Das Ruhrgebiet denkt über sich selbst nach. Auf fast 700 Seiten in dem vom Klaus Engel (Evonik), Jürgen Großmann (RWE) und Bodo Hombach (WAZ Mediengruppe) herausgebenem Buch „Phönix flieg!“.
Es gibt Städte und Regionen die sich ihrer selbst sicher sind und nur wenig Zeit darauf verwenden, über sich selbst nachzudenken. Das ist im Ruhrgebiet anders. Hier wird viel über sich selbst nachgedacht. Man ist sich seiner selbst nicht sicher, irrlichtert zwischen der Musealisierung der Vergangenheit und inhaltslosen Metropolenträumen. Man schwankt beständig zwischen großkotzig- und jämmerlich. Arnold Voss bringt es in seinem Text im Sammelband „Phoenix flieg!“ auf den Punkt: Das Ruhrgebiet sei keine Metropole, sondern eine spannende Provinz.
Vor allem die Frage, wie es in Zukunft weiter gehen soll, ist bislang nicht vernünftig beantwortet. Einen Versuch dazu unternehmen jetzt die Herausgeber von „Phönix flieg!“, Klaus Engel, Jürgen Großmann und Bodo Hombach. Die Männer führen die einige der wichtigsten Unternehmen im Ruhrgebiet. Den Mischkonzern Evonik (Engel), den Energieversorger RWE (Großmann) und den Medienkonzern WAZ (Hombach). Ihre Antwort auf die Frage „Wie weiter?“ lautet: Die Industrie im Revier muss weiter entwickelt werden. Das Ende des Industriezeitalters, eine Zukunft als reine Dienstleistungsgesellschaft, sieht keiner der Herausgeber, aber auch keiner der 99 Autoren im Sammelband für das Ruhrgebiet.
Im Gegenteil: RWE-Chef Jürgen Großmann sieht die Industrie und die Bildung als die wichtigsten Motoren für weitere Entwicklung. Er will das Ruhrgebiet nicht zum Ausgang einer Klima-Weltrevolution nach den Ideen des verstorbenen SPD-Politikers Hermann Scheer machen, wie es Peter Sloterdijk im Interview mit David Schraven fordert. Großmann sagt: „Sowohl RWE wie auch ich persönlich haben eine Daseinsberechtigung. Im Ruhrgebiet.“
Ob Evonik-Chef Klaus Engel oder WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach – sie und die meisten anderen Autoren plädieren für eine Weiterentwicklung der Industrie, sehen in ihr den Kern, der ausgebaut werden muss, von dem die notwendigen Innovationen ausgehen müssen. Bodo Hombach ist seit wenigen Wochen Moderater des Initiativkreises Ruhr, einem Zusammenschluss von 60 Großunternehmen der Region. Er sagt: „Wir müssen für die Akzeptanz von Industrieprojekten werben. Die Politik wird das nicht tun.“
Der Sammelband „Phoenix flieg!“ ist trotz allem kein PR-Werk. Auch Kritiker der klassischen Industriepolitik kommen an vielen Stellen zu Wort. Leute, die etwas neues und anderes fordern. Genau diese Vielfältigkeit macht aber den Wert des Buches aus. Es kann so zu einer Grundlage der Diskussion werden. Zum Beispiel über den Rückbau von Teilen des Ruhrgebiets, wie sie der Architekt Albert Speer Junior in seinem Beitrag fordert. Abriss und Konzentration.
Der Weg in die Zukunft führt über technische Entwicklungen – und über Bildung, soviel ist sicher: RWI Präsident Christoph M. Schmidt fordert deshalb in seinem Beitrag, dass sich das Revier zugunsten dieser Eckpfeiler der Erneuerung von subventionierten Industrien zu verabschiedet. Peter Sloterdijk sagt dazu einen schönen Satz: „Der wirkliche Strukturwandel kann nicht aus einer transfer-finanzierten Seifenblase bestehen.“ Das ist wohl wahr…
Und was ist dann mit der Kreativwirtschaft? Selbst die Ruhr2010-Macher Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt erwähnen sie in ihrem Beitrag nur noch am Rande. Der Hype ist vorbei – und die Zeit, in der man auf Leute wie Fesel und Gorny gehört hat, auch.
„PHÖNIX FLIEG! – Das Ruhrgebiet entdeckt sich neu“
24,95 Euro, Klartext Verlag, Essen
Disclaimer: Mit Arnold Voss und mir sind zwei Autoren dieses Blogs mit zusammen drei Beiträgen in dem Buch vertreten.
Ein Hr. Adolf Sauerland erscheint auch in der Autorenliste des Buches
Bei Gonski und Mayersche wird es wohl nicht in Köln erhältlich sein.
Was schreibt der denn.
Ein Wolfgang Clement ist auch vertreten.
Wie aktuell sind denn die Artikel?
@Rheinländer: Sauerland ist Mitautor eines gemeinsamen Textes von vielen Oberbürgermeistern. Ich hab das Buch gestern Mittag bekommen und bislang nicht alle 660 Seiten gelesen, sondern nur gut acht Texte. Die Artikel stammen aus den vergangenen fünf Monaten. Peinlich: RWE-Chef Großmann geht in seinem Beitrag auf die Loveparade ein. Scheytt und Pleitgen nicht.
Ich werde das Buch bei Gelegenheit studieren. Kaufen werde ich es mir nicht.
Vorsicht und MIßTRAUEN ist geboten, wenn Vertreter von Konzernen für vermeintliche Interessen werben. Jedem Journalisten sollten die Alarmglocken klingeln, wenn Wirtschaftsvertreter sich in den Mittelpunkt – über die Lokal-Politik stellen und der Öffentlichkeit Besserwisserei vorgaukeln. Das ist nicht ganz koscher. Warum wollen sie da stehen, welches Interesse haben sie? Gerade Journalisten sollten sich genau überlegen, ob ihr Name nicht doch missbraucht wird. Wer steht denn da im Vordergrund? Wer tritt denn da als Zukunftssprecher auf? Die anderen, kritischen, Neutralen Artikel/Autoren sind untergetaucht und werden wohl nie auftauchen.
Zur Zeit ist viel Gerede in den Medien über Klimapolitik im Ruhrgebiet. Die Interessen von den Konzernen werden selbst im obigen Artikel ausdrücklich genannt: die Daseinsberechtigung von RWE im Revier. Da werden keine Anstrengungen über Alternativenergien gemacht.
Im übrigen, wenn es einer guten Sache dienen soll, sollte es nicht der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht werden? Ich hätte mir von dem obigen Artikel weniger Wirtschaftsvertreter gewünscht.
Sloterdijk – wessen Idee war denn das wohl? *zuklapp*
Ich hoffe, dass das Foto nicht ein Indikator fuer das Buch ist: Drei ALTE MAENNER im Anzug sitzen auf einem Podium und erklaeren die Zukunft des Ruhrgebiets…wie die zwischen nicht subventionierter Industrie, die dazu meistens noch klimaschaedlich ist und Bildungseinrichtungen, die teilweise seit 30-40 Jahren mit Sonntagsreden, aber nicht mit Schimmelentferner beglueckt werden stattfinden soll, will mir nicht so richtig einleuchten. Es wird halt weiter durchgewurschelt, aber irgendwie ist mir das wohl nicht 25 Euro wert
Vor drei Jahren hieß es noch selbstbewusster: „Ruhrkraft – eine Region auf dem Weg zur Weltspitze“, auch vom Initiativkreis Ruhr initiiert. Jetzt schiebt man die Aufforderung zum Flug hinterher. Immerhin: Man bleibt dran.
Ich erlebe das Ruhrgebiet als eine Verbindung der größten Kleinstädte Deutschlands. Ob das zusammen schon eine Metropole macht, sei dahingestellt. Die Kreativwirtschaft der Region lässt man übrigens gerne außen vor, wenn es um die Werbung für das Ruhrgebiet geht. Ist sie wie die Metropole: große Provinz und nichts dahinter? Oder ist die Aufgabe zu groß: Viel Lärm um nichts machen, die Zukunft herbeiphantasieren, die die Gegenwart alt aussehen lässt?
Es wäre spannend, wenn drei Vertreter der Ruhrgebietsindustrie mal etwas anderes fordern würden, als: „Die Industrie im Revier muss weiter entwickelt werden.“ Aber so? – So wirkt´s irgendwie langweilig…
@Der Der auszog: Ich fand es angenehm, mal wieder Leute zum Thema Ruhrgebiet zu hören, die was hinbekommen haben und keine Tiefflieger wie Fesel.
Links anne Ruhr (05.03.2011)…
Dortmund: Protest gegen Nazis in Dortmund (Ruhrbarone) – Recklinghausen: "Entmietung" des Löhrhof-Centers geht voran (Recklinghäuser Zeitung) – Aus dem Löhrhof-Center 'raus in die Recklinghausen Arcaden. Und zw…
[…] „PHÖNIX FLIEG! – Das Ruhrgebiet entdeckt sich neu“ 24,95 Euro, Klartext Verlag, Essen […]
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