Vom schwierigen Kampf um Übernachtungsgäste – Beobachtungen von unserem Gastautor Uwe Gerste, Exchef des Duisburg Marketings, zu den Vermarktungsanstrengungen der Metropole Ruhr: Jedes Jahr trifft sich die Tourismuswirtschaft im März auf der weltgrößten Tourismusmesse, der ITB in Berlin. Im Jahr 2016 jährt sich die ITB zum 50. Mal und fand vom 09. – 13. März auf dem Berliner Messegelände statt. Im Jubiläumsjahr waren erneut über 10.000 Aussteller an mehr als 1.000 Messeständen unterwegs, um die Aufmerksamkeit von 100.000 Fachbesuchern an drei Fachbesuchertagen und zehntausenden von Privatbesuchern an den zwei Publikumstagen zu gewinnen. Diese anspruchsvolle Aufgabe gestaltet sich angesichts der Vielzahl an Teilnehmern schwierig.
Braucht man eigentlich noch Messen in Zeiten der Digitalisierung? Messen seien doch (zu) teure Instrumente innerhalb des Marketing-Mix behaupten immer wieder einzelne Fachexperten. Auf die ITB trifft das offensichtlich nicht zu. Zwar sind große Touristikunternehmen, allen voran Marktführer TUI nicht mit einem Stand, sondern nur mit Fachbesuchern auf der ITB vertreten, aber für Destinationen gelten andere Regeln. Wer etwas auf sich hält, kommt allein aus Imagegründen zur ITB. Die ITB ist eine Networking-Messe bei der alte Kontakte belebt und neue geschaffen werden. Sämtliche Bundesländer sind auf der Messe vertreten und haben ihre jeweiligen Tourismusregionen im Schlepptau.
So auch Tourismus NRW als Landesmarketing-Organisation des Bundeslandes NRW in Halle 8.2. Angedockt an den Hauptstand hat sich die Ruhr-Tourismus GmbH (RTG) als Tochter des Regionalverbandes RVR.
Sie vermarktet die Region unter dem Label „Metropole Ruhr“. Land und RVR werden bei dem Messeauftritt von (zu wenigen) privaten und ansonsten öffentlichen Partnern als „Messeanschließer“ inhaltlich und finanziell unterstützt. Bei der Metropole Ruhr sind dies vorrangig die touristischen Marketing-Organisationen der 5 „Portalstädte“ der ehemaligen Kulturhauptstadt 2010, also Duisburg, Oberhausen, Essen, Bochum und Dortmund.
In der Konsequenz werden visuell auch nur die Highlights dieser Portalstädte über den Messestand kommuniziert, getreu dem Motto „Wer bezahlt, erhält Vermarktungsleistung“. Axel Biermann, dem Geschäftsführer der Ruhr-Tourismus GmbH, ist trotz dieser im Marketing gängigen Vorgehensweise etwas sehr wichtiges geglückt: Die Region vermarktet sich seit mehreren Jahren über Themen und nicht vorrangig über die Städte. Die Themen Industriekultur und Radtourismus, aber auch Events spielen eine wichtige Rolle. Die Portalstädte dienen als Plattform, um die Themen der RTG lokal zu verankern.
Auf den Pressekonferenzen von Tourismus-NRW und Ruhr-Tourismus zeigt man sich zufrieden. Jeweils im 6. Jahr hintereinander konnten Übernachtungsrekorde erzielt werden. Im Ruhrgebiet fällt die Steigerung jedoch deutlich niedriger aus als im Bundesland. Antreiber in NRW waren im Jahr 2015 vor allem die Region Köln und das Münsterland. Axel Biermann benennt zur Erklärung die in ungeraden Jahren geringere Messeintensität im Ruhrgebiet. Im Umkehrschluss heißt dies auch, dass der Wunsch vieler Ruhrgebietspolitiker, die Region kurzfristig auf das Städtereisen-Niveau von klassischen Städtetourismus- Destinationen wie Berlin, Hamburg, München, Dresden, Leipzig oder auch Köln zu bringen noch immer in weiter Ferne liegt. Entscheidend für die positive Übernachtungsentwicklung in der Region sind die in der vielfältigen Veranstaltungslandschaft der Region durchgeführten Messen, Tagungen und Kongresse – also das klassische Segment Geschäftstourismus.
Diese Ausgangslage nutzen die Bochumer. Mit Jahrhunderthalle, Ruhr-Kongress und die „Mehr-Entertainment“ mit „Starlight-Express“ wird auf die Übernachtungssteigerung durch die dortigen Veranstaltungsstätten inklusive des Langzeit-Musicals gesetzt. Ähnliches findet sich auch in Oberhausen. Neben dem Klassiker „Gasometer“ mit der neuen Ausstellung „Wunder der Natur“ steht das Stage-Musical „Tarzan“ im Mittelpunkt der visuellen Kommunikation der Stadt.
Ganz auf Fußball-Emotion setzt die Stadt Dortmund. Ob Fußballmuseum oder die Lanyards mit dem BVB-Logo beim Standpersonal, Dortmund zeigt sich als Fußball-Hochburg der Region. Das fällt umso einfacher, da der einzig ernsthafte (Fußball-)Wettbewerber der Region – Gelsenkirchen mit Schalke 04 – gar nicht vertreten ist.
Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des RVR, hat in der Pressekonferenz die eher undankbare Aufgabe, Förderprojekte des Landes und der EU mit eher sperrigen Namen wie „Kulturtouristische Inwertsetzung der Kulturnetzwerke Ruhr“ oder „Kulturtouristische Inwertsetzung der Industriekultur“ dem Publikum schmackhaft zu machen. Axel Biermann hat ein Thema mit mehr Emotion: Das „Jahr der Trinkhalle“ mit dem ersten Tag der Trinkhallen im Ruhrgebiet am 20. August ist das neue Thema der RTG für das Jahr 2016. Ob es signifikant zur Steigerung der Übernachtungsleistung der Region beitragen wird, ist offen und bleibt abzuwarten. Für das Binnenmarketing ist es jedoch ein wunderbares Thema, das sicherlich viel Aufmerksamkeit und Beteiligung innerhalb der Region erlangen wird.
Am besten gelingt der Spagat, Regionsinteressen mit städtischen Interessen in eine win-win Situation zu bringen, den Essenern. Die Auszeichnung von Essen zur „Grünen Hauptstadt Europas 2017“ deckt sowohl Regions- als auch Stadtinteressen ab.
Seit langem möchte sich die Region endgültig von dem Mythos des grauen Kohlenpotts verabschieden. Geschickt ist es den Essenern gelungen, sowohl bei der visuellen Standgestaltung als auch bei den Presseunterlagen der Ruhr-Tourismus starke Präsenz zu erzielen. Zur Abrundung macht die Essener Umweltdezernentin Simone Raskob auf ihrem Weg zur Eröffnung der „Grünen Hauptstadt 2016“ in Lubljana noch einen Kurzabstecher zur ITB. Im Rahmen der Pressekonferenz stellt sie couragiert die grünen Vorzüge der Region und natürlich von Essen dar.
Und Duisburg? Dort hat sich vieles im letzten Jahr getan. Die Duisburg Marketing GmbH wurde aufgelöst, sie wirbt aber auch noch 2016 im Ausstellerverzeichnis und im virtuellen Netzwerk der ITB. Tote leben länger… – jedenfalls in Duisburg. Die ehemalige Gesellschaft „FrischeKontor“ – vormals für Großmarkt, Wochenmärkte und Schlachthof zuständig – zeichnet nun für die touristische Vermarktung verantwortlich und wurde zum „Duisburg Kontor“ umfirmiert.
Erfreulicherweise entdecke ich ein „neues“ Gesicht auf der ITB. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link ist als einziger OB dieser Region zugegen. Er kommt nicht nur für wenige Stunden, wie die Essener Umweltdezernentin, sondern hat sich direkt 2 Tage seiner knappen Arbeitszeit abgerungen, um die Vermarktung der Stadt nach vorne zu bringen. Oberbürgermeister werden auf Messen als erste Stadtvermarkter und Wirtschaftsförderer üblicherweise inszeniert, ob durch eigene Pressekonferenzen, aufsehenerregende PR-Events oder Teilnahme als Diskussionspartner in wichtigen Konferenzen. Doch der Duisburger Oberbürgermeister bleibt still. Er besucht die Pressekonferenzen von Tourismus NRW und Ruhr-Tourismus und lauscht andächtig den Worten der Speaker. Er ist nicht eingebunden wie die Essener Umweltdezernentin, geschweige denn Akteur, sondern Konsument der Worte anderer. Die angekündigte stärkere Außenkommunikation der Stadt, warum nutzt ausgerechnet der Duisburger OB die ITB nicht zur Realisierung des eigenen Anspruchs?
Am Stand der Ruhr-Tourismus hängen für Duisburg die Bilder des Landschaftspark Duisburg-Nord, von Tiger & Turtle und dem Innenhafen. Es sind die gleichen Bilder wie im Vorjahr. 300 Jahre Duisburger Hafen? Visuell Fehlanzeige. Beim Messerundgang mit Foto-Shooting von Staatssekretär Dr. Günther Horzetzky, der den erkrankten Wirtschaftsminister Garrelt Duin in diesem Jahr auf der Messe vertritt, fehlt jemand auf dem Foto der Duisburg-Delegation. Ausgerechnet Sören Link. Sicher gab es Wichtigeres. Man fragt sich, wen man bedauern soll? Den Duisburger OB, die Duisburger Lokalpresse oder die Stadt Duisburg? Zumindest für das Titelbild des neuen englischsprachigen Merian-Hefts „Northrine-Westphalia“ hat sich Tourismus NRW das Duisburger Motiv Tiger & Turtle ausgesucht.
Einzelne Messebotschafter fremdeln auch 6 Jahre nach der Kulturhauptstadt mit der Vermarktung unter einer Dachmarke. Die Postings in den sozialen Netzwerken zeugen davon. Gerne wird die eigene Stadt weit nach vorne gestellt und irgendwie ist Ruhr-Tourismus mit dabei. Sich als Bestandteil eines Großen und Ganzen zu verstehen muss auch zukünftig hart erarbeitet werden. Dabei hat gerade die Kulturhauptstadt gezeigt, dass nur gemeinschaftliches und kooperatives Vorgehen zielführend für die Region und damit auch jede einzelne Stadt ist. Das Konzept zur regionalen Vermarktung zur Kulturhauptstadt kam übrigens nicht aus der Region. Österreichische Experten, die schon die ganzheitliche erfolgreiche Vermarktung österreichischer Feriendestinationen entwickelt hatten, standen damals Pate. Das Denken in Kirchtürmen scheint in Österreich weniger ausgeprägt zu sein.
Ein ebenso eingängiger, wie präzise in der Beobachtung geschriebener Beitrag. Ich glaube zu erkennen, daß sich die Protagonisten des Ruhrgebietes auch bei der Präsentation auf der ITB eher laienhaft vermarkten. Keine umfassende große und emotionale Story, offenbar nicht einmal eine visuelle Einheitlichkeit sondern Lokalpatriotismus der einfachen Art. Das es einen Mangel an politischen Schwergewichten zu verzeichnen gab, überrascht dann doch, sagt aber viel aus. Ich möchte nicht nur kritisieren und begrüße auch ausdrücklich den Fortschritt die Messe inhaltlich mit Themen zu bespielen und nicht ausschließlich mit den vielen Kirchtürmen. Im Ruhrgebiet dauert ja vieles etwas länger, besonders bei der Profilierung der eigenen Marke "Ruhrgebiet".
Glückauf
Insgesamt klingt der Bericht ja ganz positiv. Denn seit der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas dümpelt vieles wieder vor sich hin. Schlimmer noch, mit dem RVR-Gesetz scheint man sich endgültig mit dem Trostpreis zufrieden zu geben. Niedersachsen verzichtete in einem großen Wurf und in Anlehnung an das Königreich Hannover auf sämtliche Mittelinstanzen. In NRW geriet die Verwaltungsreform 2000-2006 ins Stocken. Der Berg kreiste und gebar eine Maus. Mit Straßen-NRW gab es gleich Probleme. Kleiner Seitenhieb, als Schwarz/Gelb die Regierung übernahm, klaute man dem roten Mülheim an der Ruhr das Polizeipräsidium, das im schwarzen Olpe erhalten blieb. Im November 2005 schickten die Westfalen eine Resolution „kein Restfalen“ an die Landesregierung. Das Ruhrgebiet verzichtete fortan defaitistisch auf den Regierungsbezirk Ruhr.
Seitdem plagt sich das Revier mit Mickey-Mouse-Konstrukten. Der Regionalverband ist weder Fisch noch Fleisch. Zu Reden machte er, weil seine Delegierten nicht gewählt, sondern proportional aus den Kommunen stammen. Die SPD weigert sich standhaft, außer der CDU weitere Parteien zur Kenntnis zu nehmen. Sicher auch ein Problem bei den drei Landtagswahlen diesen Sonntag. Dafür will man jetzt die 3% Hürde gegen das EU-Urteil. „Angedockt an den Hauptstand hat sich die Ruhr-Tourismus GmbH“ und bleibt Anhängsel der Rheinschiene. Düsseldorf zieht wie ein Magnet alles in die Landeshauptstadt. Es fehlt das Gegengewicht. Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des RVR war von Anfang an eine Fehlbesetzung. Hier gilt es nichts zu verwalten, hier ist ein starker Auftritt gefragt, wie ihn Franz-Josef Antwerpes über die Grenzen Kölns hinaus bekannt machte.
Laut Artikel gelang der Region Köln und dem Münsterland ein guter Auftritt. Zufall oder macht das die Nähe zu den dort angesiedelten Landschaftsverbänden? Keine Animositäten aus Konkurrenz sondern die vielen parallelen Strukturen schwächen das Revier. Schulen, Museen, Schwimmbäder und Parks kann es sowohl in Trägerschaft von LVR oder LWL geben oder von den Regierungsbezirken oder vom RVR oder von den Kreisfreien Städten oder von Kreisen und Kommunen. Da verliert jeder die Übersicht, eine gemeinsame Vermarktung ist nahezu unmöglich. Selbst der Regionale Flächennutzungsplan (RFNP) ist kläglichst gescheitert.
Für Reisende mag es kurios sein, auf der A42 und dem Regionalexpress 2 durch drei Regierungsbezirke zu fahren. Für den Erhalt der Infrastruktur ist es dagegen verheerend. Immer wieder wird von eine Klammer für das Ruhrgebiet gesprochen. Stattdessen macht man den zweiten Schritt vor dem ersten. Mit der „Metropole Ruhr“ sollen gewachsene Strukturen zerstört, Stadtgrenzen aufgehoben werden. Das widerspricht der Geschichte des Reviers, die sehr heterogen war, wie der Entwicklung nach der sich die Ränder Duisburg und Dortmund ganz aus dem Pott verabschieden möchten. Das wird sicher von Arnsberg und dem Niederrhein befeuert, lässt aber eine Großgemeinde völlig absurd erscheinen. Zu allem Überfluss möchte man an der Dreiteilung festhalten. Im Wort Metropole steckt jedoch eine Zustandsbeschreibung. Hier steppt der Bär (Berlin), Gangnam im Stile Seouls. Das Wort Metropole drückt Macht aus, an der es dem Revier in jeder Hinsicht fehlt. Leider fehlt den Schöpfern dieses Wortes der geringste Anflug an Ironie. Dem Begriff soll die Funktion folgen, was ohne eigene Identität unmöglich ist.
Die einzige Chance besteht darin, die Verwaltungsreform wieder aufleben zu lassen. Aus drei mach eins. Statt der Parallelstrukturen Landschaftsverband, Regierungsbezirk und RVR einen Regierungsbezirk Ruhr, dem sämtliche Planungskompetenz obliegt. Damit fallen die Mitgliedsbeiträge ebenso weg, wie das obsolet gewordenen RVR-Gesetz.
@#2 Moritz Darge: Ich warte eigentlich nur darauf, dass die "Metropole Ruhr"-Begriffsverbrecher aus Verzweiflung über die eigene Erfolglosigkeit und aus Verbeugung vor der für einige Städte noch rentablen Wirtschaftsform Profifußball ein "Metro-Pöhlen Ruhr" ins Feld schmeißen.
# Moritz Drage
Bravo!