Ruhrfestspiele – Ein Rockfestival der 70er Jahre

John Malkovich Foto: © Nathalie Bauer

Manchmal reicht ein Satz um zu wissen: Das kann nichts werden. Regisseur Michael Sturminger haute ihn raus, einen Tag vor der Deutschlandpremiere von „The Giacomo Variations“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. „Nur John Malkovich kann Giacomo Casanova spielen“, behauptete er auf der Pressekonferenz. Die anwesenden Journalisten lachten nicht auf, wüteten nicht, sondern kritzelten eifrig mit. Prima, dachte ich, dann können wir unsere Schauspielschulen ja dicht machen und deren Absolventen mit anderen Jobs beauftragen. Vielleicht versuchen die es mal eine Nummer kleiner, mit Hamlet, King Lear, Faust oder so ´nem Kram.

Gut, ich hakte das Gerede ab als völlig unnötige Reklame, denn immerhin war das Gastspiel auf dem Festspielhügel längst ausverkauft. Vielleicht war es auch nur Höflichkeit gegenüber dem grandiosen Schauspieler, der sich auf diese Produktion eingelassen hat. Wenn dann aber noch davon geredet wird, dass die Inszenierung als „work in progress“ zu sehen sei, dass die Sache im Ruhrgebiet damit besser werde als bei der Uraufführung in Wien, dann könnte man als Kulturjournalist schon mal nachfragen, ob da irgendwas schief gegangen ist, ob man sich im

Probenprozess nicht auf eine Sicht des Stückes einigen konnte, die man dem Publikum zeigen will. Das soll es im Theater manchmal geben. Eigentlich ist das aber die bevorzugte Arbeitsweise von Comedians und Kabarettisten. Man probiert in der laufenden Tour einzelne neue Nummern aus, spielt Ausschnitte auf offenen Bühnen und leistet sich Vorpremieren in der Provinz, bis man ein Programm zusammen hat. Das ist sinnvoll, schließlich musst du mit dem neuen Programm mindestens ein Jahr touren. Wenn du verkackst, landest du als prominenter Kollege schnell beim Promidinner, als weniger prominenter hinterm Taxisteuer. Komiker kassieren halt selten Millionensubventionen.

Aber von den Fragestellern im Festspielhaus war nichts zu erwarten. Sie hyperventilierten in ihrem Dreiklang: Malkovich-Casanova-FickenFickenFicken, so dass sie jeden dezenten Hinweis geflissentlich überhörten, die hier verarbeiteten Memoiren des Venezianers seien immerhin ein Stück Weltliteratur. Vielleicht lag das Missverständnis auch an der eher lückenhaften Übersetzung, die anfangs noch vom Intendanten ergänzt und korrigiert wurde, ehe auch er sich dachte: Scheiß drauf, die paar englischen Gemeinplätze versteht auch der engagierte Lokalreporter, zur Not haben wir ja einen schönen Waschzettel geschrieben.

Nebenher ging die allein auf John Malkovich ausgerichtete Festspielreklame so gut auf, dass seiner Kollegin Ingeborga Dapkunaite allenfalls ein paar Höflichkeitsfragen gewidmet wurden. Nicht schlecht für eine Schauspielerin, die immerhin schon in einem oscarpreiswürdigen Film mitwirkte und in „Sieben Jahre in Tibet“ an der Seite von Brad Pitt die Ehefrau Heinrich Harrers spielte. Von der alten Schauspielweisheit, dass den König immer die anderen spielen, hatte das Fachpublikum der Pressekonferenz offensichtlich noch nie gehört. Sonst hätten sie Dapkunaite nicht so unterschätzt, wie es die Flachpresse auch mit Tom Cruise im „Rain Man“ tat. Der hatte damals, verdammt noch mal, einfach den schwierigeren Part.

Noch einmal hätten die Journalisten skeptisch werden können. Als nämlich Regisseur Sturminger die Sänger vorstellte. Eine Sopranistin und ein Bariton sollten nicht nur den größten Teil der Mozart-Arien übernehmen, sie sollten auch als Schauspieler wirken. Da gibt es einen Haken. Opernsänger arbeiten anders als Schauspieler. Sie singen heute Mozart in Recklinghausen, morgen Verdi in Uppsala und übermorgen Wagner in Warschau. So sollte es auch bei den „Giacomo Variations“ sein. Wenn ich mich recht erinnere, sollte das Singspiel in der Recklinghäuser Woche gleich in drei unterschiedlichen Besetzungen über die Bühne gehen. Ein Horror für jeden Schauspieler, wenn das Spiel intensiv sein soll, körperlich, vielleicht Tiefe zeigen soll, so psychologisch und so.

Mit Opernsängern habe ich keine Erfahrung. Ich kenne Musicaldarsteller. Die grinsen ihr Publikum gerne stundelang grenzdebil an, präsentieren ihren im Fitnessstudio optimierten Körper ständig grenzwertig an der Rampe und sind schauspielerisch talentiert wie die Zweitbesetzung der Freilichtbühne Billerbeck. Ihnen wird schon in obskuren Stage Schools in Osnabrück eingebimst, dass sie zu funktionieren und ansonsten nicht zu stören haben. Die können dann auch mühelos sonntagnachmittags in eine  x-beliebige Lloyd-Webber-Inszenierung einspringen, solange ihnen vorher einer sagt, dass sie in den Takten 46 bis 48 mal ausnahmsweise von links nach rechts laufen müssen, man wolle mal was Neues ausprobieren. Opernsänger kennen in der Regel weder Stanislawski noch Strasberg. Müssen sie auch nicht.

Dabei elektrisierte mich der Plot. Giacomo Casanova trifft auf seinem Altersruhesitz auf Elisa von der Recke. Muss man nicht kennen, ich gestehe mein Unwissen gerne. Aber von der Recke hatte mit einem Enthüllungsbuch bereits den Hochstapler Cagliostro zu Fall gebracht, so beeindruckend, dass Katharina die Große sie mit einer lebenslangen Leibrente bedachte. Wow, was für eine Story. Der große Casanova trifft auf die angstfreie investigative Journalistin. Da denke ich an die kettenrauchende Hannah Arendt im Verhör von Günter Gaus. Man lese dazu ihre sorgenvollen Briefe an Karl Jaspers vorab. Mir fällt das berühmte Monitor-Kreuzverhör mit einem schwitzenden Franz Josef Strauß ein oder der Film Frost/Nixon. Mann, ist das eine geile Ausgangssituation, wenn man nicht mit täglich frischen Opernsängern arbeiten müsste.

Es wurde am nächsten Abend vorhersehbar fürchterlich. Malkovich und Dapkunaite wirkten wie gefesselt in dem Konzept, bei dem sie nur die Zeit bis zur nächsten Arie überspielen durften. Der Text? Ein Schocker für jeden im Saal, der noch nie von Inzest auf einer Bühne hat reden hören. Beim anschließenden Empfang wand sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu einer Formulierung durch, die politisch korrekt etwa sagte, man habe eine Inszenierung gesehen, die noch viel Anlass zu Gesprächen biete. Treffer – versenkt, möchte man sagen. Ein Gewerkschafter blamierte sich anschließend mit einer freien Übersetzung des Malkovich-Kompliments „Recklinghausen is the Woodstock of the Ruhr Valley“. Beim DGB-Vorstand wurde daraus: „Recklinghausen ist ein Rockfestival der 70er Jahre.“ Dann performte eine Sandmalerin zu lauter Popmusik.

Warum gibt es so ein Startheater bei den Ruhrfestspielen? Die Antwort muss heißen: Weil Evonik es so will. Der Konzern tritt seit einigen Jahren als Hauptsponsor auf und hat ein Problem. Du bist Global Player in manch einer Sparte der Spezialchemie, Weltmarktführer bei Superabsorbern vielleicht. Aber kein Mensch kennt dich, niemand findet dich so sexy wie Porsche, Apple oder Coca Cola. Und was Superabsorber sind, weiß auch kein Schwein. Und will es auch nicht wissen. Ich verrate es deshalb trotzdem. Superabsorber kennt man aus der Always Ultra-Reklame, Stichwort: „Blaue Ersatzflüssigkeit“ oder von den jämmerlichen Versuchen in Fukushima, mit ihrer Hilfe radioaktiv verseuchtes Wasser zu stoppen. Aber cool ist das nicht, Polymere sind es auch nicht.

Das muss dich als Boss nerven. Also hängst du dich anderswo rein, sponserst einen Fußballverein, der dann auch endlich mal Deutscher Meister wird. Dann kaufst du dich noch ein wenig bei der Kultur ein. Dank der traditionellen Verflechtung mit der Landespolitik und der sozialpartnerschaftlichen Fachgewerkschaft IGBCE liegen die Ruhrfestspiele nahe. Aber bitte nicht so einen Provinzscheiß.

Wahrscheinlich ruft einmal im Jahr einer aus dem Evonik-Vorstand an: „Hoffmann, die Kohle kommt. Aber wir wollen die Big Points, nicht so ´nen Kunstkram. Du hast da doch immer diese Hollywood-Leute an der Hand. – Kevin Spacey kann nicht? Der Goldblum hat keine Lust? James Dean vielleicht? Ah, tot, ok. Dann wieder diesen einen… ja Malkovich. Casanova? Super, klingt geil, hehe.“

Worauf hin die Evoniks rumprotzen wie russische Jungunternehmer am Strand von Antalya. Buchen bundesweit ganzseitige Zeitungsanzeigen, die lustig sein sollen. Die nebenbei auch zeigen, dass man es geschafft hat. Links ein Foto von Silvio Berlusconi, Überschrift: „Spielt den Casanova in Rom.“ Rechts ein Bild von John Malkovich, „Spielt den Casanova in Recklinghausen“. Als sei das nicht peinlich genug, steht unten, mit der Firmenfarbe „Deep Purple“ unterlegt: „Evonik wünscht gute Unterhaltung mit John Malkovich bei den Ruhrfestspielen 2011“. Gute Unterhaltung, das ist so kreuzblöd, dass jeder Biersponsor das im Fernsehen vor dem Spielfilm wünscht.  Gute Unterhaltung – Schiller steht dieses Jahr im Mittelpunkt auf dem Festspielhügel. Für Schiller war die Schaubühne bekanntlich eine moralische Anstalt. Jetzt kommt mir Evonik mit billigen Berlusconiwitzen.

Man kann nur hoffen, dass von der Sponsorkohle etwas übrig bleibt für den Rest des Festivals. Das beginnt dann richtig erst heute Abend mit einer Uraufführung. „Aufstand“, eine Auftragsarbeit, geschrieben von Albert Ostermaier für die Ruhrfestspiele. Der saß bei den „Giacomo Variations“ den ganzen Abend neben mir. Was ich nicht kapiert habe. Ich bin in der IGBCE. Erstens weiß ich nicht, wie führende deutsche Dramatiker aussehen und zweitens war ich die ganze Zeit damit beschäftigt, den Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl zu ignorieren. Und der hat so schöne Hände.

 

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Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Ich habe J. Malkovic vorgestern in dem Film „Der Unhold“ gesehen. Regie führte Volker Schlöndorf. Malkovic spielt den Unhold pychotisch gut. Mir wurde Angst und Bange zugleich. Ich kenne ihn aber auch in Filmen wie „Gefährliche Liebschaften“. Den Casanova traue ich ihm auch zu.

Aber Beeing J. Malkovic, nein danke.

Christine Römer
Christine Römer
13 Jahre zuvor

Mensch Martin, du sprichst mir aus der Seele… Der Abend war einfach grotesk: von der Premiere ( mir ist J. Malkovich in der Nespresso Werbung lieber als auf der Bühne als schlürfender Casanova, der überdimensionale Reifröcke hin und her schieben musste) bis zu den „Schönreden“. Ich finde, dass die MP sich noch gut gerettet hat, der Gewerkschafter war nur peinlich. Aufpassen musste ich, dass mein Magenknurren nicht lauter war, als der O-Ton der Reden. Ich saß so nah am Mikro. Das Essen nach Mitternacht bekommt mir eh nicht mehr so gut, man ist dann irgendwie drüber weg. Mir lag auch die Kunst schwer im Magen. Übrigens mein Englisch „refresh“ ich lieber in der Volkshochschule und zwar, wenn ich es will und nicht Evonik.

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