Anfang der Woche gab es in Hamburg eine Pressekonferenz. Worum ging es? Um den anthroposophischen Schulversuch – mit dem die Kinder im Stadtteil Wilhelmsburg „beglückt“ werden soll. Nicht alle finden dies gut. So auch der Bremer Lehrer und Skeptiker André Sebastiani (36). Die Ruhrbarone haben mit ihm über den Schulversuch und seinen Widerstand gesprochen.
Herr Sebastiani, Sie waren ja gegen den Schulversuch in Hamburg, haben Unterschriften dagegen gesammelt. Mit welchem Ergebnis?
Wir haben insgesamt 2.279 Unterschriften zusammen, darunter viele ehemalige Waldorflehrer und -schüler, die in den Kommentaren von ihren persönlichen Waldorferfahrungen berichtet haben. Das finde ich sehr beachtlich.
Dazu gibt es einen offenen Brief aller 22 namhaften Mitglieder des Wissenschaftsrates der GWUP, der mit Mitgliedern wie z.B. Prof. Edzard Ernst prominent besetzt ist.
Im Ergebnis konnten wir den Schulversuch zwar nicht verhindern, aber wir haben für sehr viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt.
Das ging so weit, dass sich Herr Senator Rabe offenbar genötigt sah, uns in seinem Eingangsstatement auf der Pressekonferenz zu erwähnen.
Was hat der Senator denn gesagt?
Er beschrieb uns als eine Gruppe von Leuten, die versucht hätten „mit Schaum vor dem Mund“ einen „Glaubenskrieg“ aus dem Schulversuch zu machen. Allerdings würden wir weder aus Wilhelmsburg, noch aus Hamburg kommen. Leider hat der Senator einen persönlichen Termin im Vorfeld abgesagt, sonst hätte er auch die Hamburger Regionalgruppe der GWUP kennengelernt, die die Aktion engagiert begleitet hat. Wenn ihm aber außer persönlichen Angriffen nichts Inhaltliches zu unserem Protest einfällt, dann waren unsere Argumente wohl gut. Ich nehme das als Kompliment.
Der Waldorf-Schulversuch startet ja im Sommer trotzdem. Sind Sie enttäuscht?
Einerseits ja, andererseits war nicht wirklich zu erwarten, dass die Politik von dem einmal verkündeten Weg abrückt, denn das wäre mit Gesichtsverlust verbunden gewesen. Außerdem hat es lange nicht mehr so viel kritische Berichterstattung zum Thema Waldorf gegeben.
Wo ist eigentlich Ihr Problem? Waldorf-Schulen sind doch nix Neues: in Herne gibt es bspw. schon länger die Hibernia-Schule, an der man zeitgleich Abitur und Berufsabschluss macht.
Ich habe als Lehrer ein generelles Problem mit dem okkult-esoterischen Überbau, der das gesamte pädagogische Konzept durchzieht. Schülern und Eltern ist das oft gar nicht bewusst, weil die Anthroposophie selbst kein Unterrichtsinhalt ist. Sie ist aber sozusagen in jedem Unterricht unausgesprochen immer schon da. Aber es stimmt schon, eine einfache Waldorfschulgründung hätte sicher nicht zu so viel Widerstand geführt. Hier wird jedoch erstmalig Waldorfpädagogik in eine bestehende staatliche Schule eingeführt und an dem Punkt sollten bei kritischen Zeitgenossen alle Alarmglocken schrillen: Es ist eine Sache, wenn sich Eltern umfassend informieren und sich dann für eine Waldorfschule entscheiden ‑ sofern sie nicht nur einseitig durch Waldorf-PR informiert werden. Eine solche Entscheidung halte ich zwar für falsch, aber ich akzeptiere sie natürlich. Doch dadurch, dass es eine staatliche Schule ist, ist es so, dass sich Eltern die im Umfeld der Schule wohnen, aktiv gegen die Waldorfschule entscheiden müssen, weil ihr Kind ansonsten quasi automatisch zu dieser Schule geht. Und bei der Schulwahl spielen ja auch noch weitere Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Länge des Schulwegs oder die Frage, wo die Kindergartenfreunde eingeschult werden. Ich bin der Meinung, dass Hamburg hier die Neutralitätspflicht des staatlichen Schulsystems verletzt.
In den Schulklassen sollen ja hälftig Lehrer mit staatlicher und hälftig mit Anthro-Prägung eingesetzt werden. Wer schlichtet eigentlich, wenn es zwischen denen knallt?
Vielleicht helfen ja die von Rudolf Steiner beschriebenen Geister und Elementarwesen bei der Schlichtung. Aber im Ernst: Man wird abwarten müssen, wie die Zusammenarbeit im Einzelnen läuft. Dass die Schule aber nicht mehr an der KERMIT-Vergleichsuntersuchung in der zweiten Klasse teilnimmt, die wichtige Hinweise zu besonderem Förderbedarf liefert, ist für mich ein Hinweis, dass hier mehr Waldorf drin steckt, als Senator Rabe zugibt. Bekanntlich sollen Kinder nach den Vorstellungen der Waldorfpädagogik ja erst nach dem Zahnwechsel, also nicht mit dem Schuleintritt, Lesen und Schreiben lernen. Für Kinder die in diesem Bereich besondere Schwierigkeiten haben, kann das katastrophal enden, gerade wenn kein gut betuchtes bildungsnahes Elternhaus im Hintergrund Unterstützung leistet.
Wie finden die Schulwächter in Hamburg eigentlich heraus, ob das Ganze was gebracht hat? Und wenn nicht, sind die Kinder dann „verheizt“?
Ich hoffe, dass es eine vernünftige wissenschaftliche Begleitung gibt. Landesschulrat Rosenboom sagte mir allerdings bei der Übergabe der Petition, dass er von empirischer Bildungsforschung nicht viel hält. Bei Schulversuchen krankt die wissenschaftliche Begleitung leider oft am unbedingten Willen der Politik, Erfolge vorzuweisen. Ich würde mich aber natürlich freuen, wenn ich mich eines Besseren belehren lassen müsste. Positiv lässt sich sagen, dass alle anderen Vergleichsuntersuchungen, wie die bundesweiten VERA-Vergleichsarbeiten, durchgeführt werden.
Welche positiven oder negativen Folgen dieser Schulversuch für die Kinder haben wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Ich hoffe jedenfalls für die Wilhelmsburger Kinder, dass sich meine negativen Prognosen nicht erfüllen.
Wa mir zu dem Thema gerade einfällt: Gibt es an der Schule auch Referendare? Wenn ja, hoffe ich, dass sie von den „regulären“ Lehrern protegiert und ausgebildet und über die Differenzierung zu und den Gefahren der Anthroposophie informiert werden.
@ Crazee #1
die Mehrheit der „regulären Lehrer“ hat sich für den Schulversuch mit Waldorfpädagogik, also anthroposophischer „Pädagogik“, entschieden: findest du das „regulär“, oder vielleicht „normal“?
Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, im Interview mit den Ruhrbaronen über Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie:
„Hopmann: Wir leben in einer freien Gesellschaft. Also hat jede/r das Recht, jeden Unfug zu glauben. Nur sollten sich Eltern, die ihr Kind einer Waldorfschule anvertrauen, darüber im klaren sein, dass sie dann einer Pädagogik vertrauen, die ein heilloses Gebräu esoterischer Glaubenssätze über Drüsen, Zahnentwicklung, astrologischen Einflüsse und ähnliches ist, das von der modernen Kinderpsychologie und der aktuellen Lehr-Lern-Forschung durchweg als durch nichts begründbarer Unsinn abgelehnt wird. Entschiedene Waldorfianer wird das nicht anfechten: Wie alle Sekten sind sie gegen widersprechende Wissenschaft immun.“
zum Interview mit Prof. Hopmann:
„Waldorfschule: ‘Man kann nicht nur ein bisschen Waldorf sein’
Hoffen wir das Beste, lieber Leser…
Pflicht“lektüre“ für die Referendare: Das Interview der Hoaxillas mit André… 😉
[…] “Hamburg verletzt die Neutralitätspflicht”, Ruhrbarone am 28. November […]
Staatliche Waldorfschule Hamburg integriert “wesentliche Elemente aus der Waldorf-Pädagogik”!
Die Kritik an dem Projekt einer staatlichen Waldorfschule ist mehr als berechtigt und liegt auf der Hand. Dazu wurde genug argumentiert. Ganz ärgerlich sind die Ignoranz und die Relativierungen von Hamburgs Schulsenator Rabe & Co zum Thema Anthroposophie in der Waldorfpädagogik. Der Versuch, jedem einreden zu wollen, dass bei diesem Projekt die krude esoterische Ideologie Steiners keine Rolle spielen wird, ist einfach nur peinlich (…)“
weiter: https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2013/11/29/staatliche-waldorfschule-hamburg-integriert-wesentliche-elemente-aus-der-waldorf-padagogik/
[…] da gibt es eine Waldorf-Schule aus Steuermitteln. Dagegen gab es eine Unterschriftensammlung, was aber Schulsenator Rabe nicht beeindruckte, vielmehr beschimpfte er die eigenen Bürger, als […]