Russlands Hegemonie wird schleichend wachsen

Michael Roth Foto: Raimond Spekking Lizenz: CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)


Werden wir später einmal sagen, dass der Tag, an dem die russische Hegemonie in der Politik der Bundesregierung deutlich wurde, der 26. März 2024 war?

Gestern kündigte der SPD-Außenexperte Michael Roth seinen Rückzug aus der Politik an. Im Interview mit dem Stern sagte Roth, er spüre eine zunehmende Distanz zum politischen Betrieb und seiner Partei. Roth gehört zu den wenigen Sozialdemokraten, die fest an der Seite der Ukraine standen und die Gefahr, die von Putins Russland ausgeht, klar erkannten und benannten. Bald wird seine Stimme in der Politik nicht mehr zu hören sein. Russische Hegemonie wird nicht bedeuten, dass T-90-Panzer durch Neukölln, Nürnberg und Neumünster rollen. Die baltischen Staaten, die Republik Moldau, das sind die Staaten, die unmittelbar von einem russischen Militärschlag bedroht sind. In Deutschland, Frankreich und den anderen Staaten Westeuropas werden keine Truppen aufmarschieren. Aber sollten sich die USA, was wahrscheinlich ist, vor allem der Auseinandersetzung mit China widmen und ihren Verbündeten in Europa, im Übrigen völlig zurecht, klar machen, dass sie den Großteil der Kosten ihrer Sicherheit selbst tragen müssen und langsam als Hegemon von Russland abgelöst werden, wird Russland diese Rolle übernehmen. Jedes Machtvakuum wird gefüllt. Dann hören Politiker wie Roth auf, setzen sich die Mützenichs und Stegners in der SPD durch. Vielleicht wird dann ein Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Kretschmer anstatt des Duos Merz/Linnemann die Führung in der Union übernehmen. Und die Grünen werden jemanden wie Hofreiter nicht mehr aufstellen. Wobei klar sein sollte, dass keine Partei sich so lange dem Einfluss des russischen Regimes widersetzen wird wie die Grünen. Bei der FDP wird Strack-Zimmermann dann keine Rolle mehr spielen. Im Sommer wird sie ohnehin ins Europaparlament abgeschoben. Lohnt es sich, noch über die Linke zu reden? Sollte sie die kommenden Jahre überstehen, wird sie ebenso eine sichere Bank für Russland wie die AfD und die Wagenknecht-Partei sein. Es sind ohnehin Putins Parteien. Verräter an der Demokratie und am Land.

Vielen wird die Umstellung nicht schwerfallen. Frieden gilt vielen Deutschen mehr als Freiheit, und sicher wird das Gas wieder billiger. Immer schon waren viele davon überzeugt, dass die Deutschen von der Mentalität eher den Russen mit ihrer „tiefen Seele“ näherstehen als dem angeblich oberflächlichen Westen. Wer Verachtung über die Amerikaner äußert, kann meist mit Zustimmung rechnen, obwohl die Bundesrepublik ihnen Freiheit und Wohlstand zu verdanken hat.

Wer nicht unter russischer Hegemonie leben will, wird dann das Land verlassen müssen. Deutschland war über Jahrhunderte ein Auswandererland. Es gibt also eine Tradition, an die man anknüpfen kann.

Das alles wird nicht schnell passieren. Es wird ein langsamer Prozess sein, und viele werden ihn so wenig spüren wie der Frosch die langsam steigende Hitze im auf dem Herd stehenden Wassertopf. Muss es so kommen? Nichts muss. Aber es kann passieren, und es schadet nicht, diese mögliche Zukunft im Hinterkopf zu behalten. Sie schärft den Blick auf die Gegenwart.  Zum Beispiel auf den Ausstieg von Michael Roth aus der Politik.

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