Wie aggressives Verhalten entsteht, ist bislang nur unzureichend verstanden. Forscher der Ruhr Universität Bochum haben nun ein entscheidendes Puzzlestück entdeckt.
Eine Verbindung im Gehirn, die für aggressives Verhalten entscheidend ist, haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) mit Kollegen aus Bonn bei Mäusen gefunden. Entscheidend ist der sogenannte P/Q-Typ-Kalziumkanal, der auf den Botenstoff Serotonin reagiert. Dass Serotonin eine Schlüsselrolle bei der Emotionsregulation spielt, ist schon länger bekannt. Aber wie genau aggressives Verhalten entsteht, ist bislang nicht verstanden. Schalteten die Forschenden die Serotonin-vermittelte Verbindung zwischen zwei bestimmten Gehirnregionen aus, verhielten sich die Mäuse weniger aggressiv. Das Team um Pauline Bohne und Prof. Dr. Melanie Mark berichtet über die Ergebnisse in der Zeitschrift „Journal of Neuroscience“, online veröffentlicht am 19. Juli 2022.
Das RUB-Team der Arbeitsgruppe Verhaltensneurobiologie untersuchte mit einem Kollegen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn einen tief im Gehirn liegenden Kern, den dorsalen Raphe-Kern. Wie die Arbeiten belegten, entsendet dieser Kern Nervenfasern, die auf den Botenstoff Serotonin reagieren, zum ventromedialen Hypothalamus. Diese machten die Forscherinnen mit grün fluoreszierenden Tracerstoffen sichtbar.
In weiteren Versuchen entfernten die Forschenden den P/Q-Typ-Kalziumkanal bei männlichen Mäusen aus dem dorsalen Raphe-Kern. Die Hirnaktivität in diesem Kern sowie in dem verbundenen ventromedialen Hypothalamus nahm zu – und auch das aggressive Verhalten der Tiere.
Über genetische Modifikation brachten die Forscher dann einen veränderten Rezeptor in die Zellen des dorsalen Raphe-Kerns derselben Tiere ein – als Ersatz für den zuvor entfernten P/Q-Typ-Kalziumkanal. Den modifizierten Rezeptor konnten sie mit einem chemischen Molekül hemmen, das normalerweise nicht in Mäusen vorkommt. Mithilfe dieses Moleküls konnten die Forschenden die Aktivität des modifizierten Rezeptors und somit die Aktivität der Nervenzellen im dorsalen Raphe-Kern langsam herunterfahren. So brachten sie das Serotonin-Signal zum Schweigen, das der dorsale Raphe-Kern normalerweise an den ventromedialen Hypothalamus sendet. Auf diese Weise zähmten sie die zuvor aggressiven Mäuse, die sich nun wieder normal verhielten.
„Die Studie belegt, dass der P/Q-Typ-Kalziumkanal eine wichtige Rolle im Serotonin-System für Aggressionen spielt“, sagt Pauline Bohne. „Er ist somit ein potenzieller Ansatzpunkt, um gewalttätiges Verhalten zu therapieren.“ Als Begleiterscheinung von psychischen Erkrankungen – etwa Angststörungen, Impulskontrollstörungen oder kindlicher bipolarer Störung – wird vermehrt aggressives Verhalten beobachtet. „Menschen mit solchen Erkrankungen, die sich aggressiv verhalten, sind nicht nur eine Gefahr für das Personal in den Kliniken, sondern auch für sich selbst“, so Melanie Mark. „Oft verlängert die Behandlung der Aggression den Klinikaufenthalt und auch die Kosten dafür.“