Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eskalierte in der Linken der Streit um den Umgang mit der populistischen Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht. Während das AfD-Umfeld von den Querfrontpositionen der ehemaligen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Die Linke begeistert ist, rumorte es in ihrer eigenen Partei.
Jetzt ist der Streit in NRW eskaliert: Eine für Mitte November in Duisburg geplante Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht wurde abgesagt.
Sahra Wagenknecht fühlt sich düpiert
Seit mehreren Wochen wurde das Event, das unter dem Motto „Genug ist Genug!“ stehen sollte, auf der Facebookseite der Bundestagsfraktion von „Die Linke“ beworben. Thema des Events am 18. November 2022 sollten die Folgen des Krieges in der Ukraine sein. Der Krieg selbst wird mit keinem Wort erwähnt.
Angekündigt wurde, neben dem Auftritt von Sahra Wageknecht, auch Christian Leye – heute Mitglied des Bundestages, von 2014 bis 2021 Mitarbeiter im Wahlkreisbüro von Sahra Wagenknecht:
Kundgebung mit Sahra Wagenknecht und Christian Leye (MdB)
Deutschland ächzt unter der Inflation. Der normale Einkauf kostet doppelt so viel wie noch vor wenigen Jahren, genauso bald eine Tankfüllung. Strompreise gehen durch die Decke. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihr tägliches Leben finanzieren sollen. Die Ampelregierung ringt um jedes kleine bisschen Entlastung. Vor allem die, die eh am wenigsten haben, warten vergebens auf Unterstützung aus der Politik. Einen Deckel auf Gas- und Strompreise hat DIE LINKE. im Bundestag beantragt. Die Ampel-Regierung blockierte – monatelang.
Ebenso abgewählt haben Scholz, Habeck, Lindner und Co. eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Inflationsbremsen, wie der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket ließ die Ampel einfach auslaufen – nach deren Ende stiegen die Preise sogar noch sprunghaft an. DIE LINKE hat im Bundestag erst die Verlängerung des 9-Euro-Tickets beantragt und anschließend die Einführung eines dauerhaften1-Euro-Ticket.
Klar, Entlastungen kosten Geld – aber davon gibt es bei einigen wenigen ja reichlich. Mit einer Übergewinnsteuer könnten die größten Krisenprofiteure in die Verantwortung genommen werden.
Es ist stets das gleiche Spiel: Krisenlasten werden den Menschen aufgebürdet, die jeden Tag zur Arbeit gehen, den Rentnerinnen und Rentnern, jenen, die sowieso schon wenig haben, den Studierenden, Familien. In der Krise wächst die Umverteilung von unten nach oben. Das wird DIE LINKE nicht akzeptieren und sich im Bundestag weiter für Sie einsetzen.“
Die Diskussion auf Facebook zur geplanten Veranstaltung auf Facebook zeigte, dass das geplante Event innerhalb der Linkspartei nicht unumstritten ist. Anhänger und Kritiker der einstigen Vorzeigefrau der Linkspartei stritten sich dort in zahlreichen Kommentaren über das Event. Die Zerrissenheit der Partei im Umgang mit der Querfront-Frau wird im Kommentarfeed sichtbar.
Auf diese Kritik hat der Kreisvorstand der Linkspartei in Duisburg reagiert: Der Kreisvorstand der Linkspartei in Duisburg kommunizierte seinen Mangel an Begeisterung über das Event mit Sahra Wageknecht jedoch nicht mit ihr und Christian Leye (Eine Interviewanfrage der Ruhrbarone an Christian Leye zu diesem Thema blieb bisher unbeantwortet!) direkt, sondern mit dem Fraktionsvorstand der Linkspartei in Berlin.
In einer Email sagte Sahra Wagenknecht nun das Event von sich aus ab:
„Ein solches Schmierentheater möchte ich mir nicht antun“
Lieber Christian, liebe Genossinnen und Genossen,
leider muss ich euch mitteilen, dass ich für die geplante Veranstaltung am 18. November in Duisburg nicht mehr zur Verfügung stehe. Ich bedauere das sehr. Protest gegen die unsoziale Politik der Ampel ist meines Erachtens dringend notwendig. Dafür, dass er von links organisiert und nicht den Rechten überlassen wird, wollte ich auch in Duisburg beitragen.
Allerdings wurde mir jetzt ein Brief weitergeleitet, den die Kreisvorsitzenden der Linken Duisburg Anfang der Woche an den Vorstand der Bundestagsfraktion geschrieben haben. Daraus geht hervor, dass die Kreisvorsitzenden die Kundgebung ausdrücklich für einen Fehler halten und davon ausgehen, dass der Partei dadurch Schaden entsteht. Und sie bitten den Fraktionsvorstand, darüber zu entscheiden, ob die Kundgebung unter diesen Voraussetzungen dennoch stattfinden soll.
Bemerkenswert ist auch die Adressierung des Schreibens: es ist ausschließlich an den Fraktionsvorstand geschickt worden, nicht aber an mich als eingeladene Rednerin oder an Christian Leye als zuständigen Abgeordneten, der die Veranstaltung in seinem Wahlkreis mitorganisiert. Wenn seitens der Kreisvorsitzenden nicht einmal Kommunikation mit mir erwünscht ist, gilt das für eine gedeihliche Zusammenarbeit augenscheinlich noch viel weniger.
Ehrlich gesagt, ein solches Schmierentheater möchte ich mir nicht antun. Ich habe genügend Einladungen und auch sonst genügend zu tun, ich muss mein Zeitbudget nicht mit Auftritten füllen, die seitens der Verantwortlichen der Partei vor Ort ausdrücklich unerwünscht sind. Und ich möchte auch dem Fraktionsvorstand die Entscheidung über das Stattfinden oder die Absage dieser Veranstaltung ersparen, weil das wieder die hinlänglich bekannten Kontroversen auslösen dürfte, über die dann in der Presse freudig berichtet wird. Ich betrachte das Schreiben der Kreisvorsitzenden der Duisburger Linken als Ausladung und streiche damit diesen Termin aus meinem Kalender.
An dieser Stelle möchte ich dennoch allen Genossinnen und Genossen, die an der Vorbereitung gearbeitet haben, herzlich danken. Ich weiß aus Mails und Rückmeldungen vor Ort, dass sich zahlreiche Mitglieder unserer Partei und auch Bürgerinnen und Bürger auf die Kundgebung gefreut haben. Dass sie nun enttäuscht sein werden, tut mir sehr leid. Ich bitte um Euer Verständnis, dass die Durchführung der Veranstaltung unter den geschilderten Umständen leider beim besten Willen nicht möglich ist.
Realpolitischer Flügel setzt sich in Duisburg durch
Bemerkenswert an dem Vorgang ist auch, dass die Linkspartei in Duisburg noch vor zwei Monaten mit ihrem „Duisburger Friedensappell“ – ganz im Interesse des Kremls – der Ukraine in den Rücken fallen wollte. Dass sich seit September jetzt ein realpolitische Sicht auf den Angriffskrieg Russlands durchgesetzt hat, zeigt die Zerrissenheit der SED-Nachfolgepartei in dieser Frage: Dass man, wie zu Zeiten des Kalten Krieges, in Treue fest zu Russland steht – auch wenn Putin und die ehemalige KPdSU ideologisch Welten trennen – wird zumindest in Duisburg nicht mehr hingenommen.
Die Eskalation in Duisburg lässt, in Sachen Linkspartei und ihren Umgang mit Sahra Wagenknecht, sehr spannende Wochen erwarten.
Wenn es diesen Artikel von Peter Ansmann nicht gäbe, hätte ich vermutlich nie etwas von diesem Duisburger Linkenvorstand gewußt, obwohl ich Duisburger bin. Außer Wagenknecht haben diese Leute offenbar kein Thema, mit dem sie von den Medien wahrgenommen werden. Und wenn Wagenknecht austritt, sind sie ganz ohne Thema. Darin gleichen sie ihrem Bundesvorstand.
@Helmut Junge:
Wahrzunehmen war „Die Linke“ in Duisburg sogar am Bodensee – dank der Ruhrbarone:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitisches-flugblatt-duisburger-linke-verbreitet-hetze-gegen-israel-a-759367.html
ist Sybille ein Beispiel für einen, Zitat Sybille, „normaldenkenden Mensch“?
dann ist es vielleicht besser, gar nicht zu denken. Oder ist es das, was Sybille „normal“ nennt – und vormacht?
@Peter Ansmann , das war 2011, die damaligen Akteure hatte ich persönlich gekannt, und zwar alle. Und die mich umgekehrt auch, obwohl ich da schon 10 Jahre aus der Politik bei den Grünen raus war. Das ist heute komplett anders.
Ich kann mich noch sehr gut an diese Geschichte erinnern. Über diese Geschichte und über Werner Jurga hatte ich die Ruhrbarone kennen gelernt.
Aber der Hermann Dierkes wohnt jetzt in Schweden und so einer ist bei den Linken nicht nachgewachsen. Diese neuen Vorstandsleute kennt niemand. Das sind Neulinge, während Dierkes schon stadtbekannt war, als er sich entschloß der PDS beizutreten.
Irgendwie faszinierend, welche Extreme in der Linken zu finden sind. Ausgerechnet Wagenknecht ist nun keineswegs eine positive Alternative zu den Duisburger Linken. Sie ist eigentlich ganz nahe bei denen, nur nicht auf der gleichen Höhe.
– Wie keine zweite Politikerin ist sie links/rechts-kompatibel. Ihre Fans finden sich in beiden Lagern. Selbst in der politischen Mitte hat sie nicht wenige Anhänger.
– Sie ist eindeutig Putins fünfter Kolonne zuzuordnen. Immer wieder versucht sie sich in Relativierungen und Verharmlosungen, was die russische Aggression gegen die Ukraine betrifft.
– Unvergessen (zumindest bei mir) bleibt auch ihr demonstratives Sitzenbleiben nach der Rede von Israels damaligen Ministerpräsidenten Shimon Peres im Bundestag zum 65.Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Zusammen mit ihren Kameradinnen C.Buchholz und S.Dagdelen brachte sie ihre Gesinnung deutlich zum Ausdruck. Die faschistische NPD war damals (2010) ganz begeistert, und dies nicht ohne Grund.
Dass sie zu den Schlauen gehört, die es schaffen, ihre Position regelmäßig gut zu verkaufen, ändert nichts an ihrer eigentlichen Haltung. Seltsam, wie dies von so vielen einfach ausgeblendet wird.
Gut das mal jemand an die Wagenknechtsche et al. Haltung gegenüber Peres erinnert. Begründet wurde diese, wenn ich mich recht erinnere, mit der Ablehnung der israelischen Aggressivität. Ersichtlich stören sich die Damen nicht an der Aggressivität Russlands. Man kann diese Haltung deshalb als eine antisemitische bezeichnen. Die Nähe von Frau Wagenknecht zu Jürgen Elsässer ist offensichtlich. Wie nannte man eigentlich früher Leute, die faschistische Systeme wie das von Russland goutierten?
Sarah Wagenknecht ist nach meiner Einschätzung in der langen Zeit ihrer öffentlichen Positionierungen ihrer besonderen Art der Beurteilung von Sachverhalten und Ereignissen in besonders achtsamer und respektvoller Einschätzung immer wieder auch bei überraschend politikfernen Themen sehr sattelfest und – dies in besonderem Akzent – glaubwürdig und ehrlich.
Ich schätze die Gewandtheit im Denken und Sprechen auch in schwierigen Fragestellungen, die stete Bereitschaft zu Ausflügen in Sphären, die DEMOKRATIE notwendigerweise – so oft wie eben möglich – in den Grundnormen herausfordern, gleichzeitig aber auch zur Debatte einladen mit dem e i n e n Ziel: es muss möglich sein, die einengenden Korridore politischer Argumentation zu weiten, farbiger und mit neuer Lust zu gestalten – geradezu Freude dadurch zu gewinnen, dass Schlagabtausch auch Erkenntnisgewinn sein und werden kann, denn auch dies ist ein schweres Hemmnis in der Offenheit zu erörtender Sachverhalte – manchmal auch zähflüssiger Begrifflichkeiten – aus einem Denkprozess heraus gleich schlüssige Erwartungen auf dem Tablett zu servieren.
Ich bedaure sehr, dass Sarah Wagenknecht mit ihrem intellektuell hohen Anspruch sehr oft – oder gar zumeist – nicht auf gleichwertige Bemühungen triff und auch nicht treffen kann, weil POLITISCHE GESTALTUNG so sehr gewaltig sich in unserer Zeit in Räumen begegnet, die sich vorher n i e haben so darstellen lassen. Neu denken – und es zuzulassen – heißt aber auch, über Gesagtes nachzudenken, Gemeinsamkeiten zu erforschen, um dann sich über Fortschritte auch freuen zu können. Sarah tut es und brennt dafür – wir sollten dem folgen, wenn es denn auch möglich wäre durch Hören und Zuhören, Denken und Nachdenken, Wege suchen und Abwege erkennen, Meinungen zu akzeptieren und Aggressionen abzuwehren – kurzum DEMOKRATIE zu leben und lebendig zu gestalten.
Noch n i e habe ich eine andere Grundhaltung aus ihren Aktionen herauslesen können, weil sie auch keine Berührungsängste zulässt, sie ist offen für Begegnungen – auch der Versuch des “ A U F S T E H E N S ! “ hatte einen Wert, der kaum gewürdigt wurde !
Doch nun ist Schluss mit der Werbung, Sarah Wagenknecht wird an dieser Klippe nicht zerbrechen -so hoffe ich.
Rainer H. Kühne aus Berlin
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