Ruhrtriennale: Cosmopolis in der Jahrhunderthalle

Cosmopolis bei der Ruhrtriennale (Foto: Ben van Duin)

Zunächst drängt sich Don DeLillos Roman „Cosmopolis“ von 2003 nicht unbedingt für eine Bühnenadaption auf. Vor allem deshalb nicht, weil der vorrangige Handlungsort – eine Stretchlimousine, die durch New York fährt – beinahe als zweite Hauptperson neben dem Finanzmanager Eric Packer agiert. Noch schwerer wiegt wohl, dass 2012 David Cronenberg in seiner Verfilmung diese Stretchlimousine brilliant inszenierte und die von der Außenwelt abgeschirmte Bewegung grandios in einem seiner besten Filme umsetzte. Eine Bühnenadaption des Stoffes muss mit diesen bestehenden Bildern unweigerlich in Konkurrenz treten und etwas entgegenzusetzen haben.

Das ist wohl auch Johan Simons bewusst gewesen, als er „Cosmopolis“ als seine letzte Inszenierung im Rahmen der Ruhrtriennale auf den Spielplan setzte. Auch bei ihm gibt es sie zwar, die weiße Stretchlimousine, aber nur im Spielzeugformat. Das macht Sinn, denn er verlegt das gesamte Geschehen auf einen Spielplatz. Ein Sandkasten, drei Wipppferde, ein Karussell, eine Schaukel, ein Klettergerüst, auf dem der Elektronikmusiker Benjamin Dousselaere steht, und zwei Straßenlaternen hat Bettina Pommer auf die spiegelnde Metallspielfläche in die Jahrhunderthalle gebaut, ästhetisch merkwürdig unentschieden zwischen Realismus und abstrakter Setzung. Hier tummeln sich Pierre Bokma als Eric Packer, Bert Luppes als sein ehemaliger Mitarbeiter und Attentäter Benno Levin, Elsie de Brauw in allen weiblichen Rollen und Mandela Wee Wee in allen weiteren männlichen.

Packer ist mit seiner Entourage der Platzhirsch auf dem Spielplatz und das nörgelige Blag Levin wird in der Sandkiste nur so lange geduldet, so lange es nicht stört. Die Spielplatzmetapher hat durchaus ihren Reiz, das zeigt sich in einigen der Dialoge, wenn Packer etwa seine Kunstberaterin beauftragt, die gesamte Rothko-Chapel zu erwerben, oder er sich mit seiner Finanzberaterin ausmalt, wie es wäre, wenn die Ratte als Währung eingeführt würde. Da bekommen DeLillos Dialoge tatsächlich etwas von kindischem Größenwahn und Phantasterei, die sich immer mehr hochschaukelt. Es mögen diese merkwürdigen Dialoge des Romans gewesen sein, die Simons trotz der bildgewaltigen Verfilmung Cronenbergs veranlassten, den Stoff auf die Bühne zu bringen. DeLillo lässt die Gespräche in abgehackten und oft unzusammenhängend erscheinenden Repliken ständig zwischen total Belanglosem, Theorie der Finanzwelt und menschlichen Grausamkeiten hin und hertaumeln und der Leser muss höllisch aufpassen, dass er das eine mit dem anderen nicht verwechselt. Cronenberg ließ diese Dialoge in einem emotionslosen Ton sprechen und betonte die kaum vorhandene menschliche Interaktion. Simons setzt konsequent auf das kindische Element. In der ersten Stunde seiner Inszenierung, führen sich seine – für die Rollen größtenteils zu alten – Darsteller auf wie Kleinkinder und reden auch so. Nun gibt es Dinge, die für Schauspieler schnell zum Problem werden können. Dazu gehören zuvorderst: Betrunken spielen und deutlich älter und jünger spielen. Hinzu kommt hier, dass der komplette Cast holländisch ist und auf deutsch spielt. Zuviel an Übersetzungsleistung, selbst für gute Schauspieler. Heraus kommt ein oft lächerliches Gestammel, das allzu häufig nicht mehr nach Kleinkindern auf dem Spielplatz, sondern geistig Behinderten in der Anstalt klingt. Da ist es nur noch eine ärgerliche Randnotiz, dass Simons Elsie de Brauw als Kunstberaterin geziert rumhampeln lässt und so das Gespräch über die Rothko-Chapel der Lächerlichkeit anheimfallen lässt. Und dass vieles – rauchen, das Ausziehen der Hose, Sex, Mord – nur pantomimisch angedeutet wird, wie Kinder es eben in ihrem Spiel tun würden, verhilft ebenfalls nicht zu mehr Überzeugungskraft.

Die Entscheidung, Cosmopolis unter Kleinkindern auf einem Spielplatz spielen zu lassen, ist zwar verführerisch, aber entpuppt sich schon nach einem Bruchteil der Aufführung als kompletter Fehler. Zunächst nervt das Rumgehampel einfach nur, doch dann wird dem Zuschauer mehr und mehr klar, dass es der Geschichte auch jegliche Relevanz nimmt. Wenn da nur Kinder den Zusammenbruch der Finanzwelt im Sandkasten spielen, dann ist das ungefähr so dramatisch, wie wenn eine Sandburg zertreten wird. Überhaupt nicht. Es fehlt Simons Sandkastenspiel einfach das Gegenüber, das zeigt, dass Packer und die Seinen in ihrem Tun zwar völlig den Bezug zur wirklichen Welt verloren haben, aber diese Welt natürlich trotzdem noch da ist und von ihnen ins Chaos gestürzt wird. Und wenn nach einer Stunde die Kindereien langsam weniger werden, findet Simons Inszenierung dennoch keine Weg zurück aus seinem verfehlten Ansatz. Einzig vielleicht das letzte Gespräch zwischen Packer und Levin, kurz bevor dieser ihn erschießt, bildet da eine Ausnahme, doch bis dahin hat der Zuschauer längst jedes Interesse an diesen Personen verloren.

Rätselhaft bleibt auch, warum sich Simons trotz der Möglichkeiten, die die Jahrhunderthalle bietet, so konsequent jeder Sinnlichkeit verweigert. Besonders deutlich wird das am Leitmotiv der Ratte, die nicht nur im Dialog über die fiktive Währung auftaucht, sondern von den (im Roman allgegenwärtigen) Globalisierungsgegnern, die marodierend den Weg der Limousine immer wieder kreuzen, als Symbol verwendet wird. Bei Simons sind sie ein lächerlicher Haufen Gummiratten. Warum? Wie bildmächtig wäre es gewesen, sie als lebendige Tiere im Bühnenbild unterzubringen? Doch wie bei der Verweigerung, Gewalt und Sex auszuspielen, scheint auch in diesem Fall eine bewusst theoretische Ästhetik hier Ziel gewesen zu sein, die allerdings auch nicht gerade die Bereitschaft des Zuschauers erhöht, sich mit dem nicht ganz einfachen Text wirklich auseinanderzusetzen.

Und die Musik? Immerhin ist „Cosmopolis“ als „Musiktheater“ angekündigt. Der Roman erwähnt zweimal explizit Musik. Zum einen erzählt Packer, dass in einem seiner Aufzüge immer Satie läuft, zum anderen gibt es eine Beerdigungsprozession in der Stadt für einen zum mystischen Islam konvertierten Rapper, den Packer zutiefst verehrt, die ausführlich beschrieben wird. Im Stück fehlt sie. Stattdessen darf das Saxophonquartett BL!NDMAN einmal in der Rolle der Globalisierungsgegner trötend den Sandkasten stürmen. Ansonsten ist die Inszenierung weit davon entfernt, auch nur ansatzweise Musiktheater zu sein, weil sie keinerlei Haltung zum Einsatz der Musik entwickelt. Rein dekorativ wird mal weit im Hintergrund ein bisschen Bach gespielt, Benjamin Dousselaere beschränkt sich auf seinem Klettergerüst auf ein paar elektronische Effektsounds. Ganz schlimm: Er wedelt zwischendurch auch mal ein bisschen am Theremin rum, jenem frühen elektronischen Instrument, das es wegen seiner speziellen Spielweise zu Unrecht nie wirklich in den Konzertsaal geschafft hat und ein unwürdiges Dasein als Soundeffekt im Horrorfilm der 1950er Jahre fristen musste. Mehr holt auch Dousselaere nicht heraus. Der Einsatz der Musik ist an diesem Abend ungefähr so beliebig wie ein mittelmäßiger Hans-Zimmer-Soundtrack – vielleicht nicht ganz so nervig. Von Musiktheater ist das alles aber genauso weit entfernt.

Cosmopolis ist ein nerviger und ärgerlicher Theaterabend, der nach nur wenigen Minuten an seinem verfehlten Konzept erstickt. Nur wer eine perverse Vorliebe für das komplette Scheitern einer Inszenierung hat, sollte ihn besuchen.

Cosmopolis, Bochum, Jahrhunderthalle, 29. & 30.09., 20 Uhr. Tickets: Ruhrtriennale

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