Am 15. August startete die Ruhrtriennale 2014 – die letzte Saison von Heiner Goebbels. Den Auftakt um 15 Uhr machte im Duisburger Landschaftspark die Eröffnung des diesjährigen Kooperationsprojektes von Urbane Künste Ruhr und der Ruhrtriennale. Und als wollte das Wetter noch einmal an „Tower – Instant Structure“ vom vergangenen Jahr erinnern, regnete es erstmal in Strömen.
Tatsächlich ist „Melt“ vom Künstlerpaar Cantoni/Crescenti wieder eine interaktive Installation und noch mehr als „Tower“ wird sie erst durch die Benutzung durch die Besucher sinnvoll. Es handelt sich um einen 70 Meter langen niedrigen Steg aus polierten Aluminiumplatten, die beweglich gelagert sind. Zunächst wirkt der Steg wenig beeindruckend und im Vergleich zu der Architektur des Stahlwerkes ziemlich klein. Selbst wenn man Besucher auf dem Steg beobachtet, ist das noch wenig spektakulär. Erst wer selbst auf den Platten steht, merkt die Macht der Vibration, die von jeder eigenen oder fremden Bewegung ausgeht. Bei der Eröffnung war viel die Rede von „Kommunikation“, die dabei entstehe. Das mag etwas hochgehängt sein, da schon bei mehr als zwei Besuchern nicht mehr feststellbar ist, von welchem Besucher die Bewegungen ausgehen, auf die man selbst gerade reagiert. Eine sehr lebhafte Interaktion ist es allerdings auf jeden Fall. Und eine fast sportliche noch dazu. Irgendwo zwischen Busfahren im Stehen und Training auf der Powerplate. Eine poetische Ebene erhält die Arbeit durch den Titel: „Melt“ spielt darauf an, dass die polierten Aluminiumplatten sich in den Lichtreflexen, die sie an die umgebenden Gebäude spiegeln, zu verflüssigen scheinen.
Zweiter Termin des Eröffnungstages war die Voraufführung von „Le sacre du printemps“ von Igor Strawinsky in der Inszenierung von Romeo Castellucci in der Gebläsehalle im Landschaftspark. Castellucci inszeniert Strawinskys Ballett mit vierzig Maschinen. Durch eine Plexiglasscheibe schaut der Besucher in einen langen leeren Raum, an dessen Wänden staubig graue Vorhänge hängen, der Boden ist ebenfalls mit einer dünnen Staubschicht bedeckt und unter der Decke hängen allerlei grau lackierte Maschinen. Etliche Minuten lang ist der Beginn von Strawinskys Komposition vom Band – und leider in nicht perfekter Klangqualität – zu hören und nichts passiert. Dann gehen langsam nacheinander an den Maschinen rote Lämpchen an. Sie werden also offensichtlich scharf geschaltet, um dann mit dem berühmten 11/8 Takt ihre Arbeit aufzunehmen. Aus fahrbaren Kisten und sich drehenden Zylindern fällt Sand – so kann man hier noch denken – in dünnen Strahlen oder als breites Band herab. Es ist eine Choreographie aus fallendem Staub. Das ist perfekt synchron zur Musik, aber doch auch sehr brav illustrativ. Würde heute ein Choreograph ein Ballett so artig an der Musik entlang inszenieren, würde er gewiss des Kunsthandwerks gescholten.
Le Sacre mit Maschinen zu inszenieren, hat aber durchaus auch seinen Reiz. Die Avantgarde-Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts suchten auf zwei Hauptwegen nach neuen Ausdrucksformen. Die Futuristen, Georges Antheil mit dem Ballet Mechanique oder Alexander Mossolow mit seiner Komposition „Eisengießerei“ nahmen direkt die moderne Maschinenwelt als Ausgangspunkt. Andere wie auch Strawinsky suchten in archaischen Kulturen nach einer neuen Sprache. Strawinskys Skandal-Ballett heißt im Untertitel „Bilder aus dem heidnischen Russland“. Doch egal, von welcher Seite die Komponisten ausgingen, sie kamen zu einer ähnlichen Klangsprache, die das Geräuschhafte und den Rhythmus über das bis dahin dominierende melodisch-harmonische Konzept setzten. Diesen Zusammenhang legt Castelluccis Inszenierung nun wieder offen.
Doch Castellucci geht es noch um etwas ganz anderes: Im zweiten Teil der Aufführung schließt sich vor dem Plexiglasaquarium ein Vorhang, auf den in der Folge zeilenweise Text projiziert wird. Der Zuschauer wird darüber aufgeklärt, dass es sich nicht um Sand, sondern Knochenasche handelt. Detailliert wird die Herstellung der Asche aus Tierknochen beschrieben. In seiner Detailversessenheit wirkt dieser Text leider allzu belehrend, auch wenn Castellucci klug genug ist, es nicht zu einem Traktat für das vegetarische Leben werden zu lassen. Ganz zuletzt verweist er darauf, dass Knochenasche als Düngemittel für die Landwirtschaft produziert wird. Die Tiere werden also gewissermaßen wieder zum Frühlingsopfer für die Fruchtbarkeit des nächsten Jahres. Damit schließt Castellucci die archaisch-barbarischen Riten in Strawinskys Ballett mit der modernen Landwirtschaftstechnologie kurz.
So klug und schlüssig das alles ist, geht es nicht ganz auf. Zu lang und ausbuchstabiert ist der Text, allzu sehr erinnert das Maschinentheater an die wahrgewordenen Träume eines Kindes, das sich immer einen Fischer-Technik-Baukasten gewünscht hat und nie bekam. Und dann ist da noch das Ende. Wenn Strawinskys Musik zu Ende ist, öffnet sich der Vorhang wieder und wir sehen, wie Menschen in Schutzanzügen die Knochenasche in Container schaufeln. Dazu läuft eine bedrohlich sphärische Musik, die die Szenerie in Richtung Endzeitfilm rückt, als wären wir plötzlich bei Roland Emmerich und Hans Zimmer gelandet. Das ist schlichtweg überflüssig und zerstört vieles.