Es war zuletzt reichlich zerdellt, das Festival der Künste: erst Antisemitismus, dann Antisemitismus, dann Corona. Jetzt besteht die Kunst darin, aus dem Zerdellten Kunst zu machen: Heute haben die neue Intendantin der Ruhrtriennale, Barbara Frey und ihr Team, das Programm für die erste ihrer drei Spielzeiten vorgestellt. Ein flüchtiger Blick zeigt, was fehlt: die Welterklärattitüde. Dass sie fehlt macht neugierig, er lohnt sich, der Blick auf ruhrtriennale.de.
Vertraut die Spartenvielfalt, das Potpourri aus „Schauspiel“ und „MaschinenHausMusik“, „Musiktheater“ und „Literatur“, aus „Pop“ und „Tanz“ und „Dialog“ . Vertraut auch, dass es verschiedene Spielorte sind, durchs Ruhrgebiet gewürfelt, neu dabei das leerstehende Allbauhaus in Essen. Die Intendantin, auch das hat Tradition, inszeniert selber unter anderem Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“, anders jetzt: Es gibt, wie es aussieht, keine Eröffnungsrede, stattdessen eröffnet das Festival kurz vor Sonnenaufgang mit einem Konzert im Morgengrauen und einem anschließenden gemeinsamen Frühstück an der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck.
Frühstück statt Weltdeutung. Freys Team steuert einen Erklärtext bei, was das Programm nach dem Frühstück eigentlich möchte, nämlich
„gegenwärtige Bruchlinien, verunsicherte historische Konstruktionen von Identität, kollektive und individuelle Erinnerungsprozesse und das komplexe Verhältnis von Mensch und Natur befragen“.
Und das ist dann schon alles an Vorab-Deutung, das einem mitgegeben wird, keine Rede von „Vision“ und „global“ und „planetarischer Zukunft“. Nach dem Satz mit den „Bruchlinien“ kann sich jeder selbst befragen, wie das werden mag, wenn – mal als Beispiel – Kohlezeichnungen von Albert Oehlen mit Texten von Rainald Goetz und Kompositionen von Michael Wertmüller kollidieren und währenddessen
„Streichquartett, Avantcore, Elektronik und Garage Punk zum Orchester werden, das die Stile zelebriert, negiert und auflöst …“
Das sagt nichts und verrät Vieles, mehr noch dieser Abbinder:
„Und wovon handelt D • I • E? Von einer Frau? Vom Sterben? Von Grammatik? Von Linien, Punkten und Schriftzeichen? Alle Antworten sind richtig – und alle Fragen obsolet.“
Als Ankündigung: toll. Eben weil es keine Versteh-Dogmen mehr gibt und keine Großweltdeuter, die Künste sind frei. Frei auch von Herkunft, beim ersten Durchblättern des Programms wird niemand vorgestellt als jemand, der ein Kollektiv repräsentieren würde oder „Stimme“ sei „für“ usw., und möglicherweise hat selbst Corona das Seine zu dieser Befreiung hinzu getan, Beispiel Pop:
Zwei feministische Hip-Hop-Künstlerinnen stehen am Anfang der diesjährigen Popkonzertreihe: Lala &ce und Kaleo Sansaa haben eine traditionelle Männerdomäne erobert, die für direkte Ansprache und codierten Protest steht. Zum Abschluss dann Perera Elsewheres mysteriöser Anti-Pop-Pop. Im Pandemiejahr lädt die Ruhrtriennale zu intimeren Popkonzerten ein, bei denen die eindringlichen Botschaften und die faszinierende Ausstrahlung der charismatischen Künstlerinnen im Zentrum stehen.
Diese drei in einer Reihe, ein schlüssiges Konzept. Auch räumlich gedacht ist die Vernetzung schlüssig: Die Ruhrtriennale hat Zukunft, wenn sie mit Ruhrgebiet mehr zu tun, als dass sie an Orten eines stillgelegten Ruhrgebiets spielt. Lala &ce reist aus Frankreich an, Pererea Elsewhere aus Berlin, Kaleo Sansaa aus Duisburg.
Die Ruhrtriennale beginnt am 14. August, alle Infos hier. Chorwerk Ruhr, den Hinweis muss ich hier geben, singt Anfang September Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ in der Jahrhunderthalle, in der Christuskirche Bochum angekündigt von Florian Helgath .