt. Natürlich sollte man nicht die Verbesserung der Schule bzw. ihres musikalischen Unterrichts gegen Konzerthäuser aufwiegen. Natürlich sollte man den industriegeschichtlichen Denkmalschutz nicht gegen eine Verbesserung der Immobilienwerte ausspielen. Diese Aussagen sind allerdings durch die Bank völlig banal, so lange man nicht gezwungen ist sich dem Problem begrenzter Ressourcen zu stellen. Nur unter der Bedingung unbegrenzter Mittel ist es logisch möglich, Kooperationsergebnisse unabhängig von der Kooperationsstruktur zu betrachten.
Das ist im übrigen auch eine der großen ?Lebenslügen? des Projektes Städtekooperation 2030. Hier ist man, wie bei der IBA Emscherpark , einfach bestimmten politischen Konflikten (absichtlich) aus dem Weg gegangen und hat sich unter Verwendung (enormer) öffentlicher Mittel auf das sogenannte ?Machbare? konzentriert. Politisch und strategisch lasse ich so etwas durchgehen, aber als theoretisches Konstrukt zur Begründung von mehr ?Eigensinn? beim Wandel von Ruhr ist das nichts anderes als ein Denkverbot. Bei 2030 war es sozusagen auftragsgemäß ?verboten?, über mehr als freiwillige interkommunale Kooperation überhaupt nur nachzudenken . Auf jeden Fall nicht laut.
Solche Konzepte, wie sie sie hier immer wieder propagieren, können überhaupt nur auf der Basis des Unökonomischen existieren, sprich sie setzen so gut wie unbegrenzte Mittel voraus. Die allerdings werden von ihnen nicht bei denen eingeklagt, die wirklich darüber verfügen, (Es gibt ja Menschen die in der Lage wären z.B. mit ihrem Geld ganz alleine das regionale Schulsystem zu sanieren, eine neue IBA Emscherpark zu finanzieren, noch ein paar Konzerthäuser der Spitzenklasse aufzumachen usw.) sondern beim Staat oder bei den sogenannten ?Betroffenen?. Als wenn z.B. Eltern nicht genug damit zu tun hätten, die Erziehung ihrer Kinder außerhalb der Schule mit all den ihnen verfügbaren Ressourcen zu fördern. Als wären die Ruhrkommunen nicht durch die Bank bis zum Stehkragen verschuldet.
Auf einen Satz gebracht sagen sie eigentlich immer wieder nur : Ihr könnte sowieso nichts an den Machtverhältnissen ändern, also sucht euch eine Nische, wo sie nicht existieren bzw. wo sie euch aus irgendeinem Grund machen lassen. Sie verkaufen das sehr eloquent als ?neue Politik? oder auch ?als wildes Denken und Handeln?. In Wahrheit ist es aber nur die Bohemienfassung des uralten Kleinbürgerspruchs: ?Die da oben machen sowieso was sie wollen?. Ach ja, ne sogenannte 70ger Jahre Spontifassung gab´s natürlich auch: Du hast keine Chance, also nutze sie. Solche Sätze waren schon immer als Trost für die gedacht, die den Schwanz einziehen wenn es ernst wird, sprich es auch persönlich was zu verlieren gibt, wenn man sich mit den Mächtigen anlegt. (Was nicht heißen soll, dass ich sie dazu zähle!)
Glauben sie wirklich, dass Städtekooperation 2030 in Ruhr ohne Fördergelder zu Stande gekommen wäre? Es hätte genau diese ?freiwillige? Kooperation, die sie dankenswerter Weise damit initiiert und erforscht haben, nicht gegeben. Und zwar weil sie eben nicht freiwillig war. Sie haben die Jäger, wie man so schön sagt, zur Jagd getragen.
Seien sie ehrlich, hätte es ebensolche Fördergelder gegeben, die Möglichkeiten einer Ruhrstadt zu erforschen, und sie wären dabei gewesen, ihre ?Theorie? schaute heute etwas anders aus. Aber wer weiß, sie hätten uns vielleicht die ?Unmöglichkeit? der Ruhrstadt ?bewiesen? und wären wieder beim ?Eigensinn? gelandet. Das Problem ist nur, es juckt zur Zeit so oder so niemanden. Auch nicht , wenn sie bei ihrem jetzigen Konzept in Aussicht stellen, dass wir dann am Ende wenigstens alle so richtig keck sagen können: Jetzt sind unsere Bürgermeister aber wirklich selber schuld!! Bääätsch!
Die Karawane stoppt erst dann, wenn sie ihr den Weg versperren und nicht wenn sie sich irgendwo ein eigenes kleines Kamel mieten und damit im Mondlicht Pirouetten drehen, die die Welt bislang noch nicht gesehen hat. Aber vielleicht könnte man ja beides tun. Auf jeden Fall darf man sich im Ruhrgebiet nicht nur auf das eigene kleine wilde Kamel und die eigenen kreativen Reitkünste beschränken. Man muss auch die Karawane ins Visier nehmen, muss die öffentlich zur Rechenschaft ziehen, die mehr tun könnten als sie wirklich machen. Egal ob die das ernst nehmen und wie sie darauf reagieren.
Aber wie gesagt: Zur Zeit ist man hier damit ziemlich allein auf weiter Flur. Aber das ist so neu auch nicht und sollte uns nicht daran hindern, es wenigstens zu versuchen. Das haben sie Herr Haas mit ihren Kollegen bei 2030, jenseits meine grundsätzlichen Kritik, ja auch ?von unten? getan, und es ist mehr dabei herausgekommen, als alle Beteiligten und Nichtbeteiligten erwartet haben (mich eingeschlossen).
P.S. Wer hätte denn noch vor einem Jahr gedacht, dass ein solcher „Multilog“, wie er hier aus so unterschiedlichen Positionen und Blickwinkeln und vor allem ohne Scheuklappen geschieht, überhaupt möglich wäre!I
@Arnold Voß: Nach der Psychonummer ?Ruhrgebiet=Amy Winehouse? dachte ich, naja, jetzt kommt hier nichts mehr außer ein paar sprachlichen Lockerungsübungen. Und da blättern Sie nun doch noch die große 2030-Saga auf. Ich will Ihnen aber natürlich gerne antworten, auch wenn ich bei der einen oder anderen Frage vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner bin (soll heißen: Mein Denken war in dieser Kooperation nun alles andere als immer mehrheitsfähig, und letztendlich bin ich aus dem Projektverbund schon sehr viel länger draußen als ich je drin war). Deshalb will ich auch gar nicht soviel zum Projekt selbst sagen, nur so viel: Ein Ruhrstadtdenkverbot hat es nicht gegeben, aber eine andere Versuchsanordnung, die dem Projekt und seinen Forschungsfragen zu Grunde lag. Das hat aber niemanden abgehalten, bspw. Martin Einseles ?Superstadt an Ruhr und Emscher? aus den 1960er Jahren ausgiebig zu diskutieren, oder auch Christoph Zöpels Ideen zur ?Weltstadt Ruhr?, wie er sie ja nach wie vor propagiert. Oder auch ganz andere ?Ruhrstrukturen?. Die Frage nach einer anderen Verfasstheit jenseits dessen, was da im Moment als Städtekooperation agiert, war also keineswegs tabu. Den Ansatz jedoch, jenen Städten, denen man berechtigterweise ihre strukturelle Unmündigkeit vorwirft, die Gelegenheit zu geben, sich von dieser Unmündigkeit ein Stück weit zu befreien (und sie nicht mit dem großen Leviathan zur Räson zu rufen), fand ich ein paar Anstrengungen wert. Nun kann es aber sein, dass uns die Praxis dieser Städtekooperation zeigt, dass sich die Städte zwar mündiger und emanzipierter ?fühlen? (das ist für Sie, Matthias), sie ihren neu gewonnenen Handlungsspielraum im wesentlichen mit den gleichen Irrtümern pflastern, wie dies vorher die Bezirksregierungen getan haben. Da wird man dann sagen können ?Ihr habt ja doch nicht mehr drauf als die, über die ihr euch immer beschwert habt!? ? aber das, was sich da so vordergründig nach Besserwisserei / Schadenfreude anhört, ist es gar nicht. Denn es zeigt einmal mehr, dass es womöglich weniger um Planungsorganisation oder ?Regierungsarchitektur? (Was ist das effizienteste Modell?) gehen sollte, sondern sehr viel mehr um Planungskultur und politische Inhalte, also z.B. eine Kultur, die eher das ?Ermöglichen? und weniger das ?Steuern? in den Vordergrund stellt (Wen es interessiert: da gibt es seit Jahren eine schöne Debatte rund um Foucaults ?gouvernementalité?). Um es mal ganz platt zu sagen: Wenn auch in neuen Strukturen nur alte Denke produziert wird, dürfte das Problem woanders liegen (und in punkto alte Denke steht das meiste, was ich bislang unter ?Ruhrstadt? gelesen habe, dem hier viel zitierten OB Langemeyer in nichts nach ? nur der Maßstab ist halt ein anderer).
Noch ein Satz zum ?Eigensinn? ? das Alter ego von ?Eigensinn? heißt ?Selbstverantwortung?. Selbstverantwortung ist eine wesentliche Voraussetzung für jenes Selbstbewusstsein, das wir hier alle sehr schmerzlich vermissen (und uns deshalb immer wieder über diesen ganzen Metropolenquark aufregen).
Und auch noch ein Satz zum wilden Kamel abseits der Großen Karawane: Lieber Arnold Voß, ich habe eine grundsolide Ausbildung an einer westdeutschen Kaderschmiede genossen. Da lernt man, wann was geht und wann was nicht geht. Ein ?Vergessen Sie die Machtfrage!? werden Sie von mir nicht hören. Aber mein Wirklichkeitssinn sagt mir: Halte Dich an Ho-Chi-Minh!
Über die Ökonomie reden wir beim nächsten Mal; ich muss nämlich jetzt Geld verdienen.
@ Dirk Haas.
Das müssen wir hier doch alle, oder? Ansonsten bin ich gespannt auf den zweiten Teil.
Mit der Psychonummer wollte ich tatsächlich einen Schlusspunkt setzen. Nun fällt mir an der Diskussion aber auf, dass auch diese ein wenig typisch für den Diskurs über das Ruhrgebiet ist. Die Beiträge werden tendenziell länger, die Inhalte verschieben sich auf eine Meta-Ebene, auf der alle zwar noch gespannt zuhören, aber nicht mehr teilnehmen wollen oder können. Das mag an der mangelnden Zeit liegen, weil ja alle Geld verdienen müssen, oder an mangelndem Intellekt und Fachwissen, ich konnte einigen Gedankensprüngen nicht ganz folgen, oder an mangelnder Relevanz für einen persönlich. Letzteres überwiegt wohl bei diesen Diskursen. Wie schaffen wir es, all diese klugen Gedanken, den Bürgern nahe zu bringen? Wie übersetzen wir sie? Wie schaffen wir es, eine gemeinsame Sprache zu sprechen?
Und nun noch ein paar schnelle und hoffentlich verständliche Sätze zur Ökonomie. Lieber Herr Voß, für die meisten der 2030-Menschen war das Wissen um die Begrenztheit ihrer Ressourcen überhaupt der entscheidende Grund, dieses Projekt zu starten. Den damaligen Stadtkämmerer von Essen hat kaum etwas anderes interessiert als die Frage, wo er für seine Stadt mit diesen Kooperationsvereinbarungen Mittel einsparen kann ? z.B. bei gemeinsamen Anschaffungen von Bussen für die verschiedenen Stadtwerke, bei der Zusammenlegung von Dienstleistungen verschiedener Städte (wie jetzt Umwelt- oder Katasterämtern), beim Finanzausgleich in interkommunalen Gewerbegebieten, bei der möglichen Abstimmung von einheitlichen Steuerhebesätzen, um die innerregionale Konkurrenz um Investoren einzudämmen usw. usf. Neben der Zielsetzung, gemeinsam regional planen und entwickeln zu können, war die Aussicht auf Einsparpotenziale DIE wesentliche Antriebsfeder für die Städte.
Diese Einsicht und dieser Wille zu einer abgestimmten öffentlichen Haushaltswirtschaft ist durch die neuerliche Aussicht auf EU-Fördermittel natürlich wieder völlig konterkariert worden. Wer z.B. ?Konzept Ruhr? liest, bekommt deshalb den Eindruck, da gönnt jeder jedem alles, weil das Ganze eh von ganz woanders finanziert wird. Und das ist natürlich übles Zurückfallen in alte Unmündigkeit, kaschiert als intelligente Fördermittelakquise der Metropole Ruhr. Dennoch ist auch das eine Kooperation auf der Basis des Ökonomischen, denn sie operiert eben auch vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen (der EU-Gelder) ? egal, wie theoretisch ungelegen Ihnen das ist oder wie politisch verhängnisvoll ich das finde.
Aber seien Sie sicher: Auch Ihr ?Ruhr? würde an diesen EU-Töpfen nicht achtlos vorbeimarschieren; so ?unökonomisch? wäre auch sie nicht.
Ich war nie in einer „Kaderschmiede“ weil ich mich einfach nicht schmieden lassen wollte. Zumindest nicht von anderen. Und die „Machtfrage“ klingt mir im Rahmen des Strukturwandels in Ruhr dann doch etwas zu global-pathetisch.Ruhr ist glücklicherweise auch nicht Vietnam (Eher in Teilen immer noch ein bisschen wie die schon fast vergessene DDR). Politikwechsel scheint mir deswegen begrifflich angemessener und hat auch schon reichlich mit Macht bzw. neuer Machtverteilung zu tun.
Ich habe aber noch, und dann können wir die Rückwärtsschau in Richtung Zukunft gerne verlassen, zwei Fragen:
1) Warum ist von den intern so offen Diskussionen bezüglich der Ruhrstadt und ähnlicher Alternativen bei 2030 nie etwas als Aussage nach außen gedrungen bzw. hat man nie etwas von einer „Minderheitenmeinung“ gehört (außer vielleicht in irgendwelchen grauen Papieren)?
2)Wenn das Motiv zur Städtekooperation 2030 vorrangig die begrenzten Mittel und potentielle Einsparpotentiale waren, warum hat man dann erst auf die Fördergelder gewartet und ist stattdessen und aus gutem Grunde nicht viel viel früher damit angefangen?
P.S. Ich habe Herrn Haas bislang zumindest begrifflich immer verstanden, was natürlich Missverständnisse und unterschiedliche Interpretationen nicht ausschließt. Ob wir das hier alles auch j e d e m anderen Bürger von Ruhr verständlich machen bzw. „übersetzen“ sollen oder sogar müssen, möchte ich jedoch in Frage stellen. Wem das hier zu abgehoben ist, der soll das einfach äußern und vielleicht hat er damit ja auch recht und ruft uns damit auf eine konkretere Ebene zurück. Als geistiger Ordnungsruf sozusagen. Aber einen gewissen intellektuellen Überschuss und Spaß möchte ich mir nicht dadurch nehmen lassen, dass uns jeder verstehen muss. Da kommt am Ende dann immer so etwas wie die WAZ bei heraus. Davon haben wir schon eine in Ruhr und das reicht auch.
@Arnold Voß: Hhm, vorgestern waren Sie noch so kämpferisch und sich auch für den „Kleinbürger!“-Trick nicht zu schade, und jetzt wird Ihnen schon bei dem Begriff „Machtfrage“ mulmig? Politikwechsel? Auch gut. Aber ein mattes Ende ? was ja dann doch, lieber Matthias, wieder prima zu Ihrer Amy Winehouse-Allegorie passen könnte.
P.S.: Achja, Ihre Fragen. Hatte ich schon beantwortet. Implizit natürlich. Mehr Rückschau gibt es dann an den Jahrestagen des neuen Städtebunds.
ich habe, ehrlich gesagt, nichts gegen intellektuelle Diskussionen, doch glaube ich, dass die Diskussion in die falsche Richtung führt, wenn wir wieder auf die Ebene „deine Fördergelder-meine Fördergelder“ „abrutschen“. Diese Ebene ist es ja, die wir überwinden bzw. verändern wollen (so habe ich jedenfalls die Diskussion bisher verstanden).
ich finde die Fragen von Matthias sehr wichtig. Das sind auch meine Fragen. Es reicht eigentlich nicht, eine solch spannende Diskussion im Netz versacken zu lassen…
Wo wir wieder bei der (fehlenden) Diskussionskultur in der Metropole Ruhr wären. Wo finden heute überhaupt Diskussionen über die Perspektiven etc. der Metropole statt? Mal abgesehen davon, dass die Kulturhauptstadt zur Zeit alles verdrängt, finden solche Diskussionen meist auf inszenierten Podien statt, wir bräuchten aber eine „auf Augenhöhe“ mit interessierten Bürgern…eine „Übersetzung“ würde sich dann in der Diskussion selbst ergeben…
@ Dirk Haas
Kämpfen hat weniger mit reden als mit handeln zu tun. Nehmen sie Folgendes nicht als Selbstbeweihräucherung, sondern einfach nur als Fakt. Ich habe mich hier schon mit den „Mächtigen“ angelegt, da war die IBA und alles was auf ihr so folgte noch nicht mal ein Kopfgeburt. Ich lege mich immer noch mit ihnen an, während alle unsere eingeflogenen Strukturwandelexperten und kulturellen Entwicklungshelfer schon wieder irgendwo anders auf warmen Sesseln sitzen und/oder durch die Welt reisen und unter großem Beifall erzählen, was sie hier für tolle Sachen „durchgezogen“ haben.
Jenseits davon verstehe ich aber langsam, wieso sie mit soviel Leidenschaft und Intelligenz nach Alternativen zu den organisierten und etablierten Politikformen suchen. Nehmen sie das jetzt bitte nicht als Psychogramm sondern als politischen Erklärungsversuch: Sie „entkadern“ sich dadurch sozusagen in Permanenz. Nach der gescheiterten „Weltrevolution“ durch eine „siegreiche Partei“ wollen sie jetzt unbedingt jenseits der organisierten Macht etwas tun. Wollen sie nicht mehr (länger) auf die Veränderung der „bösen Verhältnisse“ warten. Gut so! Lassen sie uns das eine tun ohne das andere zu vernachlässigen. Lassen sie uns uns selbst dabei nicht so wichtig nehmen. Wir versuchen Ruhr zu verändern, nicht die Welt. Das ist unter den aktuellen Bedingungen auch „Kampf“ genug, denn ein ernst zu nehmender Politikwechsel ist ohne Strukturveränderungen nicht zu haben. Für mich zumindest. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie hier mitdiskutieren.
Netter Erklärungsversuch, ein bisschen wie diese Art von Reizwortgeschichten, die mein Sohn gerade schreiben muss. Tut mir leid, wenn Sie wegen „Ho-Chi-Minh“ nun glauben, Ruhr und Welt auseinanderhalten zu müssen. Oder Denken und Handeln. Glauben Sie mir, auch ich diskutiere hier nicht über Vietnam oder das Westjordanland, sondern über das Ruhrgebiet. Wenn Sie das auch noch froh macht ? umso besser.
@ Identitäsproblematik Ruhr
Ruhr hat kein wirkliches Identitätsproblem. Der Wandel war hier immer Bestandteil der Entwicklung. Trotzdem laufen kollektive Identitätsbestimmungen meistens „nach hinten“, denn die Zukunft ist nun mal nicht sicher prognostizierbar. Selbstvergewisserung über Vergangenheit ist deswegen (nicht nur hier) normal und hat nicht automatisch Zukunftsunfähigkeit zur Folge.
Hinzu kommt eine auch räumlich erstaunlich genau abgrenzbare sprachliche Identität, wobei Sprache eben viel mehr als nur Phonetik, Grammatik und Semantik bedeutet. In ihr strukturiert sich zugleich gemeinsame Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sprich kollektive Erfahrung. Nimmt man die alltägliche sozialräumliche Vernetztheit per Leben und Arbeiten hinzu, dann gibt es sehrwohl einen Stadtraum der mehrheitlich als ein Besonderes und von anderen urbanen Agglomerationen abgrenzbares „Ganzes“ erlebt und empfunden wird. Es gibt auch mental Typisches und baulich-räumlich Einmaliges en mass. Und es gibt auch und gab immer „öffentliche“, um nicht zu sagen „mediale“ Personen, die den Charakter von Ruhr sehr wohl „repräsentieren“, selbst wenn sie nicht mehr in Ruhr oder nicht nur in Ruhr wohnen und leben. Es gibt sogar etwas, was man, wenn man in Ruhr groß geworden ist, oder lange dort gelebt hat, nicht mehr verliert, bzw. mitnimmt wenn man sich einen neuen Lebensort sucht. Das nennt man sozialräumliche Prägung.
Ruhr hat einzig und allein ein Strukturproblem, um das sich bislang alle Bemühungen zur seiner Veränderungen in Richtung mehr Zukunftsfähigkeit herumgedrückt haben.Es ist unterzentralisiert bzw. überdezentralisiert. Das hat eben nichts mit räumlicher Vielfalt oder Polyzentralität zu tun sondern mit strukturell verminderter Handlungsfähigkeit. Kollektive Handlungsfähigkeit ist aber das, was dauerhaft kollektive Identität stabilisiert und stärkt und damit sehr wohl auch auf personale Identität zurückwirken kann.
Die Gewinnung neuer (politischer, regionalwirtschaftlicher, regionalkultureller usw.) Handlungsfähigkeit, ohne dabei die räumliche Polyzentralität und Vielfalt aufzugeben, ist die große und alles andere überragende Aufgabe der nächsten 10 Jahre. Kein neue IBA, kein weiterer Ausbau des Autobahnetzes, keine neue Innenstadtentwicklung usw. kann diesen „politischen Strukturwandel“ ersetzen. Aber wahrscheinlich entflieht Ruhr bzw. die Mehrheit der hier Verantwortlichen ein weiteres Mal, narkotisiert von neuen Fördergeldern und borniert durch ihre (lokalen) Eigeninteressen, dieser an die Substanz gehenden Zukunftsaufgabe. Diese Flucht gilt es dieses Mal zu verhindern!
@ Dirk Haas
Ich dachte, sie schätzen meine Illusionslosigkeit.
Ich halte nicht Welt und Ruhr wegen eines hoch achtenswerten Mannes Namens Ho Chi Min auseinander, sondern weil ich mich von dem Gedanken verabschiedet habe, dass die Welt als Ganzes zu verändern, geschweige den zu kontrollieren oder zu demokratisieren wäre. Weder durch eine sogenannten „Weltmacht“, noch durch soetwas ähnliches wie die UNO bzw. eine zukünftige „Weltregierung“, geschweige denn durch eine irgendwie geartete „Weltrevolution“.
Es gibt zwar eine zunehmende Globalisierung, aber kein „globales Handeln“ was auch nur im Ansatz einer solchen Bezeichnung methodisch stand halten könnte. Das wird es auch nie geben weil ein solches Handeln kein Subjekt hat respektive je haben wird. Weder ein öffentlliches noch ein privates. Dafür ist die Welt schlicht zu komplex, zu kompliziert und zu widersprüchlich. Es gibt auch kein „Weltinteresse“ (auch kein ökologisches!), keinen „Weltgeist“ oder „Weltethos“ geschweige denn ein „Weltgesetz“. Also konzentriere ich mich auf einen Handlungsbereich wo ich zumindest einigermaßen durchblicke und wo ich glaube, dass ich Leute finde, die ähnliche Interessen und Ziele haben wie ich. Nicht mehr und nicht weniger. Können wir damit unsere philosophisch-politischen Ausflüge beenden, Herr Haas? Ansonsten machen wir, ehe wir die anderen hier damit weiter „nerven“, besser eine Extra-Debatte auf.
Eine Welt hoch n-Debatte? No. Aber ein paar mehr Weltgeister wird das Ruhrgebiet (und werden seine Debatten) schon vertragen, meinen Sie nicht?
Da bin ich wiederum ganz ihrer Meinung!!
@ Jens und Matthias
Ihr Anliegen finde auch ich wichtig. Aber wie diskutiert man mit interessierten Bürgern auf Augenhöhe? Setzt das nicht einen ähnlichen Kenntnisstand und eine gewisse Artikulationsfähigkeit voraus. Und eine viel größere Offenheit und ein anderes Ambiente als die herkömmlich „inszenierten“ Podiumsdiskussionen mit immer den selben Köpfen. Und selbst wenn das herzustellen wäre, wer mehr interessiert sich in Ruhr ernsthaft für eine gesamtstädtische geschweige denn für eine „Metropolenperspektive“ als die, die diesen Blog hier gestalten und lesen? Das sind allerdings nach meinem Kenntnisstand schon ziemlich viele.
Vielleicht wäre es sinnvoll, dass die Ruhrbarone Blogger und Publikum auch mal zu einer „Face-To-Face-Debatte“ einladen. Könnte z.B. „RuhrSalon“ heißen. Oder auch anders? Ist erst mal ne Idee. Andererseits kann das doch auch jeder andere hier in die Hand nehmen. Vielleicht sollte man hier aber erst einmal mögliche Alternativen diskutieren bzw. im Multilog ein Konzept entwickeln, ohne die Sachdiskussion damit zu beenden.
An so einem Punkt hätte man früher immer eine kleine Zeitschrift gegründet. Und sie womöglich SUPERRUHRBARONE genannt. Heute ist anders.
Aber, lieber Jens, im Netz versacken tut so schnell nichts. Über die ?sehr interessante Diskussion bei den Ruhrbaronen? wird bereits gesprochen. Auch ohne Ruhrsalon.
Aber wenn Sie, Arnold, jetzt aus dem Salon noch einen Saloon machen würden (mit z.B. Deadmeiers Countrykaraokeshow im Programm ? http://www.christoph-dettmeier.de), könnte die Debatte um eine Metropolenperspektive des Ruhrgebiets nicht nur kognitiv Spaß machen (-;