OK, wäre Ossi Urchs, in den 90er Jahren Minister for Tomorrow unser Ministerpräsident und nicht sein damaliger Amtskollege, der ehemalige Zukunftsminister Jürgen Rüttgers Ministerpräsident von NRW, der Bericht der Zukunftskommission wäre unterhaltsamer und futuristischer ausgefallen. Viel weniger Inhalt hätte er wohl nicht gehabt.
Ralf Dahrendorf, Bodo Hombach, Alice Schwarzer, Jürgen Großmann, Hubert Kleinert, Jürgen Flimm und viele andere: Die Zukunftskommission des Landes war wahrhaft prominent besetzt. Und politisch facettenreich zugleich: Aus jeder Partei, aus jeder gesellschaftlichen Schicht, aus allen Bereichen waren sie heute gekommen um Jürgen Rüttgers ein Papier vorzulegen mit Überlegungen, wie es denn 2025 in NRW so zugehen könnte. Sie gaben Rüttgers weniger klare Antworten als Fragen, die sie mit gut abgewogenen Maßnahmen gleich mit beantworteten: Warum nicht nachgelagerte Studiengebühren? Warum nicht ein allgemeiner Sozialdienst für alle jungen Frauen und Männer? Warum nicht ein garantiertes Mindesteinkommen für alle? Warum nicht ein staufreies Ruhrgebiet durch intelligente Autobahnen? Warum nicht Kernkraft fortentwickeln und als Energiequelle weiter nutzen? Warum nicht die Möglichkeiten der Forschung mit humanenembryonalen Stammzellen erweitern? Warum nicht ein kostenloser Zutritt zu den Dauerausstellungen der Museen? Warum nicht Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bund und Land einführen? Warum nicht stärker die Erfahrung von älteren Menschennutzen? Warum nicht ein Kopftuchverbot auch für Schülerinnen?
Das meiste was die Kommission vorgeschlagen hat ist vernünftig, entspricht dem was viele denken wenn sie sich einmal außerhalb der ideologischen Debatten bewegen und nicht mit der verbalen Keule aufeinander losgehen. Über Forderungen nach einer weiteren Prüfung der Nutzung der Kernenergie wird es trotzdem ebenso eifrige Debatten geben wie über das Kopftuchverbot und so hat Der Westen auch schon fröhlich ausgerufen, dass nun die öffentliche Debatte beginnen kann. Schade, sie wäre schärfer ausgefallen wenn die Kommission sich nicht bei der Beantwortung jeder Frage um Konsens bemüht hätte. Und das klingt dann so:
Warum nicht ein garantiertes Mindesteinkommen für alle?
Worum geht es?
Jedem Menschen soll ein Mindesteinkommen zustehen, nicht weil er arm ist oder arbeitslos, sondern in seiner Eigenschaft als Bürger dieses Landes (Bürgergeld). Das Einkommen wird bedarfsunabhängig gezahlt, das heißt ohne eine Prüfung seiner wirtschaftlichen Lage oder die seiner Eltern, Kinder oder Partner. Zugleich sind mit dem Bürgergeld alle sozialen Ansprüche abgegolten. Es gibt keine weiteren Zahlungen.
Was spricht dagegen?
Wenn alle das Gleiche erhalten, dann sprengt das
Mindesteinkommen alle Vorstellungen von Gerech-
tigkeit und jede Bereitschaft zur Solidarität.
Leistung ohne Gegenleistung unterhöhlt die Fun-
damente unserer Marktwirtschaft.
Trotz Bürgergeld kann es zu sozialer Not kommen,
insbesondere dann, wenn Einzelne nicht haushalten
können. Dann muss der Staat wie bisher einspringen.
Das garantierte Mindesteinkommen ist entweder zu
niedrig, aber bezahlbar, oder zu hoch und sprengt
dann alle Haushalte.
Was spricht dafür?
Soweit es sich um ein bedingungsloses Grundein-
kommen handelt, das alle Bürger in gleicher Höhe
und ohne Bedarfsprüfung erhalten, ist es nicht
diskriminierend.
Es ist unkompliziert, transparent und verhindert
Leistungsmissbrauch.
Das Bürgergeld versetzt Bürger in die Lage, sozial
sinnvolle Aktivitäten zu entfalten u.a. im sozialen,
wirtschaftlichen oder auch künstlerischen Bereich.
Was kann das Land tun?
Das Bürgergeld kann nur bundesweit eingeführt werden. Deshalb könnte Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative starten mit dem Ziel, das gesamte System der Sozialleistungen durch ein garantiertes Mindesteinkommen zu ersetzen. Allerdings wäre es sinnvoll, vorab wichtige offene Fragen zu klären: Welche von den Vorschlägen taugen? Welche auf dem Markt beï¬ndlichen Varianten können in unserer Sozialen Marktwirtschaft tatsächlich durchgesetzt werden, ohne den Haushalt zu sprengen?
Viele der Vorschläge klingen zudem wie schon hundert mal gehört: Der Versuch imt High-Tech die Autobahnen im Revier staufrei zu machen nennt sich Ruhrpilot und hat gute Aussichten aus der Erprobungsphase gleich ins Technikmuseum umziehen zu können. Ich hätte mir gewünscht die Kommission hätte sich auf harte Vorschläge geeinigt und wäre dann in die Debatte eingestiegen. Was jetzt herausgekommen ist, macht jeden ein wenig glücklich, jeden aber auch ärgerlich. Kurzum: Missglückte Konsenspolitik.
Anstatt Vorschläge zu machen, was man tun könnte hätte eine Beschreibung dessen was in den nächsten Jahren kommen könnte viel genutzt. Die Fakten finden sich alle im Bericht: Das Ruhrgebiet hinkt hinterher, die Akademikerquote im Land ist lausig, unsere Hochschulen bilden Akademiker für den Export aus, wir überaltern rasant. Als erstes einmal hätte man die Frage stellen müssen: Was ist falsch gelaufen? Denn wir sind da wo wir sind obwohl wir seit Jahrzehnten versuchen genau dort nicht hinzukommen. Ohne eine Fehleranalyse kann es keine vernünftigen Vorschläge für die Zukunft geben.
Als nächsten Schritt hätte man erklären müssen, was alles nicht mehr gehen wird: Rente in den 50ern, die Subventionierung alter Industrien und des ländlichen Raums. Der globale Wettbewerb wird zunehmen und dafür sorgen, dass unsere Auswahlmöglichkeiten begrenzt sein werden. Und über diese begrenzten Auswahlmöglichkeiten müssen wir dann reden: Dabei geht es vor allem um eine Frage: Woher bekommen wir Jobs? Ohne Jobs kein Geld, keine Kultur, keine Integration. Die Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft des Landes ist zentral. Wofür wollen wir noch Geld ausgeben und wo müssen wir es sparen? Beispiel Grundeinkommen als Ersatz für andere Sozialleistungen: Wer sagt den Leuten im Sozialamt dass sie überflüssig geworden sind, wenn es kommen sollte? Nur über einen massiven Stellenabbau in diesem Bereich wird sich so eine Idee finanzieren lassen. Ich höre die Schreie der Beamten schon heute.
Der Bericht der Kommission ist zu nett. Er hätte klarer und härter ausfallen müssen. So ist nur ein schönes Papier für die Schublade entstanden und ein netter Pressetermin für Rüttgers.
Auch in anderen Bundesländern macht man sich über das Bürgergeld Gedanken – und das schon länger.
Siehe Thüringen (CDU regiert):
Dieter Althaus schreibt an die Thüringer u.a.:
„…Arbeit zu haben, bedeutet heute nicht mehr selbstverständlich, davon leben zu können,…Das Solidarische Bürgergeld erneuert die Soziale Marktwirtschaft, weil es soziale Sicherheit garantiert und mit wirtschaftlicher Freiheit verbindet. Weil das Solidarische Bürgergeld im unteren Einkommensbereich als Negativsteuer wirkt, führt es dazu, dass marktgerechte Löhne immer existenzsichernd sind.
Die Einführung des Solidarischen Bürgergeldes ist eine sozialpolitische Revolution. Aber sie sichert die Soziale Marktwirtschaft und damit die Errungenschaften unseres Sozialstaates…“
https://www.thueringen.de/de/buergergeld/
Erstaunt war ich, dass ich auch auf net-Seiten der FDP Ausführungen zum Bürgergeld fand:
z.B.
https://www.fdp-bundespartei.de/webcom/show_page.php/_c-555/_nr-1/i.html