Für die RuhrTriennale, die am nächsten Wochenende beginnt, sind Spielorte keine Routineangelegenheit. Das Festival verdankt seine Entstehung dem politischen Willen, den baulichen Hinterlassenschaften der Industriegeschichte eine neue Codierung nicht zuletzt durch Kultur zu geben. Von unserem Gastautor Dieter Nellen.
Diese Konversionsstrategie hat zu einem Parcours von großen und kleinen Festspiel-Stätten quer durch die Region mit einer spezifischen Struktur geführt.
Für die RuhrTriennale waren von Anfang an Programm und Inhalt mit deren ästhetischer Inszenierung im industriekulturellen Raum verknüpft. Darin liegt jenseits aller anderen inhaltlichen Beigaben eines solchen Festivalformates sein bestimmender Markenkern.
Jetzt ist – tief im Westen des Reviers – ein neuer Standort hinzugekommen. Dieser war dem neuen Intendanten, dem Niederländer Johan Simon aus strategischen Überlegungen angetragen worden. Enthusiastisch hat er zugegriffen.
Es handelt sich um die ehemalige Zeche Lohberg in Dinslaken. Ihr Areal soll sich zu einem Kreativquartier mit zeitgemäßen Standards entwickeln. Das Projekt kann sich mit seinem gestalterischen Rahmen sehen lassen. Der Wandel beinhaltet Erhalt der historischen Zechenarchitektur, moderate Neubebauung (auch mit Wohnen) und ein inklusives Landschaftsmodell. Aus der bestehenden Halde, der alten und neuen baulichen Textur und einem anmutigen Park mit Weiher soll ein attraktives Quartier entstehen. Der Kurator Markus Ambach hat mit seiner themennahen „Choreografie einer Landschaft“ Skulpturen namhafter Künstler hinzugefügt. Besser kann man das alles planerisch, klimatologisch, ästhetisch nicht machen.
Das Unternehmen setzt auf starke Beteiligung und will vor allem die gängigen Overspill-Effekte für die direkt danebenliegende Gartensiedlung Lohberg herbeiführen. Deren Lage reflektiert auch den wirtschaftlichen Niedergang: mit hohem Ausländeranteil, niedriger Bildungsquote und politischem Extremismus (einer Salafisten-Szene).
Die feinen Unterschiede
Die ehemalige 240 m lange Kohlenmischanlage auf Lohberg wurde, was früher üblich gewesen wäre, nicht abgerissen. Sie erscheint heutigen Besuchern wie ein großer Flugzeughangar. Das gigantische Ausmaß dieser „überdachten Wüste“ erzeuge ein autonomes Licht und lasse die dramaturgischen Figuren sich in deren Weite verlieren. Dort bringt Johan Simons nun die filmische Vorlage „Accattone“ von Pier Paolo Pasolini mit Musik von Johann Sebastian Bach zur Aufführung.
Mit ihr wird die RuhrTriennnale 2015 am kommenden Freitag eröffnet. Thema ist die Geschichte eines Bettlers und Zuhälters aus der Peripherie der italienischen Hauptstadt Rom, also eine Biographie, die sich – an einzelnen sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet durchaus zeitgemäß – jenseits von Arbeit und Lohn definieren muss.
Die Inszenierung und eine weitere werden von der Bundeskulturstiftung mit insgesamt ca. 1 Mio. € gefördert. In Kooperation mit dieser gibt es erstmalig ähnlich wie bei den Salzburger Festspielen oder den Duisburger Akzenten eine Festrede zur Eröffnung. Der aus Korea stammende, jetzt in Deutschland lebende Philosoph Byung-Chul Han hält sie unter dem Titel „Hoch-Zeit“.
Eine institutionelle Förderung durch den Bund erhält das Festival – so wie die Bayreuther Festspiele mit jährlich 2,2 Mio. € – nicht. Es gibt solche feinen Unterschiede.
Kultur und Emanzipation
Jede Landesregierung von NRW verfolgte in der argumentativen Logik etablierter Bildungspolitik über Kultur immer auch sozialemanzipative Ziele. Die RuhrTriennale, ein innovatives Erbe der IBA soll dabei ein schichtenübergreifendes Projekt in weiterentwickelter industrieller Stadtlandschaft sein.
Anders aber als seine hier rhetorisch eher zurückhaltenden Vorgänger gibt sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Simons als sozialpolitisch ambitionierter Theatermann. Er ist in guter Absicht ein Wiedergänger früherer kulturpolitischen Debatten oder vielleicht sogar der Entrepeneur einer künftigen Bewegung.
Der Sozialmythos des Reviers scheint ihn geradezu zu überwältigen. Mit zahlreichen Solidaraktionen soll die Lohberger Bevölkerung, nach den Worten der Beteiligten wohl eher ein „Subproletariat“ als klassisches Bildungs- und Theaterpublikum, in das Festival einbezogen werden. Dagegen kann man nichts einwenden, im Gegenteil: So entsteht nicht nur industriekulturelle Performance, sondern Theater mit emanzipatorischer Wirkung.
Und dennoch hat es von örtlicher Seite Kritik gegeben mit dem Hinweis, hier würden die Probleme eines Stadtteils für das temporäre Marketing eines Festivals instrumentalisiert.
Inzwischen hat sich daraus ein authentischer Dialog entwickelt. Er hebt sich gegenüber den üblichen Beglückungsvokabeln und professioneller Salonrhetorik (wie gelegentlich in der Vergangenheit auch bei der RuhrTriennale und anderen modischen Formaten) wohltuend ab.
Die Welt am Sonntag hat ein Interview zwischen Johan Simons und dem lokalen „Unruhestifter“, dem aus der Türkei stammenden SPD-Politiker Eyüp Yildiz und ehrenamtlichen Bürgermeister in Dinslaken geführt. In diesem heißt es von Johan Simons bei der Frage nach der sozialen Überfrachtung von Kunst: „Ich habe einen künstlerischen Auftrag, keinen politischen“.
Das ist richtig und verweist wieder auf die originär kulturelle Dimension der RuhrTriennale. Am kommenden Freitag lässt sich bei deren Premiere in 2015 sicherlich wieder erleben, dass das unverändert geltende Mandat für Raum und Programm als Alleinstellungsmerkmal gelingen kann. Deswegen kommt das Publikum zuerst und vor allem gerne.
Die Freiheit der Kunst besteht auch darin, einen politischen Anspruch haben zu dürfen, wenn der Künstler es denn so will. Ob er ihn dann einhalten kann, ist eine Frage, die nur in der Praxis beantwortet werden. Ich wünsche dem Intendanten dabei auf jeden Fall viel Erfolg.
[…] Ruhrtriennale: „Ich habe einen künstlerischen Auftrag, keinen politischen" (Ruhrbaro… – […]