schurians runde welten (reloaded)

Totschlag im Internet "Deine Mudda zieht Autos auf Eurosport." (ustreamer 4357) "Deine Mudda wird am Strand von Greenpeace gerettet!" (ustreamer 3385) "Schalke, alle Uschis!" (ustreamer 1005) Es ist viel passiert, seit diese Kolumne das letzte Mal erschien. Ich habe mir einige technische Geräte angeschafft, die ich um meinen Heimarbeitsplatz gestellt habe und abwechselnd an- und ausschalte. Danach schaue ich wieder in den Laptop, ob zwischendurch etwas geschehen ist, dann schalte ich wieder ein Gerät an, und so weiter. Wenn ich arbeite und Geräte ausprobiere, denke ich daran zurück, wie es war ohne Internet, ohne Computer, Mobiltelefone und andere Geräte: So saß ich Anfang dieses Jahrtausends mal in einem Büro am Westrand des Ruhrgebiets fest und hatte kein Telefon und einen PC ohne Verbindung zum Internet. Irgendwann begann ich damit, mich mit dem Rechner zu unterhalten. Wirklich: Das Teil hatte eine Sprachsoftware, ich konnte mir Sätze ausdenken, die ich mir dann in fünf unterschiedlich verzehrten Stimmfarben vorlesen ließ. Kleine Dialoge, nur unterbrochen, durch das Eintippen des neuen Satzes: Guten Morgen, Christoph, alles klar? Hm. Was haben wir beiden Hübschen denn heute vor? Nichts. Wann gehst Du Mittagessen? Weiß nicht. Du mieser Lutscher, Du kotzt mich an! Häh? Trotz der Gespräche wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Weil das nicht nur mir so geht, ist die gewaltigste Industrie unserer Zeit entstanden, sie fußt auf einem Auftragsmord. Medien- und Informationsindustrie helfen uns dabei, die Zeit totzuschlagen. Und das Internet ist ein Brennpunkt dieses Massenmordes. Man kann dort abertausend sinnfreie Dinge suchen, anschauen, anklicken, am sinnlosesten ist es aber, zu versuchen, Fußballspiele zu sehen, die nur im Bezahlfernsehen laufen. Zum Beispiel Champions League, Olimpiakos gegen Werder, zu sehen war das auf einer Seite aus Talinn. Im Selbstversuch wird klar: Wer Fußball gerne in der Totalen sieht, ist im Internet verratzt. Zu sehen sind rote bzw. weiße Pixel auf grünem Grund, wie ein Computerspiel auf dem Sinclair. In Nahaufnahme geht es einigermaßen, aber der Datenrhythmus macht das Spiel kaputt, es fließt nicht, es hackt. Weil das die anderen 5.000 Zuschauer auch so sahen, haben sie auf der Seite gechattet, sich ungefähr so angeregt unterhalten wie ich mit meinem Bürorechner – die geistreichesten Kommentare habe ich an den Anfang dieser Kolumne gestellt, die es ab jetzt wieder regelmäßig geben wird. Mit irgend etwas muss man die Zeit ja totschlagen!

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