Dieses Jahr wartet das beliebte Punk-Rock-Open Air (05.- 07. Juli) mit so unterschiedlichen Bands und Kollektiven, wie Pussy Riot und Bad Religion, Sum 41 oder Money Boy auf. Für den Rodeo-Nachwuchs-Wettbewerb haben sich sage und schreibe rund 500 Bands beworben, die besten sieben davon stehen morgen, Samstag, den 11. Mai, auf der Bühne vom Essener Club Turock. Und deren Gewinner zieht Anfang Juli hoch nach Hünxe, um mit den Suicidal Tendencies oder den Toy Dolls die Bühne zu teilen. Das – und vieles mehr – erklärt Alex Schwers vom Ruhrpott Rodeo im Interview.
Lieber Alex, was ist dir als Macher vom Ruhrpott Rodeo besonders wichtig bei der Festival-Gestaltung?
Alex Schwers: Mir geht es beim Ruhrpott-Rodeo in erster Linie darum, dass da ein Freiraum geschaffen wird, wo sich alle Beteiligten so gut es geht ausleben können. Also das heißt, die meisten Menschen haben halt im Alltag irgendwie Stress und kein so leichtes Leben, gerade im Moment – und in letzter Zeit mit Corona, Kriegen, Sorgen und Nöten. Und meine Vision ist, dass man da hinkommt und einfach den ganzen alltäglichen Scheiß vergisst – und sich ausleben kann, in dem Rahmen, dass man keinem anderen damit zu Nahe tritt. Da es kaum jemand schafft sich drei Tage lang nur Bands anzugucken, rückt der Fokus beim Rodeo immer mehr auf die drumherum Gestaltung des Geländes. Dieses Jahr wird’s wieder einige Überraschungen geben mit denen man sich die Zeit hervorragend vertreiben kann.
In meiner Wahrnehmung gab es mal einen szene-typischen Kipppunkt, als Feine Sahne Fischfilet im AJZ Bielefeld aufgetreten sind – und ihr Schlagzeuger spielte bei gefühlten 85 Grad Bühnentemperatur mit freiem Oberkörper. Das galt dann ab Herbst 2013 für „männlich gesteuerten Sexismus“…
Alex Schwers: Hmm, ich bin ja selbst Schlagzeuger und hab in 35 Jahren noch nie Oberkörperfrei auf einer Bühne gesessen, weil es nicht meiner persönlichen Ästhetik von Rock´n Roll entspricht. Aber wenn jemand das machen möchte, dann bitte. Für solche Diskussionen hab ich keine Lust viel Energie aufzuwenden. Ich halte mich aber selbst auch nicht für das Maß der Dinge – und wenn das Rodeo irgendwie als Diskussionsvorlage dienen kann, dann bitte!
Worum kümmerst du dich aktuell beim Festival?
Alex Schwers: Also dieses Jahr haben wir zum Beispiel unser Inklusions-Team nochmal erweitert, weil einfach die Leute teilweise älter werden und die Zahl der Besucher sich steigert, die mit Gebrechen zum Festival kommen. Ich möchte, dass die sich genauso gut bei uns aufgehoben fühlen, wie alle anderen auch, da hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Bedarf besteht. Es wird ein Rollstuhlfahrer Podest mit direktem Blick zur Bühne geben – und wir haben auch rollstuhlgerechte Toiletten auf dem Festival. Wie im letzten Jahr, haben wir auch ein Extra-Team hierzu abgestellt – wer individuelle Fragen dazu hat, möchte sich im Vorfeld bitte bei handicap@ruhrpott-rodeo.de melden.
Eine andere Sache, die in diesem Jahr neu ist, ist halt das Newcomer Festival, was am 11. Mai im Turock mit den Bands Plöpp, Mallows, Masters & Commander, Splitterfaser, Sascha und die Heringe, Manic Depression und Zeitkonsum auf die Beine stellt. Was versprichst du dir davon?
Alex Schwers: Natürlich wollen wir auf den Nachwuchs setzen und hier was tun, um neue Bands zu fördern. Für diesen Contest haben sich sage und schreibe fast 500 Bands gemeldet und 230 sind davon dann im Voting gelandet. Das sind jetzt nicht alles junge Bands, da ist einfach alles dabei. Ein paar richtige Kids, aber auch ein paar Ältere, die einfach mal auf einer großen Bühne spielen wollen. Und auch hier gilt: Macht einfach mit, jeder ist willkommen – solange es kein Arschloch ist. Dass die Resonanz so groß ist, damit habe ich jetzt auch nicht gerechnet.
Das Ruhrpott-Rodeo ist bekannt für eine musikalisch sehr weit gefasste Spannbreite. Im letzten Jahr reichte die von den Sleaford Mods bis hin zu Sodom, in diesem Jahr geht es von Sum 41 über Cosmic Psychos bis hin zu Napalm Death. Was ich sehr unglaublich finde, dass du das aus Moskau stammende Performance Kollektiv Pussy Riot verpflichtet hast. War es einfach an sie zu kommen?
Alex Schwers: Nein, überhaupt nicht. Pussy Riot haben schon ein paar Mal in Deutschland gespielt, aber dieses Mal ist es noch etwas anderes – sie kommen jetzt mit Nadya, sie ist das bekannteste Gesicht des Kollektivs. Sie kann nicht richtig in der Öffentlichkeit auftauchen, weil sie immer von Bodyguards geschützt werden muss. Denn vor ein paar Monaten ist Nadya Tolokonnikowa vom Putin-Regime auf die Liste der meistgesuchten Terroristen gesetzt worden. Ein Moskauer Gericht hatte sie auch schon mal zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Sie ist in den Westen geflohen, ihr genauer Wohnort wird zu ihrem Schutz nicht bekannt gegeben. Es geht bei Pussy Riot um sehr viel mehr, als dass einfach nur eine Band anreist, auf die Bühne geht und spielt.
Mit Acts wie dem Techno- und Euro-House-Star Blümchen, die 2019 auf dem Ruhrpott Rodeo spielte, oder in diesem Jahr mit dem kontroversen Rapper Money Boy setzt du ja bewusste Spitzen im Billing, oder?
Alex Schwers: Diese ganze klassische Punk-Attitüde ist mir mittlerweile zu spießig geworden. Ich versuche das mit meinen Mitteln aufzubrechen – Über Money Boy freuen sich ja zum Beispiel viele Kids von unseren Mitarbeitern total – inklusive meiner eigenen Kids. Und viele die jetzt Mitte 20 sind und sich zum Punkrock hingezogen fühlen sind ja mit Money Boy ist als Trashfigur aufgewachsen. Und dass einige den scheisse finden – das war ja auch klar und das ist auch gut so. Gerade das ist für mich das Salz in der Suppe – eigentlich ist es genau das, was ich am interessantesten am Festival finde. Es ist nicht meine Absicht, dass ich mit dem Ruhrpott Rodeo eine Art „Everybody’s Darling“ sein muss. Und genau dieses Bestreben ist für mich meine Art von „antikommerzielles“ Statement. Wir hätten es uns in den letzten Jahren weiß Gott einfacher machen können, indem wir einfach eine Sparte bedienen. Natürlich ist das Festival auch ein wirtschaftliches Unternehmen, wofür ich den Kopf für sehr viele Mitarbeiter hinhalte. Aber letztendlich ist das Ganze auch ein Experiment und ein Kunstprodukt. Also ich möchte nicht nur eine gewisse Szene mit einem gewissen Sound bedienen. Davon sind wir weit entfernt. Und wir wollen jedes Jahr aufs Neue die Besucher wieder neu überraschen.
Was meinst du genau?
Alex Schwers: Ich merke jetzt gerade, dass da ein Generationswechsel stattfindet. Und das freut mich voll. Also im Sinne von, ich weiß, dass da viele von den Alten auch kommen, aber ich finde es halt total gut, wenn auch junge Leute zu uns kommen. Das ist auch wichtig – sonst stirbt die ganze Geschichte irgendwann aus. In allen möglichen Szenen, sei es im Punk, Metal oder im Gothic-Bereich, spielen seit zig Jahren die immer gleichen Bands, die da so durchgereicht werden. Und dieses System muss man mit neueren Namen durchmischen.
Wie gehst du das an?
Es ist immer noch schwer Headliner für so ein Festival zu finden, die nicht seit mindestens 30 Jahren existieren, aber wir haben mit Ho99o9, Pussy Riot, Das Lumpenpack, ABER, Money Boy, Dubioza Kolektiv und weiteren Bands einiges an „punkuntypischen“ und frischen Acts im Line-Up, die das Festival davor bewahren im Punk-Mief zu versinken. Und natürlich sorgt auch so eine Größe wie SUM41oder auch The Chats, die ja von wahren Altpunks wohl eher nicht so geschätzt werden für neuen Zulauf. Für alte Hasen ist mit Bad Religion, FEAR, Suicidal Tendencies, The Toy Dolls, Lokalmatadore, Millencolin und vielen weiteren natürlich auch genug am Start – und es kommt ja auch noch ein paar Bands als Würze dazu. Also, wenn du ein offener Mensch bist und ein paar Tage dem Alltag entfliehen möchtest, komm vorbei!
Aktuelle News und weitere Infos zum Festival finden sich auf www.ruhrpott-rodeo.de