„Schrotten!“ mit Lucas Gregorowicz: Der beste deutsche Western des Jahres

schrotten01 Na gut, das Wetter ist grad super draußen, was soll man also im Kino, aber an Pfingsten soll’s ja wieder schlechter werden und spätestens dann wird sich der ein oder andere hoffentlich doch wieder in den dunklen Kinosaal trauen – also, um es kurz zu machen (das Wetter ist doch grad so super und ich will auch wieder raus): Es sei hiermit nachdrücklich empfohlen, sich in den nächsten Wochen unbedingt den Film „Schrotten!“ anzuschauen, den bislang besten deutschen Film des Jahres, in dem Lucas Gregorowicz endlich mal wieder in einer schönen großen Hauptrolle auf der schönen großen Kinoleinwand zu sehen ist!

Der im Bochum aufgewachsene und an der Bochumer Schauspielschule ausgebildete Lucas Gregorowicz hatte sich vor 15 Jahren mit dem ebenso schönen „Lammbock“ als neuer deutscher Kinostar im neuen deutschen Filmgeschäft vorgestellt, sich seitdem aber, wie viele andere Schauspieler in Deutschland wohl auch, durch allerlei schnöde Fernsehrollen von Rosamunde Pilcher bis Polizeiruf kämpfen müssen.

Nun also endlich wieder ein echter Kinofilm. Und was für einer: „Schrotten!“ hat echt das Zeug, zum Kultfilm zu werden. Das erste Langwerk von Jungregisseur Max Zähler, der vor vier Jahren für einen Kurzfilm sogar schon mal für den Oscar nominiert war, erzählt eine ebenso zeitlose wie leicht aus der Zeit gefallene, ebenso ruppig-rauhe wie liebevoll-feinfühlige Story aus dem Schrottermilieu. Zwar ist das Grund-Gerüst der Geschichte geradezu klassisch konstruiert und wohlbekannt, doch die coole, clevere Art sie zu erzählen ist einzigartig eindrucksvoll: Neben einem großartigen Blick für kleine Details wie die geheimen Zeichen der Gaunerzinken und die geheime Sprache des Rotwelsch-Kauderwelsch, die zum einen verdeutlichen, dass „Schrotten!“ ein ambitioniert recherchierter Film mit viel Herz und Herzblut ist, ist zum anderen vor allem eines überraschend: „Schrotten!“ ist ein deutscher Western.

Wie Lucas Gregorowicz als Mirco nach dem plötzlichen Tod des stolzen Vaters und Familienoberhaupts als verlorener Sohn auf die alte Ranch, äh, den pittoresk verwahrlosten Schrottplatz der Sippe zurückkehrt und sich nach einigem Zaudern und Zögern schließlich den lang erwarteten knallharten Faustkampf mit seinem Bruder Letscho liefert, das hat nicht nur grandioses Western-Feeling, nein: So versöhnend und verbindend, bzw. in diesem Fall im wahrsten Sinne des Worte: So „verbrüdernd“ haben sich seit Brad Pitt und Edward Norton zwei Kerle nicht mehr miteinander blutig geprügelt.

Wie als übermächtige Bedrohung der reiche böse Großrancher, äh, Schrotthändler Kercher das ganze weite Land des einst so wilden Westens, äh, das heißt hier: nacheinander alle unabhängigen Schrottplätze der Gegend aufkauft, das heißt: alle unabhängigen Schrotthändler der Umgebung verdrängt, und sich Mirco natürlich nach weiterem Zaudern und Zögern seiner trotzig widerspenstigen Familienbande als verbliebener Bande aufrechter Outlaws und Outsider anschließt, das ist ganz großes Kino.

Statt auf seinem treuen schönen Pferd hin und her zu reiten, fährt Saubermann Mirco in der ersten Hälfte des Films in seinem teuren schicken Auto (mit viel Erinnerungswert) immer und immer wieder von Hamburg (wo er jahrelang ein bürgerlich biederes und von Stress geprägtes Leben als Versicherungsvertreter zu fristen versuchte) nach Celle zurück, um dann endgültig und entschieden in den charmanten Schmutz und den Schoß der schrulligen Schrotti-Truppe zurückzukehren. Das ist komisch, das ist dramatisch, das ist meisterlich.

Wobei die Wandlung der Hauptfigur nicht nur von Lucas Gregorowicz gut gespielt, sondern auch einfach gut geschrieben ist: Hier wandelt sich kein schnöder Schnösel klischeehaft vom Saulus zum Paulus, Mirco ist von Anfang an kein oberflächliches Oberarschloch, das irgendwann plötzlich sein Herz entdeckt (solche Rollen kann ja Til Schweiger spielen) – nein, da Mirco selbst als Versicherungsagent noch nett und sympathisch wirkt, genügen fein beobachtete Kleinigkeiten, um ihn und mit ihm den Zuschauer zart zu berühren. Wenn ihm kurz ein altes Foto aus Kindertagen (natürlich mit ihm und seinem seligen Papa drauf) oder sein altes geliebtes Fußball-Sticker-Album (natürlich von der WM 1990) gezeigt und geschenkt werden, dann sind das emotionale Momente der wunderbar sensiblen Art.

Auch der wahnwitzige Zugüberfall, bei dem schließlich ein ganzer Waggon voller wertvollem Kupfer geklaut werden soll, ist, unterlegt mit einer stark an Italowestern-Sounds gemahnenden Musikkulisse, genauso spannend inszeniert wie der finale Showdown der wiedervereinten Altschrotti-Bruderschaft gegen die miese, fiese Kercher-Gang auf dem Marktplatz. Oder, um es anders zu sagen und nochmal zu Brad Pitt zurückzukehren: Man braucht nicht Brad Pitt oder George Clooney, um an einem flott inszenierten „Heist-Movie“ einen Heidenspaß zu haben.

Wie ein solcher Coup einerseits grandios scheitern und unglücklich schiefgehen kann und die (Anti-)Helden am Ende der Geschichte dann doch sogar mit noch mehr dastehen als ursprünglich geplant, das macht hier auch in der Welt des „Schrottens“ immense Freude beim Zuschauen – und hat internationales Format, das in aller Welt Spaß machen dürfte.

Nach einer kurzen Einstellung mit einem kritischen Blick in den Kofferraum, die (aus dem Kofferraum heraus gefilmt) natürlich an Quentin Tarantino erinnert, stehen die dekorativ verlotterten Zugräuber schließlich mit einem blauen Container voller Kercher’scher Kostbarkeiten da. Doch so wie man in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ nie erfährt, was sich in jenem ominösen Koffer befindet, so bleibt dem Zuschauer in „Schrotten!“ auch der genaue Inhalt dieses blauen Metallcontainers unbekannt. Ein gemeinsamer Ritt, äh, eine gemeinsame Fahrt der freiheitsliebenden Underdogtruppe in den Sonnenuntergang ist da am Ende fast schon obligatorisch.

Ja, „Schrotten!“ ist aus dem Stoff, aus dem Kultfilme sind: Wenn alles gut geht, trifft man sich, spätestens wenn der Film auf DVD rauskommt (ich weiß, zum Inskinogehen ist doch das Wetter ist grad viel zu schön, die Wirkungskraft meiner Überredungskünste ist da wohl begrenzt) ja schon bald mit ein paar Dosen Jim-Beam-Cola zum gemütlichen, vergnüglichen Filmabend zuhause. Denn übrigens: Auch wenn in „Schrotten!“ viel Jim-Beam-Cola getrunken wird, wollte Jim Beam den Film partout nicht sponsern, weil so manche Szene dem strikten „Don’t drink and drive“-Kurs der Firma nicht entsprach.

Also, Jim-Beam-Cola-Dose in die Hand (ohne wie im Film notdürftig das Etikett verdecken zu müssen), dann genüsslich zerschnittene Toast-Scheiben in weichgekochtes und großzügig mit Maggi verfeinertes Eigelb tunken – und alle miteinander stolz den Schlachtruf anstimmen: „Lieber tot als Sklave!“

schrotten 02

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discipulussenecae
discipulussenecae
8 Jahre zuvor

„Lieber tot als Sklave!“

Lucas Gregorowicz zu sehen, bereitet mir immer im Theater, im Kino und im Fernsehen viel Freude!

"Und das Wort bleibt stehn: Lewwer duad üs Slaav!"

Dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=NUWpOujjD24
https://de.wikipedia.org/wiki/Pidder_L%C3%BCng
https://de.wikisource.org/wiki/Pidder_L%C3%BCng

Irgendson Honk
Irgendson Honk
8 Jahre zuvor

Piddel Lüng!
Discipulus, Sie ernten hiermit 1000 Punkte für den ersten, der die Urahnenschaft dieses weisen Spruches aufdeckt!

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