Eine Menschheitsvision tritt ein und BDS heraus. „Der Blick des Globalen Südens“ fällt hinein und eine Documenta heraus mit – Stand heute – mehr als einem Dutzend BDS-Akteuren und -Apologeten. Mit denen hat Natan Sznaider, selbst Teil der Kassler Performance, eher kein Problem, wohl aber mit einer deutschen Kulturelite, die sich – siehe „Initiative Weltoffenheit“ – ihr trans-nationales Selbstbewusstsein unbedingt von BDS zertifizieren lassen will. Und dabei eine „wirklich kolonialistische Denkstruktur“ beweist, weil sie denkt, sie könne sich „die Documenta einmal von den ‚Leuten aus dem Süden‘ machen lassen und sich dann zurücklehnen und sich das angucken.“ – Dritter und letzter Teil einer Lese von Natan Sznaiders „Fluchtpunkte der Erinnerung“.
Hier „Weiße“, dort „Nichtweiße“, hier „Kolonisierende“, dort „Kolonisierte“, hier der Westen, dort der globale Süden: In Kunst und Kultur denkt man schon länger geo-ästhetisch, in der Kulturpolitik geo-politisch, so auch in Kassel. Seit 1955 gilt die dortige Documenta als eine der bedeutendsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit, selbstverständlich sind mit der Berufung eines international respektierten Kurators präzise Erwartungen verbunden. Bei der Vorstellung von Ruangrupa, dem kuratorischen Kollektiv aus Jakarta, das sich dem postkolonialem Denken verpflichtet sieht, erklärte die Hessische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Die Grünen) im Februar 2019: „Die Documenta muss provozieren, sie muss auch immer wieder anstößig sein.“
Für die Kulturstiftung des Bundes, ebenfalls Förderinstitution der Documenta, sagte deren Künstlerische Direktorin, Hortensia Völckers: „Man sagt das so leicht, ‚die Besonderheit‘, ‚an die Grenzen gehen‘ und so (…) Nachher, wenn man es erlebt, sind das viele Konflikte, das ist für die Politik extrem schwierig auszuhalten (…) da muss man wirklich eiserne Nerven haben.“
Liest sich heute, als sei BDS eingepreist gewesen. Seit Januar 2022 werden die eisernen Nerven denn auch strapaziert, den Recherchen des Kassler Bündnisses zufolge halten sich zur antisemitischen BDS-Kampagne
_ zwei Mitglieder der Findungskommission für das Kuratorenamt, Charles Esche und Amar Kanwar
_ zwei Kuratoren von Ruangrupa selber, Ade Darmawan und Farid Rakun
_ sechs Künstler unter den wenigen, die überhaupt bekannt gegeben waren: Lara Khaldi, Yazan Khalil, das Kollektiv The Question of Funding, Marwa Arsanios, Jumana Emil Abboud und Yasmine Eid-Sabbagh.
„Abseits der deutschen Staatsraison“
Kaum waren die Namen aufgetaucht, gab sich der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta gGmbH abgeklärt, Christian Geselle (SPD) teilte mit, dass „‘man auch Diskussionen um die Frage des Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern aushalten und auch führen dürfen‘ müsse“. Und dann gibt DLF Kultur das Statement von Geselle, dem Kassler Oberbürgermeister, so wieder, der Satz ist bemerkenswert:
„Mit der Berufung von Ruangrupa habe man bewusst die Diskussion zu dem Thema – auch abseits der deutschen Staatsraison – in Kauf genommen. ‚Das war eigentlich auch allen klar, dass der Blick des Globalen Südens auf solche Fragen ein anderer ist‘, so Geselle.“
Staatsgelder dafür, die Staatsraison in Frage zu stellen? Künstlerisch gesehen ist das ordinär, steuerfinanzierte Provo klingt nach Peymann, während Ruangrupa anders klingt, dem kuratorischen Kollektiv geht es um das „Prinzip der Gemeinschaftlichkeit“ und um „kollektive Praktiken des Teilens“. Offensichtlich, dass Geselle mit seiner Erklärung keine ästhetische Strategie erklärt hat, die im Aufsichtsrat entworfen worden wäre, sein Statement lässt sich nur so verstehen, wie es da steht: Allen war eigentlich klar, dass BDS auf die Bühne kommt. Die Hetzkampagne scheint weniger „in Kauf genommen“ als eingekauft zu sein.
Und Ruangrupa hat geliefert, jetzt liefern sie erneut: Dem Vorwurf, Antisemitismus auf Kunstniveau zu hieven, begegnen sie mit einer Gesprächsreihe, deren Titel marktschreit: „We need to talk! Art – Freedom – Solidarity“. Es ist das Framing – wie es bereits Carp für die Ruhrtriennale 2018 bemüht hat – für eine Debatte, von der jedermensch weiß, dass es um BDS geht, eine von eliminatorischen Terror-Gruppen orchestrierte Kampagne. Terror und BDS übersetzt die Documenta in „Kunst und Kunstfreiheit angesichts von wachsendem Antisemitismus, Rassismus und zunehmender Islamophobie“.
Eine Menge BDS auf staatsfinanzierter Bühne
Womit die Fronten abgesteckt sind: hier Kunst + Künstler + Kunstfreiheit, dort – „angesichts“ – Antisemiten + Rassisten + Islamophobiker. Für eine Documenta, die ihre eigene Verflechtung mit dem Nazi-Terror beharrlich beschwiegen hat, ist das schneidig gruppiert. Wie es aussieht, legt sie es darauf an, das zu verwirklichen, woran die „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ – der Zusammenschluss von jährlich mit rund 1 Milliarde Euro subventionierten Kultureinrichtungen – im Dezember 2020 noch gescheitert ist und was gut 1500 „Künstler*innen“ und „Kulturschaffende“, die sich im milliardenschweren Kulturbetrieb dieser „Initiative“ bewegen, in einem „Offenen Brief“ gefordert haben: dass man den antisemitischen BDS als Kunstform zu adeln, Kunst und Kultur von Antisemitismus freizusprechen und also den Beschluss des Bundestages „aufzuheben“ habe, der besagt, dass man BDS nicht auch noch mit Steuermitteln päppeln soll. Von 20 Diskutanten, denen die Documenta jetzt Rederecht verleiht, lässt sich locker die Hälfte zu vehementen BDS-Aktivisten oder deren Apologeten zählen:
_ Anselm Franke hat die „Initiative Weltoffenheit“ in 2020 „beraten“,
_ den „Offenen Brief“, der die „Initiative“ begleitet hat – und es allen Ernstes als „racial profiling“ bezeichnet, sollte BDS einmal nicht mit Staatsgeld honoriert werden – diesen Brief unterzeichnet haben: Schirin Amir-Moazami, Diedrich Diederichsen, Omri Boehm, Teresa Koloma Beck, Nicolas Siepen und Eyal Weizman,
_ wobei Eyal Weizman von der Uni London zu den hochaktiven BDS-Supportern zählt (zb hier oder hier), ebenso Mezna Qato von der Uni Cambridge (zB hier) und Sultan Doughan von einer Uni in Massachusetts (zB hier). In den von ihnen unter- oder geschriebenen Texten – auch denen von Sarah El Bulbeisi vom Orient-Institut Beirut (zB hier) – geht es im hohen Ton um „koloniale Auslöschung“ und „Apartheid“, um „Siedler-Kolonialismus“ und „ethnische Säuberung“, um „racial supremacy of Jewish-Zionist nationals“ und so weiter.
Unterm Strich: eine Menge BDS auf staatsfinanzierter Bühne. Der Beschluss des Bundestages „wird faktisch annulliert“, wie Julia Encke es vor Wochen schon in der FAZ vermutet hat. Besonders ins Auge sticht die 3. Folge des Documenta-Talks, am 22. Mai zählen 5 von 6 Diskutanten zu den oben genannten BDS-Verstehern, ihr Thema: „Was ist anti-muslimischer und anti-palästinensischer Rassismus?“
Als seien Religion und Politik dieselbe Soße. Als seien Muslime per se auf Seiten der Palästinenser. Als seien Palästinenser per se auf Seiten ihrer derzeitigen Repräsentanz, also auf Seiten von Hamas und PLO. Als solle BDS zum Expertenforum werden für alle solche Setzungen, von einer internationalen Kunstausstellung zertifiziert, derweil es eben diese Documenta ist, die versucht, das Thema BDS unter Verschluss zu nehmen. Die mit rabiaten Abmahnungen arbeitet und es der Presse verbieten möchte, nach BDS auch nur zu fragen.
Dies das Gewirr, in das sich Natan Sznaider begeben wird, er diskutiert am 15. Mai über die „Rolle von Antisemitismus und Anti-Antisemitismus im postkolonialen Diskurs“. Wie er die Documenta sieht: einerseits entspannt, er ist Israeli. Dass die Kunst antisemitisch werde, sei nicht zu erwarten, sagte er Ende Januar im taz-Talk mit Jan Feddersen – und drehte dann die Frage, wer oder was hier antisemitisch oder rassistisch sei, von BDS weg auf die deutsche Kulturelite:
„Warum schicken sie diese Leute vor? Was ist da passiert, kann man die Documenta nicht selbst kuratieren?“
Es sei doch klar – und der Aufsichtsratsvorsitzende der Documenta, Christian Geselle, hat dies, wie oben zitiert, öffentlich formuliert: dass es allen klar gewesen sei – , was passieren würde: „In dem Moment, in dem man die Postkolonialisten mit ins Boot nimmt, muss man auch in Kauf nehmen, dass damit dann auch eine gewisse Einstellung zu Israel mit ins Boot genommen wird.“
Er habe, sagte Sznaider, überhaupt kein Problem mit Ruangrupa, dem Kuratoren-Kollektiv aus Jakarta, und ebenso kein Problem mit dem palästinensischen Kollektiv, das eingeladen wurde, und keines mit dem Documenta-Talk:
„Ein Problem habe ich mit denjenigen, die gesagt haben, wir … lassen euch das machen, weil wir das nicht selbst machen wollen.“
Was nicht machen wollen? Die Staatsraison in Frage stellen, so lautete die Antwort, die – oben im Text zitiert – Geselles Formulierung nahelegt. Staatsraison heißt hier: das gesicherte Existenzrecht Israels. Das wer in Frage stellen möchte?
„Ein bequemes, deutsches, intellektuelles, weltoffenes Milieu, das sich in dem eigenen bequemen Heim solidarisiert mit den Verdammten dieser Erde.“
Sznaider meint jenes Kulturmilieu, das sich selber – siehe hier – als transnational versteht und dringend ablösen will von der örtlichen Gebundenheit an Holocaust und Israel und – siehe die Geschichte der Documenta selber – an die eigene, eine bodentiefe Verstrickung. Während Ruangrupa, das indonesische Kollektiv, einen aus diesem Loch freischaufeln und den Anschluss an den internationalen BDS-Antisemitismus bewerkstelligen könnte. Sznaider:
„Das ist eine, glaube ich, wirklich kolonialistische Denkstruktur, sich die Documenta einmal von den ‚Leuten aus dem Süden‘ machen zu lassen und sich dann zurückzulehnen und sich das anzugucken.“
Und noch deutlicher:
„Ich hab da überhaupt kein Problem mit den Leuten, die das jetzt machen, die werden, glaube ich, von einer gewissen Kulturelite in Deutschland hochgenommen und ausgenutzt.“
Es ist, was er sieht: koloniale Strukturen da, wo alle denken, sie seien postkolonial unterwegs. Sznaider im taz-Talk: „Schade um die Documenta.“
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Teil (I) „Die postkoloniale Drehtür: Natan Sznaider über eine deutsche Debatte“
Teil (II) „Über den jüdischen Blick von Hannah Arendt und Edward Said“
Und der Link auf ein entwirrendes Buch: Natan Sznaider, Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus
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