Ein einziges Mal sah ich bisher Laurie Anderson live. Das war 1986 in der Alten Oper Frankfurt. Damals tourte die New Yorker Performance-Legende mit ihrem „Home Of The Brave“-Album. Auf der Tour entstand auch der gleichnamige Film. Für Laurie Anderson war es eine Zeit des Übergangs. 1977 war sie bereits zur documenta 6 nach Kassel eingeladen, 1981 hatte sie „Oh, Superman (For Massenet)“ veröffentlicht, sich überraschend in den Charts platziert und einen bis heute vielgesamplten Klassiker geschaffen. 1982 erschien das Album „Big Science“. Zwei Möglichkeiten eröffneten sich daraufhin. Anderson konnte weiter im Kunstkontext arbeiten, oder vielleicht Popstar werden. Diese Dualität ist sicherlich mehr eine europäische Sichtweise als eine amerikanische. Dennoch waren ihre folgenden Alben „Mister Heartbreak“ (1984) und „Strange Angels“ (1989) eher Popalben. Musiker wie Adrian Belew, Peter Gabriel, Nile Rodgers, Bill Laswell trugen dazu bei. Ein Erfolg wie mit „Oh, Superman“ wiederholte sich allerdings nicht und Laurie Anderson kehrte zurück in den Kunstkontext, stellte Zeichnungen und Videoinstallationen in großen Museen aus und schuf kleine, intimere Performances.
Schon immer speiste sich ein Großteil ihrer Arbeit aus der bahnbrechenden viertägigen Performance „United States 1-4“, die sie 1983 in New York realisierte. Texte und Musik aus diesem Mammutwerk kombinierte Anderson in den Folgejahren immer wieder neu. So ist es nicht überraschend, dass auch der Titel des Programms, mit dem sie am 18.9. im Rahmen der Ruhrtriennale in der Essener Lichtburg gastierte, dieser Quelle entstammt: „The Language Of The Future“.
Die ausverkaufte Lichtburg mit 1250 Plätzen ist eine durchaus ehrfurchtheischende Kulisse. Einerseits genau richtig für den Auftritt einer Legende wie Laurie Anderson, andererseits auf den ersten Blick gänzlich ungeeignet für das Soloprogramm einer 71jährigen Künstlerin, die nur ein Mikro, einen Vocoder, eine Violine und eine Leinwand nutzt. Befürchtungen stellen sich schnell als unbegründet heraus: Anderson kann diesen Riesensaal und die Bühne bespielen, sie nimmt das Publikum mit und geht selbst dann nicht in der Weite des Raumes verloren, wenn sie nur im Sessel sitzt und eine ihrer anekdotischen Texte vorliest. Sicherlich trägt dazu bei, dass das Publikum ganz augenscheinlich aus Altfans besteht: 50-60jährige, zumeist längst ergraut oder schon kahlköpfig, manchmal noch mit Frisuren, die die Zugehörigkeit zu einer längst vergangenen Popavantgarde simulieren. Im Schnitt dürfte das Publikum an diesem Abend älter als ein durchschnittliches Opernpublikum sein, da unter 40jährige gänzlich fehlten.
Laurie Anderson gibt diesem Publikum genau das, was es vermutlich erwartet. Sie hat alle technische Raffinesse abgestreift. Keine Kontaktmikrophone, die ihren Kopf oder Körper zum Instrument machen, mehr, keine perfekt synchronisierten Videos. Es bleibt nur ihre E-Violine, ihre berühmte Vocoderstimme und an einer Stelle ein Pillow-Speaker in ihrem Mund. Die Videos steuert sie selbst an. Vieles wirkt beinahe improvisiert, wenn sie etwa ein Video ganz am Anfang stoppt, weil sie meint, es würde sie nervös machen. Neben einigen Violinsolos, erzählt Anderson vornehmlich ihre kleinen Anekdoten. Bis heute ist sie darin meisterhaft. Und es gibt ein paar bekannte Texte, wie den über die „Language Of The Future“ oder einen kurzen Teil aus „From The Air“. Bemerkenswerterweise bringt sie den Text „Language Is A Virus“ nicht.
Insgesamt liegt über dem Abend eine melancholische Stimmung, die sich im Verlauf immer mehr verdichtet. Es sind viele Geschichten, die von Abschieden erzählen, es sind aber auch die verstorbenen Wegbegleiter, an die Anderson erinnert. Da ist William S. Burroughs und natürlich Lou Reed, dessen Stimme sie mit der Violine begleitet. 21 Jahre war Anderson mit Reed bis zu dessen Tod verheiratet. Schon ganz am Beginn setzt Anderson das Thema Abschied und Loslassen, wenn sie erzählt, dass ihr gesamtes Archiv bei einem Hurrikan im über New York hereinbrechenden Wasser versunken ist. Und wenn sie später über ihre Arbeit zu Melvilles „Moby Dick“ berichtet. Dazu zeigen die Videoprojektionen auf der Leinwand im Hintergrund immer wieder blätterlose Bäume, Kreidespuren auf einer gerade gewischten Tafel, treibende Nebelschwaden – und das meist in schwarzweiß.
So wird die Atmosphäre des anderthalbstündigen Programms zunehmend intim. Gegen Ende würde man sich dann doch auch eine kleinere Bühne in einem kleineren Saal wünschen, wo man diesem zelebrierten Abschied nahe ist. Wo man der Person Laurie Anderson näher ist als der Performerin.