Der neue Leiter der Ruhrtriennale Ivo van Hove stellt sich mit “I want absolute beauty” als Regisseur vor. Das Publikum klatschte begeistert und fühlte sich offensichtlich bestens unterhalten.
Hochgemut und voller Erwartungen angereist, wie wir es seit den allerersten Ausgaben der Ruhrtriennale zu tun pflegen, hofften wir, dass sich auch in der Ausgabe 2024 wieder eine Ritze öffnen würde in unbekanntes Terrain. Aber zack schlug das Fenster vor unseren Augen zu: Wir erlebten eine PJ Harvey-Cover Show mit Sandra Hüller und einigen tänzerischen Zutaten und fragten uns, was die hochdekorierte Schauspielerin aus dem Ensemble des Schauspielhauses Bochum da tat. Sie lieh ihre Stimme, um die Lieder der britischen Rocksängerin vorzutragen, und sie spielte eine Frau auf der Suche nach sich selbst, wie sie in des Regisseurs Vorstellung aus Harveys Lyrics erstehen sollte. Die Schauspielerin gab alles, um die 26 leidenschaftlichen, rauhen, nachtschwarzen Lieder der Rockpoetin mit Leben zu füllen, aber sie rieb sich auf im bipolaren Dilemma zwischen einer Sängerin und der Darstellerin einer nur vage skizzierten Frauenfigur.
Ivo van Hoves Phantasie mag jene Identifikationsfigur einer Frau in den Höhen und Tiefen ihres Lebenslaufs aus den Liedtexten gefiltert haben, ihre Verkörperung auf der Bühne war für die Zuschauenden jedoch nur schwer auszumachen, weil sie sich mit der Sängerin PJ Harvey und der Schauspielerin Sandra Hüller überlagerte. Dass Isabelle Huppert – derzeit als „Bérénice“ in der Castellucci-Inszenierung bei der Ruhrtriennale zu Gast – kurz in einem Video auftauchte, wirkt geradezu verräterisch.
Die Lied für Lied exerzierte Playliste trug dramaturgisch nicht über neunzig Minuten, und auch die (La)Horde-Tänzer und -Tänzerinnen aus Marseille mit ihren kämpferisch-tänzerischen Darbietungen sorgten nicht für inhaltliche Glanzpunkte. Die verantwortlichen Künstler Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel kommen von der Videokunst und Installation her und begreifen gerade dies und die Arbeit mit Laien als demokratische Öffnung des Tanz-Genres. In der Jahrhunderthalle aber blieben die in Bewegungsfragmenten zitierten Anleihen von Actionfilmen, Videospielen und Break Dance aber im Zusammenspiel zu ungenau, um die erhoffte Darstellung von explodierender Vielfalt zu erreichen. Das Ergebnis war ein Brei von Wiederholungen.
Auch die bewegten Bilder auf dem bühnenbreiten Video-Screen über der Spielfläche hatten wenig Erstaunliches zu bieten: Natur, in Vogelperspektive mit Drohnenkamera oder in nahen Einstellungen gefilmt, Landschaften, Straßenbilder zum einen, zum anderen direkt wiedergegebene Aufnahmen von den auf der Bühne Agierenden, aus extremer Nähe, verzerrt und im Zeitraffer gefilmt von ihnen selbst. Man glaubte sich in einem Stadttheater der 1980er Jahre, dem die Mittel für ein Bühnenbild fehlen.
Schlicht zeigte sich der Spiel-Raum als bühnenfüllendes Rechteck, mit einer dünnen Erdschicht bedeckt, über die hin und wieder Nebelschwaden waberten. Im Hintergrund hatte die Bandmusiker ihren Platz, und dahinter zog sich in voller Breite ein Spiegelband, in dem das Publikum sich selbst sah.
Wie kam es zu diesem grenzüberschreitenden künstlerischen Versuch? Der Regisseur Ivo van Hove und die Sängerin / Songwriterin arbeiteten vor fünf Jahren erstmals zusammen, als Harvey die Musik für van Hoves Theateradaption des Films „Alles über Eve“ am Londoner Noël Coward Theatre schrieb. Das war auch das Jahr, in dem die Fly on the wall -Dokumentation „A dog called money” herauskam, in der zu verfolgen ist, wie PJ Harvey gemeinsam mit dem Fotojournalisten und Filmemacher Seamus Murphy im Kosova, in Kabul / Afghanistan und Washington D.C. Anregungen für ihre Texte sammelte.
Enttäuscht ist festzustellen, dass auch klingende Namen wie PJ Harvey, Sandra Hüller und Isabelle Huppert aus einer mittelprächtigen, ideenarmen Inszenierung kein Glanzlicht zaubern können, und zu hoffen bleibt, dass der neue Direktor der Ruhrtriennale künftig bessere Ideen hat.
Ich habe das ähnlich empfunden. Hüller kann zwar erstaunlich guten singen, fand ich, aber die erzählerisch banale Choreographie bot nicht einmal tolle Bilder. Direkt ermüdend fand ich den eigentlich durch alle Songs hindurch ähnlichen, meist immer gleich doll lauten Sound. Als ich irgendwann auf die Uhr geschaut habe, weil mir langsam fad wurde, war gerade mal Halbzeit.
Isabelle Huppert live heute Abend ist hoffentlich spannender. Bestimmt.