Heute öffnet die Fotoausstellung zum Fußball im Ruhrgebiet und lenkt den Blick auf Vergangenheit und Gegenwart des Fußballs in der Region. Die Kooperation des Deutschen Fussball Museums (Dortmund) und des Ruhr Museums (Essen) beschert den Besuchern mit über 450 Fotos und einigen Exponaten ein Fußballerlebnis zwischen Fotokunst und -reportage, das beeindruckt. Die Ausstellung läuft bis zum 04.02.2024 und stimmt zudem auf die Fußball-EM 2024 in Deutschland ein. Begleitet wird sie über die Spielzeit von Lesungen, Kabarett, Theater, Filmabenden, Shows, Konzerten und akademischen Vorträgen, die zusammen mit der Ruhr-Universität Bochum ausgerichtet werden.
Bereits gestern wurde die Ausstellung feierlich vor hunderten geladenen Gästen eröffnet. Die Kulisse der Zeche Zollverein, in dem das Ruhr Museum beheimatet ist, ist fraglos der richtige Ort für das ambitionierte Projekt zum Fußball im Pott.
Als Kind des Ruhrgebiets kommt man von Kindesbeinen an nicht am Ball vorbei. Ob du willst oder nicht irgendeiner drückt die Pille in die Hand und dann musst du treten. Einen Verein hast du dann auch.
„Dortmund oder Schalke?“, die Frage begründet Freund- wie Feindschaften. Andere Konstellationen sind ebenso beliebt. Es kommt darauf an, wo man sich gerade zwischen Rhein und Ruhr aufhält. Vfl Bochum, Rot-Weiß Essen, MSV Duisburg, Rot-Weiß Oberhausen, SG Wattenscheid, Schwarz-Weiß Essen, Westfalia Herne und viele mehr.
Identifikationen und Gruppenzugehörigkeit sind kein neues Phänomen der Menschheitsgeschichte. Im Nachkriegs-Ruhrgebiet waren sie immer gegenwärtig – auch als Ablenkung von Maloche, Tristesse und Niedergang.
Dass viele Erstligavereine der Region die Bindung zu diesem Sport verstärken, hängt nicht nur mit dem Sport an sich zusammen. Das Lebensgefühl, regionale Verbundenheit und die Freizeitkultur sind Träger dieser religionsähnlichen Passion von Frauen und Männern. Und ohne Bratwurst und Bier wäre der Fußball als „proletarische“ Zuflucht der Nachkommen der Industriearbeiterschaft von Kohle und Stahl nicht zudem geworden, was er ist.
Denn jede oder jeder hat einen (Ur-)Opa oder Großonkel, der Bergmann oder Stahlkocher war; jedenfalls wird das heute so hier erzählt. Und da beginnt die Romantisierung der Geschichte, die „Heimatümelei „: Die Härte und Entbehrungen der Ahnengenerationen dieser Industrielandschaft sind meist vergessen. Die Landschaft und die Menschen sind strukturgewandelt.
Heute kämpfen die Menschen im Ruhrgebiet mit Perspektivlosigkeit und/oder Armut. Fast wie zu den Zeiten als es Mitte des 19. Jahrhundert losging, den Industriestandort aufzubauen. Was bleibt ist der Fußball und die Erinnerung an die eigentlich nebensächlichen, aber sinnstiftenden Spiele und Siege der Vereine – auch wenn es sie meist erstklassig nicht mehr gibt. Die guten, alten Zeiten, die es, wenn man ehrlich zu sich ist, auch nie gab.
Also: „Glück Auf!“ – Der Ruhrkohle-Chor, der 1987 gegründete Knappenchor zur Bewahrung bergmännischer Sangeskunst, intonierte auf der gestrigen Veranstaltung inbrünstig das Bergmannslied, das im Ruhrgebiet bei fast keiner Veranstaltung mehr fehlen darf. Die Sangeskumpels tranken erwartbar nach letzter Strophe ihren Schnaps eingedenk dessen, dass in grauer Vorzeit viele Zechengesellschaften ihre Fußballvereine finanzierten und stützten.
Wir Bergleut sein kreuzbrave Leut! denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht, denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht; und saufen Schnaps, und saufen Schnaps.
Prof. Theo Grütter, Museumsdirektor und Vorstand der Stiftung Zollverein, leitete mit seiner Begrüßungsrede ein, in der u.a. er namentlich alle an der Ausstellung beteiligten Mitarbeitern dankte und seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass der S04 den BVB am nächsten Wochenende zum Meister mache. Der Moderator des Abends, Sven Pistor, talkte gefühlt „etwas länger“ mit den Gästen aus Politik, DFB und Förderern, die die Fotoausstellung finanziell stemmen. Darunter die zuständige Landesministerin Ina Brandes, Bärbel Bergerhoff-Wodopia aus dem Vorstand der RAG Stiftung, die Oberbürgermeister von Essen und Dormund, Thomas Kufen und Thomas Westphal sowie dem DFB-Vorsitzenden Bernd Neuendorf. Zwischendurch konnten sich die Gäste auch ein Bier holen.
Der Direktor des Deutschen Fussballmuseums, Manuel Neukirchner, und Kooperationspartner des Ruhr Museums, sprach vom deutschen Fußball als gleichbleibende, integrative Kraft für die im Wandel begriffene Region. Die Fotoausstellung dokumentiere und repräsentiere eindrucksvoll, dass der Fussball für die Menschen des Ballungsgebiets für den nötigen kulturellen Austausch sorge. Sodann sorgte die Mitsing-Einlage von „The Mundorgel Project“ für die nötige Auflockerung, bevor es in die nächste Talk-Runde mit Sven Pistor und den meist emeritierten Fußballhelden ging. „We never walk alone“
Im Anschluss an die Veranstaltung ging es zur Ausstellung ins Museum. Zuvor konnten sich die Gäste bei Stadionwurst und Bier stärken, bevor es die lange Rolltreppen hinauf ins Gebäude ging. Konzeption und Aufbau der Ausstellung sind gelungen. So viele Bilder zu präsentieren und einen thematischen Bogen durch die Zeiten, Fan-Regionen und den gelebten Fußballkult des Ruhrgebiets zu spannen, ringt mir Respekt ab. Die Ausstellung ist kurzweilig und beeindruckend.
Einige Fotos sind zwar ikonisch, entfalten aber in der thematischen Zusammenschau mit den anderen dicht gehängten Fotografien eine intravenöse Wirkung. Wer sich die Ausstellung nicht anschaut, ist „selber schuld“.
Der Eintritt ist moderat, wie auch sozial:
Eintritt 10 €, ermäßigt 7 €, Kinder / Jugendliche unter 18 Jahren sowie
Schüler*innen / Student*innen unter 25 Jahren Eintritt frei
Mythos & Moderne | Sachbuch | BÜCHER | Klartext Verlag (klartext-verlag.de)
Der Ausstellungskatalog ist dem Fotofußballliebhaber ans Herz zu legen.
368 Seiten, mit mehr als 480 Abbildungen für 29,95 € für die Ewigkeit.
Foto unten der Autor vor seiner Wand: