Die zentralste Nachricht in der Welt des Fußballs kam in den letzten Tagen aus Liverpool: Jürgen Klopp kündigt seinen Rückzug an. Doch was passiert danach? Dazu fragen sich Thommy Junga und Peter Hesse was gerade beim BVB, bei Schalke und Bochum verkehrt läuft – und warum die Leverkusener immer noch vor dem FC Bayern die Nase vorn haben. Das Alemannia Aachen in diesen Tagen die Trottel-Plakette bekommt, wird am Schluss auch noch geklärt.
Peter Hesse: Nach sieben Jahre in Mainz, sieben Jahre in Dortmund und fast neun Jahren in Liverpool hat Jürgen Klopp nach dem Ende dieser Saison eine Auszeit angekündigt. Er hat quasi 25 Jahre ohne Pause durchmalocht. Dennoch sind die Gesichter lang, weil Klopp einfach so ein zu guter Typ ist – den man im Fußball-Warenhaus vermissen wird. Sollte er nach der Auszeit überhaupt noch einmal wiederkommen – oder war sein angekündigter Rücktritt vielleicht ein Schlussstrich für immer?
Thommy Junga: Das ist tatsächlich ein möglicher Ausgang der Geschichte, den ich so noch gar nicht in Erwägung gezogen habe. Meine erste Reaktion war tatsächlich eine gewisse Ungläubigkeit, dass es genauso kommen wird wie angekündigt und die Gründe im Kern in einem Gefühl der Erschöpfung zu finden sind. Es ist keine ganz neue Erkenntnis auf der Insel, dass sich die Liga auf die breite Spielanlage des Deutschen eingestellt hatte. Für Klopp wurde es in den letzten Jahren Liverpool spürbar schwieriger Erfolge einzufahren – ein wenig drängte sich der Eindruck auf, sein pressing-besessener Hauruck-Fussball sei entschlüsselt, seine Waffen teilweise stumpf geworden. Da hilft auch keine noch so lange Vertragslaufzeit als Ausdruck größter Wertschätzung. Aber: für jemanden wie Jürgen Klopp kann es jetzt nur noch in die Top 5 der Fußballklubs gehen – für mich fühlt sich das eher nach Anlauf nehmen an, nach zur richtigen Zeit ausgeruht verfügbar sein. Das Karussell kommt nach der ebenfalls angekündigten Xavi-Demission in Barcelona in Schwung. Was wird aus Tuchel in München? Was kommt nach der EM bei den großen Fußballnationen?
Peter Hesse: Das sind viele Fragezeichen auf einmal. Wagen wir mal einen abrupten Themenwechsel: Am Freitag hat Schalke mit dem 4:1 in Kaiserslautern gezeigt, dass das Abstiegsgespenst zur Dritten Liga zum Greifen nah ist. So taumelt Königsblau benommen mit zwei saftigen Niederlagen zum Rückrundenstart. Trainer Karel Geraerts muss möglicherweise Entscheidungen neu überdenken, um dem Zeitliga-Keller zu entkommen. Wie schafft er das aus eigener Kraft?
Thommy Junga: Dann will ich mal mein Bewerbungsschreiben bei S04 abgeben. Schalke fehlt es an Kompaktheit, an Tempo im Mittelfeld und irgendwie auch an Physis. Insbesondere in der Zentrale. Potentiell mehr als nur zweitligataugliche Neuverpflichtungen wie Tempelmann oder Seguin haben sich bisher als Mitläufer herausgestellt. Schalke fehlen Spezialisten, Spieler die besondere Elemente ins Spiel bringen. Man könnte auch so sagen: es ist ein Problem, wenn der Sportdirektor das einzige Kampfschwein im Verein ist. Der gesamte Kader scheint auf eine einzige Spielidee ausgelegt, Karaman ist wie Terodde ist wie Polter. Die kriegen nur fast nie die Bälle die sie brauchen, weil die Flügelspieler zur Kompensation des Ideenvakuums in die Mitte ziehen. Polter nimmt schon Reißaus, Karaman verkündet mitten Ruhrgebiet Apelle an die Fußballerehre und Terodde zickt mit den Schultern, wenn der Ball wieder in seinen Rücken kommt. Karel Geraerts löffelt jetzt die Gelsenkirchener Kadersuppe aus, die ihn die frühere Führungsriege hinterlassen hat, viel nachbessern konnte er nicht.
Peter Hesse: Der FC Bayern hat trotz großer Personalprobleme sein zweites Spiel in Folge gewonnen – und endlich auch mal wieder in Augsburg. Trotz einer zweimaligen Zwei-Tore-Führung wurde es in der Schlussphase nochmal eng, weil es gleich zwei Elfmeter für den FCA gab. Werden die Bayern doch noch in den kommenden 15. Spieltagen die Meisterschaft klarmachen – oder geht die Schale nach Leverkusen?
Thommy Junga: Die Leverkusener wittern ihre große Chance, lassen nichts unversucht und investieren weiter in Qualität. Dabei schaffen sie breite im Kader, machen sich weniger ausrechenbar und wirken beinahe unverwundbar. Die Bayern wirken sagen flickschusternd und fast bieder in ihren Bemühungen den unausgegorenen Kader auf Vordermann zu bringen. Tuchel wirkt porös, hat wohl auch nicht mehr alle Köpfe im Verein auf seiner Seite. Es wirkt alles etwas inkonsequent, vor der Saison wollte er einen Sechser, jetzt braucht er keinen mehr. Fazit: Bayer wirkt fokussiert, wenn die Bayern in diesem Jahrzehnt zu packen sind, dann vielleicht in 2024.
Peter Hesse: Das A 40 Derby zwischen dem BVB und dem VfL Bochum hat ein komisches Bild gezeigt. Dortmund servierte nach dem frühen 1:0 lange Zeit Fußball wie von der Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft – Bochum hielt lange Zeit gut dagegen. Schlussendlich endete die Partie, wie sie begonnen hatte: Mit einem Elfmeter für Dortmund. Da wäre eigentlich mehr für Bochum drin gewesen, oder?
Thommy Junga: Absolut. Das war ein ganz wichtiger Erfolg für Dortmund, denn das hätte wirklich ordentlich ins Auge gehen können. Bochum ist stabiler als es das Ergebnis und vor allem die zwei sehr fragwürdigen Elfmeter vermuten lassen. Ich verstehe immer noch nicht diese VAR-Phrase hinsichtlich der „nicht klaren Fehlentscheidung“. Es muss doch bei den Verantwortlichen mittlerweile angekommen sein, dass der ursprüngliche Ansatz die Schiris damit in ihrer Integrität schützen zu wollen vollkommen nach hinten losgegangen ist. Tatsächlich zeigst du den Quatsch, den er gepfiffen hat aus zwölf Perspektiven auf allen Bildschirmen und beraubst ihn letztlich sogar seiner souveränen Entscheidungsfindung. Und dieses superschlaue Experiment mit Ex-Profis auf dem Kellersozius ist wirklich völlig bekloppt. Was soll der Profi denn da für tolle Erkenntnisse beitragen außer „ja, sowas passiert schon mal“? Als würde diese Einlassung irgendwie die Regeln aushebeln.
Peter Hesse: Der Fußball-Regionalligist Alemannia Aachen ist in ein metertiefes Fettnäpfchen getreten. Der Verein hatte am vergangenen Freitag mitgeteilt, dass man sich auf den Sport konzentrieren wolle, keine politische Vereinigung sei und nicht an den Anti-Nazi-Demonstrationen in der Stadt teilnehmen wolle, auf denen Transparente „mit dem Slogan ›AfDler töten‹ gezeigt werden“. An einer „Spaltung der Gesellschaft“ wolle der Verein nicht teilnehmen. Nun, nach großer Empörung in den sozialen Medien, entschuldigt man sich kleinlaut. Die Einsicht kommt spät nach diesem Eigentor aus der PR-Abteilung des Vereins…
Thommy Junga: Ja, ein orthographisches Grundverständnis ist im Bereich Öffentlichkeitsarbeit wäre natürlich hilfreich. Nazis töten? Da beißt die braune Maus keinen Faden ab! Auch nicht in der Stadt der Printe. Ich bin ja grundsätzlich durchaus auch der Meinung, dass der moderne Fußball tunlichst vermeiden sollte sich zu sehr in politische Gefilde ziehen zu lassen. Nicht, weil er dort nichts zu suchen hätte – ganz im Gegenteil, sondern weil mir bei der Erinnerung an Katar und allerhand Regenbögen, Fahnen- und Heimatdiskussionen oder Duldung von bestimmten Fangruppierungen jetzt noch ganz schwindelig wird. Dann lieber nicht. Der soziale Wert von Fußball als Volkssport, seine integrative Kraft ist unbestritten, wird jedoch von meist unglaubwürdigen Akteuren geleitet. Da wird viel auf dem Weg dieses identitätsstiftenden und kulturellen Elements verschenkt. Das ist aber wenig verwunderlich, macht man sich bewusst, dass sich der Sport und die, die ihn betreiben, immer mehr von der Gesellschaft entfernen.