Ruhrgebiet – Über uns: Das Revier denkt über sich selbst nach

Die Premiere von „RUHRGEBIET über uns“ in der Gelsenkirchener Buchhandlung Junius; mit Menschen, die alle ganz viel Spaß hatten. Foto (vor der Premiere von links nach rechts): Hartmut Kasper, Zepp Oberpichler, Torsten Kyon, Hubertus A. Janssen, Michael Hüter (vorne), Conny Stajkowski, Joachim Wittkowski, Ulrike Geffert (vorne), Siggi Stajkowski und Benjamin Bäder. Foto: BH

Ab und an braucht das Ruhrgebiet ein Buch, in dem es über sich selbst nachdenkt. Im Bottroper Verlag Henselowsky Boschmann ist nun mit „Ruhrgebiet – Über uns“ ein solches erschienen. 34 Autoren, darunter auch der Verfasser dieses Artikels, haben auf 208 Seiten ihre Gedanken zum Revier aufgeschrieben. Alle haben sie eine Beziehung zu Ruhrgebiet, leben hier, wurden im Revier geboren oder sind ihm auf die eine oder andere Art verbunden. Das weit gefasste Thema des Bandes ist, sind die Frage. Wie sehen sich die Menschen in der Region selbst und wie werden sie von anderen eingeschätz. Das Selbstbild und die Fremdbeschreibung: Beides zusammen prägt die Sicht auf die Region und die ist natürlich einem ständigen Wandel unterworfen. Ludger Claßen, unlängst verstorbener Klartext-Gründer und tatsächlich unersetzbar, macht mit seinem Text „In Sachen Klischee“ den Anfang und präsentiert die Antworten von ChatGPT auf die Frage nach Selbst- und Fremdbild. In seinem wahrscheinlich letzten Text gelingt es Claßen damit elegant alle Stereotypen wie Fußball, Gemeinschaftssinn und Industriekultur zu entlarven, an denen sich die Region seit Jahrzehnten klammert.

Einhard Schmidt-Kallert verweist in seinem Beitrag auf den wohl wichtigsten historischen Text über das Ruhrgebiet: Joseph Roths 1926 in der Frankfurter Zeitung erschienene Reportage „Der Rauch verbindet die Städte“ und lässt auch Roths Zeitgenossen Erik Reger zu Wort kommen: „Der Mangel an Großstadtsubtanz verursacht jene innere Unsicherheit, die in fieberhaftem Betätigungsdrang seinen Ausgleich sucht.“ Roth und Reger, die beiden sind seit fast 100 Jahren die Riesen auf deren Schultern jeder steht, der über das Ruhrgebiet schreibt.

Werner Bergmann nimmt die Legende auseinander, dass das Ruhrgebiet von Beginn aller Zeiten eine Fußballhochburg war und zeigt auf, dass es das erst nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde. Zuvor war der Arbeitersport auch hier eher ein Gymnasiastenhobby wie heute die Klimaproteste.

Der in Mülheim geborene taz-Redakteur Stefan Reinecke widmet sich dem unterhaltsamen Thema des Niedergangs der SPD, der längst mehr Farce als Tragödie ist. Für ihn ist Schwarz-Grün, übrigens schon 1994 in den Städten Gladbeck und Mülheim vorgedacht, nicht nur ein Modell für das Land Nordrhein-Westfalen, sondern auch für den Bund. Man ahnt, dass sozialdemokratische Politiker in den vergangenen Jahren viele der Hartz-Reformen auch aus Eigennutz rückgängig gemacht haben. Der Weg vom Plenarsaal in die Räume der Arbeitsagentur kann unangenehm kurz sein.

Die Tage werden kürzer und das Wetter bald schlechter. Ideale Zeiten für ein Buch, in dem man beim Blättern immer wieder bei spannenden Texten hängen bleibt und das man sich Stück für Stück erlesen kann.

RUHRGEBIET über uns
208 Seiten | gebunden
Schutzumschlag | Leseband
Mit Zeichnungen
ISBN 978-3-948566-19-7
19,80 €

 

 

 

 

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