Einen klaren Sieger hatte das Duell gestern nicht. Die Debatte zwischen den beiden lief zivilisiert und zum größten Teil innerhalb des Erwartbaren. Und das wird für die Zukunft nicht reichen.
War das der berühmte norddeutsche Humor, der immer etwas trocken rüberkommt? Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zum Ende, er wolle eine Regierung bilden, damit es in „Deutschland weitergeht und stabil bleibt.“ Stabilität dürfte so mit das Letzte sein, das einem zur Regierungszeit von Scholz einfällt. Merz gab sich am Ende dynamischer: „Ich traue mir zu, eine gute neue, erfolgreiche Regierung in Deutschland zu führen.“
Das Duell des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gegen den sozialdemokratischen Amtsinhaber Olaf Scholz verließ nur selten den Rahmen des Erwartbaren: Dass der Kanzler Merz nicht mehr traut, nachdem er ein Gesetz und einen Entschließungsantrag zum Thema Migration in den Bundestag einbrachte, die beide nur mit den Stimmen der AfD erfolgreich sein konnten, der Entschließungsantrag erhielt eine Mehrheit, hatte Scholz in den vergangenen Tagen ebenso wiederholt wie Merz sein Versprechen, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Die SPD setzt seitdem noch stärker als die Grünen auf einen Antifa-Wahlkampf, es ist für sie der letzte Strohhalm. Doch trotz Massendemonstrationen gegen die Union hat sich in den Umfragen nur wenig geändert, die Union steigt leicht, die SPD stagniert, doch alles bewegt sich weiterhin im Rahmen der Schwankungsbreite der Demoskopie. Die Union führt weit vor der SPD und Merz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit der nächste Kanzler werden.
Beim Thema Migration waren sich beide nahe. Scholz rühmte sich eines harten Kurses gegenüber illegalen Einwanderern, der bereits erste Erfolge zeige. „Ich habe durchgesetzt, dass es Grenzkontrollen gibt“, sagte Scholz. Es habe 40.000 Zurückweisungen an den Grenzen gegeben, die Zahl der irregulären Einreisen sei um 100.000 zurückgegangen. Merz reicht das nicht, er rechnet vor, dass in der Regierungszeit der Ampel über eine Million Menschen nach Deutschland gekommen seien. „Das ist zu viel.“ Merz will, dass kein Asylbewerber mehr auf dem Landweg nach Deutschland kommt. Die von SPD und CDU 1993 beschlossene Drittstaatenregelung macht das möglich. Scholz will die Migration an den Außengrenzen der EU aufhalten und setzt auf das gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), das im kommenden Jahr umgesetzt werden soll. Asylbewerber sollen schon an den Grenzen der EU kontrolliert werden.
Beim Thema Wirtschaft gab sich Scholz selbstbewusst: Deutschland sei das Land mit der zweitgrößten Industriedichte unter den wirtschaftsstarken G7-Nationen. „Wir sind das Land mit dem zweithöchsten Bruttoinlandsprodukt, wir haben einen Höchststand an Erwerbstätigen und Beschäftigung.“ Merz sah das anders: „Wir haben drei Millionen Arbeitslose in Deutschland mit steigender Tendenz, wir haben eine Insolvenzwelle wie nie in den letzten 15 Jahren.“ 300.000 Jobs in der Industrie seien abgebaut worden: „Das ist Deindustrialisierung.“ Scholz will die Wirtschaft mit einem Investitionsprogramm unterstützen, Merz setzt vor allem auf Steuersenkungen. Scholz will dafür und für die bessere Ausstattung der Bundeswehr die Schuldenbremse reformieren, Merz erst einmal sparen. Aber eine Reform der Schuldenbremse schließt er nicht aus. Merz setzt darauf, dass ein Wirtschaftsaufschwung mehr Geld in die Kassen des Staates spült.
Die Diskussion zwischen Scholz und Merz erinnerte an den Zeichentrickfilm „In einem Land vor unserer Zeit“, der eine Gruppe Dinosaurier bei der Suche nach dem „Großen Tal“ begleitet, in dem es noch genug Futter für sie gibt. Im Film gibt es ein Happy End. In Wirklichkeit sind Saurier allerdings ausgestorben. Die Rezepte von Merz und Scholz sind nicht originell, sie entsprechen den wirtschaftlichen Denkschulen der politischen Richtungen, aus denen sie kommen. Und sie sind für die Bewältigung von Konjunkturkrisen gedacht. Aber die deutsche Wirtschaft steckt in einer Strukturkrise. Hohe Energiepreise und der Wandel der chinesischen Wirtschaft belasten ihr in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiches Exportmodell. Zudem scheinen Merz und Scholz die vergangenen Jahre unter einem Stein gelebt zu haben. Künstliche Intelligenz ist dabei, die Welt und damit die Wirtschaft in rasender Geschwindigkeit zu verändern. Und diese Geschwindigkeit wird zunehmen. Die Auswirkungen der KI-Revolution werden mit Sicherheit in den kommenden vier Jahren deutlicher werden. Deutschland ist in diesem Bereich, der für die wirtschaftliche Zukunft entscheidend ist, abgehängt. Weder Merz noch Scholz war dieses Thema auch nur ein Wort wert. Für die Zukunft dieses Landes ist das ein schlechtes Zeichen. Neue Technologien interessieren die deutsche Politik nicht, Chancen werden weder erkannt noch wahrgenommen. KI ist dafür nur ein Beispiel. Auch auf eine schlüssige Idee, die Energieversorgung günstiger zu machen, warteten die Wähler vergebens. Der Zug könnte allerdings nach Jahrzehnten dummgrüner Energiepolitik aller Parteien auch abgefahren sein.
Fast schon drollig war, wie der wahrscheinlich künftige Kanzler Merz eine absehbare Katastrophe ignorierte, die am 1. Januar 2027 auf ihn zukommen wird. Dann wird es, getrieben von neuen CO2-Abgaben, zu massiven Verteuerungen von Benzin, Diesel, Heizöl und Gas kommen. Hans Martin Esser hat in einem Artikel in Cicero die Folgen ausgerechnet: „Was bedeutet das konkret fürs Heizen eines durchschnittlichen Einfamilienhauses, bei dem im Jahr 30.000 kWh an Gas verbraucht werden? Es entstehen hierbei circa sechs Tonnen Kohlenstoffdioxid jährlich. Nehmen wir also einen CO2-Preis von 220 Euro für 2027, von 250 für 2028, 280 für 2029 und von 300 Euro für 2030 an, so wird dies zu einer Mehrbelastung von rund 120 Euro monatlich allein für CO2 im Bereich Heizen führen. (…) Fährt die Familie dann noch zwei Autos mit je 20.000 Kilometer pro Jahr, werden monatlich nochmals 120 Euro allein für die CO2-Abgabe beim Tanken zusätzlich anfallen.“ Europa würde zudem mit dieser weltweit einzigartigen Regel seine Wettbewerbsfähigkeit massiv verschlechtern. Merz glaubt, dass die Folgen dieses Öko-Irrsinns mit den Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds ausgeglichen werden können. Auf ihn wartet, so er denn Kanzler wird, wie auf alle anderen europäischen Regierungschefs 2027, eine steile Lernkurve, zu der ihn die Bürger zwingen werden, wenn sie massive Wohlstandsverluste hinnehmen müssen.
Und sonst? Gegenüber Trump setzen beide auf einen selbstbewussten Dialog. Merz und Scholz hoffen, dass der Krieg in der Ukraine schnell beendet wird. Scholz will aus Angst vor einer Eskalation nicht die Mittelstreckenrakete Taurus an die Ukraine liefern, für Merz ist eine starke militärische Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes der Schlüssel zu einem dauerhaften Frieden. Merz kann sich eine Koalition mit der SPD, aber auch den Grünen vorstellen. Scholz sieht sich dank Tunnelblick auch nach der Wahl als Kanzler.
Einen klaren Sieger gab es bei dem Duell nicht. Für Scholz ist das keine gute Nachricht: Er liegt zurück und hätte punkten müssen. Merz kann also zufrieden sein. Beide gingen zivilisiert miteinander um, was heute schon eine gute Nachricht ist, aber auch dem Naturell der Kontrahenten entspricht.