Vierter Tag, 26.8.
Was soll man auf keinen Fall machen, wenn man kaputt ist und der Asphalt dampft? Viel laufen und sich der Sonne aussetzen. Was werden wir tun? Genau das.
Die Fahrradtour von gestern sitzt uns in den Knochen und Hitze liegt über Berlin. Easy-going ist angesagt. Für uns Mittfünfziger ist doch sowieso die Phase von Gleitzeit, Gleitsicht und Gleitcreme eingeläutet. Und mittags Seniorenteller. Keine Diskussion. Ich habe noch den Mauerpark und Flughafen Tempelhof auf meiner Not-to-do-too-much-Liste.
Männer müssen fahren, was Männer fahren müssen
Irgendwo habe ich einen Segway-Prospekt gesehen, wollte ich immer ausprobieren, diesen Segway Personal Transporter, auch wenn die Leute, die ich damit habe fahren sehen, mit Helm, Haltung & Vollgummireifen wie Alien-Idioten wirkten.
Also auf zum aufgelassenen Flughafen Tempelhof, da soll man das lernen können und rumkurven dürfen auf 6,5 Kilometer Lande- und Rollbahnen. In der prallen Sonne. Männer tun nichts, heute, aber spielen müssen sie. Und Angst? Wir doch nicht. Das ist doch pipi-einfach, ha. (Wir wissen ja nicht, was bei Wikipedia steht: „Segway Inc. wurde im Dezember 2009 vom britischen Unternehmer Jimi Heselden übernommen, der im September 2010 tödlich verunglückte. Nach Angaben der Polizei stürzte er vermutlich mit einem Segway-Prototyp über eine Klippe in einen Fluss.“
Wäre aber auch ‚No problem‘ gewesen, für harte Jungs wie B. und ich es sind. Damned!
„Heute fliegen hier nur noch Vögel“
Als wir den ehemaligen Haupteingang des Flughafengebäudes Tempelhof endlich erreicht haben, winken die Security-Leute ab. Hier kann man heute nicht rein, Mercedes-Benz baut seine Oldtimer-Show auf, „Mercedes-Benz & Friends“, und da müssen Non-VIPs wie wir draußen bleiben. Aber man komme von der Seite auf das freie Gelände der mittlerweile so genannten Tempelhofer Freiheit („Freiraum für die Stadt von morgen“). Wir schlurfen also zurück zur U-Bahn-Station, fahren zwei Stationen weiter und schleppen uns dann zu einem halb versteckten Seiteneingang des weitläufigen Geländes, der dann aber doch „Haupteingang“ heißt. Von der Info schaffen wir noch die 100 Meter weiter zum Segway-Verleih. Immer in der prallen Sonne. Die Segway-Leute sind nett, wir müssen uns einen 7 Minuten-Lehrfilm anschauen, der dauernd wiederholt, warum man wie stürzen kann und warum man das vermeiden sollte. Die persönliche Einführung macht dann noch einmal ca. zehn Minuten eine kompetente Frau von www.Steckdose-Berlin.de und dann dürfen wir losrollen. Ich zaudere nur kurz, übe, auf der Stelle zu wenden, langsam vor und zurück, dann donner ich davon, B. nach, eine Boeing ist nichts gegen uns. Tatsächlich. Die Segways schaffen maximal 20 km/h, dann drosseln sie sich selber. Skater kommen uns entgegen, Fahrradfahrer, Jogger mit Hunden, die uns aber nicht so nachlaufen wie den Fahrradfahrern. Irgendwie passen wir nicht in ihr Beuteschema.
B. und ich fahren ein bisschen herum, umkreisen uns, fahren aufeinander zu, stoppen rechtzeitig ab und wenden wieder auf der Stelle. Ein schönes Ballett von Sergej Segwaysky für die Generation 50+. Motorisiertes Wudang-Taiji, Schritt für Schritt fahren, Ruhe und Bewegung gehören zusammen, das richtige Maß finden.
Uns wird ein bisschen langweilig und wir kehren erst einmal im Biergarten „Luftgarten“ auf Tempelhof ein. Jeder ein paar Pommes und ein Bierchen. Dann wieder in die pralle Sonne auf die Landebahnen. Der Fahrtwind verhindert das Schlimmste. Wir fahren alle Ecken des Geländes aus, spinxen bei Mercedes durch den Zaun, beleidigen die Oldtimer übelst von unserem spacigen Fahrzeug der Zukunft aus. Nach einer Stunde geben wir die Fahrzeuge pünktlich wieder ab, je 19,90 die Stunde.
Mit der U-Bahn und zu Fuß quälen wir uns dann unter der Berliner Sonne bis zum Martin-Gropius-Bau in die tags zuvor eröffnete Hokusai-Retrospektive. Wunderbar kühl im Bau. Ist allein das Eintrittsgeld wert. Von Hokusai hat wohl jeder den Holzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“ aus der Serie: „36 Ansichten vom Berg Fuji“ (1823–29) gesehen. Wegen dieser großen Welle hatten wir uns seine Bilder auch etwas größer vorgestellt, doch bewundern wir brav sein kleines Skizzenbuch „Hokusai-Manga“, das eigentlich ein Malhandbuch ist. Leider fehlt in der Retrospektive Hokusais inspirierendes erotisches Werk, dafür hat Hokusai aber noch ein Ermutigung für B. und mich, die sublimieren hilft:
„Seit meinem sechsten Lebensjahr habe ich Dinge meiner Umgebung abgezeichnet. Seit ich 50 Jahre alt wurde, veröffentliche ich fortlaufend viele Werke. Doch waren meine Arbeiten vor dem 70. Lebensjahr unbedeutend. Erst mit 73 Jahren habe ich ein wenig von der Anatomie der Tiere und vom Leben der Pflanzen begriffen. Wenn ich mich darum bemühe, werde ich mit 80 weitere Fortschritte machen und mit 90 hinter die letzten Geheimnisse kommen können. Und wenn ich dann 100 Jahre alt bin, werden sich die einzelnen Striche und Punkte ganz von allein mit Leben füllen. Möge der Gott des langen Lebens dafür sorgen, dass diese meine Überzeugung kein leeres Wort bleibt.“
Ja, da staunt der junge Ruhrbaron! B. und ich aber machen uns erfrischt auf ins Stammhaus des Café Einstein und lassen es uns bei Wildkräutersalat, gebratenen Steinpilzen und Wein gut gehen. Der Tag ist richtig teuer geworden, aber teuer zu stehen kommt er uns nicht. Und was soll sie auch, die blöde Sparerei? Nichts als der jämmerliche Versuch, sich am eigenen Dumpinglohn zu bereichern.
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O snail
Climb Mount Fuji,
But slowly, slowly!
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Vorfreude
O Schneckenpostler,
bring den Brief meiner Liebsten
herauf zu mir auf den Fuji,
aber nicht eiligen Schrittes.
(Japan, ca. 1813, unbekannter Verfasser)
😉
Die Schlange braucht ihr zu lange
der Weg zum Fuji ist lang
ihre Jugend nur kurz.
Eilt sie doch schon
dem Mittag entgegen.
etwas holperig aber die Geliebte wird ja heutzutage auch gefragt.
(auf die schnelle 2.9.11)
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Abend-Kühle
Ihr Haar wie Fujis dunkle Hänge
Auf einem Blatt Papier ein Schneckenhaus
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