Ruhr2010 und die Folgen: Endloser Wandel durch Kultur

Mit dem Slogan „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ trat das Ruhrgebiet zum Kulturhauptstadtjahr 2010 an. Der Wandel wird noch andauern. Viele Projekte sind auch nach Ende des Kulturhauptstadtjahres nicht fertig gestellt.

Das Dortmunder U ist ein spektakuläres Gebäude. In der Nacht sind die am Turm angebrachten Videoinstallationen des Filmemachers Adolf Winkelmann in weiten Teilen der Stadt zu sehen. Spektakulär ist auch die Zahl der Eröffnungsfeiern: Bislang drei Mal wurde das U eingeweiht. Zuletzt mit einem großen Fest am 18. Dezember. Bedauerlicherweise war das U auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig gestellt: Auf mehreren Etagen wird immer noch gebaut, das Umfeld ist verschmutzt und erste Fensterscheiben des Baus schon wieder kaputt. Im Laufe des Jahres, sagte Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann auf der Kulturausschusssitzung im Februar, sollen die Bauarbeiten am U beendet sein. Für einen deutlich höheren Preis als geplant. Ein nicht öffentlicher Bericht des Rechnungsprüfungsausschusses der Stadt Dortmund, welcher der Welt am Sonntag vorliegt, beziffert die Kosten des Umbaus des Brauereiturms auf bislang 83,3 Millionen Euro. Geplant waren ursprünglich 54,8 Millionen Euro. Aber die 83,3 Millionen sind noch nicht die letzte Zahl: Kosten für den Bau eines Kinos, einer Kellerkneipe und eines Lagers werden

noch hinzukommen. Der Rat wurde über diese Entwicklung ab 2008 nicht mehr informiert. Begründung der Verwaltung: „Durch die im Rahmen des Förderprojektes eingegangenen Verpflichtungen wäre es für die Stadt Dortmund nicht ohne einen erheblichen Imageschaden und finanzielle Verluste möglich gewesen, in den Jahren 2009/20010 die Baumaßnahme zu stoppen.“
Die Dortmunder CDU-Fraktion erwartet als Reaktion auf die „Hiobsbotschaft“ von Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD), für die Zukunft, dass Rat und Ausschüsse bei Kostensteigerungen kontinuierlich und ehrlich informiert werden – eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Der U-Turm, verkündete der für den Bereich Kreativwirtschaft zuständige Kulturhauptstadt-Direktor Dieter Gorny 2009, werde ein Zentrum der Kreativwirtschaft. In seinem Umfeld würden sich Unternehmen der Kreativwirtschaft ansiedeln und dem Strukturwandel neue Impulse geben. Zwei Jahre später haben sich um den U-Turm Krankenkassen niedergelassen. Ein großer, staubiger Parkplatz ziert die Rückseite. Von Kreativwirtschaft keine Spur.

Nur Dieter Gorny, mittlerweile Direktor des European Center for Creative Economy (ECCE) hat sich hier angesiedelt. ECCE ist offiziell noch ein Teil der Kulturhauptstadt-Organisation Ruhr2010 GmbH. Auch Ruhr2010 ist eines der Kulturhauptstadtprojekte, die nach Ablauf des Jahres 2010 nicht beendet werden.

Die Reste der Gesellschaft gehen in der Kultur Ruhr GmbH auf, die bislang vor allem das Festival Ruhrtriennale organisiert. Dort wird, in Fortführung der Kulturhauptstadt, ein Projekt namens „Kultur im urbanen Raum“ aufgelegt. Etat: 4,8 Millionen Euro im Jahr. Die Summe teilen sich das Land und die Ruhrgebietskommunen. Auch Gornys ECCE wird wohl weiter geführt. Es soll sich um die Förderung der Kreativwirtschaft kümmern, die Szene des Ruhrgebiets europaweit vernetzen und die Internetseite 2010lab.tv weiter betreiben. Sonderliche Erfolge hat ECCE bei seinem bisherigen Tun indes nicht vorzuweisen: Ein geplantes Projekt zur Vermittlung von Immobilien für Kreative ging nie an den Start, das 2010lab leidet unter chronischem Besuchermangel und auch unter den Kreativen der Region ist ECCE wenig vernetzt. Künftige Träger von ECCE sollen die Stadt Dortmund und die Wirtschaftsförderung des Ruhrgebiets werden. Verhandlungen dazu laufen und scheinen bald erfolgreich abgeschlossen werden zu können.

Ob der Erfolg am Ende auch dem Bochumer Musikhaus beschieden sein wird, ist hingegen unsicher. Seit Jahrzehnten träumen di Stadt Bochum und ihre Symphoniker von einem eigenen Konzerthaus. Alle Pläne scheiterten bislang an der Haushaltslage der klammen Revierstadt, die sich selbst als „Swinging Bochum“, als das kulturelle Zentrum des Ruhrgebiets sieht. Als der Lotto-Unternehmer Norman Faber 2006 fünf Millionen Euro als Grundstock einer Stiftung zum Bau eines Konzerthauses spendete, schien der Traum doch noch Wirklichkeit werden zu können. Im Kulturhauptstadtjahr wollte Bochum mit seinem Konzerthaus für Aufmerksamkeit sorgen. Es sollte das Zentrum eines Kreativquartiers werden, der Stadt wichtige Impulse geben und den Symphonikern eine Heimat. Daraus wurde nichts und die Pläne schienen endgültig begraben, bis sich die Landesregierung im Dezember vergangenen Jahres bereit zeigte, mit Fördermitteln einzuspringen. 9,3 Millionen stellt das Land zum Umbau der Marienkirche als Teil eines Musikzentrums zur Verfügung. In dem sollen dann nicht nur die Symphoniker spielen: Jazzabende, Musikkurse für Jugendliche und „Teddybären-Konzerte“ für Kinder sind geplant. Die Euphorie über die baldige Umsetzung der Pläne erhielt einen deutlichen Dämpfer, als die Konzerthaus-Stiftung vor wenigen Tagen bekannt gab, dass sie statt der erwarteten 12 Millionen Euro an Spenden bislang nur acht gesammelt hat. Da die Stadt Bochum ihren Anteil an dem insgesamt 33 Millionen Euro teuren Zentrum nicht erhöhen darf, hofft man nun in Bochum auf großzügige Spender, die das Geld bis zum Ende des Jahres zur Verfügung stellen. Vor allem mögliche Großspender wie die Mercator-Stiftung oder die Krupp-Stiftung sollen die finanzielle Lücke füllen.

Da das Konzerthaus bis 2014 abgerechnet sein muss, um überhaupt Fördergelder zu erhalten, drängt die Zeit. Eine neue Spendensammlerin soll nun das Geld besorgen. Wolfgang Cordes, Fraktionsvorsitzender der mit der SPD gemeinsam Bochum regierenden Grünen stellt gegenüber dieser Zeitung klar: „Kein Bagger fährt, bis alle Finanzierungsbeiträge zu 100 Prozent gesichert sind.“ Das könnte schwierig werden.

Probleme gibt es auch auf Zeche Zollverein, dem Zentrum der Kulturhauptstadt. In den vergangenen Wochen sorgten Bradschutzgutachten für Aufregung: Die Fluchtwege der Kohlenwäsche, in der auch das 2010 eröffnete Ruhrmuseum untergebracht ist, seien unsicher. Bereits 2009 wurden 31 von der Feuerwehr festgestellte Mängel noch nicht einmal zu Hälfte abgestellt. So sollen Flüchtende im Brandfall an einem kettensägenlauten Lüfter vorbei in Freie fliehen. Ein Dekra-Gutachter stellte fest, das niemand im Brandfall auf eine solche Lärmquelle zulaufen werde. Die Menschen würden ins Feuer zurücklaufen.

Probleme auch beim Erweiterungsbau des Museums-Küppersmühle in Duisburg: Auch Monate nach Ende des Kulturhauptstadtjahres wird dort noch gebaut. Und das wird noch lange Zeit so bleiben: Pfusch am Bau wird für deutlich höhere Kosten und eine weitere Verlängerung der Bauzeit sorgen. Ursprünglich im November 2010 sollte der Anbau eröffnet werden. Wann es wirklich soweit sein wird, steht heute in den Sternen.
Die Kulturhauptstadt sollte das Ruhrgebiet zu einer attraktiven europäischen Metropole machen und ein neues Bild der Region vermitteln. Alles sollte natürlich nachhaltig sein. Immer deutlicher wird nun: Nachhaltig werden vor allem die Kostensteigerungen sein.

Der Artikel erschien bereist in ähnlicher Form in der Welt am Sonntag

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Cassius Florentinus
13 Jahre zuvor

Und bald könnten wir alle ein deja-vu erleben: auch Bonn will jetzt Kulturhauptstadt werden. Na denn Prost!

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[…] Ruhr2010 und die Folgen: Endloser Wandel durch Kultur (Ruhrbarone) – […]

Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Das Ruhrgebiet hat tausende Jahre gebraucht um so einzigartig zu sein wie heute mit ihrer Struktur und Kultur. Ein gekünzelter Kulturhauptstadtjahr und einige gekünzelte Projekte können nicht gänzlich „alles anders“ machen. Schon gar nicht so etwas gekünzelt zusammenfügen (Metropole), was noch nie zusammengeführt werden wollte. Das Ruhrgebiet wird verwaltet.

lebowski
13 Jahre zuvor

Danke, o Herr, dass dieser Kulturhauptstadtsch… an uns vorübergegangen ist!

Grüße aus Münster
(Mitbewerber um die Ausrichtung der Kulturhauptstadt 2010)

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

Stefan, müsste es in der Überschrift nicht besser statt end- bodenloser Wandel heißen.

Lutz
Lutz
13 Jahre zuvor

Klar, gut Ding (ein shiny happy Revier) will Weile haben! Kein Miesmacher-Kommentar hier aber eine kleine Anekdote und eine Frage an Euch, ernst gemeint!

Begab mich mit Freundin auf Radtour und Fotosafari (https://www.emscherkunst.de/news/aktuelles/fotowettbewerb.html) zur Emscherkunst. MH > OB > Nordsternpark und zurück.
Eindrücke (total subjektiv):
> Radwegbeschilderung ähnelt oft einer Schnitzeljagd;
> Emscher stinkt selbst im April und 20 Jahre nach Start der IBA-Emscherpark wie die gute alte Köttelbecke;
> die Kunst war teilweise abgebaut (wohl wg. Winterpause?), schlecht beschildert/kartiert;
> Radewege gespickt mit Altglas-Fallen.

Ich stelle mir vor: im vergangenen Sommer kommt ein Kunst-/Kulturinteressierter aus Nürnberg/Linz/Bern/Mailand in die Kulturhauptstadt, leiht sich in OBens Neuer Mitte (nachdem er die Ballermann-Flaniermeile genossen hat) ein Rad, startet zur Emscherkunst, findet (vielleicht sogar) recht großzügig gestreut Kunstwerke an einer stinkenden Kloake, holt sich auf dem Rückweg im Niemandsland zwischen A42 und Kläranlage einen Plattfuß am Hinterrad. Was dachte der wohl als er wieder zuhause war?
Geile Scheiße! Da kannste was erleben! Gerne wieder!

Meine Frage: Wie steht es um unsere (des Ruhries) Selbstwahrnehmung? Hat uns das jahrzehnte lange Wandeln zwischen Industrieruinen und Autobahnen so weit von Maßstäben und Lebensgefühl anderer Metropolen entfernt? Können wir so Attraktion für´s Revier erzeugen? Oder war das Projekt nur für Leute gedacht, die vornehmlich Gefallen an Morbidem (Vanitas) finden?
Sagt mal, ehrlich!

Oder hatte ich nur einen schlechten Tag – mit `nem platten Reifen … ?

Will
13 Jahre zuvor

Gutes Zwischenresümee…aber bald kommt bestimmt das Licht am Ende des Tunnels…:) *positive Stimmung verbreitend

crusius
crusius
13 Jahre zuvor

„Hat uns das jahrzehnte lange Wandeln zwischen Industrieruinen und Autobahnen so weit von Maßstäben und Lebensgefühl anderer Metropolen entfernt?“ Aus diesem Satz wäre vermutlich „anderer“ zu streichen.

Daß das Ruhrgebiet keine „Metropole“ ist, kann man schon an der Notwendigkeit ablesen, solche Fragen zu stellen: Was nämlich eine echte Metropole ist (Bern würd ich übrigens nicht dazuzählen, war schon da), hat Bewohner, für die das Metropole-Sein selbstverständlich ist. Wer hier wohnt, schwankt hingegen ständig zwischen stillem Stolz, wenn der Gast aus dem Bayerischen sich wundert, wie grün es hier doch ist, und verzweifeltem Schweigen, wenn es heißt, daß man diese ganzen grauen Häuser doch bitte mal wieder anstreichen könnte. Geschwiegen wird in jedem Fall, weil man das, was man denkt – „Du Arsch“ – aus Höflichkeitsgründen (meistens) unterdrückt.

Daß es hier kein selbstverständliches Lebensgefühl gibt, hat aber m. E . nur sekundär mit stinkenden Köttelbecken zu tun. Vielleicht eher damit, daß die Funktionseliten des Ruhrgebiets (lies: SPDCDU) immer noch dem Irrglauben erliegen, einen Proletariermythos kultivieren zu müssen, der sich in der Realität längst erledigt hat: Neue Visionen zu entwickeln, wäre folglich Sache eines vergreisenden Bürgertums und eines von jeder Aussicht auf Partizipation abgekoppelten mentalen Elendsproletariats. Dynamik dürfen wir uns vielleicht bald nur noch aus der Migrantencommunity erwarten. Mein Image-Slogan lautet also: „Ruhrgebiet. Der Osten im Westen. Aber mit Türken!“

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[…] bislang über 80 Millionen. Der Rat wurde über diese Entwicklung ab 2008 nicht mehr informiert. Begründung der Verwaltung: „Durch die im Rahmen des Förderprojektes eingegangenen Verpflichtungen wäre es für die Stadt […]

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