Am 12./13. Januar 1980 wurde in Karlsruhe die Partei ‚Die Grünen‘ gegründet. Es folgte eine wechselvolle Entwicklung, die in der Gegenwart von neuen Umfragehochs gekrönt wird.
Viele Geschichten ranken sich um die vergangenen 40 Jahre Parteigeschichte voller Höhen und Tiefen. Überraschend viele davon sind, man mag es gar nicht glauben, auf lokaler Ebene auch mit Autoren der Ruhrbarone verknüpft.
Kein Wunder also, dass sich einige unserer Schreiberlinge zum runden Jubiläum der Partei an diesem Wochenende einmal ein paar persönliche Gedanken über die Geschichte und die Entwicklung der Organisation gemacht haben:
Peter Hesse: Das Wahljahr 1980 ploppte auf mit dem Slogan ››Stoppt Strauß!‹‹ Die Grünen waren als junges und wildes Sammelbecken gegen das verkrustete Establishment in Bonn angetreten – und hatten dennoch mit gerade einmal 1,5 Prozent den Einzug in den Bundestag mehr als deutlich verpasst. Doch wo kam diese Bewegung vor 40 Jahren mit so bunten Figuren wie Josef Beuys, dem Paar Petra Kelly und Generalmajor Gert Bastian, dem Studentenführer Rudi Dutschke und RAF-Anwalt Otto Schily plötzlich her? In der alten Bundesrepublik Deutschland entstand in den 1970er Jahren ein breites Spektrum neuer sozialer Bewegungen. Wichtige Strömungen waren die Umwelt-, Friedens-, Menschenrechts-, Dritte-Welt-, die Frauen- und die Hausbesetzer-Bewegung. Zur stärksten Kraft entwickelte sich jedoch die Anti-Atomkraft-Bewegung. Joschka Fischer kam in diesem Umfeld aus dem Frankfurter Hausbesetzer-Viertel und begann mit Ellenbogen und Machtbewusstsein eine Karriere, die sich so liest, wie eines seiner berühmtesten Bonmots: „Mit Verlaub – Sie sind ein Arschloch.“ Er musste als grüner Außenminister die Beteiligungen der Bundeswehr an den Militäreinsätzen im Kosovo- (1999) und im Afghanistan-Krieg (2001) verantworten. Heute gibt er als satt gewordener BMW-Berater nur noch müde Interviews. Den Spitznamen „Grünkohl“ fand ich stark untertrieben, weil der Ex-Turnschuhträger Fischer das perfide Spiel von taktischen Machtinteressen viel besser verstand, als der hemdsärmliche Altkanzler aus Oggersheim. Mir persönlich war er immer mahnendes Beispiel dafür, dass es anständiger ist, besser nicht in die Politik zu gehen.
Mario Thurnes: Anfang der 80er bin ich mit meinen Eltern durch einen Wald gefahren: „Die Grünen haben recht, der Wald stirbt wirklich“, meinte der achtjährige Mario. „Das ist so, weil wir Februar haben“, antwortete meine Mutter. Klimaleugner gab es damals schon.
Gut vier Jahre habe ich für Euch gearbeitet. Deswegen sieht es auch schlecht aus, wenn ich nachtrete. Daher erzähle ich nichts von dem Neujahrsempfang mit dem Buffet, auf dem es das vegane Essen in so homöopathischen Dosen gab, dass der Abend für mich und die Sekretärin beim Griechen und zwei Athen-Platten endete.
Oder davon wie viele Grüne mir erzählt haben, dass sie auf dem Schulhof seinerzeit verprügelt wurden. Und welche Schlüsse das auf die Sozialstruktur zulässt. Das alles erwähne ich hier nicht. Sähe blöd aus.
Zumal wir beide in den frühen 80ern groß geworden sind. Uns verbinden die gleichen Erinnerungen. Im Wesentlichen waren es anstehende Weltuntergänge, die dann aber doch nicht gekommen sind. Etwa der Tod im Atomkrieg. Zusammen haben wir den in The Day After gesehen – wie der Tod schleichend kommt und die Leute allmählich zerfrisst. Hach, schön war‘s.
Und die Grünen haben viel erreicht. In der Regierung haben sie einen auf Jahrzehnte verteilten Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. In der Opposition kam er dann quasi über Nacht. In der Opposition schwärmen sie von Sozialismus, in der Regierung haben sie Hartz IV… – … aber ich will wirklich nichts Schlechtes sagen.
Gut, vom Freiheitskongress muss ich dann doch berichten. Der war lustig. Geh mal mit einer Flasche Coca Cola und einer Tüte von McDonalds über einen grünen Parteitag – du kommst dir vor wie ein Falschparker auf dem Kongress der Ausdemfenstergucker. Freiheitskongress. Ne, wirklich, der war gut.
Ich weiß. Das Ganze hatte strategische Gründe. Ihr wolltet weg vom Image der Verbotspartei und Ihr wolltet die FDP beerben, die damals gerade aus dem Bundestag geflogen war. Die FDP beerben… Das heißt, Ihr wäret im Zweifelsfall bereit, Positionen beliebig für Posten zu opfern? Aber ich will hier wirklich nichts Schlechtes sagen.
In zwei Jahren werdet Ihr vermutlich in eine Koalition mit der CDU gehen. Und es wäre eine böse Unterstellung, dass Ihr dafür Eure Prinzipien aufgebt. Es wäre eine böse Unterstellung zu behaupten, Ihr könntet als grüner Oppositionsführer über Jahre gegen den Flughafen möppern, um dann als grüner Minister den Bau eines dritten Terminals für Billigfluglinien zu rechtfertigen. Das wäre so selbstvergessen, so schlimm – das würde ich hier nicht erwähnen.
Aber eine schwarz-grüne Koalition wäre einer der wenigen Gründe, warum ich mir eine fünfte Amtszeit Merkels wünschen würde. Denn es wäre spannender als der Super Bowl, zu sehen, ob sie Euch oder Ihr ihr zuerst das Blut aus dem politischen Leben saugen würdet.
Martin Kaysh: Die Grünen werden 40. Das heißt also, nächstes Jahr werden sie 41. Toll.
Thomas Meiser: Sie nannten uns Kinderfraktion – und sie duldeten uns, weil wir dreist waren. Wir, das war rund ein dreckiges Dutzend Blagen, die sich rund um Tschernobyls Zeiten, 1986, in der Landesgeschäftsstelle (LGS) der Grünen NRW, an allem Möglichen zu schaffen machten. Der riesige Hinterhof-Bau war zentral gelegen, eine S-Bahn-Haltestelle vom Hauptbahnhof der Landeshauptstadt Düsseldorf entfernt.
Wir reisten aus dem ganzen Land an, haben dort geraucht, gesoffen, gekifft, gepoppt – und von dort aus natürlich hauptsächlich: ‚Politik gemacht‘, wie wir im Duktus der Professionalität gerne halb-ironisch sagten. Einer von uns lernte dort Bürokaufmann, nannte sich aber Assistent der Geschäftsführung; er hatte die Schlüssel für alle Büros der LGS in der Volksgartenstraße. Damit hatten wir Zugriff auf die gesamte Infrastruktur des Hauses. Der damalige Landesgeschäftsführer Thomas Hoof, später sollte er das Edel-Versandhaus Manufactum gründen, hat das geduldet.
Wir machten in Schüler-, Jugend-, und Jugendpresse-Politik und kamen mit blond gefärbten Haaren und Samsonite-Aktenkoffern in die LGS.
Wir stellten uns an den riesigen OCE-Kopierer mit 50 Sortereinheiten und druckten unsere Rundbriefe, Tagungsunterlagen, Artikeldienste, Positionspapiere, Dossiers. Dann versandten wir alles, frankiert mit der Frankiermaschine der LGS.
Wir veranstalteten sauteure Telefonkonferenzen über die Telefonanlage der LGS, die war damals moderner war als die der Staatskanzlei.
Wir nutzten den Telex für unsere Presseerklärungen an die Landespressekonferenz.
Wir ließen unsere Texte in Blocksatz formatieren mit den Wang-Computern der LGS, eigentlich nur angeschafft für die Mitgliedsverwaltung und die Finanzbuchhaltung. Damit haben wir unsere politischen Gegner, vor allem Jusos und SDAJler, höllisch piesacken können. Denn die durften in ihren Läden sowas nicht, sie waren Befehlsempfänger ihrer Mutterparteien.
Stefan Laurin: Der Kern der Mitglieder und Anhänger der Grünen gehört zum postmaterialistischen Bürgertum, einer Gruppe, die während der vergangenen Boomjahre größer wurde, denn woher der Wohlstand in diesem Land kommt, wissen viele dieser Menschen nicht oder es ist ihnen egal. Zur Zeiten der Gründung der Grünen war dieses Milieu antiautoritär, heute ist es, dem Zeitgeist folgend, eher autoritär.
Die Grünen sind eine Partei der Volkserzieher, sie glauben zu wissen, wie Menschen zu leben haben, Verbote haben bei ihnen einen guten Klang. Sie sind, und werden es auf absehbare Zeit auch bleiben, die größte Partei der linken Mitte. Große Teile der Medien lieben sie, ihre Themen sind bestimmend und sie sind eine Projektionsplattform für die Wünsche viele Wähler.
Letzteres wird sich ändern, wenn die Grünen wieder im Bund regieren. Sie werden, wie jede Partei, einen Teil ihrer Wähler enttäuschen müssen. Kritisch wird es, wenn die Wirtschaft einbricht: Auch wenn die Grünen sich Mühe geben, sie haben in der Wirtschaftspolitik kaum Kompetenz und die Wähler trauen ihnen auf diesem Feld auch nur wenig zu. Ändert sich die Stimmung, werden von den Problemen jedoch eher CDU und FDP profitieren und nicht SPD und Linke, denn dass sie in einer Wirtschaftskrise wissen, was zu tun ist, glaubt kaum jemand. (Der Autor war von 1989 bis 1996 Mitglied der Grünen.)
Robin Patzwaldt: Jürgen Trittin war der Hauptverantwortliche dafür, dass ich im Mai 2010 Mitglied bei den Bündnisgrünen wurde. Ich wollte mich damals den aktiven Kraftwerkskritikern von ‚Datteln 4‘ anschließen, meinen Ärger über die Kraftwerksplaner, die ihren Meiler an eine Stelle gesetzt hatten, der dafür so gar nicht vorgesehen war, zukünftig vermehrt kundtun. Und Trittin war srinerzeit zu einem Wahlkampfauftritt in Datteln vor Ort und hat dabei klar Position gegen eine Inbetriebnahme des Kraftwerks bezogen.
Leider war die Begeisterung rund um den Parteieintritt bei mir dann sehr schnell der Ernüchterung gewichen. Nach der erfolgreichen Landtagswahl war von der eigenen Partei zum Thema ‚Dateln 4‘ dann nicht mehr viel zu hören und zu lesen. Die damalige Minderheitsregierung mit der SPD (und ihrer starken Kohlefraktion) sollte wohl nicht riskiert werden. Das hat mich sehr geärgert und dazu geführt, dass ich das zweite Jahr meiner Parteimitgliedschaft dann in erster Linie mit dem internen Kampf gegen das parteiinterne ‚Schweigen‘ zum Thema verbracht habe.
Vor der vorgezogenen Wahl 2012 habe ich dann einen Schlussstrich gezogen und die Partei nach zwei Jahren wieder verlassen. Mit dem Wissen von heute kann ich nicht mehr verstehen, wie man die Grünen wählen, geschweige denn bei ihnen Mitglied sein/werden kann. Aus meiner Sicht sind die Grünen eine Partei, die von Machtinteressen und Karrieredenken durchzogen ist. Darin mag sie sich nicht grundsätzlich von anderen unterscheiden. Sympathischer als die Konkurrenz macht sie das allerdings auch nicht.
Das alternative Image, das die Grünen einmal hatten, ist jedenfalls (falls es das überhaupt einmal aus guten Gründen gab) leider längst Geschichte, wie ich schon vor rund zehn Jahren erleben musste.
Sebastian Bartoschek: Die Grünen werden also 40. Das kenne ich, das hatte ich im letzten Jahr auch. Es ist ein Moment, zum kurz inne halten und Bilanz ziehen. Meine Bilanz kann sich sehen lassen, die der Grünen auch. Da enden aber auch schon unsere Gemeinsamkeiten.
Die Grünen waren und sind mir immer wesensfremd. Sie erschienen und erscheinen mir von außen immer wieder wie eine zwanghaft gutgelaunte Gesellschaft von Glaubenskriegern, haben etwas evangelikales, wollen eine übergeordnete Wahrheit unter die Menschen bringen, sie beglücken. Dabei haben sie sich gewandelt. Waren die Grünen der ersten Jahre und Jahrzehnte von einer zumindest impliziten Gegnerschaft zum Staat und seinen Institutionen gekennzeichnet, nutzen die Grünen unserer Tage eben jene für vielfältige Verbots- und Tugendstrategien, die mir in Wesen und Durchführungsart fremd, da freiheitswidrig sind.
Sie treffen damit aber einen Zeitgeist, der glaubt, durch nur immer mehr staatliche Regulierung einen seeligmachenden Weg zu begehen. Man mag mich bitte nicht falsch verstehen: ich sehe durchaus Positives, das die Grünen in die bundesrepublikanische Wirklichkeit eingebracht haben. Thematisch sehe ich da die Betonung des Schutzes unserer Umwelt und formell einen unverkrampfteren Grundton in der Politik. Letzterer wiederum ist aber zunehmend zu einer Attitüde um ihrer selbst Willen verkommen.
Doch auf dem Markt der Bundespolitik haben die Grünen mit ihrem Handeln derzeit einen bisher in ihrer Geschichte einmaligen Erfolg. Als Marktfreund muss ich dies erst einmal anerkennen, und so muss ich dem Umstand ins Auge sehen, dass die Grünen sich selbst neu gefunden haben, und die Vision eines grünen Bundeskanzlers nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Ich bin in meinem 40. Lebensjahr mit mir versöhnt und die Grünen sind es wohl auch. Mir bleibt somit nur „Happy Birthday“ zu sagen – man muss auch gönnen können.
> Der Autor war von 1989 bis 1996 Mitglied der Grünen.
Eine interessante Info. 🙂
Wobei ich mich zunehmend frage, ob die Grünen wirklich links einzuordnen sind oder nicht doch zunehmend vielmehr bürgerlich-konservativ. Linke Utopien einer besseren Gesellschaft kommunizieren die Grünen zumindest schon länger nicht mehr.
Die Ruhrbarone gehören also zur Alterskohlorte der 1970er; mit Ausnahme von Stefan!?
Ich bin 53 und meine politische Sozialisierung begann mit der Regierung Schmidt und dem deutschen Herbst (wem das nichts sagt: Schleyer Entführung). Das Antiautoritäre und Anarchistische liegen mir daher nahe.
Die Grünen waren "damals" tatsächlich Aufbruchsstimmung, antiautoritär, sammelten alles mögliche am linken Rand ein und waren erfrischender Weise nicht so spiessig und Moskau hörig wie die DKP. Was sich natürlich mit der Teilnahme an Wahlen ändern sollte (Sachzwang).
Die Grünen haben sich auch aus dem Unbehagen über eine Politik des kleineren Übels heraus gegründet.
Heute sind die Grünen selbst genau das ( bestenfalls).
Die Grünen der Ist-Zeit haben den Gründungs-Grünen vor 40 Jahren nicht mehr gemeinsam.
Dies sollte jetzt aber nicht groß verwundern, denn auf den Erkundungszügen durch die Stätten der realen Macht in den letzten Jahrzehnten ist eine stromlinienförmige Anpassung der eigenen Vorstellungen an die Spielregeln der Macht normal.
Die Grünen sind nun eine stinknormale Partei geworden, die aktuell mehr Zulauf als die sog. Altparteien hat.
Auf dem neuerlichen Weg an die Schalthebel der Macht wird sicherlich noch manche heilige Kuh der Grünen "geschlachtet" werden, wenn sie der Teilhabe an der Macht im Wege stehen werden.
Schon in den gescheiterten Jamaika-Gesprächen 2018 waren manche Grünen zu großen Zugeständnissen bereit, nur endlich mal Minister werden zu können.
Kommt garantiert wieder …
Der Aufstieg der Grünen ist eine Geschichte der Wohlstandsdekadenz, geboren aus idealisiertem Kitsch der 70ger Jahre.
Viele meiner Mitschüler haben heftig mit Ihnen sympathisiert und ich konnte es schon damals nicht verstehen. die Grünen trafen einen Nerv vor allem der bürgerlichen Jugend, den ich als Arbeiterkind nicht nachvollziehen konnte. Vor allem machte mich der geheuchelte Pazifismus fassungslos. wie kann man gleichzeitig als Pazifist auftreten und Pflastersteine werfen?
Als ich dann nicht verweigerte und zur Bundewehr ging wurde mir klar wie bevorzugt die Verweigerer waren und wie erbärmlich der Wehrdienst, und das beides opportunem dekadenten Wunschdenken entsprang.
Seltsamerweise waren die vielen Fehleistungen (Angefangen beim Waldsterben) der Grünen nie wirklich von Bedeutung für ihren Zuspruch.
Seit dem ist mir klar geworden, das Politik viel mit Wünschen, aber wenig mit Realität zu tun hat.
Und länger das Treiben so geht, desto bewusster wird mir die Leistung der 50ziger und 60ziger Jahre, wenn man bedenkt wieviel und wie lange man etwas kaputt machen kann ohne den staatlichen Zusammenbruch unmittelbar zu produzieren.
Der Kalte Krieg hat nicht nur die Bedrohung perpetuiert, sondern auch die Voraussetzungen für den Wohlstandes.
Erst seit dem Mauerfall hat sich der Trend gedreht, obwohl das Maximum noch nicht erreicht worden war.
Die einzige Erkenntnis für mich, wir haben nicht die geringste Ahnung, warum wir in den letzten 70 Jahren ökonomisch erfolgreich waren, nur dass die festgezurrten Regeln der Weltwirtschaft noch lange wohlstandsichernd wirken, wenn wir selbst längst nicht mehr produktiv sind.