Salut! 20 Jahre BAG der Fanprojekte

Foto: Thomas Meiser

Der folgende Text ist eine Grußadresse des Fan-Soziologen Dieter Bott, der seit 28 Jahren Fanforschung betreibt und mit den Fanprojekten in Frankfurt, Düsseldorf und Duisburg eine von den Vereinsinteressen unabhängige „Sozialarbeit mit Fussballfans“ vorbereitet hat. 1968 gründete Dieter Bott in Frankfurt das „1. Anti-Olympische Komitee“ – nach der Devise „vögeln statt turnen!“ Gegenwärtig bildet er an der Fachhochschule in Düsseldorf Sozialarbeiter für ihre Tätigkeit in sozialen Brennpunkten aus. von Dieter Bott

Am  13. November  2009  feiert die Bundesarbeitsgemeinschaft  (BAG) der Fanprojekte ihr 20-jähriges  Bestehen in Dortmund. Den Festvortrag hält der renommierte Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, der zu Beginn der nun institutionell abgesicherten und vom Verein unabhängigen »Sozialarbeit mit Fußballfans« die nationale Orientierung und Gewaltfaszination der jugendlichen Szene untersucht und auch auf strukturelle Ursachen und Defizite der für sie zuständigen gesellschaftlichen Institutionen zurückgeführt hat. Die Kommerzialisierung des Profifußballs nimmt seinen Anhängern ihre  frühere  Bewegungsfreiheit.  Die »Enteignung  vormals  selbstbestimmter Räume« (Heitmeyer) schwächt die jugendliche Selbstregulierung und  Selbstverantwortung  –  verbunden  mit  Versitzplatzung und Verkäfigung. Dazu kommt eine alles und alle erfassende Überwachung.

Nach Heitmeyer findet neben dieser Enteignung zusätzlich auch eine Entwertung statt, indem der finanzielle Anteil, den die anwesenden Zuschauer einbringen, abnimmt gegenüber den dominierenden Fernseh- und Sponsorengeldern, deren Interessen die Rahmenbedingungen und den Ablauf bis hin zum Amateur-Fussball immer stärker beeinflussen. Was der dem DFB und den mittlerweile vierundvierzig Fanprojekten verbundene Sportsoziologe Gunter Pilz kommerz- und repressionskritisch die »Eventisierung des Profifußballs« nennt, die diesem immer neue Besucherschichten erschließt, hat bei den organisierten traditionellen Fans keinen Beifall gefunden. Im Gegenteil: Vom Bündnis aktiver Fussballfans gegen Rechts (BAFF) bis zu diversen Ultra-Gruppierungen, die etwa seit 1997 nach und nach die Meinungsführerschaft in den Fanblöcken übernommen haben, regt sich Widerstand  gegen »den  größten  Scheiß  vom  Merchandise«.  Der  kann  so  weit gehen, dass diese  aktiven  und für die Stimmung in der Arena unverzichtbaren Ultra-Fans die sponsorenabhängigen Vorgaben der Vereine ignorieren und überteuerte Vereinstrikots durch ein dezentes eigenes »old-school
outfit« ersetzen.

Die Kritik am großen  Geld, die sich stets und besonders  an Hoeneß  und Bayern München  festmachte,  trifft  allerdings auch die eigenen »Scheiß-Millionäre«,  wenn  sich  die  investierten  Riesenbeträge  nicht  auszahlen. Aber auch dort,wo sie einen Dorfverein kurzfristig zum Spitzenreiter der Liga machen, weckt diese enorme Förderung des modernen Fußballs keine Begeisterung bei den traditionellen Fans, die den Milliardär und Sponsor Hopp  ins  Visier nehmen, weil er zweifellos nicht selbstlos dort investiert, wo sich das Geld beinahe automatisch vermehrt und seinen hauseigenen Produkten das  Attribut der  Bodenständigkeit  und der Popularität durch sein Fußball-Engagement hinzukauft. »Dass dich keiner leiden kann, stand nicht in deinem Business-Plan« schreiben Düsseldorfer Fans auf eins ihrer Banner. Übereifrige Zensurmaßnahmen gegen diese Art der Majestätsbeleidigung verderben als feudale Willkür das Klima und verschärfter Einsatz durch Polizei und Ordnungskräfte verhärten die Fronten.

Das ist die Stunde der unabhängigen Fanprojekte, ihrer zentralen Koordinierungsstelle (KOS) und der sie begleitenden Forschung (Pilz, Heitmeyer u. a.). Aufklärung, Vernunft und Versachlichung ist gegen  die skandalisierende Medienberichterstattung aufzubieten. Die unabhängigen Fanprojekte vor  Ort  sind in ihrer Vermittlerrolle gefragt, damit  die kooperationswilligen Kräfte vom Verein  und der Polizei den  jugendlichen Fans auf Augenhöhe begegnen und sich auch auf deren Interessenlage einlassen können. Dazu gehört  ganz  wesentlich  die  Plausibilität  und  Transparenz  der  Vergabe von Stadionverboten. Nur etwa zehn Prozent der von einem Stadionverbot betroffenen Fans nehmen dort, wo sie ihnen inzwischen angeboten wird, die Möglichkeit zu einer Stellungnahme aus ihrer Sicht wahr, höre ich von Thomas Schneider (DFL). Dass dieses resignative, weil erfahrungsgesättigte Desinteresse der betroffenen Fans an ihrer eigenen Verteidigung (»Gegen ein Polizeiprotokoll hast du so gut wie keine Chance«) als Schuldeingeständnis gewertet wird, zeigt die Szeneferne des verwalteten Fußballs.

Wenn die Fanprojekte den 20. Jahrestag ihres Zusammenschlusses in der BAG mit durchschnittlich 1,8 Mitarbeitern pro Projekt zelebrieren, anstatt spätestens bis zu  diesem Datum die ihnen  seit 1992  (Nationales KonzeptSport und Sicherheit) zustehenden mindestens drei fest  angestellten  Mitarbeiter  verbindlich  zu fordern, dann  stellt  sich die Frage,  wie  man  die berechtigten Interessen der Jugendlichen mit so wenig Kräften vertreten kann,  wenn  man  es  schon  nicht  schafft,  die  legitimen  eigenen  Interessen durchzusetzen. Als Seismografen der jugendlichen Fußball-Subkultur haben die Fanprojekte frühzeitig Kenntnis von den Stimmungen in der Fankurve – und können beurteilen, wie diese sich aufbauen. Es ist  nicht nur klassische Sozialarbeit und aufsuchende Jugendarbeit, Einzelfallhilfe und Gruppenbetreuung, die von den vereinsunabhängigen Sozialarbeitsprojekten mit überwiegend sportlichen Angeboten betrieben wird. Es sind nicht nur die Service-Leistungen für besorgte Eltern und den Verein, wenn zum Auswärtsspiel  ein  betreuter  Bus für Jugendliche unter  18  Jahre bereitgestellt wird  und es ist nicht nur gut  fürs Image gegenüber den Behörden, wenn Fußballturniere der Projekte auch gegnerische Fangruppen integrieren können  und dem  Rassismus symbolisch die rote Karte  gezeigt wird. Das  alles sind Tropfen  auf den heißen Stein, die strukturell nicht greifen können!

Es fehlen jugend-  und kulturpolitische längerfristige Angebote und Partizipation fördernde Interventionen der Projekte. Dazu müssen die Bundesligavereine und ihre Verbände allerdings auch bereit sein. Die von Wilhelm Heitmeyers Bielefelder  Forschungsgruppe jährlich erhobenen  Befindlichkeiten der »deutschen Zustände« geben keinen Anlass zum Jubel. Die empirisch erhobenen Werte beispielsweise zum Sexismus und zur Homophobie, zu Rassismus und Antisemitismus verlangen nach Gegenmaßnahmen, die ohne eine personelle und finanzielle Verstärkung der Fanprojekte nicht zu leisten sind.

Eine detaillierte Untersuchung zur »Menschenfeindlichkeit«, speziell im Fußball-Milieu kann die erste Heitmeyer/Peters-Studie aus den 1980er Jahren auf den neusten Stand bringen. Wilhelm Heitmeyer  will mit seinem, die Fremdenfeindlichkeit erweiternden Begriff der Menschenfeindlichkeit, besonders die Verachtung und Ausgrenzung von Schwachen und Prekären, Verlierern und Opfern ins Bewusstsein heben. Speziell im Fußball-Milieu können die Forschungen  von Gunter Pilz sinnvoll  ergänzt und  erweitert werden,  weil hier der traditionelle »Anti-Intellektualismus« und das »verhängnisvolle Härte-Ideal«  (Adorno) beinahe  unreflektiert  abgefeiert werden – gegen »Memmen und Weicheier, Schattenparker und Frauenversteher«. Woher das Geld für diese Studie nehmen?

Wenn alle Hersteller von überflüssigen und ästhetisch minderwertigen Fanartikeln samt der unsäglichen Maskottchen für ihre Geschmacksverirrungen einen Obolus entrichten, dann ist die halbe Miete schon zusammen. Die andere Hälfte zahlen DFB und DFL  aus ihrer  Portokasse, weil sie  diese  Zumutungen solange schon toleriert haben.

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