Schrott der Engel. Gedanken zu LA.

Sascha Bisley
Sascha Bisley

So hatte ich mir das gar nicht vorgestellt. Es ist riesig, heiß und stickig, ja, aber irgendwie auch gar nicht so wie erwartet. Erwartungen hatte ich ja nicht besonders viele, Los Angeles jedoch hatte ich mir anders vorgestellt. Irgendwie dreckiger, lauter und auf den ersten Blick auch gefährlicher.

von unserem Gastautoren: Sascha Bisley

Vor ein paar Stunden war ich noch in Iserlohn, das hat mir mehr Angst gemacht. Nun stehe ich am Ausgang des LAX, ein Flughafen mit eigener Postleitzahl, warte auf mein Taxi und weiß gar nicht wo ich hin will. Ich habe weder ein Hotel noch eine Ahnung wie ich in dem besoffenen Kopp überhaupt eine annehmbare Entscheidung treffen könnte. Delta Airways ist schmuddelig und die Flugbegleiterinnen sind extrem hässlich. Vielleicht nicht immer. Bei meinem Flug schon. Aber diese Fluglinie verfügt über einen schier unerschöpflichen Vorrat an hervorragenden Weinen. Ich bin mir sicher, daß noch Wein da war als er mir verweigert wurde. Ein schroffes „Sie haben genug!“ machte meine Pläne, den Rekord für „die größte von einer Einzelperson getrunkene Menge Wein während eines Fluges“ zunichte.
Als ich auf den Mülleimer mit integriertem Aschenbecher zugehe, muß ich kotzen. Es überkommt mich recht schnell, ohne Ankündigung. Befreiend. Peinlich. Mein Taxi kann ich mir abschminken, der Fahrer nimmt jemanden mit, der seinen Mageninhalt nicht außen mit sich führt. Ich lasse mir ein neues Taxi bestellen, kontrolliere in der Scheibe der Werbetafel für Mountain Dew meine Mundwinkel und stelle mich brav aber wankend an den Strassenrand.
Fette Karre. Das Taxi ist riesig, nachdem das Gepäck verstaut ist, sitze ich hinten, von einer zerkratzten Plastikscheibe vom Fahrer getrennt, auf klebrigen Kunstledersitzen und sehe grinsend aus dem Fenster. Die Klimaanlage ballert auf Hochtouren und alle Fenster des Taxis sind trotzdem geöffnet. Mein erster Einblick in die an Größenwahn grenzende Verschwendungssucht der Westküstler.

Im Radio läuft „Hotel California“ von den Gipsy Kings. Ich frage den Taxifahrer ob es dieses Hotel California denn auch wirklich immer noch gäbe. Er bejaht die Frage und schaut mich besorgt im Rückspiegel an. Ich glaube, ich bin ihm nicht ganz geheuer. Meine Tätowierungen, der offensichtlich stark angetrunkene Zustand und das ewige Fragen in lallendem Akzent machen ihn nervös.

Ok, take me to the Hotel California!

Er nickt kräftig, beruhigt durch den Umstand jetzt ein Ziel zu haben, an dem er mich los wird. Sicher beschäftigte ihn der Gedanke, mich den ganzen Tag von Bar zu Bar zu fahren, hunderte sinnloser Fragen zu beantworten und am Ende wahrscheinlich auf seinem Fahrpreis sitzen zu bleiben. Ich lehne mich zurück, nehme ein paar hundert Meter der Autofahrt mit meiner Kamera auf und lasse den Urlaub beginnen.

 

Das „Hotel California“ ist eine asoziale Surferabsteige. Der Charme des Songs verfliegt auf der Stelle. Preislich kann man nicht meckern, die 70$ pro Nacht sind ok, vorsorglich habe ich aber direkt Bescheid gesagt, daß ich nur 2-3 Tage bleiben werde. In weiser Vorraussicht, denn ich kann mir schon vorstellen, daß ich den Plan hier einzuchecken morgen nicht mehr so toll finden werde weil ich dann nüchtern bin. Um dem entgegen zu wirken mache ich mich auf, die Umgebung nach einer hotelnahen Stammkneipe zu erkunden.

Irgendwie abgefahren. Ich kenne die ganze Ecke hier aus dem Fernsehen. Vorbei am Santa Monica Pier, dem hölzernen Steg, der gespickt mit Kirmesbuden, Fresstempeln und Bars in den Ozean ragt, bis hin zur Third Street Promenade. Es wirkt irgendwie surreal auf mich. Auch ohne Alkohol. Glaube ich.

Die Third Street Promenade ist eine kleine Straße, in der keine Autos fahren, was für die USA eine extrem ungewöhnliche Straße aus ihr macht. Sie wirkt auf mich wie eine verkehrsberuhigte Zone in Deutschland, rote Pflastersteine, Blumenkübel, Straßenmusiker. Das rotleuchtende Schild mit der Aufschrift „BAR“ zieht mich zu sich und lässt mich wie ferngesteuert die Tür darunter durchschreiten. Die Bar sieht aus wie ein Bistro, hell, modern und funktional. Soll mich nicht stören. Ich bestelle ein Bier und mache von dem Angebot Gebrauch, sich gegen den kleinen oder auch großen Hunger einen Burger von „Johnny Rockets“ gegenüber liefern zu lassen. Der Kellner bemerkt meinen Akzent und fragt woher ich komme. Nachdem ich ihm mitgeteilt habe, daß ich aus Deutschland bin, nickt er mit leerem Blick, der mir zu verstehen gibt, daß er nicht den Schimmer einer Ahnung hat, was und wo Deutschland ist. Er bestätigt mich mit dem Zusatz:

„I love Scotland, man! You have nice girls over there…!“

Ich versuche nicht, ihm die geografische, kulturelle und sprachtechnische Entfernung Deutschlands zu Schottland näher zu erläutern und stürze mein Bier herunter. Ich merk schon. Das wird hier nicht einfach mit den Amis.
Die Bar ist lahm. Uninteressant, zu steril. In der Nordstadt in Dortmund gibt es solche Läden gar nicht. Dafür jede Menge Spelunken. Und die liebe ich. Also haue ich mir den wirklich großartigen Burger mit Fries zu Ende rein, trinke dazu ein weiteres Helles und mache mich auf den Weg, das echte, unverfälschte Amerika zu entdecken. Große Worte wenn man nicht einmal mit Bestimmheit sagen kann, ob es das überhaupt gibt. Bis jetzt habe ich davon nicht viel gesehen. Nur Kitsch, Oberfläche und Dummheit. Nicht sehr befriedigend, da hätte ja auch ´ne Fahrt nach Düsseldorf gereicht.

Warum bin ich überhaupt hier, hätte ich mein Geld nicht besser auf den Kopp hauen können? Zu Hause war ich gerade in einer ziemlich miesen Situation. Gerade aus einer Beziehung raus, die nächste irgendwie schon vor der Tür stehen, Altlast meets new trouble. Will ich das jetzt? Ich musste einfach weg, weit weg. Der Umstand, daß ich mir jedes Jahr eine Weltmetropole oder zumindest eine interessante Großstadt vornehmen wollte, ließ Los Angeles als Reiseziel immer mehr Gestalt annehmen. Dienstag morgens ins Reisebüro, Flug gebucht, Tasche gepackt, Donnerstag geflogen. Kein Hotel, keine Ahnung, keine Termine, so macht´s mir am meisten Spaß.

Dieses Erkunden, erleben was und wann man möchte. Niemand, der mit Sonnenbrille und Stadtplan neben dir her läuft und so Sachen sagt wie:

„Wenn wir da vorne rechts gehen kommen wir zu den Universal Studios…, wo wir doch gerade hier sind!?“

Nein, ich hab keinen Bock auf diese ganze Scheiße. Abklappern von dämlichen Orten mit dämlichen Namen an denen vor mir schon Millionen anderer dämlicher Urlauber die ewiggleichen Fotos geschossen und ewiggleichen Sachen gesagt haben. Das ist doch kein Urlaub, das ist Scheiße. Ich will aufwachen, von mir aus um 17.00 Uhr und dann machen worauf ich Lust habe. Im Bett liegen bleiben bis 18.00, zweimal hintereinander wixen, duschen und dann vor die Tür gehen. Einfach loslaufen oder mit ´nem Taxi soweit fahren, bis man irgendwas Interssantes sieht und anhält. Die Welt erkunden. So schnell und so intensiv wie ICH es gerade für richtig halte. Das is doch geil…

Die Sonne geht langsam unter und berührt das Meer. Ich sitze hinter dem Hotel am Strand neben dem Pier und wühle mit meinen Zehen den Sand auf. Hinter mir wird gerade eine Szene für eine amerkanische Vorabendserie gedreht, irgendwas mit Cops auf Mountainbikes in schwulen Uniformen.

Dann sehe ich ihn. Der Typ ist groß, stämmig, bärtig und ziemlich stark tätowiert, sein Gang läßt ihn auf Aussenstehende wirken, als wüßte er wo er hin will und was er dort machen wird. Er kommt direkt auf mich zu, lächelt nicht, zeigt keine Regung im Gesicht. Jetzt werde ich langsam nervös. Ich überlege welchen Gegenstand ich ihm in die Schnauze hauen soll falls er mich angreift oder mir blöd kommt. Ich umklammere meine Kamera feste mit der rechten Hand. Ist ´ne alte Digitalkamera, sollte sie in seinem Mund zu Bruch gehen, werde ich das überleben.

Sein Schatten verdunkelt mein Gesicht und ich merke wie ich innerlich bebe. Aber anders als erwartet fragt mich der bärtige Typ nach meinem Befinden, amerikanisch oberflächlich zwar, aber immerhin. Meine Tattoos gefielen ihm und wo ich denn herkommen würde. Nach anfänglicher, typisch deutscher Scheu gegenüber soviel Interesse an einer fremden Person läuft unser Gespräch fast wie von selbst. Wir quatschen, lachen und lästern über die Filmcrew und die Schauspieler hinter uns bis es endgültig dunkel wird. Er greift in seine Tasche und zieht eine kleine, braune Papiertüte hervor und reicht sie mir. Bourbon! Da kann ich nicht nein sagen. Das verbietet schon die Höflichkeit.

Er muß lachen als ich ihm erzähle, daß ich im Hotel California wohne und bietet mir an bei ihm zu wohnen. Viel Platz habe er nicht aber es wäre schliesslich umsonst und er könne mir L.A. zeigen….

Der Gedanke in Los Angeles mit einem tätowierten, bärtigen, fremden Mann nach Hause zu fahren, der nett zu mir ist und mir Whiskey gibt nachdem er mich am Strand angesprochen und mir Komplimente zu meinen Tattoos gemacht hat, lässt mich kurz innehalten. Bärtige Bären reizen mich gar nicht und Arschficken ist was für mich so lange ich den aktiven Part übernehmen darf.. Nach kurzer Überlegung aber höre ich mich sagen:

„Sure! Thank you…!“

 

 

Wir gehen zum Parkplatz und steuern auf seinen Wagen zu, ein Lincoln Continental in bronze-metallic mit einem Aufkleber am Heck der da sagt „Vietnam Veteran on Board!“ Auf mein Nachfragen bestätigt er die Teilnahme an einem der sinnlosesten Kriege der Geschichte. Ich frage nicht weiter, schließlich will ich eine entspannte Zeit verleben und nicht Traumata ehemaliger Vietcong-Jäger wecken. Wir schweigen während der Autofahrt durch riesige Straßenschluchten, verkommene Ecken mit Wahrsagerbuden und Fastfood Restaurants, nur unterbrochen von kurzen Erklärungen meines ungewöhnlichen Chauffeurs zu Bauwerken und Straßennamen.
Mir fällt auf, daß ich seinen Namen gar nicht weiß, ich frage ihn und er antwortet kurz und süffisant:

„Call me Dad!

 

 

Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob das die richtige Entscheidung war zu ihm in den Wagen zu steigen, ich weiß ja nicht mal wohin wir fahren. Was hab ich mir dabei gedacht. Zwei Liter Chardonnay, ein paar Bier und ein Schlückchen Bourbon reichen also aus um sämtliche anerzogene Vorsichtsmassnahmen, die man als Kind mit auf den Weg bekommen hat, auszublenden. Jetzt sitze ich hier völlig besoffen in einem alten Wagen mit einem alten Fremden, 9320km von Dortmund entfernt und bin auf dem Weg nach…, Scheiße, genau! Wohin fahren wir eigentlich? Ich hab nicht mal gefragt wo „Dad“ wohnt, bin ich eigentlich total bescheuert?

Beruhige dich, Sascha, alles wird gut. Du bist paranoid. Was soll schon passieren, der Typ ist freundlich und will dir helfen, gib ihm eine Chance. Du weißt doch wie es ist, wenn man vorschnell beurteilt wird. Ich frage ihn wo er denn wohne….

„Inglewood!“

Verdammt! Ich sehe mich schon mit diesem dicken, weißen Typen in einem Viertel, in dem sonst nur 4% der Einwohner die gleiche Hautfarbe haben. Jetzt ist mir endgültig mulmig und ich stelle mir vor wie ich von zwei schwarzen Rappern auf Dad´s Veranda angeschossen werde. Ruhig bleiben.

Ich versuche mich etwas abzulenken. Dad hört Rammstein und ich übersetze ihm ein paar Zeilen des Songs „Du riechst so gut“. Er ist belustigt und gibt zu, daß er sich die deutsche Bedeutung wesentlich spektakulärer vorgestellt hatte. Seiner Meinung nach hätte es ruhig was mit dem Holocaust zu tun gehabt haben können.

Wir biegen in eine kleine Gasse ein und Dad deutet auf eine Garage mit einem kleinen Grünstreifen daneben. Am Dach der Garage ist ein Basketballkorb befestigt. Hier wohnt Dad also. Ich jetzt auch. Prost Mahlzeit.

Drinnen ist es größer als erwartet. Ein Tisch, eine Couch, eine Matratze, ein paar Regale und ein Waffenschrank. So kann mans aushalten. Nachdem Dad mir erklärt, daß er auf der Matratze und ich auf der Couch schlafen werde, bin ich etwas beruhigt. Dad fragt mich, ob ich Waffen mag.

Natürlich mag ich Waffen, ich liebe sie. Anhand meines Grinsens kann er erkennen, daß wir die gleiche Leidenschaft teilen und beginnt sofort damit, mir den Inhalt seines Schrankes vorzuführen. Ich bin begeistert. Nachdem er ein paar Handfeuerwaffen Typ Beretta 92 vorgeführt hat zeigt er mir einen vernickelten Revolver im Kaliber 454Casull, ein Gerät mit dem man LKW stoppen kann. Ich bekomme feuchte Augen. Er zaubert Waffe um Waffe aus seinem Schrank, Pumpaction-Schrotflinte mit Klappschaft, Scharfschützengewehre aus Vietnam, Kevlar-Rifles mit Laseroptik und die gute alte Tommy Gun aus Al Capone´s Zeiten…. Zu guter letzt kramt er noch eine alte Gasmaske aus dem Schrank, an die er einen Schlauch angebracht hat, der am Ende ein Köpfchen einer Graspfeife besitzt. Dad verspricht mir, am nächsten Morgen die ABC-Angriffs-Bong zu laden, mit mir zu rauchen und dann mit mir zum Schiessstand zu fahren um die Casull auszuprobieren. Der Urlaub scheint doch noch etwas entspannter zu werden. Komisch, daß der Umstand, daß Dad kifft und schießt, mich irgendwie zu beruhigen scheint.

 

 

Ich verbringe die nächsten Tage bei Dad, wir gehen essen, schießen, wir versuchen bekifft vor der Garage Körbe zu werfen, singen in Karaoke Bars „Suspicious Minds“ von Elvis, zocken Billard mit dicken Samoanern mit Zöpfen in Baseballtrikots, wir cruisen durch L.A., flüchten vor vollgekoksten Mexikanern, die auf unsere Tattoos nicht klarkommen und haben einfach eine scheißgute Zeit…, aber irgendwas fehlt mir.

Es ist nicht das Essen, nicht die Leute oder das Wetter. Es ist irgendwas unerklärliches…, sowas wie Heimweh, glaub ich. Ja, Scheiße, es ist Heimweh. Ich bin in einer Stadt, die ich aus tausenden Filmen kenne, die ich immer mal besuchen wollte. Eine Stadt, in der alles möglich scheint, vieles zuviel ist und manches nötig wäre. Eine Stadt mit Charme, Herz und Kopf.
Das ist es wahrscheinlich auch, was mich an zu Hause erinnert. Es reicht mir. Ich hatte eine tolle Zeit, aber ich will nach Hause. Zu Kronen Pils und Currywurst, zu wortkargen Arschlöchern am Kiosk und zu meinen Leuten. Freunde, Familie, all der Kram, der mich weggejagt hat, der mich ins Reisebüro, ins Flugzeug und auf einen anderen Kontinent getrieben hat. Genau dahin wünsche ich mich jetzt zurück.

Einen Tag später verabschiede ich mich von Dad, eine tolle Begegnung mit einem tollen Menschen, die ich nie vergessen werde. Ich buche meinen Rückflug zwei Tage früher und verschwinde.

Manchmal muss man wohl erst Abstand haben um zu erkennen, was einem dieser ganze Scheiß bedeutet. Ich freue mich schon auf den Weißwein beim Rückflug…

Crossposting aus den Dortmund Diary

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Tina M.-K.
Tina M.-K.
12 Jahre zuvor

grossartig!! ich liebe deine texte!!!

TaTa
TaTa
12 Jahre zuvor

Kannst du nich n Buch schreiben, Kleiner?!

Saubermann
Saubermann
12 Jahre zuvor

wie biste denn eigentlich im Suff durch die Immigration gekommen ? Mit deinem Schreibstil kann ich nicht viel anfangen – so eine Art Currywurst-Bukowski im Versuchsstadium ?

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11 Jahre zuvor

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