Ruhrgebiet: Verkehrsgenossenschaft statt Nahverkehrsversager!

Uli Paetzel Foto: Paetzel Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der Öffentliche Nahverkehr im Ruhrgebiet ist eine Katastrophe. Uli Paetzel, der Chef der Emschergenossenschaft, hat eine Idee, die alles ändern könnte. Doch seine Gegner sind mächtig.

Der von Wilhelm Kreis im Stil der Reformarchitektur erbaute Sitz der Emschergenossenschaft in Essen wirkt mit seinen Backsteinmauern und dem hohen Turm wie eine dunkle Burg. Uli Paetzel, seit gut drei Jahren der Chef des Verbandes, der sich seit 120 Jahren um das Abwasser des Ruhrgebiets kümmert, wirkt indes gut gelaunt und fast jugendlich. Paetzel hateine Idee, die eines der größten Probleme des Ruhrgebiets lösen könnte: Den Nahverkehr. Unter dem Dach des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR) schaffen es ein knappes Dutzend lokale Verkehrsunternehmen den wohl teuersten und schlechtesten Nahverkehr eines europäischen Ballungsraums zu organisieren. Hohe Preise, miese Anschlüsse und viele teure Vorstände sind die Markenzeichen des VRR und seiner Mitglieder. Zahlen machen das Versagen sichtbar: Während in anderen städtisch geprägten Regionen Deutschlands jeder Fünfte mit Bus und Bahn fährt, tut dies im Ruhrgebiet nur jeder Zehnte.

Der Regionalverband Ruhr (RVR), der Zusammenschluss der Städte des Ruhrgebiets, forderte deshalb vor wenigen Wochen, ihm die regionale Nahverkehrsplanung zu übertragen. Nachdem der allerdings durch sein eigenes Unvermögen dafür gesorgt hat, dass sich der Regionalplan Ruhr, die Grundlage für die Planung neuer Wohnquartiere und Gewerbeflächen auf unbestimmte Zeit verzögert, nimmt ihn niemand mehr als Akteur ernst. Eine andere Lösung muss also her und Paetzel bietet eine an.

Seine Idee geht über eine regionale Verkehrsplanung hinaus: „Das Ruhrgebiet braucht im Nahverkehr einen Durchbruch. Wenn wir mehr Menschen dazu bewegen wollen, Busse und Bahnen zu benutzen, müssen wir jetzt handeln. Ein Klein-Klein bringt uns nicht mehr weiter.“ Ein attraktiver Nahverkehr sei nicht nur für den Klimaschutz wichtig, sondern für eine Region, die sich Metropole nennt, unabdingbar. Paetzels Idee: Der Nahverkehr sollte im Revier von einer Genossenschaft organisiert werden: „Die Städte würden bei diesem Modell ihre Nahverkehrsunternehmen einbringen. Aber auch Unternehmen und Verbände wie Pro Bahn sollten dort mit am Tisch sitzen.“ Paetzel will, dass eine solche Genossenschaft nicht nur dafür sorgt, dass Fahrpläne aufeinander abgestimmt werden, sondern sie soll auch bauen: „Wir brauchen Planung, Bau und Betrieb aus einer Hand. Das Ruhrgebiet muss ein Schienensystem wie Berlin bekommen. Dafür werden neue Strecken gebaut und Lücken im Netz geschlossen werden müssen.“ Für Paetzel, den Sozialdemokraten und ehemaligen Bürgermeister Hertens, sind aber auch die Arbeitnehmerrechte wichtig: „Die Gewerkschaften säßen mit am Tisch, Busfahrer und Lokführer hätten sichere, tarifgebundene Arbeitsplätze und der Nahverkehr bliebe in öffentlicher Hand.“ Um Paetzels Idee Wirklichkeit werden zu lassen, müssen allerdings mehrere Hürden genommen werden: Noch ist der Nahverkehr eine Aufgabe der Städte. Die Landesregierung müsste die rechtlichen Möglichkeiten schaffen, damit dieser von einer Genossenschaft übernommen werden kann.

Und dann sind da noch die Nahverkehrsunternehmen mit ihren gut bezahlten Vorständen und Aufsichtsräten. Die Chefs der erfolglosen Unternehmen erhalten Spitzengehälter oft jenseits der 200.000 Euro im Jahr.

Auf Anfrage mochte sich das Nahverkehrsunternehmen Bogestra inhaltlich nicht zu den Plänen Paetzels äußern und verwies auf die Rechtslage: „ ÖPNV ist eine Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte, sowie von mittleren und großen kreisangehörigen Städten die ein eigenes ÖPNV-Unternehmen betreiben oder an einem solchen wesentlich beteiligt sind.“ Frank Heidenreich, der Vorsitzender der CDU-Fraktion im VRR, will von Paetzels Vorschlag ebenfalls nichts wissen: „Wir brauchen jetzt keine Strukturreform, sondern mehr Geld im Nahverkehr. Das Land hat eine Milliarde Euro für den Erhalt des Schienennetzes gegeben. Nun sollten die Städte mehr Geld bereitstellen.“

Auch das Landesverkehrsministerium ist von Paetzels Vorschlag nicht angetan: „Die Qualität der Zusammenarbeit im Nahverkehr hängt nicht von der Organisationsstruktur ab – es kommt also nicht darauf an, ob die Akteure als Zweckverband, Anstalt des öffentlichen Rechts, Genossenschaft o.ä. zusammenarbeiten, sondern wie sie zusammenarbeiten.“ Für das Verkehrsministerium sei es wichtig, ein besseres Angebot für die heutigen und die potentiellen Fahrgäste im ÖPNV zu schaffen: „Das erreichen wir am schnellsten mit Zusammenarbeit und Digitalisierung. Nahverkehr ist kommunale Aufgabe.“

Die Widerstände überraschen Paetzel nicht: „Mir war nach den ersten Gesprächen schon klar, dass nicht alle von meiner Idee begeistert sind.“ Paetzel hofft, dass die Parteien im Ruhrgebiet, vor allem seine eigene, die SPD, sich für die Verkehrsgenossenschaft einsetzen werden. „Sowas wäre ein gutes Thema für die Kommunalwahl. Es ist ein Thema, das die Bürger interessiert und es ist nicht nur ein lokales, es ist ein regionales Zukunftsthema. Wenn wir es nicht schaffen, das Nahverkehrsproblem zu lösen, ist das Ruhrgebiet gescheitert.“

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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Dirk Schmidt
Dirk Schmidt
5 Jahre zuvor

Zum einen erkenne ich leichte Verbesserungen an der Struktur des Nahverkehrs in der Metropole Ruhr, zum anderen sehe ich das Problem mehr bei der Zusammenarbeit der Aufgabenträger, also der Kommunen.

a)
Eine gewissen Bereinigung der Gesellschaften findet statt. Anlass sind Finanznöte. Die VER (Ennepe-Ruhr-Kreis) wurde praktisch kalt von der BoGeStra übernommen. Die BoGeStra fährt eh schon im nördlichen Teil des Kreises. Das operative Geschäfts der VER wird von der BoGeStra gemanagt. Die verbliebenen Verantwortlichkeiten des Ennepe-Ruhr-Kreis sind schon mehr schmückendes Beiwerk.

Mit der Fusionen der Gesellschaften von Essen und Mülheim an der Ruhr ist die Ruhrbahn entstanden. Geben wir ihr Zeit, das Denken in Sparten und Profit Centern zu überwinden. Und doppelte Strukturen abzubauen.

Natürlich können beide "Fusionen" noch intensiver werden. Das wird schon.

b)
Natürlich kann so eine "Fusion" stärker werden. Auch die Kooperationsgemeinschaften wie die "KÖR" (Kooperation Östliches Ruhrgebiet) können intensiver werden. Mehr Gemeinsamkeit bei den Verkehrsgesellschaften!

Aber der Blick muss mal auf die Aufgabenträger geworfen werden. Das sind die, die den Nahverkehr bei den Unternehmen bestellen. Da werden umfangreiche Nahverkehrspläne erstellt. Das ist der Bestellschein. Die S-Bahnen fahren demnächst in einem anderen Takt. Und zwar ab dem 15.12. Aber wer passt den Busverkehr und die Straßenbahnen-Taktung an? Warum werden Linien an der Stadtgrenze gekappt? Die Aufgabenträger müssen zusammenrücken! …

Es gilt nicht, wenn jeder für sein Stadtgebiet bei einer VEW-Genossenschaft für Nahverkehr im Ruhrgebiet was anderes bestellt.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
5 Jahre zuvor

Für mich ist die Idee von bestechendem Charme.
Man kann sich nicht über den VRR und die durch ihn zusammengefassten Verkehrsbetriebe aufregen, ohne die fehlgeleitete lokale Verkehrspolitik im Blick zu behalten. Wenn auf Essener Seite das Schienennetz ausgebaut wird und Mülheim seit Jahrzehnten seinen Teil der E-Mobilität vergammeln lässt, dann driftet auseinander, was zusammenwachsen sollte.
Die Verkehrsgenossenschaft wäre eine Teilentmachtung der lokalen Verkehrspolitik, wie wir sie brauchen.
Dieser Strukturwandel ist ein "dickes Brett", weder gibt es einen passenden rechtlichen Rahmen, noch eine finanzielle Konzeption.
Eine Regierungspartei kann heute so ein Langzeitprojekt mit Blick auf die nächste Wahl und dem Wunsch vorzeigbarer Ergebnisse nicht vorbereiten.
Der SPD fehlt m.E. inzwischen das Personal, daß dafür genug Kompetenz, Phantasie und Ausdauer für perspektivisches Handeln mitbringt.
Gibt es Stellungnahmen der Grünen?

ke
ke
5 Jahre zuvor

Neubauten etc.
Dortmunds Hauptbahnhof, das ehemalige Ufo aus den 80er Jahren (?), dümpelt beim Ausbau vor sich hin.
Die RRX Planungen umfassen Zeiträume, die ich vermutlich nicht mehr erleben werde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rhein-Ruhr-Express
Und das bei max. 160 km/h

Unser Planungsprozesse etc. sind einfach zu langsam. Selbst im platten Münsterland bzw. in Niedersachsen eiern die Fernzüge langsam über die Gleise.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
5 Jahre zuvor

Gute Idee. Eine Genossenschaftslösung ist konform mit der eigentlich kommunalen Zuständigkeit.

Bebbi
Bebbi
5 Jahre zuvor

Entweder bleibt es weitesgehend wie es ist oder der ÖPNV in Dortmund wird auf Mittelmaß runtergefahren und in Duisburg hochgefahren auf Ruhrgebietsmittelmaß.

ÖPNV-Pendler
ÖPNV-Pendler
5 Jahre zuvor

Mit einer Änderung des ÖPNVG NRW, per welcher die Verkehrsverbünde (auch der VRR) verpflichtet würden, Nahverkehrspläne jeweils für ihr gesamtes Verbandsgebiet aufzustellen und dies nicht den Aufgabenträgern (Städte, Gemeinden und Kreise) überlassen bliebe, wäre ja schon einiges gewonnen.

Didi
Didi
5 Jahre zuvor

Es macht mich als täglichen nur noch wütend, welchen Blödsinn und Mist der VRR im Ruhrgebiet fabriziert. Jeden Tag stehen die Leute an den Gleisen und beschweren sich nur noch und werden aggressiv, wenn es mal wieder nicht weiter geht. Und dass die Leute da oben nicht verstehen, was zu tun ist, sagt dieser Satz doch schon "keine Strukturreform, sondern mehr Geld im Nahverkehr" – NATÜRLICH braucht es eine Strukturreform! Denn hier im Ruhrgebiet ist Bus – Bahn – Tram kaum aufeinander abgestimmt – das kostet unnötig Ressourcen, Zeit und Geld. Wir hinken nicht nur technisch hinterher, sondern auch das Schienennetz wird dem heutigen Ansturm nicht mehr gerecht und statt SINNVOLL auszubauen (breiterer Treppengang, hellere Bahnhöfe, modernere Bahnhöfe, Bahnhöfe im Ruhrgebiet um Bahnsteige erweitern (Stichwort Recklinghausen bis Bochum per Zugverbindung) entscheidet sich der VRR wichtige Zukunftslinien mit dem BUS abzudecken. Das ist einfach nur lächerlich. Wer kontrolliert den VRR eigentlich? Was passiert mit all dem Geld was die reinbekommen? Wo bleibt der Ausbau im Ruhrgebiet. Womit wir zum nächsten Problem kommen: Bahnhofs-Ausbau an EXTREM wichtigen Punkten im Ruhrgebiet (Essen, Duisburg, Bochum, Dortmund) die haben alle nicht den Bahnhof, den sie eigentlich bräuchten um all die Massen an Menschen glücklich zu machen. Die müssten viel größer sein.

Und wie viel Zeit man sich mit dem Dortmunder HBF gelassen hat. Zudem sei aber auch gesagt, dass Kommunalpolitiker ein Wörtchen mitreden, wo die Reise hingehen soll! Dass aus dem Dortmund HBF nun trotz angekündigter Modernisierung etc. SO ein Mist veranstaltet wird, ist einfach nur traurig.

Wir brauchen nicht nur Geld, nein. Wir brauchen erstmal einen PLAN. Den hat hier niemand. Und schon gar nicht der VRR! Das Ruhrgebiet leidet schon lange unter der Führung derjeniger, die sich eher für andere Städte einsetzen und unter Provinz-Politiker die einen echten Ausbau verhindert, weil sie Angst um die örtliche Wirtschaft haben. Nur deshalb gibt es KEINE u_bahn in Recklinghausen.

Es fehlt Kontrolle. Und Leistungserbringung.

Bahnhöfe im RUhrgebiet sind schäbbig, nur das nötigste wird gemacht, etliche Verspätungen etc. pp und es scheint kein Ende in Sicht zu sein! Ich wünsche mit dahingehend viel mehr Aufstand in Richtung VRR

Didi
Didi
5 Jahre zuvor
Elke
Elke
5 Jahre zuvor

Gemeinden dürfen ihre Aufgaben per Satzung an interkommunale Kooperationen übertragen, etwa als Zweckverband oder öffentliches Unternehmen. Normalerweise sind das eher AGs oder GmbHs, aber grundsätzlich wären auch Genossenschaften möglich. Von daher braucht das Land da gar keine Gesetze zu ändern, die Gemeinden müssen sich bloß einigen, die Aufgabe "Städtischer Nahverkehr" an eine gemeinsame Körperschaft in der Form einer Genossenschaft zu übertragen. Das würde aber im Vergleich zu heute nichts ändern, denn wenn die Gemeinden sich nicht einigen, alle Kompetenzen für den ÖPNV auf den VRR zu übertragen, werden sie sie auch nicht an die zu gründende Genossenschaft übertragen. Es dürfte sogar den gegenteiligen Effekt haben, anstatt bisher einer Einrichtung, bei der die Koordination nicht vernünftig funktioniert, hätte man dann zwei.

Manuel
Manuel
5 Jahre zuvor

Ich habe früher auch im Ruhrgebiet gewohnt und wohne jetzt seit einem Jahr in der Metropolregion Rhein-Neckar weil ich dort Arbeit gefunden habe. Dort ist es mit dem ÖPNV viel besser. Die Städte Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen haben ihre Verkehrsbetriebe zu einem Unternehmen zusammengeschlossen. Sie bestellen die Straßenbahnen und Busse gemeinsam und stimmen ihre Fahrpläne aufeinander ab.

Die S-Bahn Rhein-Neckar, das Hauptverkehrssystem hat eine Pünktlichkeitsquote von 98%. Ausserdem gibt es noch vom Umland Arbeiterzüge die direkt aufs BASF-Werksgelände in Ludwigshafen fahren. Diese Arbeiterzüge werden von der S-Bahn Rhein-Neckar betrieben und sehr gut angenommen. Die Fahrpläne sind auf die Berufspendlerzeiten abgestimmt. Ich arbeite bei der BASF und nutze die Arbeiterzüge. Mein Wohnort ist Germersheim. Dort habe ich ein gutes ÖPNV-Angebot: Je im Halbstundentakt die S-Bahn bis Heidelberg über Ludwigshafen und Mannheim, eine weitere S-Bahn Linie im Halbstundentakt nach Bruchsal, die Straßenbahn nach Karlsruhe im Halbstundentakt und im 2 Stunden Takt ein Regionalexpress nach Karlsruhe und Frankfurt. Auch die BASF-Arbeiterzüge starten von dort.

Die Metropolregion Rhein-Neckar ist auch ein gutes Beispiel wie 3 Bundesländer beim ÖPNV kooperieren und ihre Fahrpläne aufeinander abstimmen. Warum klappt das an Rhein und Ruhr nicht?

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[…] gerne als Genossenschaft organisiert, wie es der Uli Paetzel, Chef der Emschergenossenschaft vorgeschlagen hat, wäre eine weitere gute Idee gewesen. Der Effekt wäre ein Aufschrei der Berufsbetroffenen und […]

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[…] gönnt sich ein Zwei-Kammern-Parlament. Über den Vorschlag, die Nahverkehrsunternehmen in eine Genossenschaft zu überführen, den Uli Paetzel, der Chef der Emschergenossenschaft machte, wird nicht einmal […]

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