Das Kirchturmdenken wird im Ruhrgebiet oft kritisiert. Auch ist die Region als Ganzes durch eine Schwäche geprägt, Ziele vorzugeben und Entscheidungen zu treffen. Das liegt auch daran, dass die gelebten Strukturen von den vorgegebenen abweichen und weitgehend unbekannt sind. Daraus resultiert ein Demokratiedefizit, das weiter dadurch verstärkt wird, dass das „Ruhrparlament“ bisher indirekt – also nicht von den Bürgern selber – gewählt wird. Mit dem Amtsantritt der neuen Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel besteht die Chance, dies jetzt zu ändern. Von unserem Gastautor Roland Mitschke.
Der Dortmunder Ex-OB Gerhard Langemeyer (SPD) galt nie als Freund der regionalen Zusammenarbeit an der Ruhr. Für seine Stadt „und für sich“ sah er eine Führungsrolle in Westfalen. Dabei störte es ihn wenig, dass dies außerhalb seiner Stadt kaum Beifall fand. Die starke Position Münsters ist hier so gut wie unumstritten. Dass er formal der Kommunalaufsicht des Arnsberger Regierungspräsidenten unterstand, war nur ein Schönheitsfehler – zumindest solange diese ebenfalls das SPD-Parteibuch in der Tasche hatten. Ihnen konnte er – übrigens wie andere SPD-Oberbürgermeister auch – sagen, was sie zu tun und zu lassen hatten. Dies änderte sich erst mit dem CDU-Mann Helmut Diegel in Arnsberg. Für Langemeyer nahezu unerträglich, sich aus Arnsberg sagen lassen zu müssen, was bei knappem Geld in der Stadt gemacht werden kann und was nicht.
Diese „Fremdherrschaft“ noch zu ergänzen mit einem starken Regionalverband Ruhr (RVR) mit Sitz in Essen war für den machtbewussten Oberbürgermeister eine Horrorvorstellung. In dem von ihm aufgrund des starken Drucks der Opposition in Düsseldorf nicht verhinderbarem neuen RVR-Gesetz hatte er es doch bei der rot-grünen Landesregierung geschafft, den Oberbürgermeistern und Landräten im neu strukturierten RVR eine stark privilegierte Stellung zu verschaffen. Es gab einen nicht öffentlich tagenden Vorstand aus Oberbürgermeistern, Landräten und den Fraktionsvorsitzenden der Verbandsversammlung. Dieser kontrollierte die Verwaltung, traf wichtige Personalentscheidungen und nichts kam in die Ausschüsse und die Verbandsversammlung, was diese Runde nicht vorher freigegeben hatte. Insofern war es aus Langemeyers Sicht konsequent, sich selbst an die Spitze dieses „Vorstandes“ zu setzen und mit dem braven Heinz-Dieter Klink (SPD) einen RVR-Verwaltungschef zu installieren, der unverdächtig war, eigene Ambitionen zu entwickeln und Langemeyers treuester Vasall – viele sagen auch Marionette – wurde. Für die Amtszeit dieses Regionaldirektors – bis 2011 – war durch diese Personalentscheidung abgesichert, dass Konflikte zwischen regionalen und lokalen Interessen nicht auftreten konnten, da ja kein Amtsträger da war, der die regionalen Interessen vertrat.
Die CDU-Fraktion im RVR ist gegen dieses Konstrukt von Anfang an Sturm gelaufen. Besonderer Kritikpunkt, der später auch gutachterlich untermauert wurde, war die fehlende demokratische Legitimation des Vorstandes. Oberstes Organ des Verbandes war und ist die Verbandsversammlung. Ihr gehören die von den Räten und Kreistagen gewählten Vertreter der Kreise und kreisfreien Städte nach dem Verhältniswahlsystem sowie gleichberechtigt mit Sitz und Stimme die Hauptvertreter der Mitgliedskommunen an, also die Oberbürgermeister und Landräte, die bei der Sitzverteilung ihren Fraktionen angerechnet werden. Nach allgemeinen demokratischen Spielregeln müssen sich in allen zu bildenden Gremien die Mehrheitsverhältnisse in der Verbandsversammlung entsprechend den Ergebnissen der Kommunalwahl widerspiegeln. Das war im RVR-Vorstand offensichtlich nicht der Fall und verfassungsrechtlich somit nicht vertretbar. Folglich änderte die Regierung Rüttgers das RVR-Gesetz, schaffte den Vorstand ab und übertrug dessen Kompetenzen dem von der Verbandsversammlung nach üblichen Regelungen gebildeten Verbandsausschuss. Für den Dortmunder Oberbürgermeister war diese Änderung mehr als Majestätsbeleidigung, ja Kriegserklärung.
Im Februar 2008 legte Langemeyer in einer Konferenz der Oberbürgermeister und Landräte ein Papier zu einem „Städtebund Ruhr für eine neue Kultur der Kooperation in der Metropole Ruhr gegen neue Bürokratie“ vor. Strategie war, den RVR mit seinen parlamentarischen Gremien durch Vereinbarungen der Stadtoberhäupter zu unterlaufen, nicht Zusammenarbeit der ganzen Region sondern Absprachen von Fall zu Fall in beliebiger Konstellation – natürlich ohne „lange Entscheidungswege und ohne aufwendige Gremien“, sprich: ohne parlamentarische und demokratisch legitimierte Kontrolle.
Die CDU ist seinerzeit als erste politische Kraft für die Direktwahl der Oberbürgermeister eingetreten. Wir wollten starke Oberbürgermeister an der Spitze der Städte, die ihre Stadt nicht nur repräsentieren, sondern als Chefs der Verwaltung mit diesem Apparat politische Beschlüsse in ihrer Stadt schnell und effizient vorbereiten und ausführen. Oberbürgermeister sind gewählt zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Stadt. Hinter dieser Aufgabenstellung muss alles andere zurückstehen. Da aber die Sichtweise einer Stadt nicht automatisch regionales Interesse in der Metropole Ruhr ist, bedarf die Entscheidung über eine regionale Positionierung einer Entscheidungsstruktur, aus der sich eine demokratische Legitimation ergibt. Mehrheitsentscheidungen sind nicht durchsetzbar, wenn jeder Partner für sich ein Vetorecht reklamieren kann. Konsens auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners wird den Problemen der Region bei 53 Kommunen nicht gerecht.
CDU und Grüne beispielsweise forderten in ihren Aussagen vor der letzten Landtagswahl die Direktwahl des sogenannten Ruhrparlaments.
Zur Beschlussfassung über das Langemeyer-Papier ist es nicht gekommen. Die einsetzende öffentliche Diskussion – versehentlich war das Papier bei der Presse gelandet – bewirkte eine Resolution in der RVR-Verbandsversammlung:
Der RVR gestaltet, plant und baut die Metropole Ruhr:
[…] Wichtigste Klammer und Bündelungsinstanz für die gemeinsamen Interessen und Aufgaben der Metropole Ruhr ist der Regionalverband Ruhr. Er trägt dafür Sorge, dass die Interessen der Großstädte im Kernruhrgebiet ebenso Berücksichtigung finden wie die Interessen des Ballungsrandes. Ein loser Städteverbund kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden und würde letztlich auf eine Dominanz der wenigen Großen hinauslaufen. […] Wegen des hohen Konsensbedarfes bei Entscheidungen für die Region und die sich daraus ergebenden finanziellen Verpflichtungen hat sich die parlamentarische Verfasstheit des Regionalverbandes bewährt. […]
Der öffentliche Druck führte zu einer einstimmigen Beschlussfassung – bei einer Stimmenthaltung: Gerhard Langemeyer.
Mit der Rückübertragung der Kompetenz für die Regionalplanung auf den RVR im Jahr 2009 durch den Landesgesetzgeber war ein altes Ziel erreicht: Für die ganze Region sollte wieder in der Region aus einer Hand geplant werden. Hier waren es die Planungsdezernenten einiger Großstädte, die offensichtlich mit Unterstützung ihrer Oberbürgermeister, dies verhindern wollten. Bochum, Bottrop, Essen, Gelsenkirchen, Herne und Mülheim hatten einige Jahre zuvor im Rahmen eines Modellprojektes eine Planungsgemeinschaft für einen „Regionalen Flächennutzungsplan“ – RFNP – gebildet, die als Städteregion Ruhr 2030 auch weitere Aktivitäten parallel zum RVR entfaltet. Diese zunächst begrüßenswerte Initiative sollte nun aufgehen in einem neuen Regionalplan für die ganze Region. Die beteiligten Stadtbauräte haben nichts unversucht gelassen, dies zu verhindern. Stärkstes Argument: Mangelnde Kompetenz in der RVR-Verwaltung. Natürlich haben sie nicht darauf hingewiesen, dass ihre Chefs, die Oberbürgermeister im ehemaligen RVR-Vorstand, die Führungsebene der RVR-Verwaltung installiert hatten.
Das Kulturhauptstadtprojekt, initiiert mit dem Bewerbungsverfahren 2003/2004 mit CDU-Mehrheit in der Verbandsversammlung, war von Beginn an auf Nachhaltigkeit angelegt. Es sollte nicht nur ein Strohfeuer werden. Wenn also regionale Kulturarbeit
über 2010 hinaus fortgeführt werden sollte, musste auch Geld bereitgestellt werden.
In der jetzt ohne gesetzliche Funktion weiterhin tagenden Runde der Oberbürgermeister und Landräte, die sich vor den RVR-Gremien mit diesen Fragen beschäftigte, hatten die Bedenkenträger die Oberhand. Nachdem das Land dann Unterstützung signalisierte, bröckelte der Widerstand. Allerdings wurde weiterhin eine Steuerungsrolle beim RVR in Frage gestellt. Verhandelt wurde zwischen den Bedenkenträgern und der neuen Landesregierung, nicht mit den Gremien des RVR. Initiative und positive Begleitung sieht anders aus. Fast ein Jahr nach dem Kulturhauptstadtjahr ist über die Folgeaktivitäten immer noch nicht entschieden.
RVR-Regionaldirekor Heinz-Dieter Klink war sich stets bewusst, wem er sein Amt zu verdanken hatte. Alle wesentlichen Projekte z. B. auch Umweltzone Ruhr, Masterplan Bildung und Masterplan Sport gingen erst in Beratungen der Runde der Oberbürgermeister und Landräte, bevor RVR-Ausschüsse und die Verbandsversammlung informiert wurden. Auch wenn er selber nicht immer eingeladen war, so arbeitete die Verwaltung des RVR dem jetzt informellen Gremium zu. Dass dies den RVR noch weiter schwächte, war für Klink mit seiner unübertroffenen Leidensfähigkeit kein Problem. Diese Arbeits- und Entscheidungsstrukturen ließen den nicht beschlossenen Städtebund der Oberbürgermeister und ihrer Verwaltungen in den letzten Jahren leben. Das Exekutivkomitee der Oberbürgermeister und Landräte der Metropole Ruhr tagte bisher einmal monatlich an einem Donnerstagmorgen hinter verschlossenen Türen, formalisiert vorbereitet von den Büroleitern. Impulse für die Region sind aus diesen Runden nicht bekannt geworden.
Seit dem 1. August 2011 ist Karola Geiß-Netthöfel neue Regionaldirektorin. Die Akzeptanz auf Augenhöhe muss sie sich bi den Oberbürgermeistern erarbeiten. Sie hat es in der Hand, die Dinge zu ändern. Wenn sie dies angeht, hat sie sicherlich die volle Unterstützung der CDU-Fraktion im RVR. Wir sind gespannt. Ein Städtebund von Verwaltungschefs und Dezernenten reicht jedenfalls nicht, wenn sich die Metropole Ruhr zu einer echten Metropole entwickeln soll.
Roland Mitschke ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Ruhrparlament
Wer Leute ohne Ausstrahlung in ein Parlament entsendet, der muss sich nicht wundern, wenn diesem Parlament anschliessend der erhoffte Glanz fehlt.
@Robin: Das Ruhrparlament braucht einfach mehr Macht – dann regelt sich das von alleine. Und das die Räte, Landtage und der Bundestag besonders glanzvoll sind ist mir bislang entgangen.
@Stefan: OK, einverstanden. Dann ist es wie bei der Frage von Huhn, oder Ei. Was kommt jetzt zuerst? Erst mehr Persönlichkeiten ins Parlament, oder erst mehr Macht, in der Hoffnung, dass dann ‚bessere‘ Köpfe freiwillig folgen?
Mir egal, Hauptsache diese biedere Veranstaltung in Essen wird dringend mal aufgewertet. Sonst können wir uns das besser sparen. Im wahrsten Sinne des Wortes…
Der Gastautor schreibt nichts, gar nichts Neues und das geschieht extrem parteipolitisch gefärbt.Was hat laut Mitschkes Beitrag nicht alles die CDU positives zur Stärkung des RVR getan oder zu tun beabsichtigt und was hat laut Mitschke die SPD, was haben deren Oberbürgermeister diesbezüglich nicht alles verhindert. Kommunalpolitikern wie Mitschke tun alles -bewußt?-, um den unabdingbar notwendigen parteiübergreifenden Prozeß zur Stärkung der Kompetenzen des RVR zu verhindern. Dieser Prozess kann nicht gegen, sondern nur mit der SPD initiert und umgesetzt werden. Was schlägt denn Mitschke inhaltlich, organisatorisch, prozessual Neues vor, um auf regionaler Ebene zu einem Mehr an Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten kommen zu können? Nichts! Er wünscht sich, daß es die neue Reginaldirektorin politisch-administrativ-repräsentativ auf „Augenhöhe“ mit den Oberbürgermeistern schaffen könnte, ohne daß sich an den Zuständigkeiten/Verantwortlichkeiten der Kommunen einerseits und des RVR anderseits irgend etwas ändert.Es gab ja ‚mal einen weitgehenden Reformvorschlag der CDU NRW, nämlich das Land in drei Regionen -Ruhrgebiet,Westfalen,Rheinland -aufzuteilen und deren Organe mit umfassenden Kompetenzen auszustatten, über die jetzigen Zuständigkeiten des RVR weit hinausgehend nebst einem direkt zu wählenden regionalen Parlament. Meine Partei -die SPD-hat diese Idee von vornherein beauerlicherweise ohne weitere Diskussion abgelehnt. Ich habe mich seinerzeit dafür stark gemacht, diese Idee aufzugreifen und umzusetzen und tue das weiterhin.Herr Mitschke wird aber wissen, daß es nicht nur Widerstand in der SPD-NRW gab, sondern daß kommunale und regionale „Fürsten“ aus seiner CDU in NRW nicht bereit waren, diese Pläne zu unterstützen.Die seinerzeitige CDU-FDP Landesregierung hat deshalb „sang und klanglos“ ihre Idee zu den Akten gelegt, was ich sehr bedauert habe. Es wäre für den Gastbeitrag sachdienlich und zielführend gewesen, von Herrn Mitschke zu hören, ob er im Intersse des Ruhrgebietes bereit ist, z. B. diese Reformidee seiner Partei wieder aufzugreifen und offensiv für sie streiten.