Zeche auf der Umhängetasche, illuminiertes Stahlwerk auf der Imagebroschüre, verfallene Industrie als Filmkulisse. Wirtschaftsjournalistik-Professor Hendrik Müller fordert eine Abkehr von der Ruhri-Romantik.
Die Ruhris sind stolz auf ihre verfallenen Industrieareale. In allen Städten boomen Souvenirs, die irgendwie etwas mit Bergbau, Stahl oder Bier zu tun haben. Der aus Norddeutschland stammende Professor hält die Vermarktung dieses alten Bilds des Ruhrgebiets für falsch.
„Wir haben für unsere Tagung ‚On the Record‚ in Dortmund nach einem zukunftsgewandten Veranstaltungsort gesucht“, erzählt Müller ein persönliches Erlebnis: „Uns hat man nur Orte wie die Zeche Zollern empfohlen“. Genau das wollte er mit dem Kongress, zu dem neben Peer Steinbrück weitere prominente Vertreter aus Politik und Wirtschaft geladen sind, nicht vermitteln: Das Bild vom alten verfallenen Ruhrgebiet.
„Das bringt die Region nicht weiter“, ärgert sich der Wirtschaftsjournalistik-Professor, der früher als stellvertretender Chefredakteur des Manager Magazins auch die Städterankings der Zeitschrift mitverantwortet hat. Ein Wettbewerb, bei dem Gelsenkirchen, Dortmund und Essen regelmäßig auf den hinteren Plätzen landen.
„Letztendlich haben wir uns für unsere Veranstaltung dann für die Lounge im Westfalenstadion entschieden.“ Also einen jungen, frischen Ort, der die Dynamik des Profifußballs vermittelt. Müller dockt sich damit beim Imageträger Nummer 1 aus Dortmund, bei der vielleicht einzigen Marke von Weltruf, dem BVB, an.
Genau das würde Müller auch allen anderen, die Veranstaltungen mit überregionaler Ausrichtung organisieren, empfehlen. Einen Ort wählen, der nicht das alte Image des Ruhrgebiets unterstreicht. Also besser in einen modernen Technologiepark als in die Zeche Zollverein gehen.
„Das Ruhrgebiet verkauft sich als alte Industrieregion, geprägt von Zechen und Rost“, kritisiert Müller. Genau das sei aber eben nicht die Botschaft, die im Land ankommen sollte. Er empfiehlt, die modernen, in die Zukunft weisenden Projekte nach vorne zu stellen.
Als Wahl-Hamburger, der erst seit einem Jahr in Dortmund arbeitet, hat Müller sicherlich einen anderen Blick auf die Stadt und die Region. Eben den von außen. Das kann vorteilhaft sein, muss es aber nicht. Das beweist die Kampagne „Der Pott kocht“ aus den späten 90er-Jahren, die noch heute die Region prägt.
Die Macher setzten dabei eben genau auf die alten Symbole des Ruhrgebiets. Und sogar auf den damals fast ausgestorbenen Begriff vom „Pott“, also vom Kohlenpott. Eine Imagekampagne, die schon 1998 heftig von Ruhrgebiets-Verantwortlichen kritisiert wurde, letztendlich vom damaligen Kommunalverband Ruhrgebiet aber in Auftrag gegeben wurde. Und hier schließt sich der Kreis: Wer hat die Kampagne erfunden? Genau. Die Agentur Springer und Jacoby, die wie Müller aus Hamburg stammt.
Seine Kritik trug Müller bei einer Veranstaltung der IHK Dortmund vor. Die Wirtschaftsvertreter waren nicht unbedingt alle seiner Meinung, aber sie haben eine diskutierenswerte Botschaft mit nachhause genommen: Das Ruhrgebiet muss sich moderner verkaufen, um auch von außen als Zukunftsregion wahrgenommen zu werden.
Hamburger haben noch nie das Ruhrgebiet verstanden.
Ich denke, dass wie in anderen Regionen auch die richtige Mischung aus Tradition und Moderne entscheidend ist. Die Bayern begnügen sich ja auch nicht nur mit dem Laptop oder nur mit der Lederhose, und die Frankfurter auch nicht nur mit dem Ebbelwoi oder nur mit den Bankentürmen.
Die industrielle Tradition ist wichtig, um das Heimatgefühl der Alteingesessenen zu bewahren, aber auch, um beim touristischen Marketing Identität zu zeigen. Landschaftspark Nord und Tiger & Turtle in Duisburg sind Anziehungspunkte!
Um neue Menschen für das Ruhrgebiet zu gewinnen, gehört natürlich auch dazu, dass man „mit der Zeit geht“. Wobei aber gerade nicht das beliebig Austauschbare das ist, was begehrt ist – sondern das Einmalige, Einzigartige. Was gerne weg darf, sind die Nachkriegssünden der autogerechten Verkehrsplanung – aber Zechen und ihre Siedlungen sind einfach Kult! Und für glatte Investorenarchitektur kommt keine Katze hinter dem Ofen hervor in den Ruhrpott, denn die gibt es anderswo auch.
Und last but not least, die Fußballclubs Schalke und BVB sind doch ein Paradebeispiel für eine Tradition, die sich pragmatisch den modernen Gegebenheiten, inklusive Kommerz anpasst und dabei ungebrochen ihre Fans behält, in guten wie in schlechten Zeiten.
Ich denke das ist Geschmackssache. Mit Veranstaltungsorten wie der Zeche Zollverein haben wir Alleinstellungsmerkmale. Wer davon auf die Zukunftsfähigkeit einer Region schließt und das Ruhrgebiet darauf reduziert, der ist einfach dumm. Und dumm und oberflächlich sind viele, die von außen kommen und eine rückwärtsgewandte Sicht auf das Revier haben. „Da ist doch dreckig und alles ist hässlich“ – das sagen doch nun wirklich nur die, die eigentlich keinen Plan haben und den „Dreck“ regelrecht suchen. Vielleicht ist der Typ aber auch nur ein Spießer, der in glänzenden Shoppingmalls einkauft, Segelboot fährt und Golf spielt. Für solche Leute ist das dann auch wirklich nichts. Dann ist aber auch Berlin nichts für den feinen Herren und das boomt ja bekannterweise.
Ist schon etwas älter aber offensichtlich immer noch aktuell:
http://www.ruhrbarone.de/teure-erblast-industriekultur/380
Bravo. So siehts aus. Aus der „Pott-Romantik“ sollte eine „Identität des Produzierens“ abstrahiert werden, welche das neue Symbolon/Siegel sein sollte/kann. Die „Arbeitergebildeten“ dürfen einsehen, dass dies maximal noch Erinnerungen sind, aber gerade auch das Pottential. Heute ist die Wäsche nicht mehr staubig. Kohle und Stahl Romantik derjenigen adulten Generation behindert und verkennt die jetzige Main- Resource der Produktion. Was einst Kohle, sind nun die Köpfe und ihre Ideen und Manifestationen. Man muss gucken, auf was man zurückgreifen kann und neue „Identitäten“ synthetisieren. Die Potenz sind 5.Millionen Leben:-D
Für mich sind die ganzen Ruhrromantiker, ob sie sich nun mit Umhängetaschen auf denen Fördertürme abgebildet sind, schmücken, ob sie vor Heimspielen ihrer Fußballgötzen das Steierglied trällern, ob sie sich nun als Ruhri, Potti oder Ruhrpotti bezeichnen, nichts anderes als Gartenzwerge.
Aber:
Auch Gartenzwerge brauchen Identität und ein Zuhause, selbst wenn dadurch ihr natürlicher Lebensraum den Charaker eines überdimensionalen Schrebergartens bekommt.
mir gehen diese ganzen peinlichen Pottikonen auch gehörig auf den Geist….zukunfstfähig wird man nicht durch das fröhliche Blicken in die Vergangenheit….Zukunft braucht ein zugkräftiges Narrativ….nicht für die Menschen, die hier leben…sondern für alle die hierherkommen sollen und hier Jobs schaffen wollen….jaja..anderswo ist auch Scheisse…mag sein, aber so wird man ein Looser…obwohl mehr Loosertum als im Pott schon fast nicht mehr geht….
@Paul Tillich
Nach Ihrer Argumentation könnte man sämtliche Fachwerk-Altstädte abreißen und durch Glaspaläste ersetzen. Man könnte auch den Dresdner Zwinger abreißen, weil nicht mehr August der Starke dort regiert, sondern nur noch Ihr Namensvetter Stanislav.
Der Mensch identifiziert sich nun mal lieber mit dem was er verloren hat, als mit dem was er noch nicht erreichen konnte.
@Arnold: Das Fatale ist doch, dass niemand im Ruhrgebiet irgendwas erreichen will.
Stefan,
niemand?
Denkst Du gar nicht an die Ruhrbarone und alle die Ruhrgebietler, die hier diskutieren, um etwas für ihr Ruhrgebiet zu erreichen, zu bewirken?
Aber, insofern hast Du recht: In der realen Welt der Macher und Entscheider im Revier sind wir allesamt „Niemande“.
@WALTER Stach: Um uns geht es doch nicht.
@ Stefan # 10
Doch, Stefan, alle die Pansion. 🙂
Wenn ich mir Städte auf der großen weiten Welt anschaue, denke ich zuerst an Wolkenkratzer als Wohntürme oder Glasbürobauten. Wie langweilig. Wie austauschbar.
Deshalb finde ich es gut, dass wir unsere Wurzeln bewahren, auch wenn wir dabei durchaus übertreiben. In der austauschbaren globalisierten Welt braucht man diese identitätsstiftenden Bereiche und Gebäude. Nach dem Krieg gab es diese im Ruhrgebiet nicht mehr, und es ist gut, dass sie meistens nicht wieder aufgebaut wurden, auch wenn bspw. Münster davon profitiert. Berlin baut ja auch ein Schloss.
Hamburg verliert doch zurzeit auch die Identität und passt sich stromlinienförmig an die weltweite Stadtarchitektur an.
Der Mann hat gut reden, hier gibt es doch nix Neues 😉
Die politisierte Welt der Hochglanzbroschüren und Industrieromantik (vulgo = Kitsch) ist kein Regionalmarketing, sondern dient nur der Rechtfertigung vieler politischer Institutionen für ihre Subventionsgeber. Wirtschaftliche Effekte? Nun ja, Fotografen, Agenturen etc. und ein paar Touristiker im Niedriglohnsegment.
Aber es erwärmt mit vergangenem Ruhm, Glanz und Gloria das rostige Herz des Ruhrgebiets.
Wäre Zeit für eine Wortschöpfung á la „Ostalgie“, wobei ich Arnold Voss`Bonmot des POTTemkin schon sehr passend finde.
Aber zum Glück gibt es nur noch wenige Zechen, Kokereien und Stahlwerke, auf die kommt es bei ca. 3500 Industriedenkmälern(!) nun auch nicht mehr an. Machen wir doch gleich aus der ganzen Region ein Freiluft-Museum 🙁
Industrial Heritage gibt es überall, wo es mal alte Industrien gab … ist noch nicht einmal ein Alleinstellungsmerkmal.
Manchmal denke ich mir, dass das ganze Zeug nur stehen geblieben ist, weil es auch schon damals kein Geld für den Abriss / für die Umnutzung gab. Ein paar von den Denkmälern hätten es auch getan. Wobei der Begriff Denkmal im Ruhrgebiet nicht als Imperativ verstanden wird. Aber der Satz: „Weniger ist mehr“, gilt im Ruhrgebiet ja nicht, hier ist (war) alles superlativisch.
Viel schlimmer als die baulichen Überreste sind die mentalen und sozialen Altlasten in der Region.
[…] Schluss mit Ruhri-Industrieromantik! (Ruhrbarone) – […]
Der Mann macht vor allem einen gefährlichen Vorschlag, wenn er Technologiezentren als Treffe für Externe empfiehlt. Da fährt man heute an vielen „Zu vermieten“-Schildern vorbei.
Aber Michaels Hinweis auf die Hamburger Werbeagentur sollte man allen Werbefuzzis im Revier, eigentlich allen Bürgern hier jeden Morgen mit dem Waschlappen um die Ohren kloppen – fast Niemand, der hier aufgewachsen ist, hier lebt und mit dem Begriff Tradition richtig umzugehen weiß, hat das Ruhrgebiet jemals bewusst „Pott“ genannt.
Und die große Chance, mit dem Ruhrgebiet eine *neue* Landschaft mitten in Europa zu präsentieren, wurde 2010 während der Kulturhauptstadt-Kirmes u.A. mit eben solchen Umhängetaschen, T-Shirts und Kaffeetassen mit Retromotiven (in der Jahrhunderthalle konnte man damals diese Perversion bestens „erleben“) gründlichst vergeigt.
„Er empfiehlt, die modernen, in die Zukunft weisenden Projekte nach vorne zu stellen.“
An welche denkt Hendrik Müller hier? Und hat er mal versucht, solch ein Projekt bei Politik und Wirtschaft anzubringen? Viel Spaß dabei. Versuche das seit mehr als 30 Jahren in Duisburg. Die Damen und Herren sind weder Willens noch in der Lage, überhaupt darüber nachzudenken: Energiespeichersysteme, Ökologisches Bauen, Stadtentwicklung statt Stattplanung, maßvoller Denkmalschutz…? Ach, Du lieb’s Herrgöttle …
Zukunftsweisende Projekte sollten aber auch auf der Geschichte aufbauen. Das führt zu der Frage: Welche Geschichte haben wir, was können wir, was haben wir gelernt und erfahren, wir Bürger, die dieses Land ausmachen? Eine ganze Menge, z.B. tüfteln und basteln – aus Nix mach Watt. Auf diesem Wissen und Können aufzubauen, kommt den Entscheidern aus Politik und Wirtschaft aber garnicht in den Sinn, sie wollen eher mit „Leuchtturmprojekten“ von InvesToren punkten, die reihenweise völlig unterbelichtet in der Düsternis verschwinden und kosten. Neuerdings heißen diese Dinger übrigens „Meilensteine“. Diese weisen jedoch eher Merkmale von Gallensteinen auf. –
Es gibt noch viel zu sagen – sprechen wir’s aus …
Harald Jochums / Archetekt für Ökologisches Bauen / Duisburg
"Das Vergangene in der Gegenwart für die Zukunft bewahren"
Glück auf und bis die Tage
MfG
Günter Bartsch