An dem politik-geschichtlichen Gewicht, das Festspielleiter und Regisseur Dr. Frank Hoffmann in Luigi Pirandellos „Heinrich IV.“ erkannt hat, verhebt sich die Inszenierung gewaltig. Der Austausch Heinrich IV. und Mathilde von Tusziens gegen Mussolini und Leni Riefenstahl wird von einer derart symbolbelasteten Bilderflut begleitet, dass man mehrfach nach Luft schnappen muss, während die großartige Leistung des Ensembles mit dem Stück darin untergeht. Von unserer Gastautorin Emelie Wendt.
„Die Uraufführung von ‚Heinrich IV.’ fand am 24.02.1922 in Mailand statt, neun Monate vor dem Marsch auf Rom (Anm. d. Autorin: Eine Drohgebärde der Faschisten, die zur Ernennung Mussolinis zum Regierungschef führte). Pirandello wusste, was es hieß, einen scheinbar Wahnsinnigen zur Hauptperson eines Stückes zu machen“, stellt Dramaturg Andreas Wagner im Programmheft fest, und mutmaßt, deshalb habe der spätere Literatur-Nobelpreisträger die bekannte, jedoch 1922 zeitgeschichtlich unverfängliche Figur Heinrich IV. als Grundlage der Wahnvorstellung seiner Hauptfigur gewählt:
Ein Mann fällt bei einem Maskenumzug vom Pferd und hält sich seitdem für Heinrich IV. 20 Jahre später erscheinen seine damalige Geliebte, Freunde, Familie und ein Arzt in seinem Haus, um den Wahnsinn mit einer Schocktherapie zu heilen. Die Tochter der Geliebten sieht dieser zum Verwechseln ähnlich. Jung und Alt sollen dem Wahnsinnigen gemeinsam unter die Augen treten und die Unvereinbarkeit dieses Bildes zu dessen Heilung führen. Der Wahnsinnige ist aber längst wieder geheilt, führt die anderen an der Nase herum und ihre eigenen Schwierigkeiten mit Selbst- und Realitätswahrnehmung vor.
Die „historisch, zeitgeschichtliche Dimension“
Pirandellos zentrales Werks-Thema, „Was ist Theater, was Wirklichkeit?“, koproduziert von dem Théâtre National du Luxembourg und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg in Recklinghausen auf die Bühne zu bringen, wird nach Auffassung Dr. Hoffmanns und Wagners – erneut laut Programmheft – der „historisch, zeitgeschichtlichen Dimension“ nicht mehr ganz gerecht. Deshalb habe man sich entschieden, Heinrich IV. durch Mussolini zu ersetzen. Das hätte sogar funktionieren können:
Rudolf Kowalski wechselt – manchmal schelmisch schmunzelnd – wie selbstverständlich zwischen Mussolini, dem Parolen blaffenden, überall Verrat witternden Diktator, und Mussolini, dem charmanten italienischen Lebemann. Mit ihm als vom Wahnsinn Geheilten kann man über seine ehemaligen Weggefährten, und was 20 Jahre aus ihnen gemacht haben, lachen oder es auch bedauern. Anne Moll an seiner Seite überzeichnet, wenn der Wahnsinn hoch kocht, ironisch den flotten Feger, aus dem im Laufe der Zeit ein richtiger Besen geworden ist. Doch am Ende würde man mit ihr um das lebenslustige Mädchen, dessen Traum von Zweisamkeit sich nicht erfüllt hat, weinen wollen – wäre ihr Part an Mussolinis Seite nicht der von Leni Riefenstahl.
Riefenstahl als Mussolinis große Liebe
Tatsächlich haben Riefenstahl und Mussolini, bis auf ein Treffen im Rahmen einer Filmpremiere, nichts geschichtlich Verbrieftes miteinander zu tun. Zugegeben, die preisgekrönte Ästhetik von Riefenstahls Abbildungen durchtrainierter Menschen bei den Olympischen Spielen, die das Ensemble mehrfach als Posen nachstellt, passt ebenso gut zum Hadern von „Heinrichs“ gealterter Geliebten mit der Vergänglichkeit der Jugend wie zu dem heute Viele beherrschenden Körperkult. Und wenn die durch sie gern genutzte Untersicht von einem Lichtspot eingenommen wird, der die handelnde Person überlebensgroß an die Wand wirft, diese überhöht, und dennoch nichts ist als ein Schatten, unterstreicht es Pirandellos Text: „Was können sie Euch schon aufzwingen? Worte, die alle nachplappern, ohne sie zu verstehen. So entstehen die sogenannten herrschenden Meinungen.“
Vielleicht sollte man es auch „Heinrich“ gleich tun, denn: „Er sieht mehr auf die Uniform als auf die Person.“
Doch wenn er als Mussolini beginnt, Riefenstahl als große Liebe seines Lebens zu preisen, während die Anderen sie als seine Fürsprecherin bei Hitler darstellen, beginnt man sich zu wundern. Hier ist Riefenstahl mit ihrer Bildkunst jetzt die große Verführerin, während Goebbels – denn auch der taucht auf – zur Randerscheinung wird.
Spätestens da muss man sich nicht mehr fragen, ob man Teile des Stücks gerade dadurch verpasst, dass man der Regie auf den Leim geht und Sinn im Un- und Wahnsinn sucht. Hier wird deutlich, dass die Inszenierung Fingerspitzengefühl im Umgang mit zeitgeschichtlich eben keineswegs unbelasteten Personen vermissen lässt. Was am Ende dazu führt, dass man sich mehr mit Dr. Hoffmanns Geschichtsauffassung als mit Pirandellos Gesellschaftskritik befasst.