Die deutschen Krankenhäuser sind gut auf SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 vorbereitet. So die durchaus steile These aus der Politik. Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sowie medizinische und pflegerische Fachgesellschaften schätzen die Situation mitunter anders ein: das System läuft bereits ohne eine zusätzliche Belastung in Form der Covid-19-Epidemie – also einer hochinfektiösen, durchaus bedrohlichen Atemwegserkrankgung – am Limit. Gesperrte Intensivbetten, unterschrittene Pflegepersonaluntergrenzen, unzählbare (und unbezahlte) Überstunden, europaweit eine der schlechtesten Personal-Patient-Quoten: all das ist bereits an der Tagesordnung. Die Behauptung, das deutsche Gesundheitswesen sei gut vorbereitet, ist demnach ziemlich gewagt. Gleichwohl müssen sich die Kliniken mit dem Thema befassen, sie tun dies auch bereits seit Wochen und Vorbereitungen werden und sind getroffen. Aber wie bereitet sich so eine Klinik überhaupt auf eine Epidemie vor? Das haben wir uns auch gefragt und unsere Fragen von Hygieneexperten aus dem Krankenhaus – quasi direkt von der Front – beantworten lassen.
Wer kümmert sich in einem Krankenhaus überhaupt um Hygienefragen?
Hauptverantwortlich für die Hygiene in einer gesamten Klinik ist der Ärztliche Direktor eines Krankenhauses. Verantwortlich für die jeweilige Abteilung ist deren Abteilungsleiter oder Chefarzt.
Kennt man sich, nur weil man Arzt ist, mit allen Themen der Hygiene aus?
Die fachliche Expertise liefern Krankenhaushygieniker und Hygienefachkräfte. Krankenhaushygieniker sind speziell in Hygienefragen ausgebildete Ärzte. Dies kann im Rahmen einer Facharztausbildung (Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und/oder Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie) oder im Rahmen der Zusatzbezeichnung Krankenhaushygiene (Facharzt in anderer Disziplin, z.B. Chirurgie oder Innere Medizin plus zusätzliche Ausbildung) erfolgen.
Hygienefachkräfte sind ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger mit zweijähriger Zusatzausbildung zum Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Krankenhaushygiene.
Unterstützt werden diese Experten in Hygienefragen durch hygienebeauftragte Ärzte und Pflegekräfte der jeweiligen Abteilungen des Krankenhauses. Die Ärzte und Pflegekräfte haben eine entsprechende Fortbildung absolviert. Deren Umfang ist durch das Robert-Koch-Institut festgelegt.
Wer entscheidet dann in Hygienefragen in einem Krankenhaus?
Gesundheitseinrichtungen, also auch Krankenhäuser, sind durch Landesverordnungen verpflichtet, eine Hygienekommission einzurichten. Deren Zusammensetzung und Zuständigkeit ist ebenfalls in entsprechenden Verordnungen geregelt.
In der Regel bestehen die Kommissionen aus oben genannten Personen, also Ärztlicher Direktor, Krankenhaushygieniker, Hygienefachkräfte, hygienebeauftragte Ärzte und Pflegekräfte. Zusätzlich gehören häufig noch Apotheker und Leiter bzw. Mitarbeiter des medizinischen Labors, Vertreter der Haustechnik und Hauswirtschaft mit zum Gremium.
In dieser Kommission werden hygienerelevante Entscheidungen für das Krankenhaus besprochen und gefällt.
Wie wird – auch ganz ohne Epidemie – die Hygiene in einer Klinik überwacht?
Interne Audits bzw. Begehungen sind vorgeschrieben und werden je nach Risikoprofil in einer gewissen Regelmäßigkeit durchgeführt. Auf Intensivstationen, im Operationssaal häufiger als in weniger risikoreichen Bereichen, wie z.B. der Verwaltung. Diese werden in der Regel durch die Hygienefachkräfte durchgeführt. Sowohl angekündigt als auch unangekündigt. Abweichungen werden protokolliert und müssen – je nach Dringlichkeit – in gesetzter Frist behoben werden. Die Überwachung der Hygiene im Alltag erfolgt durch die Leitungskräfte der einzelnen Bereiche in Zusammenarbeit mit den hygienebeauftragten Ärzten und Pflegekräften.
Ebenfalls erfolgen unregelmäßig Begehungen durch das zuständige Gesundheitsamt. Dies in der Regel nach Voranmeldungen; bei Auffälligkeiten kann dies allerdings auch unangekündigt erfolgen.
Nun haben wir aber ein Epidemie, wie bereitet sich eine Klinik darauf vor?
Sobald es die ersten Anzeichen für eine drohende Pandemie gab, gründeten sich in Kliniken Pandemie-Stäbe. Covid-19 ist aktuell das führende Thema in den Kliniken. Die Pandemie-Stäbe bestehen in der Regel aus Teilen der oben genannten Personen (Krankenhaushygieniker, Hygienefachkräfte), den Führungskräften der Klinik (Chefärzte und Abteilungsleitungen) und dem Krankenhausdirektorium (Geschäftsführung, Ärztlicher Direktor, Pflegedirektion). Je nach Lage tritt der Stab häufiger oder seltener zusammen. Pandemie-Stäbe der Kliniken tagen aber mindestens bereits seit Jahresbeginn zur SARS-CoV-2-Pandemie. In diesem Stab werden notwendige Maßnahmen beschlossen und umgesetzt.
Welche konkreten Maßnahmen werden in Kliniken denn umgesetzt?
Vordringlichstes Ziel in einer Klinik ist es, eine Übertragung des Virus von infizierten Patienten auf nicht infizierte Patienten zu vermeiden. Da bei dem größten Teil der Infizierten eine Behandlung im Krankenhaus allerdings nicht notwendig ist, gilt es diese Patienten möglichst aus dem Krankenhaus fernzuhalten. Dementsprechend ist die aktuelle Empfehlung bei Symptomen, die mit Covid-19 einhergehen könnten, telefonisch seinen Hausarzt, den Ärztlichen Notdienst unter 116117 oder das örtliche Gesundheitsamt zu kontaktieren, um das weitere Procedere zu besprechen und um zu erfahren, ob man überhaupt als Verdachtsfall für eine Infektion mit SARS-CoV-2 eingeschätzt wird. Nur bei schwerem Verlauf mit der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung sollten Covid-19-Patienten überhaupt eine Klinik aufsuchen. Auch in diesem Fall sollte die Klinik vorab telefonisch informiert werden. Bin ich so schwer erkrankt, dass ich den Rettungsdienst alarmiere, dann erfolgt die Information an die Klinik durch den Rettungsdienst.
Nun ist ein Covid-19-Patient in der Klinik – was wird getan, um eine Übertragung zu vermeiden?
Wie bei allen Infektionen, die ein Risiko für andere darstellen, werden die Patienten entsprechend isoliert, d.h. sie werden räumlich getrennt und die Behandlung durch das Personal erfolgt mit zusätzlicher Schutzausrüstung. Da Covid-19 aber aerogen, also über die Luft, übertragen wird, ist die räumliche Trennung eine Herausforderung. Auf einer Krankenstation ist dies gut durchführbar, es gibt getrennte Räumlichkeiten, ggf. werden ganze Stationen oder Bereiche als Isolationsbereich deklariert, in den keine anderen Personen gelangen dürfen.
Komplizierter wird die Isolation in „öffentlichen“ Bereichen des Krankenhauses, zum Beispiel der Notaufnahme. Auch dort müssen Covid-19-Verdachtsfälle von anderen Patienten separiert werden. Manche Klinken lösen dies durch zusätzliche Zelte oder Container vor der eigentlich Notaufnahme, andere Klinken schaffen spezielle Eingänge. Dies abhängig von den baulichen Gegebenheiten. Allen ist aber das Ziel gemein, potentielle Covid-19-Patienten frühzeitig zu identifizieren und sofort von anderen Patienten zu separieren. Viele Kliniken haben deutliche Restriktionen für Besucher erlassen, manche Kliniken lassen gar keine Besucher mehr zu. Bei einem akuten Ausbruch ist es möglicherweise notwenig, das Krankenhaus abzuriegeln, sodass kein unkontrollierter Zugang zur Klinik möglich ist.
Wie schützt sich das Personal beim Kontakt mit Covid-19-Patienten?
Das Robert-Koch-Insitut hat konkrete Empfehlungen ausgesprochen, welche persönlichen Schutzmaßnahmen einzuhalten sind. Dazu gehört unter anderem eine FFP2-Maske, deren Lieferkapazität mittlerweile allerdings erheblich eingeschränkt ist, unter anderem auch deshalb, weil sich viele Privatpersonen mit diesen Masken eindecken. Evidenz dafür, dass diese Masken im Alltag vor einer Infektion schützen, gibt es allerdings nicht. Konkret: wer solche Masken kauft und zu Hause herumliegen hat, der schützt nicht sich, sondern gefährdet medizinisches Personal in den Kliniken.
Große Aufregung herrscht um ausgesetzte Quarantäne für medizinisches Personal – was hat es damit auf sich?
Das RKI empfiehlt zur Zeit, Kontaktpersonen von Covid-19-Patienten für 14 Tage unter häusliche Quarantäne zu stellen. Mehrere große Kliniken sind davon mittlerweile allerdings abgerückt, wenn medizinisches Personal Kontakt zu einem Covid-19-Patienten hatte. Dies hat in erster Linie ganz praktische Gründe: fällt das Personal für 14 Tage aus, hat das enorme Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klinik. Um die Sicherheit der anderen Patienten und des Personals aber weiterhin garantieren zu können, ist es eine Möglichkeit, das Personal täglich auf SARS-CoV-2 zu testen. Die Testverfahren sind so gut, dass eine Besiedlung mit dem Virus bereits festzustellen ist, bevor Krankheitssymptome entstehen und sogar, bevor man selbst ansteckend ist. Eine routinemäßige Testung des kompletten Personals ist aber nicht angezeigt. Dadurch würden auch die Kapazitäten der Labore für tatsächlich indizierte Testungen erheblich gemindert.
Die Epidemie lässt sich in Deutschland vermutlich nicht mehr aufhalten – was bedeutet das für die Kliniken?
Aktuell haben wir noch wenige schwere Fälle, aber die schweren Fälle werden auf die Krankenhäuser zukommen. Prof. Droste von der Charite rechnet zur Zeit im (Spät)Sommer mit dem Erkrankungspeak. Allerdings sind – wie oben beschrieben – die Kliniken im Moment bereits an ihrem Leistungsgipfel. Eine geeignete Maßnahme, um Personal und Betten zu entlasten, könnten die Verschiebung elektiver, also geplanter, Eingriffe und Operationen sein. Im Moment ist dies noch nicht notwendig, da – wie beschrieben – die Anzahl der schweren Fälle noch recht gering ist. Aber auch wenn möglichst viel Kapazität in den Kliniken und insbesondere auf den Intensivstationen geschaffen wird, kann die Situation entstehen, dass der Bedarf das Angebot übersteigt. Die Folgen davon sind in Wuhan und auch in Italien festzustellen: die massive Überforderung des Gesundheitssystems geht mit einer massiv gesteigerten Letalität einher. Ziel muss daher sein, die Ausbreitung der Epidemie einzubremsen, damit die schweren Fälle über einen möglichst langen Zeitraum verteilt auftreten. Absage von Massenveranstaltungen oder die Schließung von Schulen und Kindergärten in Gegenden mit akutem Ausbruch – wie z.B. im Kreis Heinsberg – sind eine wirkungsvolle Maßnahme dafür.
Was passiert, wenn wir plötzlich mehr schwer Erkrankte als Intensivkapaziäten haben?
In der Medizin kommt eine solche Situation immer mal wieder vor: zum Beispiel bei einem Busunfall oder bei einem Terroranschlag. Ein Bus mit 50 Personen an Bord verunfallt mit der Konsequenz, dass es zehn Schwerverletzte, 20 mittelschwer Verletzte und 20 Leichtverletzte gibt. Im entsprechenden Landkreis gibt es aber nur 15 Rettungswagen. Es ist nun zu überlegen, welcher Patient wann welche Behandlung benötigt. Dies nennt man Triage. Eine solche Triage wird gegebenenfalls auch im Rahmen der SARS-Cov-2-Epidemie notwendig werden. Wenn es nur ein freies Intensivbett gibt, allerdings vier Patienten die es benötigen, muss überlegt werden, wer dieses Bett bekommt. Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen und Prognose werden dann berücksichtigt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Entscheidung zugunsten des einen Patienten eine Entscheidung zu Ungunsten der anderen Patienten ist. Eine ethisch hochdiffizile Entscheidung.
Wer trifft diese Entscheidung?
In der Regel werden diese Entscheidungen auf Chef- und Oberarztebene getroffen. Viele Kliniken haben Klinische Ethik-Komitees etabliert, die vermutlich in der Akutsituation nicht zurate gezogen werden können, aber bereits jetzt proaktiv mögliche Procedere besprechen oder auch retrospektiv Fälle rekapitulieren können.
Gibt es weitere Fragen: gerne als Kommentar, wir werden versuchen, diese zeitnah zu beantworten.
REHA: Menschen, die aktuell in REHA-Maßnahmen sollen, sind total verunsichert, ob sie verschieben sollen – oder nicht. Zumal einige Rehabilitanten auf Krankengeld von der Krankenkasse angewiesen sind und über die Rentenversicherung schon Übergangsgeld beantragten. Wie sollen die sich jetzt verhalten? Ein Hinweis einer Patientenmanagerin in einer Einrichtung: "Bitte rufen Sie kurz vorher an – und teilen wahrheitsgemäß mit, ob Sie Symptome eines Schnupfen, Grippe haben. Dann können wir Sie nicht aufnehmen – sie werden aber auch noch vor Ort geprüft und müssten ggflls nach Hause fahren. Absurd!
@Ruhr Reisen
Konkret Betroffene sollten diesbezüglich Rücksprache mit dem Kostenträger der Reha-Maßnahme, der Reha-Klinik und dem verordnenden Arzt halten.
Patientinnen und Patienten die aufgrund einer pulmonologischen Erkrankung eine Reha absolvieren müssen sind natürlich gefährdeter als orthopädische Reha-Patienten. Deshalb ist eine allgemeingültige Aussage nicht möglich.
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