Ruhrtriennale: Steffi, die Avantgardistin

Diskussionspanel in der Turbinenhalle, Foto: Ruhrbarone.

Unser Gastautor Andreas Kühn über Stefanie Carp und die Ruhrtriennale.

„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Soweit wie weiland Bertolt Brecht wollen wir nicht gehen angesichts der Debatte um die Ruhrtriennale, ihre Intendantin Carp und die BDS-Bewegung. Tatsächlich wundert der Beobachter sich gar nicht mehr, allenfalls über die Tatsache, dass Stefanie Carp im Zuge einer Podiumsdiskussion über die „Freiheit der Künste“ unverschleiert am Diskutantentisch Platz nahm. Mit ihr debattierten die parteilose NRW-Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen, Michael Vesper als Vertreter der „Freunde der Ruhrtriennale“, Schorsch Kamerun, der amerikanisch-jüdische BDS-Unterstützer Elliott Sharp und die in Vertretung für den belgischen Choreographen Alain Platel erschienene Tanz-Dramaturgin Hildegard de Vuyst, ebenfalls Anhängerin des BDS. Schmissig moderiert wurde das Ganze vom Reichstags-Urvieh Norbert Lammert, der gleich zu Beginn feststellte, dass man auch heute den Nahostkonflikt nicht lösen werden könne. Das ist wohl so…

Schmerzhaft machte sich das Fehlen des SPD-Kulturclowns Helge Lindh bemerkbar, fragwürdig der Umstand, dass kein Vertreter der jüdischen Gemeinden oder der israelischen Botschaft zugegen war. Diese seien eingeladen worden, hätten aber erklärt, sich nicht mit Menschen unterhalten zu wollen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellten; davon abgesehen sei Schabat. Mit aller Wahrscheinlichkeit wäre auf den Ramadan praktizierende Muslime wohl mehr Rücksicht genommen worden, schwerwiegender aber ist selbstverständlich die Frage nach dem Existenzrecht Israels.

Und da mache man sich nichts vor: BDS ist antisemitisch und will den Staat Israel von der Landkarte getilgt sehen. Einer seiner Gründer, Omar Barghouti, bekannte freimütig, dass er „Sterbehilfe für den Staat Israel“ betreibe, ein anderer Aktivist, As’ad Abu Khalil, betonte, dass  „Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser […] unvereinbar mit der Existenz des Staates Israel“ seien. Gleich solch progressiver Verbände wie dem „Bund der Vertriebenen“, jener der kalten Heimat nachtrauernden Preußenfraktion in der BRD, kreirte der BDS den Status des Jungvertriebenen. Alle durch den Angriffskrieg auf Israel im Jahr 1948 vertriebenen Palästinenser sowie ihre Nachfahren sollen nach Israel zurückkehren dürfen, was einem Ende Israels faktisch gleichkäme. Nicht zu vergessen auch, dass sowohl die holocaustleugnende Hamas wie auch die PFLP im BDS organisiert sind. Sicher, auch erst mal harmlos wirkende NGO-Rentner wie die von „Pax Christi“ unterstützen den BDS, mit Sicherheit ohne antisemitisch sein zu wollen. Sie sind aber leider diejenigen, die Lenin als „nützliche Idioten“ bezeichnet hätte.

Apropos Lenin: Dessen versprengte Erben hatten sich ebenfalls vor der Turbinenhalle in Bochum versammelt. Als Reaktion auf eine von der jüdischen Aktivistin Malca Goldstein Wolf organisierte Demonstration gegen die Veranstaltung hatte sich neben dem „Internationalen Bündnis“ eine Art Jurassic Park des Roten Jahrzehnts der 1970er Jahre eingefunden. Etwas hat überlebt. Angeführt von der quietschfidelen Hannah Bruns ließen diverse K-Gruppen – die KPD/ML (Neue Einheit) war nicht dabei, Klaus ist tot – die proletarischen Kämpfe und den revolutionären Internationalismus vergangener Dekaden hochleben. Etwa, indem sie die Gegenseite bespuckten. Viel mehr als eine Viererbande war es allerdings nicht, die da marodierte. Nicht mal die „Gruppe Internationaler Marxisten“ war da. Der gehörte Stefanie Carp in den 1970er Jahren an. Ging aber auch nicht, da sich dieses Grüppchen bereits im Jahr 1986 mit der vorher verhassten KPD/ML zur „Vereinigten Sozialistischen Partei“ (VSP) zusammentat, um so die proletarischen Massen für sich zu gewinnen. Die VSP gibt’s nicht mehr, die proletarischen Massen schon länger nicht.

In der Halle dann Frau Carp, die die vorher gefressene Kreide nun schleunigst wieder ausspuckte: Es sei ihr einziger Fehler gewesen, die Young Fathers überhaupt auszuladen. Von deren Positionen und dem BDS allgemein habe sie nichts gewusst. Ein Schelm, wem dabei auffällt, dass Carp – Spätachtundsechzigerin aus Überzeugung – das wiederholt, wogegen man im Roten Jahrzehnt auf die Straße gegangen war, namentlich das „Wir wussten doch von nichts“ der Vor- und Vorvorgängergenerationen. Tatsächlich nimmt ihr das im Saal kaum jemand ab und auch Michael Vesper, als Generationsgenosse und Urgrüner der Sozialisation Carps nicht unbedingt fremd, kritisiert sie massiv. Carp hätte sich frühzeitig informieren sollen.

Allerdings ist es mehr als unglaubwürdig, dass die Intendantin ahnungslos gewesen sein soll. Von Beginn an hat sie das Festival in ein politisches Korsett gezwängt, faselte von Migrationsbewegungen als den Avantgarden des 21. Jahrhunderts und gestaltete das Programm vor allem mit Künstlern, die dem Dunstkreis der vermeintlichen Opfer von Kolonialismus und westlicher Ignoranz entstammen.

Die diesjährige Ankündigung ist nicht weniger als ein wirres politisches Pamphlet und gemeint in ihrer Essenz stark an die Positionen der vor der Halle versammelten Israelfeinde. Beide erinnern einmal mehr an den Protagonisten Marko aus Bernhard Schlinks „Wochenende“, der im Islamismus einen validen Bündnispartner für die geschröpte Linke zu erkennen meint. Aus dieser Perspektive geht es weniger um Antisemitismus, seit jeher wenn überhaupt ein Nebenwiderspruch für Maos und Trotzkis, als vielmehr um die Suche nach Verbündeten: So tat das vor der Halle versammelte Agit-Prop-Mehrgenerationenhaus auch seine Überzeugung kund, dass ein palästinensischer Staat selbstverständlich sozialistisch sein werde. Schlechterdings offenbaren auch IS, Al-Qaida und Taliban eine Art Sozialismus 2.0, ja tragen die Heilsversprechung des Paradieses auf Erden im Wappen.

Meint Carp das, wenn sie die muslimischen Migrationsbewegungen als Avantgarden des 21. Jahrhunderts herbeifiebert?

Könnte vermutet werden. Zumindest machte sie bereits vor zehn Jahren in einem Interview mit der taz aus ihren beizeiten doch recht eklektizistischen Überzeugungen keinen Hehl. Obwohl sie in der GIM aktiv war, einer Gruppe die den verschwörungstheoretischen Antisemitismus der verschiedenen K-Gruppen nicht teilte, wohnte sie mit den aus trotzkistischer Sicht linksradikalen RAF-Bourgeois-Blagen zusammen in einem besetzten Haus und hatte für sie auch Sympathien. Die RAF hatte sich bekanntlich von der PFLP ausbilden lassen und etwa das Olympia-Massaker 1972 in München gut geheißen, bei dem elf israelische Sportler vom palästinensischen „Schwarzen September“ ermordet wurden. Carp tat das im Interview als Jugendverirrung ab und hat auch damals von nichts gewusst.

Angesichts solch geballter Unwissenheit verwundern die Doppelstandards, die sie während der Podiumsdiskussion präsentierte, kaum. Einerseits – und hier ist sie Kind ihrer Generation – muss Kunst politisch sein, ganz einfach, weil alles politisch sein muss, andererseits sei Kunst eben Kunst, „L’art pour l’art“. Eine solche Position scheuen die Genossen aus der Antifa wie der Teufel die Club-Mate. So haben etwa die rührigen Streiter gegen Industrial, Dark Wave, Black Metal und Neofolk, Andreas Speit und Martin Langenhagen, eine Position, die Kunst eben Kunst sein lässt, als „ästhetische Mobilmachung“ bezeichnet und einem „faschistischen Stil“ im Sinne Armin Mohlers zugeordnet. Aber qoud licet Iovi non licet bovi: Wo etwa Black Metal generell faschistisch ist, weil Musiker A die Freundin von Anhänger B kennt, deren Freund C wiederum jemanden kennt, der mal ein Burzum-Shirt getragen hat, darf sich Kunst, die dem „Guten“ dient, immanent mal so richtig austoben. Da wird der Antisemitismus in altbekannter Manier in Antizionismus umgedeutet und wer welches T-Shirt getragen hat, ist dann auch eher weniger wichtig. Plötzlich darf Kunst alles, solange sie nicht die Unberührbahren als Teil der Avantgarden des 21. Jahrhunderts kritisiert.

Das war’s dann scheinbar auch. Podiumsdiskussion beendet, Carp weiter Intendantin, BDS marschiert. Zuletzt gegen die Düsterfee Lana Del Rey, gebucht für das Meteor-Festival im Kibbuz Lehavot HaBashan, die sich zunächst dem Druck, den anscheinend Roger Waters, künstlerisch scheintoter Aushänger des BDS, persönlich auf sie ausübte, nicht beugte. Stattdessen wolle sie sowohl in Palästina wie in Israel auftreten. Fragten sich die einen noch, ob sie die Gründung des Staates Palästina wohl verpasst hätten, schämten sich andere bereits über das Einknicken Del Reys. Am 31. August wurde ruchbar, dass sie nun doch nicht auftreten werde, da ihr Zeitplan es nicht zulasse, sowohl hie als auch dort zu spielen. Dies sei allerdings keinesfalls als politische Botschaft zu verstehen, da es keinen Unterschied mache, ob sie in Tel Aviv oder in Kalifornien auftrete. Womöglich kannte Del Rey den BDS gar nicht? So wie zahlreiche andere Künstler, die auf Druck der Islamophilenkolonne das Festival absagten?

Die Abläufe solcherlei Hornberger Schießen ähneln sich frappierend. Lediglich in NRW weht dem BDS, hier synonomisiert mit der Person Carps, ein Gegenlüftchen ins verschleierte Gesicht. Bereits im Vorfeld hatte Ministerpräsident Armin Laschet seine Teilnahme an der Ruhrtriennale aus Protest gegen das Agieren der ahnungslosen Intendantin abgesagt. Angesichts eines bevorstehenden Israel-Besuchs Laschets, der ansonsten seiner Kulturministerin das Zepter lässt, erscheint es als zumindest nicht unwahrscheinlich, dass diese Ruhrtriennale auch die letzte unter der Hegemonie Carps gewesen sein wird.

Der künstlerische Aspekt, schon durch die Programmankündigung verbaselt, ist zur Nebensache geworden. Selbst solche Werke, für deren innovative Interpretationen die Triennale einst gestanden hat, werden posthum in die Migrationsdebatte verpflanzt. So geschehen bei der Uraufführung des Henze-Oratoriums „Das Floß der Medusa“. In ebenso banaler wie voluntaristischer Weise werden die Rollen der Protagonisten umgedeutet und aus Vertretern der Kolonialmacht Bootsflüchtlinge destilliert. Eingedenk der Tatsache, dass die Uraufführung aufgrund sich gegenüberstehender SDS-Aktivisten aus Berlin und Hamburg nicht stattfinden konnte – die einen verschmähten die bürgerliche „Reichenkunst“, die anderen stärkten Henze den Rücken, welcher dann selbst in Ho-Chi-Minh-Chöre einstimmte – wirft auch hier die APO der 1960er und 1970er Jahre ihren langen Schatten.

Trotzdem muss kein 68er-Bashing betrieben werden und auch die Vergangenheit Carps sollte nicht überstrapaziert werden, da sich in jeglichem Bereich der Gesellschaft Arrivierte mit ähnlichen Lebensläufen ausmachen lassen. Allein ihre Ignoranz und ihre politische Verquastheit, mit der sie sich anschickt, das Festival zu diskreditieren und programmatisch zu ruinieren, sind Rücktrittsgründe genug.

Der Artikel erschien bereits auf centuryofnoise.net

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
4 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Gastkommentator
Gastkommentator
6 Jahre zuvor

Na unter diese peinliche Polemik in bester Reichsbürgerlogik hätte ich meinen Namen auch nicht gesetzt, Herr Gastautor. Aber wie lange möchte sich dieser Blog mit seiner persönlichen Fehde eigentlich noch lächerlich machen. Naja, wünschenswerter Weise vielleicht bis zur eigenen Abschaffung.

Stefan Laurin
Admin
6 Jahre zuvor

@Gastkommentator: Der Name des Autors ist gut zu lesen. Sie hingegen trauen sich nicht den Ihren zu nennen. Wie lange wir weiter machen? Bis die BDS-Show beendet ist – so oder so. Wie sagte Churchill doch so schön: "We will never surrender"

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

Es ist ja auch unverantwortlich von den RB-Mächtigen, den Namen der Gastautoren nicht in der Titelzeile zu nennen. Da muss man ja als empörter Leser ins Schwimmen geraten, da kann man halt den Namen schon mal übersehen und folglich als Dummbax besonderer Güte dastehen, der den nächsten Kurs "sinnentnehmendes Lesen" an der für ihn zuständigen Zwergschule keinesfalls auslassen sollte.

Andreas Kühn
6 Jahre zuvor

@Gastkommentator. Danke für Ihre durchdachten, konstruktiven und streckenweise geradezu schöngeistigen Einlassungen. An einer Stelle geraten Sie allerdings etwas ins Schwimmen, indem Sie von bester "Reichsbürgerlogik" fabulieren. Es ist ja schließlich nicht meine Person, die einen eigenen Staat gründen will… Obwohl mir, und das verdanke ich Ihrer vielleicht gar nicht so gemeinten Anregung, der Gedanke immer besser gefällt. Vielleicht erstmal ein Stadtstaat? Kühnopolis (hierbei handelt es sich um eine Komposition, die meinen nicht genannten Namen mit dem griechischen Wort für "Stadt" verbindet) als neue Metropole am linken Niederrhein – das hat was. Hoffentlich nur boykottiert mich da niemand. Ich wäre ja schließlich Regierung und Bevölkerung in Personalunion.

Werbung