Stand der Dinge: Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, hatte dem Landtag im Juli angekündigt, sie bereite anstelle des Auftritts einer BDS-Band eine Veranstaltung mit Norbert Lammert vor. Dieser Tage hat sie das Ergebnis ihrer Planung vorgestellt: Lässt sich eine politische Vernunft darin erkennen und eine politische Ethik? Das Setting einmal durch dekliniert. Unser Gastautor Thomas Wessel ist Pfarrer der Christuskirche in Bochum.
Thema des Podiums sei, so der offizielle Text, „das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung im Kontext der deutschen Geschichte“. Ein weit gespanntes Panorama, man würde – schon weil Lammert moderiert, neben ihm Kulturministerin und Ex-Kulturminister – einen renommierten Verfassungsrechtler an ihrer Seite erwarten oder Großhistoriker wie Heinrich August Winkler und schaut sich die Besetzungsliste an: Alain Platel und Elliott Sharp, die beiden experimentellen Künstler, konnten ihr Berufsleben lang tun und sagen, was immer sie tun und sagen wollten. Anders Stefanie Carp: Die „Spannung“ zwischen „Meinung“ und „Verantwortung“ ist ihr akutes und sehr persönliches Problem. Carp ist das Thema des Podiums, das sie arrangiert, nur dass sie den „Diskurs“ vertikal verschoben hat: Wo es um sie geht, geht es um „Freiheit Verantwortung Geschichte“. Theologisch müsste man von einer Verklärung sprechen.
Auch horizontal hat Carp die Kulisse geschoben, das Thema der letzten acht Wochen – Antisemitismus – ist verschwunden, jetzt geht es um – Pro und Contra? nein – „Sinn und Legitimation von Boykott-Strategien im Bereich der Kultur“. Wieder ein globales Thema, wieder ließe sich erwarten, dass eine Bühne bereitet würde für Shirin Ebadi oder Ai Weiwei oder Fazil Say und sie mit Lammert darüber diskutierten, ob der Kulturboykott eines autoritär regierten Landes – Iran, China, Türkei – der zivilen Gesellschaft dort schadet oder nützt. Wieder ein Blick auf die Besetzungsliste: Sharp boykottiert Israel, Platel boykottiert Israel, diskutiert werden soll der Boykott demokratischer Kultur.
Nicht sehr elegant, dieses Verwirrspiel, der Hintergrund ist klar: Es ist der Versuch, die Ruhrtriennale davor zu bewahren, zum ECHO der Staatskultur zu werden. Die Absicht ist richtig, die Frage ist, ob sich das Ziel auf diese Weise erreichen lässt. Auf der Kostenseite stehen 10 Positionen:
1. BDS wird Hochkultur.
Der BDS-Kampagne – Platel zählt zu den Erstunterzeichnern der belgischen BDS-Deklaration, er sieht sich selber im „Widerstand gegen die Besatzungs-, Kolonialisierungs- und Apartheidpolitik der israelischen Regierung“, weigert sich, in Israel aufzutreten oder „an irgendeiner Form von Kooperation oder kultureller Zusammenarbeit oder an gemeinsamen Projekten mit israelischen Kulturinstitutionen teilzunehmen“, erklärt, dass er israelische Kulturinstitutionen „auf internationaler Ebene“ boykottiere und – ganz wie die „Young Fathers“ – „jegliche Form von finanzieller Unterstützung oder Subvention“ durch israelische Institutionen ablehne, während er palästinensische Kultureinrichtungen vorbehaltlos unterstütze auch dann, wenn sie eine „Partnerschaft“ mit Israelis verweigern. Ähnlich Sharp, auch er unterstützt die Boykott-Kampagne aktiv, spricht von „Kolonialismus“ und „Apartheid-System“, davon, dass Israel „ein Fehler“ sei und „Juden denken, dass sie ein Leidensmonopol haben, aber die Welt ist mit zu vielen Holocausts gefüllt“ – dieser üblen Kampagne also wird erstmals in Deutschland eine staatliche Bühne bereitet. Der Empfang ist hochrangig. Eingeführt wird BDS als Kapazität für die Frage nach Freiheit, Verantwortung, Geschichte.
2. BDS verschafft Karrierevorteil.
Die beiden Künstler auf dem Podium sind nicht als Künstler geladen, die ein „Spannungsverhältnis“ durchleiden würden wie Salman Rushdie oder die es in die Richtung auflösen würden wie Nick Cave („BDS stinkt“). Engagiert worden sind sie, weil sie Israel boykottieren, als sei das eine Zusatzqualifikation. Wenn das Schule macht.
3. Ruhrtriennale-Künstler werden blamiert.
Für das Podium, erklärte Carp, habe sie Künstler/innen aus dem „Umfeld der Ruhrtriennale“ angefragt. Gab es dort keine/n, der/die sich gegen den kulturfeindlichen BDS ausspricht? Oder hat Carp alle, die gegen BDS sind, zum Zuhören verdammt? Welches Problem hat die Ruhrtriennale, dass eine Ministerin anreisen muss, um klar zu stellen, dass der Boykott von Kunst das Gegenteil von Kunst ist?
4. BDS ist Gift, es wirkt.
Bereits im Juli hatte Carp erklärt, sie sei unter massiven Druck gesetzt worden, deshalb habe sie die ausgeladene BDS-Band wieder eingeladen. Von wem sie erpresst worden ist, hat Carp nicht gesagt. Bedeutet: BDS und dessen Sympathisanten genügen Telefonanrufe, um ein staatliches Kulturprogramm zu formen. Ein Skandal im Desaster, Gift für jedes kommende Programm.
5. BDS rein, Juden raus.
Das Podium der BDS-Aktiven findet an einem Sabbat statt, und zwar nicht zum Sabbatausgang hin, sondern mittenmang, was für ein mieser Schachzug. Wäre es nur ein handwerklicher Fehler, ließe sich das Ganze auf den Sonntag schieben. Und wäre die Turbinenhalle am Sonntag belegt, stünde die Christuskirche offen, sie bietet mehr Sitzplätze. Für die, die sonntags kommen könnten.
6. Antisemitismus wird diskursfähig.
Die „Boykottstrategie“ des BDS wird von Bundestag, den in NRW regierenden Parteien, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung usw. als antisemitisch gewertet. Die Ruhrtriennale lässt mithin über „Sinn und Legitimation von Antisemitismus-Strategien im Bereich der Kultur“ diskutieren. Entscheidend ist dabei nicht einmal, was diskutiert wird, sondern dass diskutiert wird, es allein verschiebt die Grenze. In Carps Kreisen nennt man dies „performativ“.
7. Landtag und Landesregierung werden blamiert.
Die Landesregierung hat sich von Beginn an deutlich positioniert, der Landtag reagierte auf Carps Auftritt entsetzt. Jetzt hat die Kulturministerin erklärt, dass sie das Festival der vielen Künstler nicht eröffnen, aber mit BDS-Aktiven diskutieren wolle. Ist es falsch, wenn der Eindruck entsteht, der Landtag ließe sich vorführen? Die Landesregierung tue nicht, was sie sagt? Oder könne nicht, was sie will? Hoher Preis.
8. Private Veranstalter stehen im Regen.
Das Signal, das die Ruhrtriennale sendet: BDS-Agitation wird honoriert, roter Teppich statt roter Karte. Für private und für uns als kirchlicher Veranstalter fordert politische Vernunft das Gegenteil: BDS muss zu einem nicht kalkulierbaren Risiko werden. Nicht kalkulierbar, weil sich Medienpartner abwenden könnten wie es der WDR von Roger Waters tat. Weil teure Regresse entstehen könnten wie nach der Absage des Tempest-Konzerts in Berlin. Weil Sponsoren abspringen, die nicht bereit sind, für schlechte Presse so viel zu zahlen wie NRW für Carp. Weil Konzertbesucher keine Lust haben, agitiert zu werden. Politisch vernünftig wäre, deutlich zu machen, dass BDS kein Label ist, das den Verkauf ankurbelt, sondern ein Makel, nicht schick, sondern mit übler Aura, nicht Kultur-Ruhr, sondern Kollegah.
9. BDSler werden entschädigt, Überlebende nicht.
Acht Wochen über haben die Juden in NRW auf ein Wort oder eine Geste der NRW-Triennale gewartet, es gab sie so wenig wie die Einladung auf ein Podium mit Aufwandsentschädigung. Ein unglaublicher Affront, er ist politisch brisant: Seit Jahren kämpfen die jüdischen Verbände gerade in NRW darum, dass Kinder, die in Nazi-Ghettos Zwangsarbeit leisten mussten, entschädigt werden. Die sog. Ghetto-Rente wurde bis heute kaum einmal ausgezahlt, viele der Antragsteller leben, so sie noch leben, in Israel. Und jetzt erhalten BDS-Aktivisten eine Entschädigung dafür, gegen Israel zu agitieren? Unerträglich.
10. „Wir werden nicht das Existenzrecht Israels diskutieren.“
Der Satz stammt von der israelischen Botschaft. Carp hatte den Botschafter eingeladen – zu was? Um mit BDSlern über „Sinn und Legitimation“ des Staates Israel zu diskutieren? Unvorstellbar, dass hier, wie Carp behauptet, irgendetwas mit Norbert Lammert „abgesprochen“ sei. Das führt auf die Frage zurück:
Lässt sich eine politische Vernunft in diesem Podium erkennen? Nein, keine demokratische. Rettet die Ruhrtriennale und blast dieses Podium ab, der rote Teppich für BDS ist wie der ECHO für Kollegah.
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Mehr zu dem Thema in anderen Medien:
WAZ: Armin Laschet sagt seine Teilnahme an der Ruhrtriennale ab
Deutschlandfunk: Vorwürfe gegen die Intendantin der RuhrTriennale: ein völliges Desaster
JNS: Confronting Germany’s mixed record on tackling BDS
Rheinische Post: Kommunikation mangelhaft
Rheinische Post: Ärger um Ruhrtriennale-Chefin
New Music Express: Young Fathers reinvited to German festival after being dropped for supporting pro-Palestinian group
Rheinische Post: Pop und der Israel-Boykott: Roger Waters frohlockt
The Guardian: Ruhrtriennale festival wrong to expel Young Fathers over support for Palestinian rights
Neue Osnabrücker Zeitung: Punktsieg für Populisten: Skandal um Ruhrtriennale
Rheinische Post: Eingeladen, ausgeladen, eingeladen: Young Fathers kommen trotzdem nicht zur Ruhrtriennale
taz: Peinliches Rumeiern
Jüdische Allgemeine: BDS: »Vehikel einer antisemitischen Kampagne
Zeit: Ruhrtriennale: Der Boykott vom Boykott vom Boykott
Tagesspiegel: Ruhrtriennale lädt Young Fathers trotz Antisemitismus-Vorwürfen wieder ein
Kölner Stadtanzeiger: Ruhrtriennale: Streit wegen Boykottaufruf
Rheinische Post: Ärger um Festival: Ruhrtriennale lädt umstrittene Band Young Fathers aus und wieder ein
Westfälische Rundschau: Kulturministerin rüffelt Ruhrtriennale wegen Young Fathers
Jüdische Allgemeine: Ruhrtriennale: Band nach Antisemitismus-Streit wieder eingeladen
Rheinische Post: Kulturfestival im Ruhrgebiet: Boykott-Aufruf: Künstler sagen der Ruhrtriennale ab
Jüdische Allgemeine: »Ruhrtriennale« : Musiker folgen Brian Enos Boykottaufruf
Rolling Stone: Young Fathers: Israelkritische Band von NRW-Festival ausgeladen
Welt: Antisemitische BDS-Kampagne: Young Fathers von Ruhrtriennale ausgeladen
Neue Osnabrücker Zeitung: Morgenland Festival Osnabrück: Wird die Party zum Politikum
Spex: Wegen BDS-Support: Ruhrtriennale lädt Young Fathers aus – Spex Magazin
Jerusalem Post: Germans Music Festival demands Band Young Fathers Reject BDS
Rheinische Post: Düsseldorf: Ärger um Konzert bei der Ruhrtriennale
Passt dazu:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-um-kuenstlerische-freiheit-und-bds-kritik.2156.de.html?dram:article_id=424518
[…] Ruhrtriennale: Blast dieses Podium ab […]
Sehr kluge Analyse! Hat's in dieser Bildungsbürger-Blase keinen Campino?
Oder wenigstens einen mit einer guten PA und einer Bob Dylan und Leonard Cohen-Playlist – let's get loud!
Herzlichen Dank für diesen unaufgeregten, nachdenklichen, klugen, und sachlich so zutreffenden Beitrag.
Danke den "Ruhrbaronnen" für den frühzeitigen Einsatz gegen so zahlreiche Mitläufer, die ihre Eigeninteressen mit "Meinungsfreiheit" verwechseln.
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